Inhalt

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Text gilt ab: 15.11.2024
Gesamtvorschrift gilt bis: 14.11.2034
Fassung: 24.10.2024
2.
Wahlrecht, Aufenthalt, Schwerpunkt der Lebensbeziehungen (Art. 1, 7a, § 1)

2.1 Aufenthalt, Allgemeines

2.1.1 Abweichung vom Melderecht

1Durch Art. 1 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 wird klargestellt, dass das Wahlrecht am Ort des Aufenthalts besteht, der den Schwerpunkt der Lebensbeziehungen darstellt. 2Das Wahlrecht setzt also nicht den Besitz einer Wohnung voraus; auch Obdachlose sind wahlberechtigt. 3Im Gegensatz dazu ist eine Anmeldung nach Melderecht nur bei Bezug einer Wohnung möglich (§ 17 Abs. 1 des Bundesmeldegesetzes – BMG).
4Die Anmeldung nach Melderecht begründet lediglich eine widerlegbare Vermutung, dass sich die wahlberechtigte Person dort mit dem Schwerpunkt der Lebensbeziehungen aufhält, wo sie gemeldet ist. 5Der melderechtliche Begriff der Hauptwohnung (§ 21 Abs. 1 und 2 BMG) richtet sich nach dem überwiegenden zeitlichen Aufenthalt, wogegen es kommunalwahlrechtlich auf den als Schwerpunkt der Lebensbeziehungen benutzten Aufenthaltsort ankommt. 6Dadurch werden wahlrechtlich angemessene Lösungen, z. B. auch bei Pendlern und Studierenden, ermöglicht. 7Eine streng formalisierte Anknüpfung an den zeitlich überwiegenden Aufenthalt nach Tagen und Stunden, wie es das Melderecht vorsieht, würde der besonderen Verbundenheit einer wahlberechtigten Person mit ihrer Gemeinde oder ihrem Landkreis nicht gerecht werden.

2.1.2 Schwerpunkt der Lebensbeziehungen bei gemeldeten Personen

1Für Personen mit nur einer gemeldeten Wohnung enthält Art. 1 Abs. 3 eine gesetzliche Vermutung, wonach der Aufenthalt mit dem Schwerpunkt der Lebensbeziehungen dort liegt, wo die Person gemeldet ist. 2Bei Personen mit mehreren gemeldeten Wohnungen wird der Schwerpunkt der Lebensbeziehungen dort vermutet, wo die Person mit der Hauptwohnung gemeldet ist.
3Beide Vermutungen aufgrund der melderechtlichen Situation sind nach folgenden Gesichtspunkten widerlegbar:
4Eine vorwiegend benutzte Wohnung liegt auch dann vor, wenn sie nur in größeren Abständen aufgesucht wird (z. B. weil die wahlberechtigte Person als sogenannter Pendler nur alle ein bis zwei Wochen von ihrem Arbeitsort zu ihrer Familie zurückkehrt). 5Die Wohnung, von der aus eine Person ihrer Erwerbstätigkeit oder ihrer Ausbildung nachgeht, darf nicht nur gelegentlich benutzt werden, um den Schwerpunkt der Lebensbeziehungen zu bilden.
6Wenn der Gemeinde Tatsachen bekannt werden, die die Aufenthaltsvermutung widerlegen, hat sie diese von Amts wegen zu berücksichtigen. 7Zweifel hat sie im Rahmen ihrer Amtsermittlungspflicht zu überprüfen.
8In Verdachtsfällen können Anhaltspunkte für Zweifel beispielsweise sein:
Meldeadressen mit überdurchschnittlich großen Personenzahlen pro Wohnung,
Meldeadressen mit amtsbekannt häufigen Rücksendungen wegen Unzustellbarkeit,
Meldeadressen in amtsbekannt unbewohnten Gebäuden,
Meldeadressen in amtsbekannten Sammelunterkünften,
laufende kurzzeitige Wohnsitznahmen einer Person mit Zuzügen aus dem Ausland,
Sammelanmeldungen mehrerer Personen gleicher Nationalität (außerhalb des Familienverbands),
Mehrfache Anmeldungen fremdsprachiger Personen unter Hilfestellung durch die gleichen Personen (z. B. Arbeitgebervertreter),
Meldeadressen mit laufenden Zu- und Auszügen.
9Kommen gemeldete Personen bei begründeten Zweifeln der Auskunftspflicht nach § 25 BMG nicht nach und erfolgt auch nach einer schriftlichen Information durch die Gemeinde keine Reaktion, wird man die Aufenthaltsvermutung als widerlegt ansehen können, zumindest solange, als die Wahlberechtigung nicht nachgewiesen wird.
10Im Übrigen kann die Vermutung auch im Beschwerdeverfahren wegen der Richtigkeit und der Vollständigkeit des Wählerverzeichnisses widerlegt werden.

