Inhalt

VG Regensburg, Beschluss v. 05.05.2020 – RO 14 E 20.783
Titel:

Öffnung eines Einzelhandelsgeschäfts in einem Einkaufszentrum während der Covid-19 Pandemie, hier: Maßgeblichkeit der Verkaufsfläche für die 800 qm-Grenze

Normenketten:
VwGO § 123 Abs. 1 S. 1
BayIfSMV § 4 Abs. 4
GG Art. 12 Abs. 1
Leitsätze:
1. Die Regelung der 3. BayIfSMV, wonach Ladengeschäfte mit einer Verkaufsfläche von maximal 800 m² im Innenstadtbereich einerseits und Einkaufszentrum andererseits unterschiedlich behandelt werden, weil bei der Flächenberechnung auf die Verkaufsfläche des Einkaufszentrums und nicht auf die des jeweiligen Ladengeschäftes abgestellt wird, verstößt mangels eines sachlichen Grunds gegen das Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Um die Infektionsgefahr durch das Coronavirus zu reduzieren, sind mildere aber gleich geeignete Mittel als die Betriebsuntersagung von Ladengeschäften in einem Einkaufszentrum gegeben; ein solches liegt in der Ausarbeitung eines entsprechenden Schutz- und Hygiene- und Parkplatzkonzeptes. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
3. Vgl. zur Abgrenzung der maßgeblichen Verkaufsfläche Ladengeschäft und Einkaufszentrum auch VG Regensburg BeckRS 2020, 7225. (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Einkaufszentrum, Gleichbehandlungsgrundsatz, Ladengeschäft, Verkaufsflächenbeschränkung, wesentlicher Nachteil, Infektionsschutzmaßnahme, Ladenfläche, Hygienekonzept, Sicherheitsabstand, Mund-Nasen-Schutz, Berufsausübungsfreiheit
Fundstelle:
BeckRS 2020, 7827

Tenor

I. Es wird vorläufig festgestellt, dass der Betrieb des …-Einkaufszentrums …, …, …, nicht gemäß § 4 Abs. 4 Nr.2 der 3. BayIfSMV untersagt ist, wenn dort Ladengeschäfte mit einer Verkaufsfläche von höchstens 800 m² geöffnet haben, die nicht gemäß § 4 Abs. 4 Nr. 2 Hs. 2 der 3. BayIfSMV ohnehin offengehalten werden dürfen, sofern die übrigen Voraussetzungen des § 4 Abs. 4 der 3. BayIfSMV eingehalten werden.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin, die Betreiberin des …-Einkaufszentrums … (im Folgenden: …), begehrt im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes die Feststellung, dass eine Öffnung von nicht nach § 4 Abs. 4 Nr. 2 der Dritten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 1.5.2020 (3. BayIfSMV - BayMBl. 2020 Nr. 239 vom 1.5.2020) privilegierten Ladengeschäften mit einer Verkaufsfläche von höchstens 800 m² nach möglich ist.
2
Die Antragstellerin betreibt das …-Einkaufszentrum in … In dem Einkaufszentrum befinden sich zahlreiche Einzelhandelsgeschäfte, deren Ladenfläche jeweils weniger als 800 m² beträgt. Derartige Geschäfte dürfen nach § 4 Abs. 4 Nr. 2 der 3. BayIfSMV nur geöffnet sein, wenn sie zu den in § 4 Abs. 4 Nr. 2 Hs. 2 der 3. BayIfSMV privilegierten Geschäften zählen oder wenn die gesamte Verkaufsfläche des Einkaufszentrums höchstens 800 m² beträgt. Im Übrigen ist der Betrieb von Geschäften in Einkaufszentren untersagt.
