VG Würzburg, Gerichtsbescheid v. 25.03.2020 – W 10 K 19.50254
Titel:

Erfolglose Klage gegen Dublin-Bescheid (Italien)

Normenketten:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, § 34a Abs. 1 S. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1, § 60a Abs. 1
Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2
GRCh Art. 4
Leitsätze:
1. Das Asylverfahren in Italien widerspricht nicht unionsrechtlichen Maßstäben und die dortigen Aufnahmebedingungen stehen mit Art. 4 GRCh in Einklang. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Corona-Pandemie in Italien führt nicht zur Feststellung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbotes in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 AufenthG.  (Rn. 48) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Herkunftsland Nigeria, Überstellung nach Italien, keine systemischen Mängel, kein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot, keine Extremgefahr wegen COVID-19-Pandemie, kein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis, vorübergehende Vollzugsschwierigkeiten infolge COVID-19-Pandemie, Dublin-Verfahren, Italien, Abschiebungsanordnung, Abschiebungsverbot, Prinzip des gegenseitigen Vertrauens, Unterkunft, COVID-19-Pandemie, Corona
Fundstelle:
BeckRS 2020, 5590

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen die Ablehnung seines Asylantrags als unzulässig wegen Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates und die Anordnung der Abschiebung nach Italien.
2
Hilfsweise begehrt er die Feststellung zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote hinsichtlich dieses Mitgliedstaates bzw. die Herabsetzung der Frist des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes.
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1. Der Kläger, nach eigenen Angaben am … … 1988 geboren und nigerianischer Staatsangehöriger, wurde am 29. Januar 2019 durch die Bundespolizei aufgegriffen und äußerte ein Asylbegehren. Die am selben Tag erfolgte Eurodac-Abfrage ergab, dass er bereits am 9. Mai 2014 in Catania, Italien, internationalen Schutz beantragt hatte. Der Kläger legte einen bis zum 23. Februar 2028 gültigen italienischen Aufenthaltstitel (permesso di soggiorno) sowie eine italienische Krankenversicherungskarte und eine Steuernummer (Codice fiscale) vor.
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Am 29. Januar 2019 beantragte der Kläger beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) Asyl.
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In dem persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates und der persönlichen Anhörung zur Klärung der Zulässigkeit des gestellten Asylantrags am 7. Februar 2019 gab der Kläger im Wesentlichen an, er habe sein Herkunftsland Nigeria im Oktober 2013 erstmalig verlassen und sei über Niger und Libyen am 8. Mai 2014 nach Italien eingereist. Dort habe er sich fünf Jahre und drei Monate lang aufgehalten und auch internationalen Schutz beantragt. Am 28. Januar 2019 habe er Italien verlassen. Über die Schweiz sei er am 29. Januar 2019 in das Bundesgebiet eingereist.
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In der Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrags am 28. Februar 2019 wurde der Kläger damit konfrontiert, dass er über einen für zehn Jahre gültigen italienischen Aufenthaltstitel verfüge, was dafürspreche, dass ihm in Italien ein Schutzstatus gewährt worden sei. Der Kläger erklärte dem gegenüber, ihm sei in Italien Asyl verweigert worden. Er habe einen negativen Bescheid erhalten. In Italien erhalte man nach der dreimonatigen Aufenthaltserlaubnis eine für zehn Jahre gültige Identitätskarte. Es spiele keine Rolle, ob dieser Ausweis für drei oder sechs Monate gültig sei, danach erhalte man eine Identitätskarte. Das sei aber kein offizielles Dokument, man könne damit nicht arbeiten und es bedeute nur, dass der Aufenthalt erlaubt sei. Auf Frage nach der ebenfalls vorgelegten Karte mit einer Steueridentifikationsnummer (Codice Fiscale, Bl. 21/22 der BA-Akte) erklärte der Kläger, er habe zuvor einen sechs Monate gültigen Ausweis gehabt. In diesem sei eine Codenummer für die Codice Fiscale eingetragen gewesen, ähnlich wie auf der deutschen Aufenthaltsgestattung. Die Codice Fiscale sei für viele Jahre gültig. Auf Frage, wie er innerhalb der viereinhalb Jahre in Italien für seinen Lebensunterhalt gesorgt habe, erklärte der Kläger, er habe kleinere Gelegenheitsarbeiten als Bauingenieur durchgeführt. In Italien sei er zwei Jahre im Camp gewesen. Danach habe er einige Zeit betteln müssen. Dann habe er angefangen, Gelegenheitsarbeiten auszuführen. Er habe einen Vertrag mit einem Mann gehabt, für den er Renovierungs- und Malerarbeiten habe durchführen sollen. Mit dieser Arbeit habe er am 1. September 2018 begonnen. Dann habe er jedoch zuhause in Nigeria Probleme bekommen. Seine Tochter sei gekidnappt worden und er sei telefonisch erpresst worden, ein Lösegeld von 1.000.000 Naira zu zahlen. Da er nicht so viel Geld gehabt habe, habe er es sich insgesamt 800.000 Naira bei Freunden geliehen. Das Geld habe er den Entführern geschickt. Für den Arbeitsvertrag habe er kein Geld bekommen. Sein Arbeitgeber sei weggefahren und nicht mehr zurückgekommen. Er habe laut Vertrag 2.700,00 EUR bekommen sollen, aber lediglich 500,00 EUR erhalten. Er sei dann von seinen Freunden immer wieder belästigt worden, da er ihnen das Geld nicht habe zurückzahlen können. Sie hätten ihm verschiedene Gegenstände weggenommen. Da er seine Schulden nicht habe zurückzahlen können, habe er die Stadt verlassen. Er könne erst wieder nach Hause zurückgehen, wenn er das Geld zusammen habe. Wenn er zurück nach Italien müsste, müsste er wieder von Null anfangen. Der andere Mann habe ihm sein Haus weggenommen. Es sei immer wieder zu Streitigkeiten gekommen, weshalb er nicht mehr nach Hause zurückkehren könne.
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Am 1. März 2019 ersuchte das Bundesamt die italienischen Behörden um Wiederaufnahme des Klägers nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 vom 26. Juni 2013 (Dublin III-VO). Eine Beantwortung erfolgte nicht.
