Inhalt

Text gilt ab: 01.01.2023
Gesamtvorschrift gilt bis: 31.12.2027

6. Freiheitsentziehende Maßnahmen

6.1 Rechtliche Voraussetzungen

1Freiheitsentziehende Maßnahmen nach § 1631b Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) dürfen bei Minderjährigen nur dann angewandt werden, wenn die vorherige Zustimmung der Sorgeberechtigten sowie die richterliche Genehmigung gemäß § 1631b Abs. 2 Satz 1 BGB vorliegen oder wenn mit dem Aufschub Gefahr verbunden ist (§ 1631b Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 1 BGB). 2Maßnahmen zur Abwendung einer gegenwärtigen Gefahr sind den Sorgeberechtigten und der Aufsichtsbehörde unverzüglich mitzuteilen; die richterliche Genehmigung ist unverzüglich nachzuholen (§ 1631b Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 2 BGB). 3Bei jungen Volljährigen sind die Regelungen des § 1906 BGB zu beachten. 4Vor der Anwendung einer freiheitsentziehenden Maßnahme ist stets zu prüfen, ob Maßnahmen umgesetzt werden können, die weniger einschneidend sind (Alternativenprüfung). 5Freiheitsentziehende Maßnahmen dürfen nur angewendet werden, wenn sie im Einzelfall – unter Berücksichtigung der Autonomie und Selbstbestimmung der betroffenen Person – geeignet, notwendig und verhältnismäßig sind.

6.2 Anwendungskonzept und Verfahrensanweisungen

1Der Träger ist zur Erstellung von Verfahrens- oder Handlungsanweisungen im Rahmen eines separaten Konzepts zur Anwendung von freiheitsentziehenden Maßnahmen einschließlich der Nutzung von Time-Out-Räumen oder vergleichbaren Räumen verpflichtet. 2Dieses Konzept ist mindestens einmal jährlich zu überprüfen und gegebenenfalls fortzuschreiben.3Die Anwendung von freiheitsentziehenden Maßnahmen ist in jedem einzelnen Fall in Teamsitzungen oder Fallbesprechungen unter Beteiligung der der Struktur und Größe der Einrichtung entsprechenden pädagogischen Leitung laufend zu reflektieren und zu evaluieren. 4Überlegungen, ob Veränderungen und Anpassungen der Umfeld- bzw. der Beziehungsgestaltung eine präventive und damit verhaltensstabilisierende Funktion haben könnten, sollten dabei immer ausreichend berücksichtigt werden. 5Entsprechende Fachdienste sind zu beteiligen.

6.3 Einwilligung der Personensorgeberechtigten

1Für jede einzelne freiheitsentziehende Maßnahme muss der Einrichtung bei Kindern und Jugendlichen eine differenzierte, aktuelle schriftliche Einwilligung der Sorgeberechtigten vorliegen. 2Sie hat eine genaue Beschreibung der freiheitsentziehenden Maßnahmen (Art, Ablauf und zeitlicher Umfang) sowie mögliche Alternativen zur Vermeidung einzelner freiheitsentziehender Maßnahmen zu enthalten. 3Die Einwilligungserklärung ist spätestens nach Ablauf eines Jahres zu erneuern. 4Die Sorgeberechtigten sind fortlaufend an allen wesentlichen Entscheidungen zu beteiligen. 5Maßnahmen zur Abwendung einer gegenwärtigen Gefahr sind den Sorgeberechtigten unverzüglich mitzuteilen.

6.4 Schulung, Fortbildung und Supervision

1Einrichtungen, die freiheitsentziehende Maßnahmen anwenden, müssen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf die rechtlichen Grundlagen, auf Strategien der Vermeidung und eine korrekte Anwendung von freiheitsentziehenden Maßnahmen vorbereiten. 2Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen fortlaufend an entsprechenden Schulungen, sowie an Fort- und Weiterbildungen teilnehmen und dies dokumentieren können, zum Beispiel zu spezifischen Störungsbildern, zu pädagogischen Handlungsstrategien und zu Deeskalations- und Kriseninterventionsmanagement. 3Zudem ist fortlaufend und bedarfsgerecht Supervision anzubieten.

6.5 Besondere Melde- und Berichtspflicht des Trägers

1Freiheitsentziehende Maßnahmen, die zur Abwendung einer gegenwärtigen Gefahr, angewandt werden, müssen der Aufsichtsbehörde unverzüglich gemeldet werden (§ 47 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII – Meldung besonderer Vorkommnisse). 2Die Einrichtungen sind zur Führung einer fortlaufenden Übersicht aller durchgeführten freiheitsentziehenden Maßnahmen verpflichtet. 3Dies gilt auch für körpernahe Fixierungen sowie für die nicht altersgemäße Verwendung von umbauten, nicht von innen zu öffnenden Betten. 4Fixierungen, die als orthopädische Hilfsmittel eine Teilhabe an der Gemeinschaft ermöglichen, sind davon ausgenommen. 5Der von der Aufsichtsbehörde erstellte Meldebogen über freiheitsentziehende Maßnahmen ist einmal jährlich fristgerecht ausgefüllt zu übermitteln.