Inhalt

Text gilt ab: 01.09.2020
Gesamtvorschrift gilt bis: 31.08.2030

5.   Einzelne Maßnahmen

5.1   Anfahrt

1Schon bei der Anfahrt ist auf Überlebende sowie auf unfallrelevante bzw. tatrelevante Umstände im Gelände zu achten. 2Die Fahrzeuge sind in genügendem Abstand seitlich vom Luftfahrzeug und möglichst entgegen der Windrichtung außerhalb des Gefahrenbereiches aufzustellen. 3Dabei sind folgende Gefahrenbereiche unbedingt zu meiden:
vor den Flügelspitzen nach vorn auf unbegrenzte Entfernung (Bordwaffen bei Militärflugzeugen),
hinter den Flügelspitzen auf mindestens 100 m Entfernung (Triebwerk),
das Umfeld von Hochspannungsleitungen, da insbesondere von darin verunfallten Flugzeugen und Ballonen eine erhöhte Gefahr ausgeht (Gefahr eines Stromüberschlags bzw. eines Lichtbogens bis zur Erdung oder Abschaltung der Stromleitung durch die Feuerwehr).
4Jede Entzündungsmöglichkeit ausgelaufener Treibstoffe bzw. ausströmender Gase (Heißluftballon) an der Unfallstelle ist zu vermeiden (absolutes Rauchverbot). 5Verhaltensregeln der Leitfäden 371 und 450 sind zu berücksichtigen.

5.2   Absperren der Unfallstelle durch die Polizei

1Aus Sicherheitsgründen ist unmittelbar nach dem Eintreffen das Ausmaß des Trümmerfeldes festzustellen und eine Umstellung mit schnellstmöglicher Verdichtung zur Absperrung um das Luftfahrzeug mit einem Radius von 300 bis 400 m durchzuführen. 2Bei Luftfahrzeugen mit Bordwaffen ist der Gefahrenbereich nach vorne besonders zu beachten. 3Darüber hinaus sind weitere Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung, zum Beispiel Räumung gefährdeter Bereiche, zu prüfen. 4Die Unfallstelle ist so abzusperren, dass diejenigen Beweisgegenstände, die für die Aufklärung der Unfallursache(n) von Bedeutung sind (zum Beispiel Flugzeugtrümmer), nicht vorzeitig in ihrer Lage verändert oder entwendet werden. 5Dabei ist ferner sicherzustellen, dass Unbeteiligte nicht durch Unfallfolgen (Brand, Explosion, Einsturz von Bauwerken) gefährdet werden. 6Hierbei ist zu berücksichtigen, dass explosionsfähige Gase in der Regel schwerer als Luft sind und sich in Senken sammeln und konzentrieren können. 7Mögliche Zündquellen sind fernzuhalten. 8Die Umgebung der Unfallstelle kann durch verstreute radioaktive Ladung oder durch zerstörte Bordinstrumente kontaminiert sein. 9Von verstreuter Ladung mit gefährlichen Gütern können auch nach Stunden noch Gefahren durch verzögert einsetzende gefährliche Reaktionen entstehen (Lithium-Batterien, Peroxide, selbsterhitzungsfähige Stoffe etc.). 10Die Unfallstelle, die Unfallspuren sowie sämtliche Wrackteile, Trümmerstücke und sonstiger Inhalt des Luftfahrzeugs dürfen bis zur Freigabe durch den Untersuchungsführer der BFU nicht berührt oder verändert werden. 11Gestattet sind lediglich:
Rettungs- und Erste-Hilfe-Maßnahmen an Verletzten möglichst unter gleichzeitiger schriftlicher und bildlicher Dokumentierung ihrer Lage auf der Unfallstelle oder im Verhältnis zur Unfallstelle,
Löschmaßnahmen, möglichst ohne die Lage der in den Sätzen 4 und 9 genannten Gegenstände zu verändern,
Maßnahmen zur Abwehr einer konkreten Gefahr.
12Zur Unfallstelle sind Mitglieder der Besatzung des verunglückten Luftfahrzeugs und Beauftragte der betroffenen Fluggesellschaften, Vertreter von Luftfahrzeugherstellerfirmen oder sonstige Personen (ausgenommen Rettungsdienstpersonal) nur im Benehmen mit der Staatsanwaltschaft und dem Untersuchungsführer der BFU zuzulassen. 13Die Zufahrtswege und Rettungswege zur Unfallstelle sind schnellstmöglich freizumachen und freizuhalten.