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2. Mit Bescheid vom 20. März 2019 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Ziffer 1 des Bescheides), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 2), ordnete die Abschiebung nach Italien an (Ziffer 3) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 4). Auf die Gründe des Bescheides wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
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3. Der Kläger erhob am 27. März 2019 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Würzburg. Zur Begründung nahm er auf die Anhörung beim Bundesamt Bezug und wiederholte im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen. Sein Kind sei in Nigeria entführt worden. Er habe sich das Lösegeld von den bereits erwähnten Freunden geliehen. Das Kind sei dann freigekommen. Sein Kind und dessen Mutter hätten daraufhin Nigeria verlassen und ebenfalls versucht, nach Italien zu gelangen. Sie seien jedoch in Libyen aufgegriffen und inhaftiert worden. Da er derzeit keinen Kontakt mehr zu ihnen herstellen könne, gehe er davon aus, dass sie immer noch im Gefängnis seien. Wegen der Sorgen um seine Freundin und sein Kind könne er kaum noch schlafen und seine Gedanken kreisten nur noch um sie. Er komme überhaupt nicht mehr zur Ruhe. Deshalb sei ihm eine Rückkehr nach Italien nicht zumutbar.
10
Der Kläger beantragt:
1. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 20. März 2019 (Az. …) wird aufgehoben.
2. Hilfsweise wird die Beklagte verpflichtet festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG bezüglich Italiens vorliegen.
3. Hilfsweise wird die Beklagte verpflichtet, die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots zu verkürzen.
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4. Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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5. Mit Beschluss vom 24. April 2019 (Az.: W 10 S 19.50255) ordnete das Gericht auf Antrag des Klägers gemäß § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung der Klage an, weil die Erfolgsaussichten der Klage offen seien. Wegen der Möglichkeit der Zuerkennung internationalen Schutzes durch einen anderen Mitgliedstaat sei im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) offen, ob die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig auf der Grundlage des § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG und die Abschiebungsanordnung rechtmäßig seien. Auf die Gründe des Beschlusses wird im Einzelnen Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG analog).
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6. Mit Beschluss vom 25. Juli 2019 hat die Kammer den Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
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7. Aufgrund der mündlichen Verhandlung am 11. Oktober 2019 wurde der Rechtsstreit zur weiteren Sachaufklärung vertagt. Mit Schriftsatz vom 27. November 2019 legte die Beklagte ein Schreiben des italienischen Innenministeriums vom 26. November 2019 vor. Daraus geht hervor, dass das Klageverfahren gegen die Ablehnung des Asylantrags des Klägers in Italien noch nicht abgeschlossen ist und dem Kläger in Italien kein internationaler Schutz zuerkannt wurde. Hierzu erhielt der Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme, äußerte sich jedoch nicht.
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8. Mit Schreiben vom 13. Januar 2020 hörte das Gericht den Kläger zur beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid an. Dieser äußerte mit Schreiben vom 17. Januar 2020, er sei an einer (weiteren) mündlichen Verhandlung interessiert. Für die Beklagte hat das Bundesamt bereits vorab durch allgemeine Prozesserklärung sein Einverständnis u.a. mit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid gegeben.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt, wegen des Verlaufs der mündlichen Verhandlung auf das Protokoll vom 11. Oktober 2019 verwiesen.

Entscheidungsgründe

17
Über die Klage entscheidet das Gericht gemäß § 84 Abs. 1 VwGO nach Anhörung der Beteiligten durch Gerichtsbescheid, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Eine Zustimmung der Beteiligten ist hierzu nicht erforderlich.
18
Die zulässige Klage ist unbegründet.
19
Die Beklagte hat den Asylantrag zu Recht als unzulässig abgewiesen (1.). Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Feststellung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots hinsichtlich Italiens (2.). In der Folge ist auch die Abschiebungsanordnung nach Italien rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (3.). Ferner hat der Kläger auch keinen Anspruch auf Herabsetzung der Frist des Wiedereinreiseverbots bzw. auf erneute ermessensfehlerfreie Entscheidung insoweit (4.). Der streitgegenständliche Bescheid ist damit insgesamt rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1, 2 VwGO).
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1. Der Asylantrag ist gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG wegen der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates unzulässig.
21
a) Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat für die Prüfung eines von einem Drittstaatangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist. Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO sieht vor, dass Anträge auf internationalen Schutz von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft werden, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird. Lässt sich anhand dieser Kriterien der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, so ist nach Art. 3 Abs. 2 UAbs. 1 Dublin III-VO der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig.
22
Nach diesen Grundsätzen ist Italien gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. b bzw. d Dublin III-VO für die Prüfung des Asylantrags zuständig. Denn der Kläger hat dort erstmals internationalen Schutz beantragt. Über seine Klage gegen den Ablehnungsbescheid wurde nach der Auskunft des italienischen Innenministeriums vom 26. November 2019 (vgl. Gerichtsakte) noch nicht rechtskräftig entschieden. Dies ist der Beklagten durch die Eurodac-Abfrage am 29. Januar 2019 zur Kenntnis gelangt, weshalb sie die Republik Italien innerhalb der Zweimonatsfrist gemäß Art. 23 Abs. 1 Dublin III-VO - nämlich am 1. März 2019 - um Wiederaufnahme des Klägers ersucht hat. Da Italien sich hierzu nicht innerhalb der Zweiwochenfrist des Art. 25 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO geäußert hat, ist gemäß Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO von der Zustimmung ausgehen, was die Verpflichtung dieses Mitgliedstaates nach sich zieht, den Kläger wiederaufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für seine Ankunft zu treffen.
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b) Die Überstellungsfrist gemäß Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO wurde gemäß Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO durch den stattgebenden Beschluss im Verfahren gemäß § 80 Abs. 5 VwGO (Az.: W 10 S 19.50255) unterbrochen, weshalb die Zuständigkeit noch nicht gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO wegen Fristablaufs auf die Beklagte übergegangen ist.
24
c) Ein Zuständigkeitsübergang auf die Beklagte ergibt sich auch nicht aus einer rechtlichen Unmöglichkeit der Überstellung nach Italien.
