Inhalt

VG Bayreuth, Urteil v. 14.12.2020 – B 3 K 20.30219
Titel:

Antrag auf internationalen Schutz nach Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Griechenland

Normenketten:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2
Asylverfahrens-RL Art. 33 Abs. 2 lit. a
Leitsatz:
Es ist auszugehen, dass zurückkehrenden anerkannt Schutzberechtigten in Griechenland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Obdachlosigkeit droht. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Internationaler Schutz in Griechenland, Unzulässiger Asylantrag, Lebensbedingungen in Griechenland, unzulässiger Asylantrag, internationaler Schutz in Griechenland, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens, Obdachlosigkeit, Sozialleistungen, medizinische Versorgung, RL 2013/32/EU
Fundstelle:
BeckRS 2020, 40888

Tenor

1.    Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 13.02.2020 wird aufgehoben.
2.    Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3.    Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.     
Die Beklagte darf die Vollstreckung durch den Kläger durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 v.H. des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrages leistet. 

Tatbestand

1
Der Kläger ist syrischer Staatsangehöriger und reiste nach seinen Angaben am 19.12.2019 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Er stellte am 09.01.2020 einen Asylantrag.
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Bei seiner Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrages am 10.02.2020 bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) gab der Kläger im Wesentlichen an, er sei im Juli 2017 nach Griechenland eingereist, er sei in Griechenland auch anerkannt worden. Er habe Griechenland verlassen, weil es dort keine Arbeit gegeben habe oder die Möglichkeit, eine Ausbildung oder ein Studium zu absolvieren. In Deutschland herrsche Sicherheit. Seine Geschwister seien krank, weshalb die Familie nach Deutschland gekommen sei.
3
Am 11.02.2020 richtete das Bundesamt ein Aufnahmegesuch nach der Dublin III-VO an die griechischen Behörden. Diese antworteten mit Schreiben vom 13.02.2020. Darin wird ausgeführt, dass das Aufnahmegesuch nicht akzeptiert werden könne. Dem Kläger sei am 05.02.2019 die Flüchtlingseigenschaft in Griechenland zuerkannt worden.
4
Mit Bescheid vom 13.02.2020, der als Einschreiben am 14.02.2020 zur Post gegeben wurde, lehnte die Beklagte den Antrag als unzulässig ab (Nr. 1) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2). Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen, andernfalls werde er nach Griechenland abgeschoben. Er dürfe nicht nach Syrien abgeschoben werden (Nr. 3) das Einreise- und Aufenthaltsverbot gem. § 11 Abs. 1 AufenthG wurde angeordnet und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4). Die Vollziehung der Abschiebungsandrohung wurde ausgesetzt (Nr. 5).
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Zur Begründung wird ausgeführt, dass der Kläger in Griechenland bereits internationalen Schutz erhalten habe, sodass sein Asylantrag nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG unzulässig sei. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder § 60 Abs. 7 AufenthG lägen nicht vor. Die humanitären Bedingungen in Griechenland verstießen nicht gegen Art. 3 EMRK. Auf die weitere Begründung wird Bezug genommen.
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Mit Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 27.02.2020 ließ der Kläger Klage erheben mit dem Antrag:
I. Der Bescheid der Beklagten vom 13.02.2020, zugestellt am 18.02.2020, wird aufgehoben.
II. Hilfsweise wird festgestellt, dass bei dem Kläger Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
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Zur Begründung wird ausgeführt, der Bescheid sei rechtswidrig und verletze den Kläger in seinen Rechten. Eine Abschiebung nach Griechenland sei unmöglich bzw. unzumutbar, da die dortigen Lebensbedingungen für anerkannte Asylbewerber eine unmenschliche Behandlung darstellten. Dem Kläger drohe im Falle einer Abschiebung nach Griechenland eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK. Griechenland sei nicht in der Lage, Flüchtlingen, egal ob anerkannt oder nicht, eine menschenrechtswürdige Existenz zu garantieren. Es fehle eine Erklärung Griechenlands, dem Kläger zumindest in der ersten Zeit nach seiner Rückkehr Zugang zu Obdach, Nahrungsmitteln und sanitären Einrichtungen sowie notwendigen Integrationsmaßnahmen zu gewähren. Die Erklärung vom 08.01.2018, dass den Schutzberechtigten in Griechenland alle Rechte gem. der Qualifikationsrichtlinie auch unter Berücksichtigung des Art. 3 EMRK gewährt würden, sei nicht ausreichend. Ohne eine konkret individuelle Zusicherung seitens Griechenlands drohe dem Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche und entwürdigende Behandlung. Der Bescheid sei bereits aus diesen Gründen aufzuheben. Es sei jedenfalls ein Abschiebungsverbot hinsichtlich Griechenlands festzustellen.