5.3   Rettungsmaßnahmen und Hilfe bei Flugunfällen, einschließlich Unfälle mit militärischen Luftfahrzeugen und Ultraleichtflugzeugen

1Hinweise zum Verhalten an der Unfallstelle, Sofortmaßnahmen und Erste Hilfe, insbesondere auch bei Unfällen mit militärischen Luftfahrzeugen, an und in denen Kampfmittel und Schleudersitzsysteme verbaut sind, sind im Intranetangebot der Bayerischen Polizei (nur für Polizeiangehörige) unter http://www.intrapol.intra.polizei.bayern.de/verkehr/luftfahrt/850371#fm_Zwischenueberschrift_flex_anchor_0_9 abrufbar. 2Motordrachen und Ultraleichtflugzeuge mit der Kennung D-MXXX sind in der Regel mit ballistischen Rettungsgeräten ausgestattet. 3Bei Luftfahrzeugen mit ausländischen Kennungen, also solchen, die nicht mit „D“ beginnen, ist anhand des Kennzeichens (zweiter Buchstabe) nicht erkennbar, ob sich ein ballistisches Rettungssystem an Bord befindet. 4Ebenso sind manche Kleinflugzeuge mit der Kennung D-EXXX der Marke Cirrus und Cessna mit ballistischen Rettungssystemen ausgerüstet. 5Bei der Annährung an diese Ultraleichtflugzeuge ist darauf zu achten, dass die ballistischen Rettungssysteme aufgrund der Gefahr erheblicher Verletzungen nicht auslösen. 6Die Rettungssysteme sind mit einem Sprengsatz ausgestattet, der vor Flugbeginn durch das Ziehen eines Sicherungsstiftes aktiviert wird. 7Vor der Bergung von Personen ist darauf zu achten, dass der Stift wieder eingesetzt bzw. das Rettungssystem durch fachkundige Personen deaktiviert wird. 8Die Sicherung des Rettungssystems ist nach Möglichkeit zu dokumentieren.

5.4   Aufklärung an der Unfallstelle

1Soweit möglich ist – gegebenenfalls durch Befragung der Besatzung oder Rückfrage beim Heimatflughafen – festzustellen,
wie viele Personen mitgeflogen sind,
ob das Luftfahrzeug mit Schleudersitzen ausgerüstet ist oder war,
mit welchen Treibstoffmengen das Luftfahrzeug betankt war,
welche Bewaffnung an Bord war,
welche Beladung sich an Bord befand und
ob es sich um ein Ultraleichtflugzeug mit Rettungssystem handelt.
2Um die Halterfeststellung der bei den Luftsportverbänden registrierten Luftfahrzeuge mit den Kennzeichen D-MXXX (Aerodynamisch gesteuerte und gewichtskraftgesteuerte Ultraleichtflugzeuge) auch außerhalb der Bürostunden und an Wochenenden zu ermöglichen, haben der Deutsche Aero Club e. V. (DAEC) und der Deutsche Ultraleichtflugverband e. V. (DULV) jeweils Notrufnummern (siehe Anlage 2) eingerichtet, die es insbesondere den Polizeibehörden erlauben, Halterfeststellungen durchzuführen. 3Herumliegende Gegenstände sind bis zur Beweissicherung liegen zu lassen. 4Verstreute Unterlagen aus Papier (Bordbücher usw.), die offensichtlich aus dem Luftfahrzeug stammen, sind den mit der Beweissicherung befassten Personen zu übergeben.

5.5   Beweissicherung

1Für die Aufklärung der Unfallursache und des Unfallhergangs sind insbesondere die Beschaffenheit und genaue Lage des verunglückten Luftfahrzeugs, seiner Ladung, von Luftfahrzeugtrümmern, Leichen und Leichenteilen sowie verletzten Personen, ferner Aufzeichnungseinrichtungen des Luftfahrzeugs, Schalterstellungen im Cockpit, die Luftfahrzeugpapiere, Zeugenaussagen und toxikologische Untersuchungen von Körperflüssigkeiten (wie Blut oder Urin) vor allem des Luftfahrzeugpersonals von Bedeutung. 2Die schnellstmögliche Dokumentation der Absturzstelle durch Fertigen von Lichtbildern oder beispielsweise Drohnenaufnahmen ist anzustreben.

5.5.1   Sicherstellung von Tonträgern

1Die Tonträger der Deutschen Flugsicherung oder einer sonstigen Bodenfunkstelle über den Sprechfunkverkehr mit dem Luftfahrzeug sind sofort sicherzustellen. 2Der Untersuchungsführer der BFU ist zur Erfüllung seines Untersuchungsauftrags im Benehmen mit der örtlich zuständigen Staatsanwaltschaft in diesem Zusammenhang befugt, umfangreiche Maßnahmen zu ergreifen. 3Insbesondere zählen hierzu sofortiger Zugang zu Aufzeichnungsanlagen, Aufzeichnungsträgern und sonstigen Aufzeichnungen aus dem Luftfahrzeug und bei der Flugsicherung, Ansichnahme dieser Gegenstände und ihre Auswertung sowie Zugang zu sonstigen Aufzeichnungen und deren Auswertung, soweit dies zur Erreichung des Untersuchungszweckes erforderlich ist. 4Flight-Recorder, die teilweise auch Flugrouten aufzeichnen, können von der BFU ausgewertet werden.