25
aa) Das auf der Grundlage des Art. 78 Abs. 2 AEUV eingerichtete Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) beruht auf dem „Prinzip gegenseitigen Vertrauens“, dass alle daran beteiligten Mitgliedstaaten die Grundrechte sowie die Rechte beachten, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), dem Protokoll von 1967 und in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) finden (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 - C-411/10 - NVwZ 2012, 417 Rn. 79; U.v. 19.3.2019 - C-163/17 - juris Rn. 80). Dies begründet die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat im Einklang mit den Erfordernissen der EU-Grundrechtecharta (EU-GR-Charta) sowie mit der GFK und der EMRK steht (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011, a.a.O., Rn. 80). Das Prinzip des gegenseitigen Vertrauens begründet jedoch nur eine widerlegliche Vermutung, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das GEAS in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stößt, so dass ein ernsthaftes Risiko besteht, dass Personen, die internationalen Schutz beantragen, bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Grundrechten unvereinbar ist (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 - C-163/17 - juris Rn. 83 f.). Denn nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) ist das in Art. 4 EU-GR-Charta enthaltene Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung von fundamentaler Bedeutung und muss aufgrund der engen Verbindung zur Achtung der Würde des Menschen (Art. 1 EU-GR-Charta) und seines daraus resultierenden absoluten Charakters auch bei Überstellungen von Asylbewerbern nach den Dublin-Verordnungen vollumfänglich beachtet werden (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 - N.S., C-411/10 - NVwZ 2012, 417; U.v. 14.11.2013 - Puid, C-4/11 - NVwZ 2014, 129; U.v. 16.2.2017 - C-578/16 - NVwZ 2017, 691 Rn. 59; U.v. 19.3.2019 - C-163/17 - juris Rn. 78).
26
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) kann die Vermutung, wonach der Aufnahmestaat seinen Pflichten aus Art. 3 EMRK nachkommt, widerlegt werden, wenn schwerwiegende Gründe für die Annahme vorgebracht werden, dass die Person, deren Rückführung angeordnet wird, einer tatsächlichen Gefahr („real risk“) entgegensehen würde, im Zielstaat einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden (EGMR, U.v. 4.11.2014 - Tarakhel, Nr. 29217/12 - NVwZ 2014, 127, Rn. 104; U.v. 21.1.2011 - M.S.S., Nr. 30696/09 - NVwZ 2011, 413 Rn. 342). Die Ursache der Gefahr hat keine Auswirkungen auf das Schutzniveau der EMRK und befreit den überstellenden Staat nicht davon, eine gründliche und individuelle Prüfung der Situation der betroffenen Person vorzunehmen und im Falle der Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung die Durchsetzung der Abschiebung auszusetzen (EGMR, U.v. 4.11.2014 - Tarakhel, a.a.O.). Staatliches Handeln in Erfüllung der Verpflichtungen im Rahmen einer zwischen- oder überstaatlichen Organisationen - wie der EU - ist nach der EMRK nur solange gerechtfertigt, wie auf dieser Ebene ein ausreichender Grundrechtsschutz gewährleistet ist. Dies ist im Rahmen des unionsrechtlichen Grundrechtsschutzes grundsätzlich der Fall (EGMR, U.v. 30.6.2005 - Bosphorus, Nr. 45036/98 - NJW 2006, 197), zumal die in der EMRK garantierten Rechte nach Art. 6 Abs. 3 EUV und Art. 52 Abs. 3 EU-GR-Charta in die unionsrechtlichen Grundrechtsgewährleistungen als Mindeststandard inkorporiert sind (Borowsky in Meyer-Ladewig, Charta der Grundrechte, vor Art. 51 Rn. 1a; Jarass, Charta der Grundrechte, Art. 52 Rn. 60 ff.). Soweit ein Mitgliedstaat aber entscheiden kann, in eigener Zuständigkeit tätig zu werden - wie im dort entschiedenen Fall gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO, vgl. nunmehr Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO -, handelt er nach der Auffassung des EGMR nicht in Erfüllung völkerrechtlicher Verpflichtungen und kann sich somit seiner Verantwortlichkeit nicht entziehen, wenn er von dieser Möglichkeit trotz der ernsthaften Gefahr einer Grundrechtsverletzung keinen Gebrauch macht (EGMR, U.v. 21.1.2011 - M.S.S., 30696/09, NVwZ 2011, 413 Rn. 340 m.V.a. U.v. 30.6.2005 - Bosphorus, Nr. 45036/98 - NJW 2006, 197).
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Diesen Vorgaben des höherrangigen Unionsrechts sowie des internationalen Rechts trägt Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO Rechnung. Danach besteht ein Überstellungshindernis, wenn es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Kläger in dem an sich zuständigen Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, welche die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-GR-Charta mit sich bringen. Unter diesen Umständen hat die Beklagte zunächst gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO die Prüfung der Zuständigkeitskriterien in Kapitel III (Art. 7 - 15 Dublin III-VO) fortzusetzen, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann. Kann danach keine Überstellung an einen anderen zuständigen Mitgliedstaat erfolgen, so geht nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 3 Dublin III-VO die Zuständigkeit auf die Beklagte über.
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Die Anforderungen an die Feststellung systemischer Mängel und eine daraus resultierende Widerlegung der Sicherheitsvermutung sind allerdings hoch. Im Hinblick auf das Ziel der Dublin III-VO, zügig und effektiv den für das Asylverfahren zuständigen Staat zu bestimmen, können geringfügige Verstöße hierfür nicht ausreichen. Um das Prinzip gegenseitigen Vertrauens entkräften zu können, muss vielmehr ernsthaft zu befürchten sein, dass dem Asylbewerber aufgrund genereller Mängel im Asylsystem des eigentlich zuständigen Mitgliedstaats mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 EU-GR-Charta droht (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 - 10 B 6.14 - juris Rn. 6; EuGH, U.v. 21.12.2011, a.a.O., Rn. 80; VGH BW, U.v. 16.4.2014 - A 11 S 1721/13 - juris Rn. 41). Erforderlich ist insoweit die real bestehende Gefahr, dass in dem Mitgliedstaat, in den überstellt werden soll, die grundlegende Ausstattung mit den notwendigen, zur Befriedigung menschlicher Grundbedürfnisse elementaren Mitteln so defizitär ist, dass der materielle Mindeststandard nicht erreicht wird und der betreffende Mitgliedstaat dieser Situation nicht mit geeigneten Maßnahmen, sondern mit Gleichgültigkeit begegnet (vgl. OVG Lüneburg, U.v. 29.1.2018 - 10 LB 82/17 - juris Rn. 34 m.w.N.). Nach der Rechtsprechung des EGMR kann allerdings die bloße schlechtere wirtschaftliche oder soziale Stellung der Person in dem Mitgliedstaat, in den überstellt werden soll, nicht für die Annahme einer unmenschlichen Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK ausreichen (vgl. EGMR, B.v. 2.4.2013 - 27725/10 - ZAR 2013, 336, 70 f.). Der EGMR führt in seiner Entscheidung aus, dass Art. 3 EMRK keine allgemeine Verpflichtung der Vertragsparteien enthalte, jede Person innerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs mit Obdach zu versorgen oder finanzielle Leistungen zu gewähren, um ihnen dadurch einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen. Einer Dublin-Überstellung stünden nur außergewöhnliche zwingende humanitäre Gründe entgegen.
