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Text gilt ab: 15.11.2024
Gesamtvorschrift gilt bis: 14.11.2034
Fassung: 24.10.2024
87.
Wahlprüfung durch die Rechtsaufsichtsbehörde (Art. 50, § 93)
1Die Wahlprüfung ist unabhängig von etwaigen Wahlanfechtungen und im Hinblick auf die Viermonatsfrist mit größtmöglicher Beschleunigung durchzuführen. 2Nach Ablauf der Viermonatsfrist kann grundsätzlich nur noch der Gemeinderat oder der Kreistag den Verlust des Amts feststellen. 3Die Viermonatsfrist kann unter den in Art. 50 Abs. 5 genannten Voraussetzungen ausnahmsweise verlängert werden. 4Für eine Fristverlängerung müssen hinreichend konkrete tatsächliche Anhaltspunkte dafür sprechen, dass es zu einer Berichtigung oder zu einer Ungültigerklärung kommen wird. 5Eine Vermutung oder ein bloßer Verdacht reichen nicht aus. 6Arbeitsüberlastung ist kein Grund für eine Fristverlängerung. 7Die Entscheidung und die Gründe hierfür sind aktenkundig zu machen.
8Die Wahlprüfung erstreckt sich insbesondere darauf, ob die Bekanntmachungen der Wahlleiterin oder des Wahlleiters und der Gemeinde bzw. des Landratsamts vollständig und rechtzeitig ergangen sind, ob die Wahlvorschläge vollständig und rechtzeitig eingereicht worden sind, ob die Niederschriften der Wahlorgane ordnungsgemäß geführt worden sind und ob das Wahlergebnis (§ 90 Abs. 2 bis 4 und § 92 Abs. 1) richtig ermittelt worden ist.