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Die Beklagte beantragte mit Schreiben vom 02.03.2020,
die Klage abzuweisen.
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Mit Beschluss vom 18.11.2020 wurde der Rechtsstreit der Berichterstatterin zur Entscheidung als Einzelrichterin übertragen.
10
Wegen des Ablaufs der mündlichen Verhandlung wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird analog § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO auf den Inhalt der Gerichts- und der beigezogenen Behördenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage hat Erfolg.
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1. Die Klage ist zulässig.
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Insbesondere ist sie als Anfechtungsklage statthaft. Denn im Fall eines Bescheides, mit dem das Bundesamt einen Asylantrag - wie hier - nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abgelehnt hat, ist allein die Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO die statthafte Klageart. Eine gerichtliche Aufhebung der Unzulässigkeitsentscheidung hat zur Folge, dass das Bundesamt das Verfahren fortführen und eine erneute Sachentscheidung treffen muss (BVerwG, U. v. 21.11.2017 - 1 C 39.16 -, juris;)
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2. Die Klage ist auch begründet.
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Der Bescheid der Beklagten vom 13.02.2020 erweist sich im nach § 77 Abs. 1 S. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung im angefochtenen Umfang als rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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a. Die Entscheidung der Beklagten zu Ziffer 1 des angefochtenen Bescheides beruht auf § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG. Danach ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer - wie hier -- bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt hat. Der Ausschluss eines erneuten Asylverfahrens ist mit Europarecht vereinbar, Art. 33 Abs. 1 und 2 Buchst. a der RL 2013/32/EU (BVerwG, U.v. 17.6.2014 - 10 C 7.13 - juris). Jedoch ist es dem Mitgliedstaat hiernach verboten, von der Befugnis, den Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig abzulehnen, wenn die Lebensverhältnisse, die ihn in dem anderen Mitgliedstaat als Anerkannten erwarten würden, ihn der ernsthaften Gefahr aussetzen würden, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union - GR-Charta - zu erfahren (EuGH, B.v. 13.11.2019 - C-540/17 und C-541/17 - NVwZ 2020, 137-139). Nach Art. 52 Abs. 3 GR-Charta ist dabei auch die zu Art. 3 EMRK ergangene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu berücksichtigen. Dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens im Unionsrecht folgend, ist regelmäßig davon auszugehen, dass die Mietgliedstaaten die grundlegenden Werte der Union, wie sie insbesondere in Art. 4 GR-Charta zum Ausdruck kommen, anerkennen, das sie umsetzende Unionsrecht beachten und auf Ebene des nationalen Rechts einen wirksamen Schutz der in der GR-Charta anerkannten Grundrechte gewährleisten. Dieser Grundsatz gilt auch im Rahmen des europäischen Asylsystems und gerade auch bei der Anwendung von Art. 33 Abs. 2 Buchst. a RL 2013/32/EU (EuGH, U.v. 19.3.2019 - Jawo, C-163/17 - juris Rn. 80 ff.; EuGH, U.v. 19.3.2019 - Ibrahim, C-297/17 u.a. -- juris Rn. 83 ff.; s.a. Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, Art. 4 GR-Charta Rn. 3). Der genannte Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens gilt jedoch nicht absolut im Sinne einer unwiderlegbaren Vermutung, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das gemeinsame europäische Asylsystem in der Praxis auf große Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stößt. In diesem Fall kann ein ernsthaftes Risiko bestehen, dass Personen, die internationalen Schutz beantragen, bei einer Überstellung in diesem Mitgliedstaat rechtswidrig behandelt werden. Dies zu prüfen obliegt den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte (EuGH, U.v. 19.3.2019 - Jawo, C-163/17 - juris Rn. 83 ff.; EuGH, U.v. 19.3.2019 - Ibrahim, C-297/17 u.a. - juris Rn. 86 ff.).