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Diese Grundsätze konkretisierend hat der EuGH in seinem Urteil vom 19. März 2019, Az.: C-163/17 (juris Rn. 91) ausgeführt, dass systemische Schwachstellen nur dann als Verstoß gegen Art. 4 EU-GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK zu werten seien, wenn eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreicht werde, die von sämtlichen Umständen des Falles abhänge. Diese Schwelle sei aber selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden seien, aufgrund deren sich diese Person in einer solch schwerwiegenden Lage befinde, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden könne. Die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats müsse zur Folge haben, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befinde, die es ihr nicht erlaube, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 - C-163/17 - juris Rn. 92 f.).
30
bb) Entsprechend den vorstehenden Ausführungen geht das Gericht auf der Basis einer Gesamtwürdigung nach dem im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) aktuellen Erkenntnisstand nicht davon aus, dass das Asylverfahren in Italien unionsrechtlichen Maßstäben widerspricht bzw. dort unzureichende Aufnahmebedingungen herrschen, die zu einer Verletzung der durch Art. 4 EU-GR-Charta gewährleisteten Rechte führen.
31
Die Republik Italien ist als Mitgliedstaat der Europäischen Union an die europäischen Grundrechte (Art. 51 Abs. 1 EU-GR-Charta) sowie an die EMRK gebunden. Deshalb spricht zunächst die durch das Prinzip des gegenseitigen Vertrauens begründete Vermutung für die Zulässigkeit der Abschiebung in einen solchen Staat. Diese Vermutung ist nicht durch die Annahme systemischer Mängel des Asylverfahrens und/oder der Aufnahmebedingungen entkräftet, weil eine Zusammenschau der einschlägigen Erkenntnismittel ergibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Italien zumindest den internationalen und europäischen Mindeststandards entsprechen und jedenfalls elementare Bedürfnisse der Asylbewerber gedeckt werden können.
32
Asylbewerber haben in Italien entsprechend dem Grundrecht auf Asyl Zugang zu einem rechtsstaatlichen Asylverfahren mit gerichtlichen Beschwerdemöglichkeiten. Über den Ablauf des Asylverfahrens wird über Informationsbroschüren in unterschiedlichen sprachlichen Fassungen sowie über Betreuungsdienste Auskunft gegeben. Bei Dublin-Rückkehrern ist im Regelfall gewährleistet, dass sie nach ihrer Rückkehr nach Italien ihren ursprünglichen Antrag auf internationalen Schutz weiterverfolgen oder erstmals einen Asylantrag stellen können. Im Falle einer Ablehnung kann ein Wiederaufnahmeantrag gestellt werden oder Beschwerde gegen den Ablehnungsbescheid erhoben werden. Das Asylverfahren soll zwar grundsätzlich nicht länger als sechs Monate dauern (vgl. Amtliche Auskunft des Auswärtigen Amtes an das OVG NW vom 23.2.2016). Der Umstand, dass diese Verfahrensdauer aufgrund der aktuellen Belastungssituation nicht immer eingehalten werden kann, rechtfertigt jedoch nicht die Annahme eines unzureichenden Asylverfahrens, zumal diesbezügliche Schwierigkeiten wegen des enormen Zustroms an Schutzsuchenden nicht nur in Italien, sondern in vielen europäischen Ländern bestehen.
33
Durch das am 4. Oktober 2018 erlassene und am 7. November durch den Senat sowie am 28. November durch das Parlament bestätigte Dekret No. 113/2018 über Sicherheit und Migration in Verbindung mit dem Umwandlungsgesetz Nr. 132 vom 1. Dezember 2018 (sog. Salvini-Dekret) wird der bisherige humanitäre Schutz stark eingeschränkt. Wurde dieser bislang für die Dauer von zwei Jahren gewährt, wenn „besondere Gründe“, insbesondere „humanitären Charakters“ vorlagen, ist er nunmehr an eine restriktive und vor allem abschließende Liste von Gründen gebunden, aus denen eine befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt werden kann (teilweise auch mit einer Dauer von weniger als zwei Jahren). Eine solche Aufenthaltserlaubnis ist unter anderem möglich für medizinische Behandlungen, für Opfer von Gewalt oder schwerer Ausbeutung, bei außergewöhnlichen Katastrophen im Herkunftsland sowie bei Fällen des non-refoulement. Es kommt zwar zu keiner Aberkennung bestehender humanitärer Titel, diese werden allerdings nicht mehr erneuert oder verlängert. Sie können aber bei rechtzeitiger Antragstellung und Erfüllung der Voraussetzungen in einen anderen Titel umgewandelt werden (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Italien, Stand: 9.10.2019, S. 8, 21 ff.).