5.5.2   Vernehmung von Zeugen

1Die Polizei hat Unfallzeugen zu ermitteln und zu befragen. 2Beweisgegenstände dürfen in ihrer Lage nicht verändert werden, bevor nicht die Staatsanwaltschaft und der Untersuchungsführer der BFU zugestimmt haben. 3Dies gilt nicht, soweit es zur Rettung Verletzter notwendig ist. 4Die Polizei soll Unfallzeugen im Benehmen mit dem Untersuchungsführer der BFU, möglichst in dessen Gegenwart, vernehmen.

5.5.3   Sicherung von Beweisgegenständen

1Beweisgegenstände sind in ihrer ursprünglichen Lage möglichst genau festzuhalten (Markierung im Gelände, Festlegen von Sektoren, Lichtbild- und Videoaufnahmen). 2Das gilt besonders dann, wenn die Lage von Beweisgegenständen durch Erste-Hilfe-Maßnahmen verändert werden muss. 3Nach Unfällen von Luftfahrzeugen sind die Beweisgegenstände oft sehr zahlreich, weit um die Unfallstelle verstreut und manchmal sogar unter die Erdoberfläche gelangt. 4Es ist daher notwendig, bei ihrer Sicherung systematisch vorzugehen, jeden einzelnen Beweisgegenstand kenntlich zu machen und das Gelände vor der Freigabe sorgfältig nach noch nicht entdeckten Trümmern, Effekten der Luftfahrzeuginsassen und dergleichen abzusuchen. 5Zur Unterstützung bei der Beweissicherung bietet sich der Einsatz von Drohnen und Wärmebildkameras an. 6Beweisgegenstände sollen möglichst gemeinsam mit dem Untersuchungsführer der BFU untersucht werden.