87.1 Prüfungsmaßstab bei formellen Mängeln

1Die Regelung in Art. 50 Abs. 4 Satz 1 ermöglicht, dass im Rahmen der amtlichen Wahlprüfung nach Durchführung der Wahl die Verletzung von Formvorschriften, die dem Nachweis dienen, dass Vorschriften des materiellen Wahlrechts eingehalten werden, außer Betracht bleibt, wenn der Nachweis auf andere Weise erbracht wird. 2Dadurch soll vermieden werden, dass die Verletzung dieser dem Nachweis des materiellen Wahlrechts dienenden Formvorschriften regelmäßig eine Wiederholung der Wahl zur Folge hat. 3Dadurch, dass nach Art. 50 Abs. 4 Satz 2 auch Verstöße der Wahlleiterin oder des Wahlleiters gegen Art. 32 Abs. 1 insoweit außer Betracht bleiben, wird erreicht, dass Berichtigung und Ungültigerklärung im Rahmen der Wahlprüfung bzw. über Art. 51 Satz 2 auch im Rahmen von Wahlanfechtungen nicht allein mit einem Verstoß der Wahlleiterin oder des Wahlleiters gegen seine Prüf- und Benachrichtigungspflicht begründet werden können. 4Dies trägt der beim jeweiligen Wahlvorschlagsträger liegenden Verantwortung für die Ordnungsmäßigkeit des Wahlvorschlags Rechnung.
5Ein Anwendungsfall von Art. 50 Abs. 4 Satz 1 ist zum Beispiel, dass in einer Aufstellungsversammlung zwar die materiell-rechtliche Anforderung der geheimen Abstimmung eingehalten wurde, jedoch vergessen wurde, dies in der Niederschrift festzuhalten. 6Dasselbe gilt, wenn Unterschriften auf der Niederschrift über die Aufstellungsversammlung vergessen wurden. 7Der anderweitige Nachweis der Einhaltung der Vorschriften des materiellen Wahlrechts könnte in diesen Fällen beispielsweise durch Erklärungen (evtl. an Eides statt) bzw. Aussagen von Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Aufstellungsversammlung gegenüber der Rechtsaufsichtsbehörde erbracht werden. 8Gelingt dieser Nachweis, ist die Wahl nicht für ungültig zu erklären. 9Ein weiteres Beispiel für einen formellen Wahlrechtsverstoß im obigen Sinne sind Mängel der Niederschrift (z. B. Unvollständigkeit) hinsichtlich der Ladung zur Aufstellungsversammlung.
10 Art. 50 Abs. 4 Satz 2 stellt im Hinblick auf Art. 32 Abs. 1 Satz 3 klar, dass es allein auf Verstöße der Wahlleiterin oder des Wahlleiters ankommt. 11So wird beispielsweise eine unzutreffende Auslegung des Art. 32 Abs. 1 durch den Wahlausschuss im Rahmen der Beschlussfassung über die Gültigkeit der eingereichten Wahlvorschläge nicht von Satz 2 erfasst und kann daher zur Ungültigerklärung der Wahl führen (z. B. wenn ein neuer Wahlvorschlag unter Berufung auf Art. 32 Abs. 1 Satz 3 eingereicht wurde, aber dessen Voraussetzungen nicht vorlagen und der Wahlausschuss den Wahlvorschlag dennoch zuließ). 12Dies trägt dem Gedanken Rechnung, dass Berichtigung und Ungültigerklärung einer Wahl sowie deren Änderung oder Aufhebung nur zeitlich begrenzt zulässig sind (vgl. Art. 50 Abs. 5 Satz 1).
13Durch die Prüfung der Nachwahl kann nicht das Ergebnis der Prüfung der für ungültig erklärten Wahl infrage gestellt werden. 14Es bleiben daher Wahlrechtsverstöße außer Betracht, die bereits bei der für ungültig erklärten Wahl vorlagen, auch wenn sie weiterwirken, unabhängig davon, ob diese im Rahmen der Prüfung der für ungültig erklärten Wahl bekannt waren. 15Entscheidend ist, ob der konkrete Wahlrechtsverstoß bereits seit der für ungültig erklärten Wahl vorliegt. 16Dies ist bei lediglich gleichgelagerten, aber bei der Nachwahl erneut auftretenden Wahlrechtsverstößen nicht der Fall.
17Resultiert beispielsweise aus der Einrichtung eines für die Nachwahl bereitgestellten Abstimmungsraums ein Wahlrechtsverstoß (z. B. Verletzung des Abstimmungsgeheimnisses oder der Abstimmungsfreiheit), so liegt bei der Nachwahl ein neuer und somit beachtlicher Wahlrechtsverstoß vor, auch wenn der Abstimmungsraum bei der für ungültig erklärten Wahl in gleicher Weise Verwendung fand. 18Denn die Abstimmung ist bei der Nachwahl neu durchzuführen, sodass solche Wahlrechtsverstöße, die sich allein auf die Abstimmung beziehen, dementsprechend ausschließlich die Nachwahl und damit nicht die für ungültig erklärte Wahl betreffen.
19Wurde hingegen beispielsweise ein Wahlvorschlag zu Unrecht zugelassen, die Wahl jedoch nicht wegen dieses Wahlrechtsverstoßes (z. B. weil er nicht bemerkt wurde), sondern wegen Wahlrechtsverstößen bei der Stimmabgabe für ungültig erklärt, so ist die Nachwahl, welche ebenfalls mit diesem ungültigen Wahlvorschlag durchgeführt wird, nicht für ungültig zu erklären, weil der Wahlrechtsverstoß der unberechtigten Zulassung bereits bei der ersten Wahl erfolgte und das Wahlverfahren insoweit nicht wiederholt wird.
20Gleiches gilt, wenn die Wahl wegen eines anderen zu Unrecht zugelassenen Wahlvorschlags für ungültig erklärt wurde. 21Denn auch hier erfolgte der Wahlrechtsverstoß bereits bei der für ungültig erklärten Wahl; die Entscheidung des Wahlausschusses über die Gültigkeit des Wahlvorschlags wird nur hinsichtlich des Wahlvorschlags wiederholt, wegen dessen unberechtigter Zulassung die Wahl für ungültig erklärt wurde, hingegen nicht bezüglich der Wahlvorschläge, deren Zulassung nicht Grund für die Ungültigerklärung war.
22Auch Wahlrechtsverstöße, die bereits bei der für ungültig erklärten Wahl vorlagen, sich danach aber nicht auf die Sitz- oder Ämterverteilung auswirken konnten, sondern die erst bei der Nachwahl mögliche Auswirkungen haben können, führen demzufolge nicht zu einer Ungültigerklärung der Nachwahl.

87.2 Berichtigung des Wahlergebnisses

1Unter Wahlergebnis ist das Zahlenwerk, wie es nach den §§ 90 und 92 ermittelt und festgestellt wird, und die sich daraus ergebende Sitzverteilung, Ämterverteilung oder Listennachfolge zu verstehen. 2Stimmt das im Wege der Wahlprüfung oder aufgrund einer Wahlanfechtung von der Rechtsaufsichtsbehörde festgestellte Ergebnis nicht mit dem vom Wahlausschuss festgestellten Ergebnis überein, ist eine Berichtigung nur dann zwingend durchzuführen, wenn es durch die Verletzung von Wahlvorschriften zu einer unrichtigen Sitzverteilung, Ämterverteilung oder Listennachfolge gekommen ist. 3Wären lediglich andere Stimmenzahlen festzustellen, liegt es im Ermessen der Rechtsaufsichtsbehörde, ob sie das Wahlergebnis berichtigt.