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Derartige Funktionsstörungen führen erst dann zum Ausschluss den Asylantrag als unzulässig abzulehnen, wenn sie eine besonders hohe Schwelle an Erheblichkeit erreichen und den Antragsteller tatsächlich einer ernsthaften Gefahr aussetzen, im Zielland eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erfahren, was von sämtlichen Umständen des Einzelfalles abhängt (EuGH, B.v. 13.11.2019 - Hamed, Omar, C-540/17, C-541/17 - NVwZ 2020, 137 Rn. 36; EuGH, U.v. 19.3.2019 - Ibrahim, C -297/17 u.a. - juris Rn. 89). Hierfür ist weder der bloße Umstand ausreichend, dass die Lebensverhältnisse im Rückführungsstaat nicht den Bestimmungen des Kapitels VII der RL 2011/95/EU (Qualifikations-RL) entsprechen (EuGH, B.v. 13.11.2019 - Hamed, Omar, C-540/17, C-541/17 - NVwZ 2020, 137 Rn. 36), noch ist das Fehlen familiärer Solidarität in einem Staat in Vergleich zu einem anderen, eine ausreichende Grundlage für die Feststellung extremer materieller Not. Gleiches gilt für Mängel bei der Durchführung von Integrationsprogrammen (EuGH, U.v. 19.3.2019 - Jawo, C-163/17 - juris Rn. 94, 96). Daher kann auch der Umstand, dass international Schutzberechtigte in dem Mitgliedsstaat, der sie anerkannt hat, keine oder im Vergleich zu anderen Mitgliedsstaaten nur in deutlich reduziertem Umfang existenzsichernde Leistungen erhalten, ohne dabei anders als die Angehörigen dieses Mitgliedsstaats behandelt zu werden, nur dann zur Feststellung der Gefahr einer Verletzung des Standards des Art. 4 GR-Charta führen, wenn die Schutzberechtigten sich aufgrund ihrer besonderen Verletzbarkeit unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not im oben genannten Sinne befänden. Dafür genügt nicht, dass in dem Mitgliedsstaat, in dem ein neuer Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, höhere Sozialleistungen gewährt werden oder die Lebensverhältnisse besser sind als in dem Mitgliedsstaat, der bereits internationalen Schutz gewährt hat (EuGH, U.v. 19.3.2019 - Ibrahim, C-297/17 u.a. - juris Rn. 93 f.; EuGH, U.v. 19.3.2019 - Jawo, C-163/17 - juris Rn. 97).
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Die Schwelle ist jedoch dann erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedsstaates zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befindet, die es ihr nicht erlaubt, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigt oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzt, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (EuGH, B.v. 13.11.2019 - Hamed, Omar, C-540/17, C-541/17 - NVwZ 2020, 137 Rn. 39; EuGH, U.v. 19.3.2019 - Ibrahim, C-297/17 u.a. - juris Rn. 90). Plakativ formuliert kommt es darauf an, ob der Anerkannte bei zumutbarer Eigeninitiative in der Lage wäre, an „Bett, Brot und Seife“ zu gelangen (VGH BW, B.v. 27.5.2019 - A 4 S 1329/19 - juris Rn. 5). Angesichts dieser strengen Anforderungen überschreitet selbst eine durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichnete Situation nicht die genannte Schwelle, wenn diese nicht mit extremer materieller Not einhergeht, die einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann (EuGH, B.v. 13.11.2019 - Hamed, Omar, C-540/17, C-541/17 - NVwZ 2020, 137 Rn. 39; EuGH, U.v. 19.3.2019 - Ibrahim, C-297/17 u.a. - juris Rn. 91). Für die zu treffende Prognoseentscheidung, ob dem Schutzberechtigten eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 4 GR-Charta droht, ist eine tatsächliche Gefahr („real risk“) des Eintritts der maßgeblichen Umstände erforderlich, d.h. es muss eine ausreichend reale, nicht nur auf bloße Spekulationen gegründete Gefahr bestehen. Es gilt der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Maßgeblicher Entscheidungszeitpunkt ist der Zeitpunkt der letzten mündliche Verhandlung bzw. der Entscheidung selbst, § 77 AsylG. Daher kann auch nur begrenzt berücksichtigt werden, inwiefern es dem Kläger gelungen ist, bisher in Griechenland, nicht zu verelenden bzw. ob er sich in eine etwaige Gefahr der Verelendung durch seine Weiterreise in Europa selbst begeben hat (vgl. ausführlich VG Aachen U.v. 20.7.2020 - 10 K 1678/19.A - juris Rn. 170 ff., m.w.N.).
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Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe droht dem Kläger als in Griechenland anerkannt Schutzberechtigter bei einer Rückkehr nach Griechenland zur Überzeugung des erkennenden Gerichts mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die ernsthafte Gefahr einer gegen Art. 4 GR-Charta verstoßenden unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung.