34
Zudem liegt die Gewährung eines humanitären Aufenthaltsrechts nach unanfechtbarem negativem Abschluss des Asylverfahrens gemäß Art. 6 Abs. 4 der Richtlinie 2008/115/EG über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger vom 16. Dezember 2008 (ABl. L 348/98, sog. Rückführungsrichtlinie) im Ermessen der Mitgliedstaaten. Demgegenüber regelt Art. 9 der Rückführungsrichtlinie die Fälle, in denen kraft Unionsrechtes die Rückführung in das Herkunftsland trotz unanfechtbarer Ablehnung des Asylantrags nicht zulässig ist. Im Übrigen ist der jeweilige Mitgliedstaat somit kraft seiner Gebietshoheit befugt, den Aufenthalt von unanfechtbar abgelehnten Asylbewerbern in seinem Hoheitsgebiet zu beenden, zu dulden oder durch Gewährung eines zumindest befristeten Aufenthaltsrechts (vorübergehend) zu legalisieren. Belastbare Anhaltspunkte dafür, dass die genannten Vorschriften der Rückführungsrichtlinie gegen primäres Unionsrecht, insbesondere Grundrechte der betroffenen Asylbewerber verstoßen würden, oder dass in der italienischen behördlichen Praxis rechtskräftig abgelehnte Asylbewerber unter Verstoß gegen diese Vorschriften in ihr Herkunftsland zurückgeführt würden, liegen nicht vor.
35
Des Weiteren erhalten Asylsuchende während des Asylverfahrens in Italien nach wie vor Leistungen für die Befriedigung von Grundbedürfnissen, insbesondere Nahrungsmittel, Hygieneartikel und Kleidung (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, a.a.O., S. 13 m.w.N.). Auch wenn Italien diesbezüglich möglicherweise hinter den Verhältnissen in der Bundesrepublik Deutschland zurückbleibt und insbesondere kein umfassendes Sozialsystem bereitstellt, so begründet dies entsprechend den obigen Ausführungen keine generellen systemischen Mängel.
36
Italien verfügt über ein umfassendes Gesundheitssystem, das medizinische Behandlungsmöglichkeiten auf hohem Niveau bereitstellt. Asylbewerber haben in gleicher Weise wie italienische Bürger einen Anspruch auf medizinische Versorgung, der mit der Registrierung eines Asylantrags entsteht. Bis zum Zeitpunkt der Registrierung werden gleichwohl medizinische Basisleistungen, wie beispielsweise kostenfreie Notfallversorgung, gewährleistet (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, a.a.O., S. 19 ff.). Auch diesbezüglich kommt es durch das Salvini-Dekret zu keinen Abstrichen. Insbesondere ist nach wie vor die Einschreibung beim Nationalen Gesundheitsdienst für Asylbewerber auf der Basis des „domicilio“ garantiert, welcher üblicherweise im Aufnahmezentrum liegt. Zusätzlich sind in den Erstaufnahmeeinrichtungen Ärzte beschäftigt, die medizinische Erstuntersuchungen und Notfallmaßnahmen vornehmen und die nationalen Gesundheitsdienste entlasten sollen. Der Zugang zu medizinischer Notversorgung in öffentlichen Spitälern bleibt weiterhin bestehen, auch für illegale Migranten (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, a.a.O., S. 19 ff.).
37
Während des Asylverfahrens haben Asylbewerber einen Anspruch auf Unterbringung. Grundsätzlich werden zahlreiche Plätze für Asylsuchende und Dublin-Rückkehrer in verschiedenen staatlichen Unterkünften zur Verfügung gestellt, die über ganz Italien verteilt sind. Sowohl das Bundesamt als auch Asylum Information Database (im Folgenden: AIDA) gehen von einer Gesamtkapazität von über 175.000 Plätzen aus (vgl. BAMF, Länderinformation: Italien, Stand: Mai 2017, S. 2; AIDA, Country Report: Italy, Stand: April 2019, https://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_ 2018update.pdf, S. 80 ff.), so dass angesichts der hohen Zahl von Asylbewerbern nach wie vor eine Überbelegung anzunehmen ist.
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Durch das Salvini-Dekret soll die bisherige Unterbringung völlig neu organisiert und ein differenziertes Aufnahmesystem geschaffen werden. Künftig wird zwischen einer Erstaufnahme und einer sekundären Versorgungsschiene, dem sog. SIPROIMI („Sistema di protezione per titolari di protezione internazionale e per minori stranieri non accompagnati“) unterschieden. Während die Erstaufnahmeeinrichtungen die bisherigen CAS- und CARA-Unterkünfte ersetzen, treten die SIPROIMI an die Stelle der früheren SPRAR-Unterkünfte („Sistema di protezione per richiedenti asilo e refugiati“), wobei letztere bisher vor allem für vulnerable Personen unabhängig von ihrem Schutzstatus vorgesehen waren. Künftig werden Asylbewerber und Dublin-Rückkehrer in den Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht, während Personen mit Schutzstatus bzw. einer der neuen Formen des humanitären Schutzes sowie unbegleitete Minderjährige Zugang zu den sekundären Aufnahmeeinrichtungen erhalten, in denen zusätzlich integrative Leistungen angeboten werden. Durch die neuen Ausschreibungsspezifikationen für die Unterkünfte wurde auf den Vorwurf reagiert, die Aufnahmeeinrichtungen außerhalb des SPRAR seien inhomogen und würden keine einheitlichen Standards sicherstellen. Zudem kann durch die nunmehrige Staffelung der Strukturen nach Unterbringungsplätzen mit entsprechend angepasstem Personalstand und Serviceleistungen auf den Bedarf und die Gegebenheiten vor Ort im jeweiligen Fall eingegangen werden. Die Bedürfnisse von Familien sowie vulnerablen Personen sollen auch künftig Berücksichtigung finden. So sind etwa Plätze für Familien sowie allein reisende Frauen (mit Kindern) vorgesehen, für die es spezielle Ausschreibungsspezifikationen gibt (z.B. bzgl. Personalschlüssel, Reinigungsintervallen oder Melde- und Aufzeichnungsverpflichtungen des Betreibers in Bezug auf Leistungen an die Bewohner). Personen mit humanitärem Schutz nach alter Rechtslage, die sich im Stichtag 5. Oktober 2018 noch in einem SPRAR/SIPROIMI befanden, können dort für den vorgesehenen Zeitraum bzw. bis zum Ende des Projektzeitraums weiterhin bleiben. Sofern sie sich dagegen noch in einer Erstaufnahmeeinrichtung befinden, verbleiben sie dort so lange, bis ihnen von der Questura der Aufenthaltstitel übergeben wurde. Danach werden sie aus dem Aufnahmesystem entlassen (vgl. zum Ganzen Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, a.a.O., S. 12 ff., S. 18 f.).