87.2.1 Rechnerische Berichtigung (Art. 50 Abs. 2)

1Im Rahmen der rechnerischen Berichtigung des Wahlergebnisses ist jede Richtigstellung des Wahlergebnisses aufgrund unveränderter zahlenmäßiger Einzelergebnisse und die Richtigstellung der aus den vorhandenen Unterlagen unrichtig gezogenen Schlüsse möglich. 2Die Berichtigung umfasst insbesondere Rechenfehler beim Zusammenzählen der Stimmen, Überspringen einer Seite der Zählliste, Fehler bei der Übertragung der Stimmenzahlen aus der Zählliste in die Niederschrift, falsche Schlussfolgerungen aus einer an sich richtigen Stimmenauszählung und sonstige offensichtliche Fehler.

87.2.2 Inhaltliche Berichtigung (Art. 50 Abs. 2)

1Die Rechtsaufsichtsbehörde kann auch überprüfen, ob die Stimmzettel richtig ausgewertet wurden. 2Eine Nachzählung sämtlicher Stimmzettel eines oder mehrerer Stimmbezirke im Rahmen der Wahlprüfung wird nur ausnahmsweise erforderlich sein. 3Sie kommt vor allem dann in Betracht, wenn hinreichend konkrete Anhaltspunkte bestehen, dass die Auswertung in einem oder mehreren Stimmbezirken durchgängig und nicht nur in Einzelfällen fehlerhaft ist.
4Waren Personen nicht wählbar, ist das Wahlergebnis nach Art. 50 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 35 Abs. 1 Satz 2 zu berichtigen (vgl. Nrn. 80 und 81).

87.2.3 Berichtigungsentscheidungen

Im Rahmen der Anhörung Betroffener hat die Rechtsaufsichtsbehörde auch zu ermitteln, ob Personen, die nach dem berichtigten Wahlergebnis ein Amt erhalten würden, dieses annehmen und ob Amtshindernisse vorliegen.

87.3 Ungültigerklärung der Wahl

1Eine Wahl ist nur dann für ungültig zu erklären, wenn eine Berichtigung nicht zu einer richtigen Sitzverteilung oder Ämterverteilung führen würde. 2Das ist z. B. dann der Fall, wenn wegen unzulässiger Wahlbeeinflussung oder wegen eines Verstoßes gegen die Bestimmungen über die Erteilung von Wahlscheinen eine Verdunkelungsgefahr besteht. 3Wären lediglich andere Stimmenzahlen festzustellen, kann eine Ungültigerklärung nicht ausgesprochen werden.
4Aus der Ungültigerklärung muss sich ergeben,
worin die Verletzung von Wahlvorschriften besteht,
dass es wegen deren Verletzung möglicherweise zu einer unrichtigen Sitzverteilung oder Ämterverteilung gekommen ist,
warum eine Berichtigung nicht zu einer richtigen Sitzverteilung oder Ämterverteilung führen würde und
ab welchem Verfahrensschritt das Wahlverfahren bei der Nachwahl zu wiederholen ist und ob die Nachwahl auf die Abstimmung in allen oder in einzelnen Stimmbezirken oder auf die Briefwahl oder einzelne Briefwahlvorstände als solche beschränkt wird, weil sich die zur Ungültigerklärung führenden Wahlrechtsverstöße nur insoweit ausgewirkt haben können.

87.4 Sofortige Vollziehbarkeit

1Eine sofortige Vollziehbarkeit der Berichtigung oder der Ungültigerklärung einer Gemeinderats- oder Kreistagswahl anzuordnen, kommt grundsätzlich nur in Ausnahmefällen in Betracht (vgl. BayVGH, Beschluss vom 12. Juli 1984, Az. 4 CS 84 A. 1341, BayVBl. 1984, 723). 2Die Anordnung einer sofortigen Vollziehbarkeit der Berichtigung oder der Ungültigerklärung der Wahl einer ersten Bürgermeisterin, eines ersten Bürgermeisters, einer Landrätin oder eines Landrats ist im Hinblick auf Art. 11 Abs. 5 KWBG nicht möglich.
3Die Anordnung einer Nachwahl setzt in jedem Fall eine bestandskräftige Ungültigerklärung der Wahl voraus.
4Die Entscheidung der Rechtsaufsichtsbehörde ist mit einer Rechtsbehelfsbelehrung zu versehen. 5In ihr ist darauf hinzuweisen, dass Klage erhoben werden kann. 6Das Vorverfahren nach § 68 VwGO entfällt (Art. 12 Abs. 2 AGVwGO).