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Das Gericht geht auf der Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel zu den Lebensbedingungen rückgeführter anerkannt Schutzberechtigter insoweit von Folgendem aus:
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Die Rückführung eines Schutzstatusinhabers erfolgt regelmäßig auf das griechische Festland, und zwar über die Flughäfen von Athen oder Thessaloniki. Bei Ankunft werden dem rückgeführten Schutzberechtigten am Flughafen Informationen zur nächsten Ausländerbehörde gegeben, um dort ggf. seinen Aufenthaltstitel verlängern zu lassen, und es wird ihm mitgeteilt, dass er sich beim Bürgerservice-Center (Kentro Exipiretisis Politon - KEP) melden soll. Zu weitergehenden Maßnahmen des griechischen Staates kommt es bei der Umsetzung einer Rückführung nicht (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft vom 4.12 2019 an das VG Berlin, S. 2 f.).
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International Schutzberechtigte sind in Griechenland Inländern rechtlich gleichgestellt. Sie haben unter den gleichen rechtlichen Voraussetzungen wie Inländer Zugang zu Arbeitsmarkt, Wohnungen und medizinischer Versorgung (vgl. Aida Country Report Greece, 2019 Update, Seiten 217 ff.; Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Griechenland, Gesamtaktualisierung am 04.10.2019, letzte Information eingefügt am 19.03.2020, Seiten, 28-31). Dennoch sind sie im Vergleich zu Inländern in besonderen Maß sowohl von tatsächlichen als auch bürokratischen Hindernissen betroffen, sodass die Gefahr der Verelendung besteht. Dies gilt zumindest für solche Personen, die wie der Kläger nicht von Unterstützungsprogrammen profitieren und auch sonst mit keiner Unterstützung rechnen können.
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Der Zugang zum griechischen Arbeitsmarkt ist für international Schutzberechtigte zwar gleichermaßen wie für Inländer gegeben, die Chancen auf Vermittlung eines Arbeitsplatzes sind jedoch im Vergleich zu Inländern besonders gering, da die staatliche Arbeitsverwaltung schon für die griechischen Staatsangehörigen kaum Ressourcen für eine aktive Arbeitsvermittlung hat. Zudem haben sich die allgemeinen Arbeitsmarktbedingungen durch die andauernde Wirtschafts- und Finanzkrise verschlechtert (BFA a.a.O., S. 31). Zuverlässige Zahlen zur Beschäftigungssituation anerkannt Schutzberechtigter sind nicht vorhanden. Der Zugang zu den für die Arbeitsaufnahme notwendigen Voraussetzungen (Steueridentifikationsnummer und Bankkonto) ist grundsätzlich möglich, jedoch erschwert: Im Juli 2019 verfügten über 50% der anerkannt Schutzberechtigten mit Steueridentifikationsnummer ausgestattet, neuere Zahlen sind nicht vorhanden (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 8, AIDA Country Report Greece, 2019 Update, S. 220 f.). Rechtmäßig ansässige Drittstaatsangehörige sind, wenn sie überhaupt Arbeit finden, meist im niedrigqualifizierten Bereich und in hochprekären Beschäftigungsverhältnissen oder gleich in der Schattenwirtschaft tätig (Konrad Adenauer Stiftung, Integrationspolitik in Griechenland, Stand Juli 2018, S. 9). Weiterhin macht die Sprachbarriere eine Integration im Arbeitsmarkt schwierig (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 7; Aida Country Report Greece, 2019 Update, S.219 f.). Eine spezielle Förderung zur Arbeitsmarktintegration anerkannt Schutzberechtigter inklusive Sprachkursen findet derzeit nicht bzw. nur äußerst eingeschränkt statt (Pro Asyl, Update Stellungnahme Lebensbedingungen international Schutzberechtigter in Griechenland, Stand 30.8.2018, S. 10; Aida Country Report Greece, 2019 Update, S.219). Vereinzelt haben NGOs bzw. kirchliche Institutionen Initiativen zur Arbeitsvermittlung gestartet, etwa der Arbeiter-Samariter-Bund und die Diakonie. Für gut ausgebildete Schutzberechtigte besteht im Einzelfall auch die Chance auf Anstellung bei einer solchen Organisation, etwa als Dolmetscher oder Team-Mitarbeiter (für alles Vorstehende: Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 7; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Bayreuth vom 28.08.2020 S.2; BFA a.a.O., S. 31). Dafür, dass der Kläger zu einer Gruppe gehört, die nach den genannten Kriterien einfacher Arbeit finden könnte, ist nichts ersichtlich. Es ist also anzunehmen, dass der Kläger in Griechenland faktisch größte Probleme haben wird Arbeit zu finden und so seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Die Ausführungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung zu den Möglichkeiten eine Arbeitsstelle zu finden, decken sich mit den obigen Ausführungen.