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Neben den staatlichen Einrichtungen existieren bisher verschiedene karitative und kommunale Einrichtungen, die zusätzliche Unterkunftsmöglichkeiten bieten, um Asylbewerber vor Obdachlosigkeit zu schützen. In Einzelfällen ist es jedenfalls bislang gleichwohl möglich, dass Dublin-Rückkehrer keine Unterbringung erhalten und vorübergehend obdachlos sind. Insbesondere kann es zu Problemen kommen, wenn Dublin-Rückkehrer in Italien bereits offiziell untergebracht waren, da der Anspruch auf Unterbringung in staatlichen Einrichtungen untergeht, wenn der Ausländer seine Unterkunft ohne vorherige Bewilligung verlässt oder eine ihm zugewiesene Unterkunft gar nicht erst in Anspruch genommen hat (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, a.a.O., S. 19). Der Anspruch kann zwar wiederaufleben. Insoweit ist allerdings ein vorheriger Antrag bei der Questura erforderlich, die ursprünglich für die Bearbeitung des Asylantrags zuständig war. Eine Unterbringung in einer staatlichen Einrichtung kann erst dann wieder erfolgen, wenn die Wiederaufnahme genehmigt wurde (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Aufnahmebedingungen in Italien, August 2016, S. 28). In dieser Übergangsphase sind Dublin-Rückkehrer auf die Hilfe von Freunden oder karitativen Einrichtungen, über deren Aufnahmekapazität es keine gesicherten und aussagekräftigen Unterlagen gibt, angewiesen, um der Obdachlosigkeit entgehen zu können. Im Ergebnis ist die Unterkunftssituation in ihrer Gesamtschau zum aktuellen Stand weiterhin problematisch.
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Gleichwohl sind diese defizitären Umstände noch nicht als generelle systemische Mängel in Italien zu qualifizieren, zumal die Annahme von Schwachstellen im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO entsprechend den oben genannten Maßgaben an hohe Anforderungen geknüpft ist. Der maßgebliche Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit muss sich auf der Basis einer Gesamtwürdigung sämtlicher Umstände ergeben und darf sich nicht nur auf einzelne Mängel des Systems beziehen. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass der italienische Staat mit Unterstützung von European Asylum Support Office der Europäischen Union (EASO) geeignete Maßnahmen ergriffen hat, um die Aufnahmekapazitäten stetig zu erhöhen und aktiv darum bemüht ist, diese auch weiterhin zu verbessern (vgl. EASO Special Support Plan to Italy, 11.3.2015). Dies gilt umso mehr als die Anzahl der in Italien ankommenden Asylbewerber seit Beginn des Jahres 2018 stark rückläufig ist sowie im Hinblick auf die Neustrukturierung der Unterbringung durch das Salvini-Dekret.
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Auf der Basis der vorstehenden Ausführungen schließt sich das Gericht unter Auswertung neuerer Erkenntnismittel und unter Berücksichtigung des klägerischen Vortrags in Übereinstimmung mit der obergerichtlichen Rechtsprechung der Einschätzung zahlreicher anderer Verwaltungsgerichte an, dass Italien grundsätzlich über ausreichende Unterbringungskapazitäten sowie ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes und richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren verfügt, das trotz bestehender Mängel noch als funktionsfähig betrachtet werden kann (vgl. VG Düsseldorf, B.v. 18.1.2017 - 12 L 3754/16.A - juris; VG Augsburg, B.v. 1.3.2018 - Au 5 S 18.50329 - juris; VG München, B.v. 6.6.2018 - M 11 S 18.51151 - Beck RS 2018, 15962; B.v. 9.8.2018 - M 26 S 18.52225, BeckRS 2018, 19472; VG Ansbach, U.v. 1.8.2018 - AN 14 K 17.50567 - juris; VG Karlsruhe, U.v. 22.3.2018 - A 5 K 15921/17 - BeckRS 2018, 7260; OVG Lüneburg, B.v. 13.6.2018 - 10 LB 204/18, BeckRS 2018, 22826; B.v. 2.7.2018 - 10 LB 249/18, BeckRS 2018, 24922; BayVGH, U.v. 18.2.2014 - 13a B 13.30295 - juris; OVG Münster, U.v. 22.9.2016 - 13 A 2448/15.A - juris).
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Diese Auffassung vertritt auch der EGMR, der in seiner Tarakhel-Entscheidung vom 4. November 2014 ausgeführt hat, dass zwar nicht ausgeschlossen werden könne, dass ein Asylbewerber im Einzelfall keine Unterkunft finde oder in überbelegten Einrichtungen auf engstem Raum oder in gesundheitsschädlichen oder gewalttätigen Verhältnissen untergebracht sei, die allgemeine Situation der Asylbewerber in Italien aber nicht mit der Griechenlands vergleichbar sei und keine systemischen Mängel vorlägen (EGMR, Tarakhel ./.Schweiz, Nr. 29217/12 - NVwZ 2015, 127, Rn. 114 ff.).
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cc) Der Kläger gehört als - im Falle der Überstellung nach Italien - alleinstehender junger Mann ohne gravierende gesundheitliche Beeinträchtigungen auch nicht zu einem besonders schutzbedürftigen Personenkreis im Sinne des Art. 21 der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rats vom 26. Juni 2013 (sog. Aufnahmerichtlinie), dessen Belangen im Einzelfall besonders Rechnung getragen werden müsste und für den unter Umständen eine individuelle Garantie von den italienischen Behörden eingeholt werden müsste, dass eine Unterbringung in Einrichtungen und unter Bedingungen erfolgt, die der Schutzbedürftigkeit angemessen sind (vgl. Rn. 120, 122 der zitierten EGMR-Entscheidung). Vielmehr hat der EGMR in späteren Entscheidungen für den Fall eines alleinstehenden Manns gerade keine Grundlage für einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK gesehen (vgl. OVG NRW, U.v. 7.7.2016 - 13 A 2132/15.A - BeckRS 2016, 51044, Rn. 79 mit Verweis auf EGMR, U.v. 13.1.2015 - 51428/20, A.M.E. ./. Niederlande; U.v. 30.6.2015 - 39350/13, A.S. ./. Schweiz).