3
§ 4 Abs. 4 Nr. 2 der 3. BayIfSMV lautet:
Für Ladengeschäfte, Einkaufszentren und Kaufhäuser des Einzelhandels gilt:
2. Es dürfen höchstens 800 m² Verkaufsfläche geöffnet werden; dies gilt nicht für Lebensmittelhandel, Getränkemärkte, Banken und Geldautomaten, Apotheken, Drogerien, Sanitätshäuser, Optiker, Hörgeräteakustiker, Verkauf von Presseartikeln, Filialen des Brief- und Versandhandels, Post, Bau- und Getränkemärkte, Gärtnereien, Baumschulen, Tierbedarf, Tankstellen, Kfz-Handel, Kfz-Werkstätten, Fahrradwerkstätten und Reinigungen.
4
Am 5.5.2020 hat die Antragstellerin beim Verwaltungsgericht Regensburg um Eilrechtschutz nach § 123 VwGO nachgesucht.
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Die Antragstellerin verweist auf ihr Schutz- und Hygienekonzept. Danach sei sichergestellt, dass die infektionsschutzrechtlichen Anforderungen - insbesondere die Einhaltung des Sicherheitsabstands und die Verwendung von Mund-Nasen-Schutz - sichergestellt seien. Bezüglich der Einzelheiten wird insoweit auf den Antragsschriftsatz Bezug genommen.
6
Mit E-Mail vom 5.5.2020 habe das Ordnungsamt der Antragsgegnerin gegenüber der Antragstellerin unter Berufung auf einen Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 4.5.2020 (Az. 20 CE 20.961) mitgeteilt, dass
- der Betreiber des Einkaufszentrums, also die Antragstellerin, für die Einhaltung der 3. BayIfSMV verantwortlich sei,
- nur Ladengeschäfte, die unter § 4 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Hs. 2 der 3. BayIfSMV fallen „ohne Flächenbegrenzung und ohne Einrechnung in die maximale Verkaufsfläche eines Einkaufszentrums öffnen“ dürften,
- Kontrollmaßnahmen zur Einhaltung der geltenden Bestimmungen vorbehalten blieben und
- es sich bei Verstößen um eine Ordnungswidrigkeit gemäß § 9 Nr. 5 Buchst. a) bb) der 3. BayIfSMV handele.
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Die Antragstellerin trägt vor, es verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, wenn Ladengeschäfte außerhalb von Einkaufszentren nach § 4 Abs. 4 der 3. BayIfSMV öffnen dürften, wenn sie die weiteren dort genannten infektionsschutzrechtlichen Maßnahmen einhalten, gleichartige Geschäfte in einem Einkaufszentrum jedoch nicht öffnen dürfen, nur weil bei der Flächenberechnung auf die Fläche des Einkaufszentrums und nicht auf diejenige des einzelnen Ladengeschäftes abzustellen sei.
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Außerdem verstoße die Regelung in der 3. BayIfSMV gegen die Berufsausübungsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG. Hinsichtlich der diesbezüglichen Begründung wird auf den Inhalt des Antragsschriftsatz verwiesen.
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Die Antragstellerin befürchte den Erlass von gegen sie gerichteten Ordnungsverfügungen und/oder die Einleitung von Ordnungswidrigkeitenverfahren durch die Antragsgegnerin, wenn in ihrem Einkaufszentrum „nicht systemrelevante“ Geschäfte mit einer Verkaufsfläche unter 800 m² geöffnet haben. Deshalb sei die Erhebung vorbeugenden vorläufigen Rechtsschutzes erforderlich und zulässig.
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Hinsichtlich der Begründung im Übrigen wird auf den Antragsschriftsatz verwiesen.
