Inhalt

Text gilt ab: 05.09.2024

4.   Grundsätze der Immunität

Die folgenden Regelungen beziehen sich auf die Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages und des Bayerischen Landtags; etwaige abweichende Regelungen für Mitglieder des Europäischen Parlaments und Abgeordnete der anderen Länder sind zu beachten.

4.1   Grundsatz des Genehmigungserfordernisses

1Grundsätzlich ist für jede Amtshandlung, die darauf abzielt, die Richtigkeit oder Unrichtigkeit des Verdachtes einer mit Strafe bedrohten Handlung gegen einen Abgeordneten zu ermitteln, die vorherige Genehmigung der gesetzgebenden Körperschaft erforderlich (Art. 46 Abs. 2 Halbsatz 1, Abs. 3 des Grundgesetzes, Art. 28 Abs. 1 Halbsatz 1, Abs. 2 der Verfassung). 2Hierzu zählen grundsätzlich alle strafverfolgenden Maßnahmen gegen Abgeordnete, insbesondere:
die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens und die entsprechende Eintragung in das Js-Register (vgl. zur stets erforderlichen Eintragung im AR-Register, solange die Immunität der Untersuchung entgegensteht, Nr. 8.1),
die Vernehmung von Zeugen, die Erholung von Auskünften und die Beiziehung von Akten zum Zweck der Ermittlung,
die Vernehmung von Abgeordneten als Beschuldigte oder zu informatorischen Zwecken,
die Erholung einer Auskunft aus dem Bundeszentralregister,
der Antrag, die Fahrerlaubnis vorläufig zu entziehen (§ 111a StPO),
die Sicherstellung und Beschlagnahme des Führerscheins,
weitere Ermittlungsmaßnahmen des Ersten Buches, Achter Abschnitt der StPO,
Verhaftung und vorläufige Festnahme.
3Näheres zu den Fällen, in denen eine Genehmigung der gesetzgebenden Körperschaft für eine Maßnahme ausnahmsweise nicht erforderlich ist, ergibt sich aus Nr. 4.2.
4In den Fällen, in denen es einer Genehmigung der gesetzgebenden Körperschaft für eine Maßnahme bedarf, sind die Nrn. 5 und 6 zu beachten.

4.2   Ausnahmsweise keine Genehmigung erforderlich

1Der Genehmigung der gesetzgebenden Körperschaft bedarf es ausnahmsweise nicht bei bestimmten genehmigungsfreien (Vor-)Verfahren (Nr. 4.2.1), bei Festnahmen bei Begehung der Tat (Nr. 4.2.2) und bei unaufschiebbaren Maßnahmen der Beweismittelsicherung (Nr. 4.2.3).
2Die unverzügliche und unmittelbare Unterrichtung der Präsidentin oder des Präsidenten der gesetzgebenden Körperschaft nach Nr. 191 Abs. 5 RiStBV ist zu beachten.

4.2.1   Genehmigungsfreie (Vor-)Verfahren

– zu Nr. 191 Abs. 3 Buchst. b bis e, Abs. 4 RiStBV –
1In den Fällen der Nr. 191 Abs. 3 Buchst. b bis e und Abs. 4 RiStBV ist eine Genehmigung der gesetzgebenden Körperschaft nicht erforderlich, insbesondere bei Einleitung eines Verfahrens gegen einen Abgeordneten zum Zwecke der Einstellung, wenn der Sachverhalt die Einstellung ohne Beweiserhebung rechtfertigt.
2Einstellung im Sinn von Nr. 191 Abs. 3 Buchst. b RiStBV ist neben der Einstellung eines Ermittlungsverfahrens nach § 170 Abs. 2 StPO auch die Einstellung eines Ermittlungsverfahrens nach §§ 153, 154 StPO und nach §§ 377, 376 StPO (vgl. Nr. 192 Abs. 4 RiStBV). 3Die Erholung einer Auskunft aus dem Bundeszentralregister ist zu diesem Zwecke ohne Genehmigung zulässig. 4Nimmt ein Mitglied einer gesetzgebenden Körperschaft zum Tatvorwurf Stellung, kann dies bei der Entscheidung über die Einstellung verwertet werden. 5Der Anzeigeerstatter ist auch dann nach § 171 Satz 2 bzw. § 172 Abs. 2 Satz 2 StPO zu belehren, wenn er ein Mitglied einer gesetzgebenden Körperschaft angezeigt hat. 6Bevor ein Ermittlungsverfahren zum Zwecke der Einstellung ohne Beweiserhebung eingeleitet, insbesondere vom Allgemeinen Register in das Js-Register umgetragen wird, ist zu prüfen, ob nicht schon die Ablehnung der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens in Betracht kommt (§ 152 Abs. 2 StPO im AR -Vorgang).

4.2.2   Festnahme bei Begehung der Tat und Entnahme einer Blutprobe unter den Voraussetzungen des § 81a StPO

– zu Nr. 191 Abs. 3 Buchst. a und h RiStBV –
1Gemäß Art. 46 Abs. 2 letzter Halbsatz des Grundgesetzes bzw. Art. 28 Abs. 1 letzter Halbsatz der Verfassung hindert die Immunität eine Festnahme bei Begehung der Tat oder im Laufe des folgenden Tages nicht (vgl. Nr. 191 Abs. 3 Buchst. a RiStBV). 2In diesen Fällen ist eine Genehmigung der gesetzgebenden Körperschaft – auch für die Durchführung des Verfahrens – nicht erforderlich.
3Weiter ist es ohne Genehmigung der gesetzgebenden Körperschaft zulässig, dem Abgeordneten bei der Begehung der Tat oder spätestens im Laufe des folgenden Tages unter den Voraussetzungen des § 81a StPO eine Blutprobe zu entnehmen (Nr. 191 Abs. 3 Buchst. h RiStBV).

4.2.3   Unaufschiebbare Maßnahmen der Beweismittelsicherung

– zu Nr. 191 Abs. 3 Buchst. f und g RiStBV –
Ebenfalls ohne Genehmigung der gesetzgebenden Körperschaft zulässig sind die in Nr. 191 Abs. 3 Buchst. f und g RiStBV genannten Maßnahmen, insbesondere die unaufschiebbare Spurensicherung.

4.3   Reklamationsrecht der gesetzgebenden Körperschaft

1Der Deutsche Bundestag und der Bayerische Landtag haben nach Art. 46 Abs. 4 des Grundgesetzes bzw. Art. 28 Abs. 3 der Verfassung das Recht, in jedem Stand eines Verfahrens gegen eines seiner Mitglieder die Aussetzung des Verfahrens, der Haft oder der sonstigen Beschränkung für die Dauer der Tagung zu verlangen (sog. Anforderungs- oder Reklamationsrecht). 2Die gesetzgebende Körperschaft kann auf diese Weise den Immunitätsschutz des betreffenden Mitglieds wiederherstellen oder auch erstmals herstellen, so dass ein Verfahrenshindernis eintritt, das bis zum Verlust der Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag bzw. im Bayerischen Landtag oder bis zur erneuten Aufhebung der Immunität besteht. 3Nr. 6.8 findet Anwendung. 4Die Reklamation der gesetzgebenden Körperschaft ist zu den Akten zu nehmen.
5Das Reklamationsrecht des Bayerischen Landtags ist gemäß Art. 28 Abs. 3 Satz 2 der Verfassung ausgeschlossen, wenn es sich um den Vorwurf eines unpolitischen Verbrechens handelt; ob dieser Fall vorliegt, entscheidet der Landtag (Art. 28 Abs. 3 Satz 3 der Verfassung).