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d) Des Weiteren liegen auch keine außergewöhnlichen Umstände vor, die zu einer Pflicht der Beklagten zum Selbsteintritt bzw. zu Ermessensfehlern bei der Entscheidung über die Nichtausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO führen. Die Ausübung des Selbsteintrittsrechts steht grundsätzlich im Ermessen der Mitgliedstaaten (sog. Ermessensklausel, vgl. EuGH, U.v. 16.2.2017 - C.K., C-578/16 PPU - juris Rn. 88; U.v. 30.5.2013 - Halaf, C-528/11 - juris Rn. 35 ff.). Zwar kann sich nach der Rechtsprechung des EGMR ein Mitgliedstaat, wie bereits ausgeführt, seiner Verantwortlichkeit für eine Grundrechtsverletzung infolge der Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat nicht unter Verweis auf dessen Zuständigkeit entziehen, wenn er die Befugnis zum Selbsteintritt - hier nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO - besitzt, von dieser Möglichkeit aber trotz der ernsthaften Gefahr einer Grundrechtsverletzung keinen Gebrauch macht (EGMR, U.v. 21.1.2011 - M.S.S., 30696/09, NVwZ 2011, 413 Rn. 340 m.V.a. U.v. 30.6.2005 - Bosphorus, Nr. 45036/98 - NJW 2006, 197). Eine Pflicht zum Selbsteintritt kann aber nur dann angenommen werden, wenn sich das dem Mitgliedstaat eingeräumte Ermessen derart verdichtet hat, dass jede andere Entscheidung unvertretbar wäre (sog. Ermessensreduktion auf Null), weil außergewöhnliche humanitäre, familiäre oder krankheitsbedingte Gründe vorliegen, die nach Maßgabe der Werteordnung der Grundrechte einen Selbsteintritt erfordern (vgl. BayVGH, U.v. 3.12.2015 - 13a B 15.50124 - juris Rn. 22 ff.; VG München, GB v. 29.2.2016 - M 12 K 15.50784 - juris Rn. 43 f.; einschränkend aber EuGH, U.v. 16.2.2017 - C.K., C-578/16 PPU - juris Rn. 88). Derartige Gründe liegen hier nicht vor, insbesondere führt der Umstand, dass der Kläger nach seinem Vortrag in Italien Geldschulden hat, nicht zur ernsthaften Gefahr einer Grundrechtsverletzung durch seine Überstellung. Vielmehr handelt es sich um eine Privatangelegenheit des Klägers.
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2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung zielstaatsbezogenen Abschiebungsschutzes hinsichtlich Italiens gemäß § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG.
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a) Zum einen droht dem Kläger unter den oben genannten Voraussetzungen nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK, welche zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG führen würde. Ein Unterschied des Niveaus der Sozialleistungen in einem Mitgliedstaat im Vergleich zu einem anderen Mitgliedstaat begründet kein solches Überstellungshindernis. Ausschlaggebend ist vielmehr, ob die Gleichgültigkeit der Behörden des zuständigen Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person wie der Kläger sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubten, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einem Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre. Eine große Armut oder starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse erreichen diese Schwelle nicht, wenn sie nicht mit extremer materieller Not verbunden sind, aufgrund deren diese Person sich in einer solche schwerwiegenden Situation befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann. Eine derartige Situation erwartet den Kläger nach den obigen Ausführungen in Italien nicht, sodass im Falle seiner Überstellung nach Italien auch im konkreten Einzelfall nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Verstoß gegen das Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung nach Art. 3 EMRK droht, welcher zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG führen müsste.
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b) Zum anderen liegt auch kein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor. Gegen etwaige Übergriffe von Privatpersonen wegen seiner Geldschulden kann der Kläger in Italien polizeilichen Schutz in Anspruch nehmen. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass die italienische Polizei nicht bereit oder in der Lage wäre, ihm erforderlichenfalls Schutz zu gewähren.
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Des Weiteren führt die derzeitige COVID-19 (sog. Corona-)Pandemie, ausgelöst durch das SARS-CoV-2-Virus, in Italien nicht zur Feststellung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbotes in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 AufenthG. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG sind Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein und in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird.
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Mangels einer derartigen Abschiebestopp-Anordnung stellt die derzeitige Corona-Pandemie in Italien allenfalls eine allgemeine Gefahr dar, die aufgrund der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG grundsätzlich nicht rechtfertigen kann. Diese Sperrwirkung kann nur im Wege einer verfassungskonformen Auslegung eingeschränkt werden, wenn für den Schutzsuchenden ansonsten eine verfassungswidrige Schutzlücke besteht (vgl. BVerwG, U.v. 24.6.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 32 m.w.N.). Im Hinblick auf die Gefahr, dass der Kläger sich in Italien mit dem SARS-CoV-2-Virus infiziert, bzw. auf dort wegen der Krise herrschende Einschränkungen des Wirtschaftslebens und die daraus resultierende Versorgungslage, kann er Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, dem Kläger trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab. Die drohenden Gefahren müssen nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Die Gefahren müssen dem Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Nach diesem hohen Wahrscheinlichkeitsgrad muss eine Abschiebung dann ausgesetzt werden, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“ (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2001 - 1 C 5.01 - BVerwGE 115, 1 m.w.N. = juris). Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage den baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. BVerwG, U.v. 29.9.2011 - 10 C 24.10 - BVerwGE 137, 226 = juris).