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Entsprechendes gilt für das Finden einer Unterkunft. Wohnraum ist sowohl für Inländer als auch anerkannte Schutzberechtigte grundsätzlich auf dem freien Wohnungsmarkt zu beschaffen. Es gibt keine allgemeinen staatlichen Programme zur Unterbringung von Menschen (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig 28.01.2020). Das private Anmieten von Wohnraum für bzw. durch anerkannt Schutzberechtigte wird durch das traditionell bevorzugte Vermieten an Familienmitglieder, Bekannte und Studenten, sowie gelegentlich durch Vorurteile erschwert. Personen, die keine Unterkunft haben und nicht das Geld besitzen, eine zu mieten, leben oft in überfüllten Wohnungen, verlassenen Häusern ohne Zugang zu Strom oder Wasser oder werden obdachlos. Schutzberechtigte haben Zugang zu Unterbringungseinrichtungen für Obdachlose, die jedoch nur begrenzt vorhanden sind (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Bayreuth vom 28.08.2020 S.1; BFA a.a.O, S.30; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig 28.01.2020; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin 04.12.2019; AIDA Country Report Greece 2019, S.217 f.) Das System der Sozialhilfe ist zudem insgesamt noch im Aufbau. Traditionell ist die Wohnungseigentumsquote in Griechenland sehr hoch, sodass eine etwaige Beihilfe als Beihilfe zu Wohnnebenkosten und zur Verhinderung von Zwangsversteigerungen für Eigentümer konzipiert ist (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Chemnitz 01.02.2019), dies kann anerkannt Schutzberechtigten bei der Finanzierung von Wohnraum nur begrenzt weiterhelfen, da sie in aller Regel kein Eigentum an Wohnraum haben. Das zum 01.01.2019 neu eingeführte soziale Wohngeld greift zudem nur bei legalem Voraufenthalt von mindestens fünf Jahren in Griechenland. Im Falle international Schutzberechtigter wird die Aufenthaltsdauer ab Asylantragstellung angerechnet (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Bayreuth vom 28.08.2020). Diese Zeiten des legalen Voraufenthalts kann der Kläger jedoch nicht nachweisen. Insofern besteht die beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger - neben Problemen beim Finden von Arbeit - in Griechenland auch keine Unterkunft finden und obdachlos sein wird.
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Dass Obdachlosigkeit unter Flüchtlingen in Athen nach Wahrnehmung des Auswärtigen Amtes dennoch (bislang) kein augenscheinliches Massenphänomen darstellt, mag zwar auch darauf zurückzuführen sein, dass Flüchtlinge, denen die Unterbringungsmöglichkeiten für Asylsuchende nicht (mehr) zur Verfügung stehen, teilweise „auf die Bildung von eigenen Strukturen und Vernetzung innerhalb der jeweiligen Landsmannschaft“ und hierdurch gebotene „informelle Möglichkeiten“ der Unterkunft (etwa in illegal besetzten Gebäuden, wie z. B. ehemaligen Schulen, Hotels oder Krankenhäusern) zurückgreifen (vgl. hierzu Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 3; vgl. insoweit auch VG Cottbus, B.v. 10.02.2020 - 5 L 581/18.A -, juris, Rn. 33 ff.). Solch „Informelle Möglichkeiten“ der Unterkunft in verlassenen bzw. besetzten Gebäuden sind allerdings nicht nur illegal, weswegen (nicht nur) rückgeführte anerkannt Schutzberechtigte hierauf nicht verwiesen werden können. (Vgl. hierzu etwa VG Aachen U.v. 20.07.2020 - 10 K 1678/19.A - juris, Rn. 118 ff. m.w.N.) Die Unterkünfte weisen häufig zudem menschenunwürdige Zustände auf: es fehlt ein gesicherter Zugang zu sanitären Einrichtungen, Wasser und Strom. Die Bewohner der Unterkünfte sind außerdem zunehmend der Gefahr der Räumung der Gebäude ausgesetzt (Vgl. Pro Asyl, „Abschiebungen ins Nichts: Zur Situation von anerkannten Flüchtlingen in Griechenland“, Bericht vom 07.01.2019, Pro Asyl, Stellungnahme zu den Lebensbedingungen international Schutzberechtigter in Griechenland vom 23.06.2017, S. 3, 14 ff., 16 f., und Update