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Text gilt ab: 01.07.2023
Fassung: 20.02.2018
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Vertrag zwischen dem Freistaat Bayern und dem Verband Deutscher Sinti und Roma, Landesverband Bayern e.V.
Vom 20. Februar 2018
(GVBl. S. 686, 687)
BayRS 01-15-1-K

Vollzitat nach RedR: Vertrag zwischen dem Freistaat Bayern und dem Verband Deutscher Sinti und Roma, Landesverband Bayern e. V. vom 20. Februar 2018 (GVBl. S. 686, BayRS 01-15-1-K), der durch Vertrag vom 8. März 2023 (GVBl. S. 339, 504) geändert worden ist
Präambel
Im Wissen um die mehr als 600-jährige Geschichte der deutschen Sinti und Roma in Bayern und um die Leistungen, die die Sinti und Roma in Geschichte und Gegenwart für unser Land erbracht haben und erbringen, in Erinnerung an den nationalsozialistischen Völkermord an den Sinti und Roma, aus dem für den Freistaat Bayern eine besondere Verpflichtung zum Schutz der Minderheit und zu ihrer Wertschätzung in Staat und Gesellschaft erwächst, und unter Weiterentwicklung der Gemeinsamen Erklärung der Bayerischen Staatsregierung und des Verbands Deutscher Sinti und Roma – Landesverband Bayern – vom 16. Mai 2007 schließen der Freistaat Bayern, vertreten durch den Ministerpräsidenten (nachfolgend: Freistaat), und der Verband Deutscher Sinti und Roma, Landesverband Bayern e.V., vertreten durch seinen Vorstandsvorsitzenden (nachfolgend: Landesverband), feierlich den folgenden Vertrag:
Art. 1
Zusammenarbeit und Ziele
(1) 1Die bestehende enge Zusammenarbeit zwischen dem Freistaat und dem Landesverband soll im Sinne von Geschichtsbewusstsein, Aufklärung und Förderung der Toleranz gegenüber Minderheiten fortgesetzt und intensiviert werden. 2Bei der Regelung von Angelegenheiten, die die in Bayern lebenden Sinti und Roma besonders betreffen, wird der Landesverband angehört.
(2) Der Freistaat und der Landesverband arbeiten weiterhin gemeinsam an dem Ziel, der Diskriminierung von Angehörigen der Minderheit auf allen Gebieten des öffentlichen und gesellschaftlichen Lebens effizient und effektiv entgegenzuwirken und das friedvolle Zusammenleben unter Achtung der ethnischen, kulturellen und sprachlichen Identität der nationalen Minderheit zu fördern.
(3) 1Der Freistaat und der Landesverband einigen sich darauf, unter Federführung des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus dauerhaft eine Arbeitsgruppe (Ständige Arbeitsgruppe) einzurichten. 2Diese kommt im Bedarfsfall auf Veranlassung des Landesverbands zusammen, um strittige Fragen in freundschaftlicher Weise zunächst intern zwischen den Parteien zu erörtern. 3Die Ständige Arbeitsgruppe tritt zudem nicht anlassbezogen mindestens einmal jährlich zusammen, insbesondere um Fragen der Umsetzung des Rahmenübereinkommens des Europarates zum Schutz nationaler Minderheiten zu erörtern. 4Sie besteht aus je einer Vertreterin oder einem Vertreter des Staatsministeriums des Innern, für Sport und Integration, des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, aus dem Beauftragten der Bayerischen Staatsregierung für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus, für Erinnerungsarbeit und geschichtliches Erbe sowie aus drei Vertreterinnen oder drei Vertretern des Landesverbands. 5Die für die jeweilige Sitzung der Ständigen Arbeitsgruppe weiterhin relevanten Institutionen, zum Beispiel kommunale Spitzenverbände, Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände, werden auf Bitte des Landesverbands zu den jeweiligen Treffen hinzugebeten und beteiligen sich an den für sie relevanten Gesprächen. 6Insbesondere werden anlassbezogen auch eine Vertreterin oder ein Vertreter des Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales, gegebenenfalls auch je eine Vertreterin oder ein Vertreter anderer Ressorts zu den Sitzungen der Ständigen Arbeitsgruppe hinzugezogen.
(4) 1Des Weiteren wird durch den Landesverband eine Monitoringstelle zur Dokumentation antiziganistischer Vorfälle eingerichtet. 2Diese wird im Rahmen der nicht anlassbezogenen Sitzungen der Ständigen Arbeitsgruppe Bericht erstatten.
(5) 1Der Freistaat und der Landesverband unterstützen Initiativen auf den Gebieten von Bildung, Kultur und Wissenschaft, die dem Schutz und dem Erhalt der kulturellen Identität der hier als nationale Minderheit lebenden Sinti und Roma dienen und dem Antiziganismus entgegenwirken. 2Es ist erklärtes Ziel der Vertragspartner, durch Abbau von Wissensdefiziten und von antiziganistischen Einstellungen in der Bevölkerung eine Atmosphäre der Toleranz und des gegenseitigen Respekts zu schaffen.
(6) Die Vertragspartner lehnen jedwede unzulässige Hervorhebung der ethnischen Zugehörigkeit von Minderheitsangehörigen durch die Behörden des Freistaates ab und streben eine Beachtung dieses Grundsatzes auch durch die Medien an.
Art. 2
Geschichtsbewusstsein und Förderung der Erinnerung
(1) 1Der Freistaat fördert die Erinnerung an die Geschichte der deutschen Sinti und Roma, insbesondere an die Verfolgung der Minderheit und den systematischen Völkermord durch die Nationalsozialisten. 2Neben der Verfolgung und Vernichtung der europäischen Juden ist der Völkermord an den Sinti und Roma das zweite große genozidale Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschlands.