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Eine derartige Extremgefahr kann für den Kläger im Falle seiner Rückkehr nach Italien nicht angenommen werden. Es ist zum einen nicht ersichtlich, dass der Kläger als relativ junger Mann ohne bekannte Vorerkrankungen in Italien gleichsam sehenden Auges dem Tod oder schwersten Gesundheitsschäden ausgeliefert wäre. Selbst bei Zugrundlegen des derzeit in Italien bestehenden hohen Ansteckungsrisikos (vgl. Gesundheitsdienst des Auswärtigen Amtes, COVID-19, Informationen für Beschäftigte und Reisende, Stand 23.3.2020, S. 7, https://www.auswaertiges-amt.de/blob/2294930/ 0dfefacecb921344665d8abdeb9c3ec6/ncov-data.pdf, abgerufen am 24.3.2020) besteht nach dem oben genannten Maßstab keine hohe Wahrscheinlichkeit eines schweren oder tödlichen Verlaufs der Erkrankung für die Personengruppe, welcher der Kläger angehört. Nach den bisherigen Erkenntnissen zu COVID-19 (vgl. z.B. Gesundheitsdienst des Auswärtigen Amtes, a.a.O., S. 3) kommt es bei 80% der Erkrankten zu einem milden bis moderaten Verlauf, knapp 14% entwickeln eine schwere Erkrankung und über 6% sind in einem kritischen Zustand. Das größte Risiko für einen schweren Verlauf besteht bei Personen im Alter von über 60 Jahren und Personen mit Vorerkrankungen (vgl. Gesundheitsdienst des Auswärtigen Amtes, a.a.O., S. 3; WHO, Coronavirus, Stand 24.3.2020, https://www.who.int/health-topics/coronavirus#tab=tab_1; Robert-Koch-Institut, Steckbrief zur Coronavirus-Krankheit-2019 [COVID-19], Stand 23.3.2020, https://www.rki.de/ DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_ Coronavirus/Steckbrief.html; alle abgerufen am 24.3.2020). Bei Kindern sind Erkrankungen seltener und verlaufen in der Regel mild. Hauptsächlich betroffen sind in über 85% der Fälle Menschen zwischen 30 und 79 Jahren (vgl. Gesundheitsdienst des Auswärtigen Amtes, a.a.O., S. 3 unter Verweis auf chinesische Angaben; Robert-Koch-Institut a.a.O.). Des Weiteren ist die Versorgungslage für die Bevölkerung in Italien auch unter Berücksichtigung gewisser Einschränkungen nicht derart desolat, dass auch nur annähernd von einer allgemeinen Gefahrenlage im Sinne des § 60a Abs. 1 AufenthG gesprochen werden könnte. Insbesondere bleiben Lebensmittelgeschäfte, Supermärkte, Apotheken, Banken, Post und Behörden in Italien geöffnet; ebenso bleibt der Öffentliche Personennahverkehr aufrechterhalten (vgl. Auswärtiges Amt, Reise- und Sicherheitshinweise für Italien, Stand 24. März 2020, https://www.auswaertiges-amt.de/de /aussenpolitik/laender/italien-node/ italiensicherheit/211322, abgerufen am 24.3.2020). Die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln ist somit weiter sichergestellt. Es kann daher keine Rede davon sein, dass einem nach Italien überstellten Asylbewerber bzw. Schutzberechtigten der Hungertod oder schwerste Gesundheitsschäden infolge Mangelernährung drohten.
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3. Des Weiteren hat das Bundesamt auch zu Recht die Abschiebung des Klägers nach Italien angeordnet. Gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Dabei hat das Bundesamt sowohl zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote im Sinne des § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG als auch inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse im Sinne des § 60a Abs. 2 AufenthG zu prüfen. Dies gilt nicht nur hinsichtlich bei Erlass der Abschiebungsanordnung bereits vorliegender, sondern auch bei nachträglich auftretenden Abschiebungshindernissen und Duldungsgründen (st. Rspr., z.B. BayVGH, B.v. 26.7.2019 - 10 CE 19.1304 - juris Rn. 3; B.v. 12.3.2014 - 10 CE 14.427 - juris Rn. 4; B.v. 28.10.2013 - 10 CE 13.2257 - juris Rn. 4; VGH BW, B.v. 13.2.2019 - 11 S 401/19 - juris 8; jeweils m.w.N.). Dementsprechend führt das Vorliegen eines inlandsbezogenen Abschiebungshindernisses im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bzw. der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) zur Aufhebung der Abschiebungsanordnung durch das Verwaltungsgericht.
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Gemessen daran ist die Abschiebungsanordnung nach Italien rechtmäßig, weil dieser Staat zuständig ist (siehe dazu 1.) und weder zielstaatsbezogene (siehe dazu 2.) noch inlandsbezogene Abschiebungshindernisse gegeben sind. Der Umstand, dass in Italien derzeit ein Ausnahmezustand infolge der massenhaften Verbreitung des COVID-19-Virus mit einer hohen Zahl Erkrankter und auch Todesopfern besteht, sowie dass die Beklagte derzeit keine Überstellungen in andere Mitgliedstaaten vornimmt, führt nicht zur tatsächlichen Unmöglichkeit der Abschiebung und damit zur Rechtswidrigkeit der Abschiebungsanordnung. Nach den Reise- und Sicherheitshinweisen des Auswärtigen Amtes für Italien, Stand 24. März 2020 (https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/italien-node/ italiensicherheit/211322, zuletzt abgerufen am 24.3.2020), sind italienische Flughäfen, Häfen und Bahnhöfe weiter in Betrieb. Auch wenn demnach auf der Grundlage der geltenden Notverordnung der Bahnverkehr zwischen Italien und Österreich eingestellt wurde und der Transit durch Österreich daher nur über bestimmte Grenzübergänge per Pkw und Bus ohne Zwischenstopp in Österreich erfolgen kann, so ist doch eine Abschiebung nach Italien von Deutschland aus möglich. Grenzschließungen sind nicht beabsichtigt (vgl. Auswärtiges Amt a.a.O.).
53
Die Beklagte kann aber aus sachlichen Gründen, um vorübergehenden Vollzugsschwierigkeiten Rechnung zu tragen und einem Ablauf der Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO zu begegnen, gemäß § 80 Abs. 4 VwGO die Vollziehung der Abschiebungsanordnung aussetzen (vgl. BVerwG, U.v. 8.1.2019 - 1 C 16.18 - juris; vgl. auch § 80b Abs. 1 VwGO).
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4. Schließlich hat der Kläger auch keinen Anspruch auf Verkürzung der Frist des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes bzw. auf erneute ermessensfehlerfreie Entscheidung insoweit. Die von der Beklagten nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG gesetzte Frist von sechs Monaten ab dem Tag der Abschiebung ist nicht zu beanstanden. Persönliche Bindungen des Klägers im Bundesgebiet, welche zur Ermessensfehlerhaftigkeit der Fristsetzung oder gar zu einer Ermessensreduzierung auf Null führten (§ 114 Satz 1 VwGO), sind weder vom Kläger vorgetragen worden noch anderweitig ersichtlich.
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5. Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83b AsylG).