vom 30.08.2018, S. 5). Daneben dürften fehlende Zahlen zu Obdachlosigkeit von anerkannt Schutzberechtigten auch darauf zurückzuführen sein, dass zum einen die große Zahl der Asylsuchenden unter den Flüchtlingen in aller Regel in staatlichen Aufnahmelagern oder Wohnungen des ESTIA - Programms untergebracht ist und dort nach der Anerkennung - wie aufgezeigt - bislang für eine Übergangszeit von sechs bis zwölf Monaten weiter „geduldet“ wurde (seit März 2020 offenbar nur noch für 30 Tage, vgl. UNHCR, Greece must ensure safety net and integration opportunities for refugees - UNHCR Briefing Notes 02.06.2020), und dass zum anderen die hier zu betrachtende Gruppe der rückgeführten anerkannt Schutzberechtigten, die dadurch, dass sie Griechenland vorübergehend verlassen hatten, besonderen Integrationsschwierigkeiten ausgesetzt sind, bislang noch relativ klein ist. Denn die Zahl der Rückführungen nach Griechenland ist offenbar nach wie vor gering (Vgl. hierzu die Antwort der Bundesregierung vom 09.08.2019 auf die Kleine Anfrage u. a. der Fraktion DIE LINKE zu Abschiebungen und Ausreisen im ersten Halbjahr 2019, BT-Drucksache 19/12240, S. 3 (neben 7 Dublin-Überstellungen insgesamt 70 „Abschiebungen“ im 1. Halbjahr 2019); vgl. auch Auswärtiges Amt, Auskünfte vom 01.02.2019 an das VG Chemnitz, S. 5 („geringe Fallzahlen“) und vom 06.12.2018 an das VG Stade, S. 9 (34 Rückführungen aus Deutschland im Zeitraum Januar bis September 2018 nach Angaben des BMI)). Dadurch sind jedoch die wenigen veröffentlichten Fallschilderungen von rückgeführten anerkannt Schutzberechtigten, auch als hinreichend aussagekräftig zu bewerten.
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Der Zugang zu den ohnehin geringen staatlichen Sozialleistungen ist für anerkannt Schutzberechtigte ebenfalls erschwert und für den Kläger sogar ausgeschlossen. Für die Teilhabe am Sozialversicherungssystem gibt es folgende Hürden: Aufenthaltstitel, Nachweis des Wohnsitzes im Inland (z. B. elektronisch registrierter Mietvertrag, Gas-/Wasser-/Stromrechnungen auf den eigenen Namen oder Nachweis, dass man von einem griechischen Residenten beherbergt wird), Bankverbindung (ggf. später nachzureichen), Steuernummer (AFM), Sozialversicherungsnummer (AMKA), die o. g. Arbeitslosenkarte (OAED) und eine Kopie der Steuererklärung und Steuerprüfung (Ekkatharistiko) für das vorangegangene Jahr. Für Alleinerziehende zusätzlich eine Sterbeurkunde des anderen Elternteils oder ein Nachweis über dessen Inhaftierung. Für Schwerbehinderte zusätzlich eine Anerkennung des Behindertenstatus durch das Zentrum für die Anerkennung von Behinderungen (KE.P.A.). Für die Registrierung der Steuernummer und der Sozialversicherungsnummer sind jeweils der Nachweis des Wohnsitzes und ein gültiges Ausweisdokument erforderlich. Sofern Wohnsitz, Nachweis des Aufenthalts und Vorlage eines gültigen Ausweisdokuments vorgewiesen werden können, werden diese Dokumente anerkannt Schutzberechtigten ausgestellt. Die Bearbeitungsdauer bei administrativen Vorgängen ist oft sehr lang und erfordert häufig die persönliche Vorsprache und ggf. einen Rechtsbeistand, um Verfahrensfragen zu klären. NGOs unterstützen Asylbewerber und anerkannt Schutzberechtigte in diesen Vorgängen. Nach Angaben des UNHCR besaßen von den Ende Oktober 2018 im ESTIA-Programm untergebrachten 21.684 Personen (Asylsuchende und anerkannt Schutzberechtigte) 92% eine Sozialversicherungsnummer, 59% eine Steuernummer und 25% eine Arbeitslosenkarte. Nachdem eine Voraussetzung für den Bezug von staatlichen Sozialleistungen der Nachweis eines dauerhaften einjährigen Mindestaufenthalts im Inland durch die inländische Steuererklärung des Vorjahres ist, sind aus dem Ausland zurückkehrende anerkannt Schutzberechtigte wie der hiesige Kläger zunächst von einem Bezug ausgeschlossen (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Chemnitz 01.02.2019; vgl. auch BFA a.a.O. S.28 f.).