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Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
vorläufig festzustellen, dass im …-Einkaufszentrum … alle Ladengeschäfte mit einer Verkaufsfläche von jeweils unter 800 m², soweit deren Öffnung nicht gemäß § 4 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Hs. 2 der 3. BayIfSMV ohnehin erlaubt sei, ab sofort öffnen dürfen, und dass die Antragstellerin für die genannten Ladengeschäfte ab sofort offenhalten dürfe.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
13
Der Wortlaut des § 4 Abs. 4 Nr. 2 der 3. BayIfSMV sei eindeutig. Bei der maximal zulässigen Verkaufsfläche sei auf diejenige des Einkaufszentrums abzustellen und nicht auf die des einzelnen Ladengeschäftes. Einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG könne die Antragsgegnerin nicht erkennen. Insbesondere würden Einzelhandelsgeschäfte mit einer Verkaufsfläche unter 800 m² in Einkaufszentren nicht im Vergleich zu Einzelhandelsgeschäften mit einer Verkaufsfläche unter 800 m² im Innenstadtbereich ungleich behandelt. Es handle sich dabei nämlich nicht um wesentlich Gleiches, sondern um wesentlich Ungleiches. Das … sei in der Region Oberpfalz einzigartig und genieße seit Jahren erheblichen Zulauf aus benachbarten Städten und Landkreisen. Die Gegebenheiten dort seien nicht mit Ladengeschäften in der Innenstadt vergleichbar, da bei Innenstadtgeschäften jedes seinen eigenen Eingang, eigene Zufahrten, Parkplätze, etc. habe. Diese würden sich an der frischen Luft befinden. Das Infektionsrisiko sei hier bedeutend geringer. Zudem gehe von einem Einkaufszentrum eine immense Sogwirkung aus, insbesondere in umliegende Landkreise. Alle Besorgungen seien „unter einem Dach“ und bei jedem Wetter möglich, sodass nur eine einzige Anfahrt notwendig sei. Aufgrund der guten Anbindung des … mit öffentlichen Verkehrsmitteln würden sehr viele Kunden dort hinkommen. Einkaufszentren seien mit einzelnen Geschäften in Innenstadtlage schlichtweg nicht zu vergleichen. Eine Unterscheidung sei hier gerade aus Infektionsschutzgesichtspunkten angezeigt. Hinsichtlich der weiteren Ausführungen wird auf den Inhalt der Antragserwiderung vom 5.5.2020 verwiesen.
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Die streitentscheidende Kammer hat bereits am 27.4.2020 unter dem Aktenzeichen RO 14 E 20.687 sowie am 28.4.2020 unter dem Aktenzeichen RO 14 E 20.707 zwei Eilentscheidungen getroffen. Auch in diesen Verfahren ging es um Einzelhandelsgeschäfte im …, die die Öffnung ihrer Geschäfte im Rahmen einer einstweiligen Anordnung durchsetzen wollten. Die Entscheidungen ergingen allerdings noch zur Zweiten Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 16.4.2020 (BayMBl. Nr. 205 vom 16.4.2020) in der zum Zeitpunkt der jeweiligen Beschlüsse geltenden Fassung. Die Antragsteller in diesen Verfahren wurden von den Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin vertreten, sodass die ergangenen Entscheidungen und die in den Verfahren gewechselten Schriftsätze den Beteiligten bekannt sind. Antragsteller in den genannten Verfahren waren jeweils die Betreiber der Einzelhandelsgeschäfte. Das Verwaltungsgericht Regensburg ist den Anträgen der Antragsteller gefolgt und hat die beantragten einstweiligen Anordnungen erlassen.
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Mit Beschluss vom 4.5.2020 (Az. 20 CE 20.951) hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof den Beschluss der Kammer vom 27.4.2020 im Verfahren RO 14 E 20.687 aufgehoben und den Antrag der Antragsteller im dortigen Verfahren abgelehnt. Der Antrag sei unzulässig, da im Rahmen der Verkaufsflächenbeschränkung nach § 4 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 der 3. BayIfSMV nur zwischen dem Betreiber eines Einkaufszentrums und der Infektionsschutzbehörde ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis bestehe, nicht dagegen zwischen dem Betreiber eines Einzelhandelsgeschäftes in einem Einkaufszentrum und der Infektionsschutzbehörde. Das Gericht hat die Akten und gewechselten erstinstanzlichen Schriftsätze in diesen Verfahren zum Verfahren beigezogen.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
17
Der Antrag hat Erfolg. Er ist zulässig und begründet.
