Inhalt

Text gilt ab: 27.01.2003
Fassung: 28.08.1978
17
Zu Art. 17 (Gewahrsam)

17.1

Art. 17 * regelt den polizeilichen Entzug der Freiheit, soweit diese nicht lediglich eine Nebenfolge einer sonstigen polizeilichen Maßnahme (vgl. Art. 13*

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Abs. 2 Satz 3, Art. 15*

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Abs. 3) darstellt.

17.2

Der Gewahrsam nach Absatz 1 Nr. 1 dient ausschließlich dem Schutz des Betroffenen. Absatz 1 Nr. 1 ist nicht anzuwenden, wenn die Voraussetzungen nach Art. 18 Abs. 2 des Unterbringungsgesetzes gegeben sind, der als spezielle Vorschrift vorgeht. Die Gefahr braucht nicht gegenwärtig zu sein. Es kommt nicht darauf an, ob sich der Gefährdete selbst - schuldhaft oder schuldlos - in die Gefahr begeben hat. Die Gefahr kann von Dritten ausgehen, durch Naturereignisse oder sonstige Fälle höherer Gewalt verursacht sein.

17.3.1

Der Gewahrsam nach Absatz 1 Nr. 2 ist nur zulässig, wenn die Polizei kein milderes Mittel hat, um die Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zu verhindern.
Eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit steht unmittelbar bevor, wenn mit der Ausführung bereits begonnen wurde, oder sie in allernächster Zeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Die Bedeutung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit ist erheblich für die Allgemeinheit, wenn ein Schaden für ein besonders bedeutsames Rechtsgut (Leben, Gesundheit, Freiheit, unersetzliche Vermögenswerte) oder für andere Rechtsgüter in erheblichem Umfang oder für den Bestand des Staates und von dessen Einrichtungen zu befürchten sind oder wenn die betreffende Vorschrift ein sonstiges bedeutsames Interesse der Allgemeinheit schützt.

17.3.2

Die in Art. 17*

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Abs. 1 Nr. 2 2. Halbsatz enthaltenen Kriterien stellen der Polizei und den zuständigen Gerichten konkrete Anhaltspunkte für die Prognoseentscheidung über das unmittelbare Bevorstehen von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zur Verfügung. Es handelt sich hierbei nicht um Regelbeispiele (wie im Fall des § 243 Abs. 1 des Strafgesetzbuches), sondern um Prognosekriterien, d.h., es werden für die zu treffende Prognoseentscheidung einige typische Anhaltspunkte angeführt, bei deren Vorliegen nach der allgemeinen Lebenserfahrung von dem unmittelbaren Bevorstehen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit mit erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit ausgegangen werden kann. An den Grundvoraussetzungen des Art. 17*

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Abs. 1 Nr. 2 ändert sich nichts, insbesondere muss die polizeiliche Ingewahrsamnahme unerlässlich sein, um die o. g. Gefahrenlage abzuwehren. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist strikt zu beachten.
In Buchstabe a) werden Personen erfasst, die öffentlich, d.h. mit Hilfe von Transparenten, Flugblättern oder sonstigen Gegenständen, zu rechtswidrigen Aktionen im Zusammenhang mit Demonstrationen auffordern (vgl. § 111 StGB) oder solche Aktionen befürworten. Das Mitführen derartiger Kundgebungsmittel lässt den Schluss zu, dass die betroffenen Personen nicht ihr Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nach Art. 8 GG ausüben, sondern Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit begehen wollen. Das Mitführen einzelner Flugblätter strafbaren Inhalts, die dem Betroffenen von Dritten zugesteckt worden sind, reicht hingegen als Voraussetzung für eine Ingewahrsamnahme nicht aus.
In Buchstabe b) werden typische Gegenstände oder Waffen, deren Mitnahme zu öffentlichen Versammlungen (§ 2 Abs. 3 Versammlungsgesetz) verboten ist (wie Molotow-Cocktails, Schutzbewaffnung, Bankräubermasken), als Indizien dafür aufgeführt, dass die Träger nicht friedlich im Sinn des Art. 8 GG demonstrieren wollen. Die Anwendung des Buchstaben b) auf andere Personen setzt zunächst voraus, dass die Begleitperson, die die o. g. Gegenstände mit sich führt, Störer im Sinn des PAG ist. Eine Zurechnung des Verhaltens der Begleitperson darf nur dann erfolgen, wenn im Einzelfall nach Gesamtwürdigung der objektiv feststellbaren Umstände die Schlussfolgerung zu ziehen ist, dass die betroffene Person Kenntnis von dem Mitführen der Gegenstände haben musste. Bei Insassen eines Personenwagens wird man das in der Regel annehmen können, bei Insassen eines Omnibusses dagegen im Allgemeinen nicht. Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist von der Anordnung des Unterbringungsgewahrsams abzusehen, wenn eine Sicherstellung der o. g. Gegenstände oder andere polizeiliche Maßnahmen (z.B. eine Platzverweisung) zur Abwehr der Gefahr ausreichen.
Buchstabe c) sieht eine Gefahrenprognose aufgrund früheren Verhaltens vor. Voraussetzung hierfür ist, dass sich durch vorhandene Unterlagen oder sonstige Beweismittel nachweisen lässt, dass die betreffende Person bereits früher mehrfach aus vergleichbarem Anlass als Störer bei der Begehung entsprechender Taten in Erscheinung getreten ist und aufgrund der Umstände des Einzelfalls von einer Wiederholung dieser Verhaltensweise auszugehen ist. Der Nachweis, dass die betroffene Person bereits früher als Störer in Erscheinung getreten ist, kann sich auf rechtskräftige Verurteilungen im In- und Ausland, auf andere behördliche Entscheidungen (Bußgeldbescheide, Verwaltungsakte, insbesondere frühere polizeiliche Maßnahmen), zivilrechtliche Rechtshandlungen (Hausverbote, Stadionverbote) sowie auf alle sonstigen Beweismittel stützen.

17.4

Der Gewahrsam nach Absatz 1 Nr. 3 ist nur zulässig, wenn der Polizei kein milderes Mittel zur Verfügung steht, um eine Platzverweisung nach Art. 16* durchzusetzen. Da eine Platzverweisung nur vorübergehenden Charakter hat (Art. 16*

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Satz 1) und somit in der Regel nur von kurzer Dauer ist, kommt eine längerfristige Ingewahrsamnahme zur Durchsetzung einer Platzverweisung nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht.

17.5

Der Gewahrsam von Minderjährigen nach Absatz 2 dient dem vorübergehenden Zweck, sie den Sorgeberechtigten oder dem Jugendamt zuzuführen. Nicht erforderlich ist es, dass von dem Minderjährigen eine konkrete Gefahr ausgeht oder dass eine solche ihm droht.

17.6

Der Gewahrsam nach Absatz 3 dient dem Zweck, die Entwichenen in die Anstalt zurückzubringen. Nicht erforderlich ist, dass eine besondere Gefahr von dem Entwichenen ausgeht. Entscheidend ist, dass sich die betreffende Person unerlaubt außerhalb der Anstalt aufhält. Der Eingriff ist auch dann zulässig, wenn noch kein Ersuchen der Vollzugsanstalt vorliegt.

* [Amtl. Anm.:] Nichtamtliche Anpassung an die neue Artikelfolge des PAG.