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Die medizinische Versorgung, die formell ebenso wie für Inländer erreichbar ist, ist gleichermaßen mit Hürden verbunden (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin 04.12.2019; AIDA Country Report Greece 2019 S. 222; BFA a.a.O. S. 29). Der tatsächliche Zugang zu medizinischer Versorgung ist in der Praxis durch einen erheblichen Ressourcen- und Kapazitätsmangel sowohl für Fremde als auch für die einheimische Bevölkerung erschwert. Der von verschiedenen Sparmaßnahmen stark betroffene öffentliche Gesundheitssektor steht unter enormem Druck und ist nicht in der Lage, den gesamten Bedarf an Gesundheitsleistungen weder für die einheimische Bevölkerung noch für Migranten zu decken. Ein weiteres Problem stellt die Ausstellung der Sozialversicherungsnummer (AMKA) dar. Zudem fallen Kosten für die ambulante Medikamentenversorgung an.
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Bekannte Hilfsprogramme für Asylsuchenden und anerkannt Schutzberechtigten ändern an der eben geschilderten prekären Situation nichts. Sie sind für den Kläger nicht erreichbar, da er die Voraussetzungen nicht erfüllt. Dies gilt sowohl für das HELIOS II Programm als auch für das ESTIA Programm.
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Das ESTIA Programm richtet sich nur an Asylbewerber und kann grundsätzlich von anerkannten Schutzberechtigten nicht in Anspruch genommen werden. Es kann allenfalls im Einzelfall dazu kommen, dass Personen, die von dem Programm profitiert hatten auch nach der Anerkennung als Schutzberechtigte für einen Übergangszeitraum weiter Leistungen erhalten. Für nach Griechenland zurückkehrende Personen wie den Kläger findet das Programm keine Anwendung (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig 28.01.2020; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Chemnitz 01.02.2019; BFA a.a.O.). Inzwischen gibt es zudem Hinweise, dass die Frist nach der Anerkennung, noch von dem Programm zu profitieren auf 30 Tage verkürzt wurde (UNHCR, Greece must ensure safety net and integration opportunities for refugees - UNHCR Briefing Notes 02.06.2020, Auskunft Auswärtiges Amt an das VG Magdeburg 26.11.2020, GZ 508-516.80/54257). Entsprechendes gilt für das sog. Cash-Card-Programm, das nur Begünstigte aus dem ESTIA Programm fördert (UNHCR Cash Assistance Update March 2020; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig 28.01.2020 S.2; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Potsdam vom 23.08.2019; BFA a.a.O. S.29).
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Auch Hilfen aus dem HELIOS II Programm sind für den Kläger nicht erreichbar. Neben einer Anerkennung als Flüchtling oder der Gewährung von subsidiärem Schutz nach dem 01.01.2018 ist außerdem Bedingung, dass man zum Zeitpunkt der Entscheidung des Asylverfahrens in einer offiziellen Flüchtlingsunterkunft (Open Accommodation Center), einem der Hotspot-Lager (Reception and Identification Center, RIC), einer der Unterkünfte des IOM FILOXENIA Projekts oder in einer Wohnung des ESTIA-Programms untergebracht und gemeldet sein muss. Das Helios-Programm soll dabei unterstützen, einen nahtlosen Übergang von einer griechischen Hilfsmaßnahme zu einer europäischen zu ermöglichen; an in Deutschland (oder im anderen Ausland) lebende Migranten richtet sich das Programm originär nicht (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Bayreuth 21.08.2020; AIDA Country Report Greece 2019 S. 219; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig 28.01.2020). Da der Kläger als anerkannt Schutzberechtigter nach Griechenland zurückkehren würde, steht ihm das HELIOS II Programm nicht zur Verfügung. Zwar steht offenbar IOM Griechenland mit dem zuständigen Migrationsministerium in Kontakt, was die Ausdehnung des Programmes auf anerkannte Schutzberechtigte, die sich in einem anderen EU-Mitgliedstaat aufgehalten haben, anbelangt (Auskunft Auswärtiges Amt an das VG Magdeburg 26.11.2020, GZ 508-516.80/54257). Eine verlässliche Auskunft dahingehend, dass auch dieser Personenkreis einbezogen wird, gibt es jedoch nicht. Zudem ist zu berücksichtigen, dass Helios (lediglich) zu den Miet- und Umzugskosten beiträgt. Der Leistungsempfänger muss jedoch eine Unterkunft gefunden haben und einen gültigen Mietvertrag und getätigte Mietzahlungen nachweisen können (Auskunft Auswärtiges Amt an das VG Magdeburg 26.11.2020, GZ 508-516.80/54257). Die besondere Schwierigkeit in Griechenland zeichnet sich jedoch dadurch aus, dass Anerkannte in der Praxis nicht die Möglichkeit haben, überhaupt eine Wohnung zu finden, die sie anmieten können.