18
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint (Regelungsanordnung).
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Nach der im Eilrechtsschutzverfahren gebotenen aber auch ausreichenden summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage sind die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung gegeben.
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1. Der Antrag ist zulässig. Insbesondere steht ihm nicht § 123 Abs. 5 VwGO entgegen. Danach gelten die Vorschriften des § 123 Abs. 1 bis 3 VwGO nicht für die Fälle der §§ 80 und 80a VwGO. Ist damit in der Hauptsache eine Anfechtungsklage zu erheben und somit vorläufiger Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft, so kann keine einstweilige Anordnung erlassen werden. Aus diesen Regelungen wird regelmäßig gefolgert, dass vor Erlass einer Ordnungsverfügung kein vorbeugender Rechtsschutz nach § 123 VwGO erlangt werden kann, da ansonsten die Regelung des § 123 Abs. 5 VwGO ausgehebelt werden würde. Einem Antragsteller ist es daher grundsätzlich zuzumuten, zunächst eine Ordnungsverfügung abzuwarten und gegen diese mit einer Anfechtungsklage vorzugehen. Ist die Verfügung sofort vollziehbar, kann der Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO erlangen. Für einen vorbeugenden vorläufigen Rechtsschutz verbleibt daher nur dann ein rechtlich schützenswertes Interesse, wenn der Rechtsschutz über § 80 Abs. 5 VwGO nicht möglich oder nicht ausreichend wäre, um wesentliche Nachteile abzuwenden (vgl. dazu: BayVGH, B.v. 13.12.2010 - 9 CE 10.2516 - juris m.w.N.). Diese Gefahr ist vorliegend gegeben, denn die Antragstellerin muss befürchten, dass gegen sie Ordnungswidrigkeitenverfahren nach § 9 Nr. 5 der 3. BayIfSMV eingeleitet werden. Dies ergibt sich aus der E-Mail vom 5.5.2020, die die Antragsgegnerin an die Antragstellerin gesendet hat.
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2. Der Antrag ist auch begründet. Die Antragstellerin hat sowohl einen Anordnungsgrundgrund (Eilbedürftigkeit) als auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
22
Die Eilbedürftigkeit folgt schon aus den finanziellen Einbußen, die die Antragstellerin und auch die Ladengeschäfte im Einkaufszentrum zu erwarten haben, wenn die Ladengeschäfte mit einer Verkaufsfläche von weniger als 800 m² nach wie vor geschlossen sein müssen.
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Darüber hinaus ist auch ein Anordnungsanspruch gegeben. Die streitgegenständliche Regelung des § 4 Abs. 4 Nr. 2 der 3. BayIfSMV verstößt gegen Art. 3 Abs. 1 GG, da sie Ladengeschäfte mit einer Verkaufsfläche von maximal 800 m² unterschiedlich behandelt, ohne dass hierfür ein sachlicher Grund besteht. Befindet sich ein Ladengeschäft in einem Innenstadtbereich, so darf dieses Geschäft öffnen, wenn die infektionsschutzrechtlichen Anforderungen des § 2 Abs. 4 der 3. BayIfSMV erfüllt sind. Im Gegensatz dazu besteht für die meisten vergleichbaren Ladengeschäfte, die sich in einem Einkaufszentrum befinden, eine Betriebsuntersagung, weil bei der Flächenberechnung auf die Verkaufsfläche des Einkaufszentrums abzustellen ist und nicht auf die des jeweiligen Ladengeschäftes. Dies gilt auch dann, wenn das Einkaufszentrum und die in ihm enthaltenen Ladengeschäfte über sinnvolle Schutz- und Hygienekonzepte verfügen, die sicherstellen, dass die infektionsschutzrechtlichen Anforderungen, insbesondere die Einhaltung des Mindestabstands, eingehalten werden können.