2.1.3 Schwerpunkt der Lebensbeziehungen bei nicht gemeldeten Personen

1Ist eine wahlberechtigte Person in der Gemeinde nicht gemeldet, wird sie in das Wählerverzeichnis zunächst nicht aufgenommen. 2Sie kann nur auf Antrag oder auf fristgerecht erhobene Beschwerde (Art. 12 Abs. 3, § 15 Abs. 4) in das Wählerverzeichnis aufgenommen werden, sofern sie nachweist, dass sie am Wahltag seit mindestens zwei Monaten ununterbrochen ihren Aufenthalt in der Gemeinde hat.

2.1.4 Kein Wahlrecht in mehreren Gemeinden

1Aus der gesetzlichen Regelung ergibt sich, dass eine Person nur in derjenigen bayerischen Gemeinde wählen darf, in der sie sich seit mindestens zwei Monaten vor dem Wahltag mit dem Schwerpunkt der Lebensbeziehungen aufhält.
2Befinden sich die Räume, die einer Person zum Aufenthalt dienen, auf dem Gebiet zweier Gemeinden, ist sie in der Gemeinde wahlberechtigt, in der ihre Aufenthaltsräume und nicht etwa das Grundstück, auf dem die Aufenthaltsräume errichtet sind, überwiegend gelegen sind.

2.1.5 Wahlrecht bei Landkreiswahlen

1Die Aufenthaltsvermutung dort, wo eine Person bei der Gemeinde gemeldet ist, gilt zugleich für die Landkreiswahlen. 2Einer eigenen Regelung bedarf es insoweit nicht, da über die Zugehörigkeit der Gemeinde zum Landkreis zugleich der Aufenthalt auch im Landkreis bestimmt ist.

2.1.6 Wahlrecht in gemeindefreien Gebieten

1Personen, die in gemeindefreien Gebieten wohnen, sind für die Gemeindewahlen nicht wahlberechtigt, da nach Art. 1 das Wahlrecht an den Aufenthalt in einer Gemeinde gebunden ist.
2Das Wahlrecht besteht aber bei Landkreiswahlen. 3Bei der Einteilung der Stimmbezirke für die Landkreiswahlen sind auch die gemeindefreien Gebiete zu berücksichtigen. 4Die Entscheidung trifft diejenige Gemeinde, die für das gemeindefreie Gebiet als Meldebehörde zuständig ist.

2.2 Sonderfälle

2.2.1 Insassen von Justizvollzugsanstalten

1Wahlberechtigte Insassen von Justizvollzugsanstalten, die nicht vom Wahlrecht ausgeschlossen sind, haben ihren wahlrechtlich maßgeblichen Aufenthaltsort nicht am Sitz der Haftanstalt, wenn sie in einer anderen Gemeinde ihren Schwerpunkt der Lebensbeziehungen (z. B. Familienwohnung) haben. 2Die Aufenthaltsvermutung nach Art. 1 Abs. 3 kann am Ort der Justizvollzugsanstalt nur eintreten, wenn die Leitung der Justizvollzugsanstalt der Meldebehörde die Aufnahme nach § 27 Abs. 4 Satz 2 BMG mitgeteilt hat (vgl. auch Nr. 21.3).
3Die Inhaftierten müssen sich einen Wahlschein und die Briefwahlunterlagen bei der Gemeinde besorgen, in der sie wahlberechtigt sind.