(2) 1Der Freistaat unterstützt schulische und außerschulische Initiativen und Projekte zur Erinnerung an die Verfolgungsgeschichte der Sinti und Roma. 2Er trägt dafür Sorge, dass die Geschichte der Sinti und Roma vermittelt wird, um so auch möglichen Vorurteilen entgegenzutreten. 3Der Freistaat begrüßt Initiativen des Landesverbands, eigene Bildungsangebote bereitzustellen.
Art. 3
Minderheitenschutz, gesellschaftliche Teilhabe
(1) 1Der Freistaat erkennt ausdrücklich an, dass die in Bayern lebenden deutschen Sinti und Roma als eine seit jeher in Deutschland beheimatete nationale Minderheit unter dem besonderen Schutz des Rahmenübereinkommens des Europarats zum Schutz nationaler Minderheiten stehen. 2Der Freistaat bekräftigt seinen Willen, die in dem genannten Rahmenübereinkommen niedergelegten Grundsätze zusammen mit dem Landesverband zu verwirklichen.
(2) Der Freistaat setzt sich gemeinsam mit dem Landesverband weiterhin dafür ein, die Beteiligung von Angehörigen der Sinti und Roma am kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Leben und an öffentlichen Angelegenheiten in Orientierung am Rahmenübereinkommen des Europarats zum Schutz nationaler Minderheiten angemessen zu fördern.
(3) Der Freistaat und der Landesverband stimmen in dem Bestreben überein, dass die Interessen der deutschen Sinti und Roma in Kultur und Medien angemessen wahrgenommen werden.
Art. 4
Sprache
(1) 1In dem Bewusstsein, dass das von deutschen Sinti und Roma verwendete Romanes als Minderheitensprache im Sinne von Teil II der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen anerkannt ist, bekräftigt der Freistaat auch die mit dieser Charta eingegangenen Verpflichtungen. 2Auf dieser Grundlage schützt und fördert der Freistaat den Erhalt von Romanes als Teil unseres kulturellen Reichtums.
(2) Der Freistaat und der Landesverband führen anlassbezogen im Rahmen der Treffen der Ständigen Arbeitsgruppe (Art. 1 Abs. 3 Satz 1) Gespräche zur Umsetzung von einzelnen Verpflichtungen der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen.
Art. 5
Pflichten des Landesverbands
Der Landesverband verpflichtet sich, Politik, Verwaltung und Behörden des Freistaates bei Maßnahmen der Aufklärung und Sensibilisierung für Geschichte und Gegenwart der Sinti und Roma zu unterstützen und im Rahmen seiner Möglichkeiten bleibeberechtigten, nichtdeutschen Angehörigen der Minderheit bei ihrer Integration in der Gesellschaft zur Seite zu stehen.
Art. 6
Finanzielle Leistung
1Der Freistaat unterstützt die Arbeit des Landesverbands jährlich mit einer finanziellen Leistung; im Jahr 2023 beträgt diese 662 300 €. 2Der Betrag nach Satz 1 wird ab dem Jahr 2024 an die Entwicklung der Beamtenbesoldung angepasst, und zwar um den Vomhundertsatz, um den sich jeweils das Grundgehalt der Besoldungsgruppe A 13 Stufe 10 der Anlage 3 des Bayerischen Besoldungsgesetzes gegenüber dem Stand zum 31. Dezember 2022 geändert hat. 3Stichtag hierfür ist jeweils der 31. Dezember des Vorjahres. 4Der Landesverband legt dem Freistaat bis spätestens 30. September des Folgejahres den jeweiligen Tätigkeitsbericht und einen testierten Jahresabschluss vor.
Art. 7
Ausschluss sonstiger Leistungen
1Der Landesverband wird über die nach Art. 6 gewährten Leistungen hinaus keine weiteren finanziellen Forderungen an den Freistaat herantragen. 2Unberührt bleiben Leistungen, die nach Maßgabe der allgemein geltenden Gesetze, aufgrund von Vereinbarungen mit dem Bund und den Ländern oder im Rahmen einer gesondert vereinbarten Zusammenarbeit an Projekten gewährt werden.
Art. 8
Auslegung, Evaluation und Anpassung des Vertrags
(1) 1Der Freistaat und der Landesverband werden eine in Zukunft zwischen ihnen möglicherweise entstehende Meinungsverschiedenheit über die Auslegung einer Bestimmung dieses Vertrags auf freundschaftliche Weise ausräumen. 2Solche Meinungsverschiedenheiten sollen im Rahmen der Ständigen Arbeitsgruppe (Art. 1 Abs. 3 Satz 1) diskutiert werden.
(2) 1Die Vertragspartner sind sich bewusst, dass der Vertrag auf der Grundlage der derzeitigen Verhältnisse geschlossen wird. 2Sie stimmen überein, den Vertrag nach Ablauf von jeweils fünf Jahren nach Inkrafttreten, nächstmalig nach Ablauf des 31. Dezember 2027, zu überprüfen und gegebenenfalls eine Anpassung an die geänderten Verhältnisse in freundschaftlicher Weise vorzunehmen.
Art. 9
Laufzeit und Kündigung
1Dieser Vertrag wird auf unbestimmte Zeit geschlossen. 2Er kann von jedem der Vertragspartner mit einer Frist von einem Jahr schriftlich gekündigt werden, erstmalig zum 31. Dezember 2027.
Art. 10
Inkrafttreten
Dieser Vertrag tritt zum 1. des Monats in Kraft, der auf die Zustimmung des Landtags und des Vorstands des Landesverbands folgt.
München, den 20. Februar 2018
Der Bayerische Ministerpräsident
Horst Seehofer
Verband Deutscher Sinti und Roma, Landesverband Bayern e.V.
Erich Schneeberger, Vorstandsvorsitzender