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Fraglich ist für die zur Entscheidung berufene Kammer bereits, ob die Regelung in § 4 Abs. 4 Nr. 2 Hs. 1 der 3. BayIfSMV hinreichend klar und bestimmt ist. Es geht daraus nämlich nicht eindeutig hervor, wie die 800 m² Verkaufsfläche, die innerhalb eines Einkaufszentrums geöffnet sein darf, überhaupt berechnet wird. Insbesondere ist unklar, ob zu dieser Verkaufsfläche auch die Verkaufsflächen der sogenannten „systemrelevanten Geschäfte“ hinzugerechnet werden müssen, die in § 4 Abs. 4 Nr. 2 Hs. 2 der 3. IfSMV aufgelistet sind.
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Es kann aber letztendlich dahinstehen; denn jedenfalls verstößt die Regelung in § 4 Abs. 4 Nr. 2 Hs. 2 der 3. BayIfSMV gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Die zur Entscheidung berufene Kammer hat dies bereits ausführlich in ihrem Beschluss vom 28.4.2020 (Az. RO 14 E 20.707) dargestellt. Dieser Beschluss erging zwar noch zur Zweiten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 16.4.2020 (BayMBl. 2020 Nr. 205 vom 16.4.2020) in der am 28.4.2020 geltenden Fassung. Gleichwohl sind die Ausführungen in dem Beschluss nach wie vor vollumfänglich gültig. Die Kammer hat im zitierten Beschluss folgendes ausgeführt:
„Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Normgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl. BVerfG, B. v. 7.2.2012 - 1 BvL 14/07 -, juris Rn. 40; BVerfG, B. v. 15.7.1998 - 1 BvR 1554/89 - juris Rn. 119 m.w.N.). Er gilt sowohl für ungleiche Belastungen als auch für ungleiche Begünstigungen (vgl. BVerfG, B. v. 11.10.1988 - 1 BvR 777/85- juris; BVerG, B. v. 21.7.2010 - 1 BvR 611/07 - juris; BVerfG, B. v. 21.6.2011 - 1 BvR 2035/07 -, juris Rn. 76).
Dabei verwehrt Art. 3 Abs. 1 GG dem Gesetzgeber nicht jede Differenzierung. Differenzierungen bedürfen jedoch stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind (vgl. BVerfG, B. v. 7.7.2009 - 1 BvR 1164/07 - juris; BVerfG, B.v. 21.6.2011 - 1 BvR 2035/07 -, juris Rn. 77). Je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen reichen die Grenzen für die Normsetzung vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse. Insoweit gilt ein stufenloser, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen (BVerfG, B. v. 18.7.2012 - 1 BvL 16/11 -, juris Rn. 30; BVerfG, B. v. 21.6.2011 - 1 BvR 2035/07, juris Rn. 65; BVerfG, B. v. 21.7.2010 - 1 BvR 611/07 - juris Rn. 79).
Der Gleichheitssatz ist dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten oder Normbetroffenen im Vergleich zu einer anderen anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen können (vgl. BVerfG, U. v. 6.3.2002 - 2 BvL 17/99 - juris; BVerfG, B. v. 4.12.2002 - 2 BvR 400/98 - juris; BVerfG, B. 8.6.2004 - 2 BvL 5/00 - juris; BVerfG, B.v. 21.6.2011 - 1 BvR 2035/07 -, juris Rn. 77).
Unter Anwendung dieses Maßstabs ist eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung der Antragstellerin als Inhaberin eines Einzelhandelsgeschäfts unter 800 m² in einem Einkaufszentrum im Vergleich zu einem Inhaber eines Einzelhandelsgeschäfts unter 800 m² im Innenstadtbereich gegeben, wenn man die Öffnung eines Ladengeschäfts in einem Einkaufszentrum unabhängig von seiner Größe untersagen würde, ein Geschäft in der Innenstadt aber bis zu einer Größe von 800 m“ Verkaufsfläche öffnen dürfte.