2.2.2 Soldatinnen und Soldaten

1Berufssoldatinnen und Berufssoldaten haben ihren Aufenthalt mit dem Schwerpunkt der Lebensbeziehungen im wahlrechtlichen Sinn am Garnisonsort, wenn sie nicht in einer anderen Gemeinde eine Wohnung (z. B. eine Familienwohnung) innehaben, zu der sie regelmäßig, etwa am Wochenende, zurückkehren. 2Wehrpflichtige haben dagegen ihren Aufenthalt mit dem Schwerpunkt der Lebensbeziehungen grundsätzlich nicht am Standort, sondern in der Heimatgemeinde.

2.2.3 Studierende

1Bei unverheirateten Studierenden mit einer Unterkunft am Studienort ist davon auszugehen, dass sich der Schwerpunkt der Lebensbeziehungen in der elterlichen Wohnung als Familienwohnung befindet. 2Etwas anderes gilt, wenn sich aus besonderen Umständen ergibt, dass sie sich von ihrer Familienwohnung gelöst haben. 3Dies ist z. B. dann der Fall, wenn sie den Großteil ihrer persönlichen Habe nicht mehr im Elternhaus haben.

2.2.4 Vertriebene und Spätaussiedelnde

1Spätaussiedelnde, ihre Ehegatten und ihre Abkömmlinge sind deutsche Staatsangehörige, wenn sie eine Bescheinigung gemäß § 15 Abs. 1 oder 2 BVFG erhalten haben. 2Dies gilt nicht bei Ehegatten, die bereits vor dem 1. Januar 2005 in einen Aufnahmebescheid einbezogen worden sind, aber noch keine drei Jahre im Aussiedlungsgebiet verheiratet waren. 3Dementsprechend wird hier in der Bescheinigung vermerkt, dass sie den Status im Sinne von Art. 116 Abs. 1 GG nicht erworben haben (vgl. § 100b Abs. 1 Satz 2 BVFG).
4Spätaussiedelnde sowie deren Ehegatten und Abkömmlinge, die in den Aufnahmebescheid einbezogen sind, besitzen bis zur Erteilung einer Bescheinigung gemäß § 15 Abs. 1 oder 2 BVFG mit Einreise und Aufnahme in der Bundesrepublik Deutschland die Rechtsstellung als Deutsche ohne deutsche Staatsangehörigkeit im Sinne von Art. 116 Abs. 1 GG. 5Diese begünstigende Behandlung als Deutsche oder Deutscher endet, wenn der Aufnahmebescheid oder Einbeziehungsbescheid zurückgenommen oder die Bescheinigung gemäß § 15 BVFG abgelehnt wird. 6Da in diesen Fällen keine Bescheinigung nach § 15 BVFG vorliegen kann, lässt sich die Deutscheneigenschaft nur durch den Ausweis über die Rechtsstellung als Deutscher (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 6 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift über Urkunden in Staatsangehörigkeitssachen) nachweisen.
7Auf die Bestandskraft von Rücknahme- oder Ablehnungsbescheiden kommt es nicht an. 8Auch wenn gegen die Bescheide das entsprechende Rechtsmittel eingelegt wird, ist eine weitere Behandlung als Deutsche oder Deutscher nicht mehr zulässig. 9Entsprechendes gilt, wenn die Staatsangehörigkeitsbehörde feststellt, dass es sich nicht um einen Deutschen handelt.
10Personen, die vor dem 1. August 1999 den Status nach Art. 116 Abs. 1 GG besaßen, erwarben an diesem Tag nach § 40a des Staatsangehörigkeitsgesetzes die deutsche Staatsangehörigkeit.

2.2.5 Unionsbürgerinnen und Unionsbürger

1Es genügt, wenn die Person am Wahltag Unionsbürgerin oder Unionsbürger ist.
2Die Unionsbürgerschaft ist bei ausländischen Staatsangehörigen nicht in allen Fällen identisch mit der Staatsangehörigkeit von deren Herkunftsmitgliedstaat. 3Hinweise auf den Ausschluss der Unionsbürgerschaft können grundsätzlich dem Melderegister entnommen werden. 4In Zweifelsfällen ist gegebenenfalls durch Rückfrage beim jeweiligen Konsulat zu klären, ob es sich um Unionsbürgerinnen oder Unionsbürger handelt.