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Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass zurückkehrenden anerkannt Schutzberechtigten mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Obdachlosigkeit droht.
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Soweit in einzelnen Gerichtsentscheidungen eine Verletzung von Art. 4 GR-Charta mit Blick auf die freiwillige Ausreise des Schutzstatusinhabers abgelehnt wurde, da sich diese ihres Unterkunfts- und Sozialleistungsanspruchs durch ihre Ausreise begeben haben, steht dies der Annahme einer Verletzung von Art. 4 GR-Charta nicht entgegen. Denn für die Frage, ob die Voraussetzungen des Art. 4 GR-Charta vorliegen, kommt es nicht auf ein etwaiges Verschulden der Betroffenen, sondern ausschließlich auf die nach objektiven Kriterien zu beurteilende Frage der menschenrechtlichen Zumutbarkeit an. Entscheidungserheblicher Zeitpunkt für die unionsrechtlich erforderlich gerichtliche Überprüfung ist gem. § 77 Abs. 1 AsylG der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung. Sofern dem Kläger zu diesem Zeitpunkt eine entsprechende Behandlung im Sinne einer extremen materiellen Not droht, sind die Voraussetzungen des Art. 4 GR-Charta damit erfüllt, ohne dass es auf den vorherigen Kausalverlauf ankäme.
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Eine andere Bewertung der Unterbringungssituation für anerkannt Schutzberechtigte ist nicht dadurch veranlasst, dass das griechische Ministerium für Migrationspolitik in einem Schreiben vom 08.01.2018 an die Beklagte erklärte, Griechenland habe die Anforderungen der RL 2011/95/EU umgesetzt, und darüber hinaus zusicherte, anerkannte international Schutzberechtigte würden Zugang insbesondere zu Beschäftigung und Bildung, zu notwendigen Sozialhilfeleistungen, zu einer medizinischen Versorgung sowie zu Wohnraum erhalten. Zwar ergeben sich keine Zweifel daran, dass die griechische Regierung ihr Handeln auf eine Verbesserung der Situation von Asylbewerbern und anerkannten international Schutzberechtigten auch in den gemeinsamen Projekten mit der Europäischen Union und dem UNHCR ausrichtet. Ihre Erklärung bezieht sich indes nur auf die allgemeine Einhaltung des Unionsrechts und lässt sich nicht als konkrete Zusicherung für die Zurverfügungstellung von Unterkunftsmöglichkeiten entsprechend bestimmter Kapazitäten verstehen. Damit wird letztlich nur auf die Selbstverständlichkeit hingewiesen, dass in Griechenland geltendes Recht zur Anwendung kommt (vgl. OVG NRW, B. v. 30.1.2020 - 11 A 2480/19.A - juris; BayVGH, B. v. 25.6.2019 - 20 ZB 19.31553 - juris¸ OVG Sachsen-Anhalt, B.v. 27.8.2020 - 3 L 128/20 - juris).
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Nach alledem ist die Unzulässigkeitsentscheidung gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG in Ziffer 1 des Bescheides vom 13.02.2020 rechtswidrig, verletzt den Kläger in seinen Rechten und ist damit aufzuheben.
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b. Die unter Ziffer 2 des Bescheides vom 13.02.2020 getroffene Feststellung, nach der Abschiebeverbote nach § 31 Abs. 3 S. 1 AsylG nicht vorliegen, kann damit keinen Bestand mehr haben. Denn wird die Unzulässigkeitsentscheidung auf die Anfechtungsklage hin aufgehoben, ist auch eine ergangene Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen, aufzuheben, da diese Entscheidung dann jedenfalls verfrüht ergangen ist (BVerwG, U. v. 14.12.2016 -1 C 4.16 - juris).
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c. Darüber hinaus ist zwangsläufig auch die in Ziffer 3 verfügte Abschiebungsandrohung und Ausreisefristbestimmung rechtswidrig und aufzuheben, soweit sie sich auf die Abschiebung nach Griechenland bezieht.
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d. Gleichermaßen konnte das in Ziffer 4 angeordnete Einreise- und Aufenthaltsverbot und dessen Befristung nach § 11 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG keinen Bestand haben, weil mit der Aufhebung der Abschiebungsandrohung auch die Voraussetzungen für die Entscheidung über die Anordnung und Befristung des Einreiseund Aufenthaltsverbots entfallen (vgl. § 75 Nr. 12 AufenthG). Ziffer 5 des Bescheides hat ebenfalls keinen Sinngehalt mehr.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.