Soweit die Verordnung eine Öffnungsmöglichkeit für ein Ladengeschäft mit einer Verkaufsfläche von unter 800 m² allein aufgrund dessen Lage in einem Einkaufszentrum ausgenommen hat, ist diese Maßnahme nicht geeignet, dem Zweck des Infektionsschutzes zu dienen. Es liegt auf der Hand, dass die für alle für den Publikumsverkehr geöffneten Verkaufsstellen geltenden spezifischen Vorgaben auch in Einzelhandelsgeschäften in einem Einkaufszentrum umsetzbar sind. Die Kammer vermag nicht zu erkennen, warum die Umsetzung besonderer Hygieneund Zugangsmaßnahmen in einem Einkaufszentrum nicht mindestens ebenso zu gewährleisten ist wie in Fußgängerzonen und Einkaufsstraßen. Die Antragstellerin hat diesbezüglich ein umfangreiches Steuerung-, Kontroll- und Hygienekonzept vorgelegt.
Wenn der Verordnungsgeber ein „Anfahren“ der wirtschaftlichen Betätigung für vertretbar hält, dann muss er vergleichbare Sachverhalte auch vergleichbar regeln. Die durch Art. 2 Abs. 5 2. BayIfSMV (jetzt: § 4 Abs. 4 Nr. 2 der 3. BayIfSMV) bewirkte Ungleichbehandlung von Einzelhandelsgeschäften in einem Einkaufszentrum und solchen außerhalb eines Einkaufszentrums ist nach den vorgenannten Grundsätzen mit dem allgemeinen Gleichheitssatz nicht vereinbar, weil es der Regelung auch in Anerkennung des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers an einem legitimen Zweck fehlt, der die Benachteiligung von Einzelhandelsgeschäften in einem Einkaufszentrum tragen könnte und dem zu dienen die Regelung in Art. 2 Abs. 5 2. BayIfSMV (jetzt: § 4 Abs. 4 Nr. 2 der 3. BayIfSMV) geeignet wäre.
Um die Infektionsgefahr zu reduzieren, die durch eine große Zahl von Menschen ausgeht, die sich im öffentlichen Raum bewegen, sind mildere Mittel vorhanden. Der Betreiber jedes geöffneten Geschäfts ist bereits nach § 2 Abs. 6 2. BayIfSMV (jetzt: § 4 Abs. 4 Nrn. 1, 3 und 4 der 3. BayIfSMV) angehalten, durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass grundsätzlich ein Mindestabstand von 1,5 m zwischen den Kunden eingehalten werden kann, dass Personal eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen hat und die Kunden und ihre Begleitpersonen ab dem 7. Lebensjahr ebenfalls eine Mund-Nasen-Bedeckung tragen müssen.
Außerdem hat jeder Betreiber ein Schutz- und Hygienekonzept und ein Parkplatzkonzept auszuarbeiten. Dieses Konzept ist für das betroffene Ladengeschäft vorhanden und wurde dem Verwaltungsgericht im Rahmen des streitgegenständlichen Verfahrens auch vorgelegt. Auch unter Beachtung der überwiegenden Interessen des Gesundheitsschutzes und der Verhinderung der Verbreitung einer COVID-19-Infektion wäre daher eine vorübergehende Anwendung einer für verfassungswidrig gehaltenen Norm (vgl. dazu auch BayVGH, B. v. 27.04.2020 - 20 NE 20.793 - noch nicht veröffentlicht) nicht erforderlich.“
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Diese Ausführungen gelten vollumfänglich auch für das hier streitgegenständliche Verfahren. Insbesondere hat der Betreiber eines Einkaufszentrums nach § 4 Abs. 4 Nr. 5 der 3. BayIfSMV ein Schutz- und Hygienekonzept (z.B. Einlass, Mund-Nasen-Bedeckung) und, falls Kundenparkplätze zur Verfügung gestellt werden, ein Parkplatzkonzept auszuarbeiten und auf Verlangen der zuständigen Kreisverwaltungsbehörde vorzulegen. Über ein derartiges Schutz- und Hygienekonzept verfügt die Antragstellerin, was sie in ihrem Antragsschriftsatz ausgeführt hat und was dem Gericht auch aus anderen Verfahren bekannt ist.