5.5.4   Identifizierungsmaßnahmen

1Die Identifizierung von Leichen obliegt – unbeschadet der Weisungsbefugnis der Staatsanwaltschaft (Nr. 33 ff. RiStBV) – der Polizei. 2Das BLKA entsendet im Bedarfsfall daktyloskopische Sachverständige, Daktyloskopen und Beamte des Erkennungsdienstes zur Unterstützung bei Identifizierungsaufgaben. 3Anforderungen können rund um die Uhr an das BLKA, SG 532 – Kriminaldauerdienst, gerichtet werden. 4Des Weiteren ist beim BLKA das Sachgebiet 521 – Vermisste, unbekannte Tote, unbekannte hilflose Personen (VuT) – für die Informationskoordinierung im Hinblick auf unbekannte Tote und Vermisste und damit einhergehend für die notwendige Erfassung in der Verbunddatei „VERMI/UTOT“ zuständig. 5Davon unberührt bleiben die Regelungen zu den Auskunfts- und Vermisstenstellen sowie zur Vermisstensachbearbeitung (IMS C5-1338-20/HA vom 26. Juli 2019 und IMS IC5-3721.1-19 vom 3. Dezember 1998). 6Besondere Bedeutung für die Identifizierung unkenntlicher Leichen haben Fingerabdrücke, Fußabdrücke, der Gebissbefund oder -abdruck, Haarproben, Körpergewebe (DNA-fähiges Material zur DNA-Untersuchung) und Effekte, die im Zusammenhang mit den Leichen oder in deren Nähe gefunden wurden. 7Die Empfehlungen des Handbuchs zur Identifizierung von Katastrophenopfern (DVI Handbuch Interpol 2018) sind zu beachten. 8Toxikologische Untersuchungen von Körperflüssigkeiten des Flugpersonals und von Toten sind erforderlich, wenn dadurch Erkenntnisse über den Zustand und das Verhalten vor dem Unfall gewonnen werden können. 9Die in diesem Zusammenhang erforderliche Entnahme von Proben wird durch die zur Leichenidentifizierung beigezogenen Gerichtsmediziner, Land- oder Amtsgerichtsärzte oder sonstigen entsprechend ausgebildeten Ärzten durchgeführt. 10Die Maßnahmen sollten möglichst im Benehmen mit den Sachverständigen des BLKA, Abteilung II – Kriminaltechnisches Institut, getroffen werden, insbesondere dann, wenn auch andere medizinische Asservate für eine toxikologische Untersuchung (zum Beispiel Kohlenmonoxid) von Bedeutung sein können. 11Bei schweren Flugunfällen sollten Sachverständige des BLKA, Abteilung II – Kriminaltechnisches Institut, angefordert werden. 12Die toxikologischen Untersuchungen von Körperflüssigkeiten und sonstigen medizinischen Asservaten werden im BLKA durchgeführt, dem diese unverzüglich zu übersenden sind. 13Für die Feststellung von Alkohol im Blut gelten die hierzu erlassenen Vorschriften. 14Werden bei den Instituten für Rechtsmedizin Sektionen durchgeführt, so sollen dort auch die toxikologischen Untersuchungen der Körperflüssigkeiten erfolgen. 15Bei hohem Probenaufkommen soll ebenfalls ein Teil der Untersuchungen den Instituten für Rechtsmedizin und gegebenenfalls dem Zentrum für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe übergeben werden. 16Die Identifizierung von Toten nach schweren Unglücksfällen kann durch die Identifizierungskommission (IDKO) des BKA wirksam unterstützt werden. 17Ihr gehören Beamte des BKA sowie Rechtsmediziner, Zahnärzte und Obduktionsassistenten an. 18Die IDKO wird nach Aufruf zugewiesen und nimmt ihren Arbeitsbereich selbstständig wahr. 19Von der IDKO werden vor Ort mit kriminalistischem Fachwissen alle Befunde erhoben, die zur Identifizierung von Opfern oder Vermissten beitragen können. 20Hinzu kommt die rechtsmedizinische Begutachtung zur Erstellung einer ausführlichen Personenbeschreibung, die Feststellung besonderer Merkmale am und im Körper, die Erstellung des Zahnstatus sowie die Erlangung von Gewebeproben für eine evtl. erforderliche DNA-Analyse. 21Der Einsatz der IDKO zur Unterstützung der Länder ist in § 35 des BKA-Gesetzes geregelt und erfolgt auf Anforderung über das Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration, Lagezentrum Bayern. 22Nähere Einzelheiten zum genauen Kräfteansatz und -einsatz der IDKO klärt ein „Vorauskommando“, das sich nach Anforderung unverzüglich zum Schadensort begibt. 23Es wird darauf hingewiesen, dass eine Anforderung der IDKO bei einer Großschadenslage auch bei einer relativ geringen Opferanzahl möglich und sinnvoll sein kann (zum Beispiel, wenn bei ausländischen Betroffenen umfangreiches Vergleichsmaterial im Ausland zu erheben ist).

5.6   Absuche nach verstreutem Gefahrgut und Messung radioaktiver Kontamination

1Bestehen Anhaltspunkte, dass die Umgebung der Unfallstelle durch beschädigte Versandstücke mit Gefahrgut – insbesondere zerstreute radioaktive Ladung – oder durch zerstörte Bordinstrumente kontaminiert ist oder dass scheinbar intaktes Gefahrgut verstreut wurde, hat der nächstgelegene GG-SBC-Trupp oder SBC-Trupp der Polizei die erforderlichen Maßnahmen, insbesondere Strahlungsmessungen und die Gewährleistung der Personendosimetrie der Einsatzkräfte, durchzuführen und den Örtlichen Einsatzleiter zu beraten. 2Kann eine entsprechend ausgerüstete Feuerwehr diese Aufgabe zeitnäher erledigen, so ist auch diese zu alarmieren; gegebenenfalls sind weitere Sachverständige, zum Beispiel das Landesamt für Umwelt, hinzuzuziehen. 3Bei Unfällen mit radioaktiven Stoffen ist in jedem Fall das Landesamt für Umwelt zu informieren. 4Beim Auffinden von Gefahrgut oder Überresten von Verpackungen ist der Untersuchungsführer des BFU sofort zu informieren. 5Insbesondere sind vorhandene Regelungen zu Asservatentransporten zu beachten. 6Strahlendosimeter können bei der Auswertungsstelle (AWST) der Mirion Technologies GmbH, https://www.auswertungsstelle.de/die-awst/index.html, bezogen werden.

5.7   Freigabe (vgl. § 13 FlUUG)

1Über die Freigabe der Unfallstelle nach § 13 FlUUG, des Luftfahrzeugs, des Wracks oder seiner Teile, der Ladung und etwaiger Opfer entscheidet der Untersuchungsführer der BFU in enger Zusammenarbeit mit der zuständigen Staatsanwaltschaft und der zuständigen Einsatzzentrale der Bayerischen Landespolizei. 2Sofern es sich um ein Militärflugzeug handelt, ist die Zustimmung des Landeskommandos Bayern einzuholen.