27
Dass das Schutz- und Hygienekonzept der Antragstellerin auch greift, muss diese im Ergebnis sicherstellen. Die Antragsgegnerin als Infektionsschutzbehörde ist gehalten, zu überprüfen, ob das Konzept tauglich ist.
28
Soweit die Antragsgegnerin vorträgt, die Sachverhalte von Ladengeschäften in der Innenstadt seien nicht mit dem des … vergleichbar, weshalb ein sachlicher Grund für eine Ungleichbehandlung bestehe, vermag die Kammer dem nicht zu folgen. Einerseits ist insoweit zu bedenken, dass die Altstadt … als Welterbe der UNESCO gleichfalls von besonderer Anziehungskraft ist. Andererseits kommt es aber auf diese besondere Anziehungskraft nach Auffassung der Kammer auch nicht an; denn jeder Betreiber eines Ladengeschäfts in der Innenstadt hat - ebenso wie ein Ladenbetreiber in einem Einkaufszentrum für sein Geschäft und der Betreiber des Einkaufszentrums für das Einkaufszentrum - durch ein Schutz- und Hygienekonzept sicherzustellen, dass die infektionsrechtlichen Anforderungen - insbesondere die Einhaltung des Sicherheitsabstands und das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes durch die Kunden und die Beschäftigten - eingehalten werden können. Ist dies aber der Fall, so kommt es auf die mehr oder weniger große Anziehungskraft eines Ladengeschäftes oder des Umfeldes, in dem sich ein Ladengeschäft befindet, nicht an. Ziel des Infektionsschutzes darf es ausschließlich sein, die Weiterverbreitung der Corona-Infektion zu verhindern bzw. einzudämmen. Dies ist sowohl in der Innenstadt als auch in Einkaufszentren möglich, wenn die von der Fachwissenschaft empfohlenen infektiologischen Maßnahmen eingehalten werden. Die Sicherstellung der Einhaltung dieser Maßnahmen ist jeweils Sache des Betreibers, der ein entsprechendes Schutz- und Hygienekonzept haben muss. Hat er ein solches und kann er dafür Sorge tragen, dass dieses effektiv durchgesetzt wird, besteht aus Sicht der Kammer kein Grund für eine Betriebsuntersagung.
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Nach alledem sind die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung gegeben, und zwar unabhängig von der Frage, ob die Regelung in § 4 Abs. 4 Nr. 2 der 3. BayIfSMV auch in verfassungswidriger Weise in die Berufsausübungsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG eingreift. Diese Frage brauchte das Gericht daher jedenfalls im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht mehr zu prüfen.
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Nach den §§ 123 Abs. 3 VwGO, 938 Abs. 1 ZPO bestimmt das Gericht nach freiem Ermessen, welche Anordnungen zur Erreichung des Zwecks erforderlich sind. Das Gericht ist somit an den von der Antragsgegnerin gestellten Antrag nicht gebunden. Es hat daher zur Verdeutlichung der Tragweite der Anordnung den Tenor eigenständig und in Abweichung vom Antrag der Antragstellerin formuliert.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Dabei macht das Gericht von der Möglichkeit Gebrauch, den Streitwert im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes bis zur Höhe des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwerts anzuheben, weil der Antrag im Hinblick auf das Außerkrafttreten der angegriffenen Verordnung am 10.5.2020 inhaltlich auf eine Vorwegnahme der Hauptsache abzielt.