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VG München, Beschluss v. 18.11.2020 – M 26b E 20.5438
Titel:

Unzulässiger Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz, hier: Immunitätsbescheinigung

Normenketten:
IfSG § 28
VwGO § 43 Abs. 1, § 123
GG Art. 2 Abs. 2 S. 1
Leitsätze:
1. Der Antrag festzustellen, dass der Freistaat Bayern verpflichtet ist, dem Antragsteller im Falle seiner Coronavirus-Genesung eine Immunitätsbescheinigung auszustellen, ist bereits unzulässig, da es an einem hinreichend konkreten Rechtsverhältnis zwischen den Beteiligten fehlt und völlig ungewiss ist, wann und ob die Bedingung der Feststellung überhaupt eintritt. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Antrag auf Prüfung, ob der Freistaat Bayern zu verpflichten ist, Covid-19-immunen Personen unabhängig vom allgemeinen Infektionsgeschehen den Besuch von Sportveranstaltungen, wie Fußballspielen der Bundesliga, per genereller oder individueller Regelung zu erlauben, ist ebenfalls unzulässig, da ein bloßer gerichtlicher „Prüfauftrag“ nicht Gegenstand einer einstweiligen Anordnung sein kann. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Anspruch eines Bürgers auf ein bestimmtes Einschreiten der Exekutive kann ausschließlich dann bestehen, wenn es sich hierbei um die einzige denkbare ermessensfehlerfreie Entscheidung handeln würde, mithin eine Situation einer Ermessensreduzierung auf Null gegeben ist; ein "ergänzendes" effizienteres Handeln gegen die Pandemie kann nicht mit Erfolg im einstweiligen Verfahen geltend gemacht werden. (Rn. 17) (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Corona, Unzulässiger Antrag, Immunitätsbescheinigung, einstweiliger Rechtsschutz, Rechtsschutzbedürfnis, Feststellungsinteresse, Besuch von Sportveranstaltungen, unzulässiger Antrag, Ermessensreduzierung auf Null, Prüfauftrag, Fußballspiele der Bundesliga
Rechtsmittelinstanzen:
VGH München, Beschluss vom 16.03.2021 – 20 CE 20.2940
VGH München, Beschluss vom 17.03.2021 – 20 CE 20.2940
Fundstelle:
BeckRS 2020, 31865

Tenor

I. Die Anträge werden abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt vom Antragsgegner verschiedene Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus.
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Er beantragte am 28. Oktober 2020 beim Bayerischen Verwaltungsgericht München einstweiligen Rechtsschutz.
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Zuletzt beantragt er (Schriftsatz vom 3. November 2020):
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1. Es wird festgestellt, dass der Antragsgegner verpflichtet ist, mir im Falle meiner Coronavirus-Genesung eine Immunitätsbescheinigung auszustellen.
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2. Der Antragsgegner wird verpflichtet zu prüfen, ob von folgend genannten Verpflichtungen der aktuellen Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung er Covid-19-immune Personen entbinden kann, ob solchen Personen unabhängig vom allgemeinen Infektionsgeschehen der Besuch von Sportveranstaltungen, wie Fußballspielen der Bundesliga, erlaubt sein muss.
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Zur Begründung wird ausgeführt, der Antrag ziele darauf ab, die Maßnahmen des Antragsgegners gegen die Pandemie zu ergänzen und zu verstärken. Das Konzept der „Schildimmunität“ sei eine wirksame Alternative zu einem erneuten „Lockdown“. Die Dringlichkeit des Antrags ergebe sich aus den im Falle eines zweiten „Lockdowns“ drohenden Einschränkungen seiner allgemeinen Handlungsfreiheit und seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung sowie aus seinem Recht auf körperliche Unversehrtheit, falls es zu einer Überlastung des Gesundheitssystems komme. Der Antragsteller halte sich öfter über längere Zeit in A* … auf, weshalb für ihn eine hohe Ansteckungsgefahr bestehe. Der Anspruch auf die begehrten Maßnahmen ergebe sich aus § 28 Abs. 1, § 32 Infektionsschutzgesetz.
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Der Antragsgegner beantragt mit Schriftsatz vom 2. November 2011,
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den Antrag abzulehnen.
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Der Antrag sei wegen fehlender Antragsbefugnis und mangels Rechtsschutzbedürfnis bereits unzulässig.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, auch im Verfahren M 26 E 20.1248, sowie die gewechselten Schriftsätze verwiesen.
II.
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Die Anträge haben keinen Erfolg. Sie sind beide bereits unzulässig und darüber hinaus auch unbegründet.
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Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Fall der sogenannten Sicherungsanordnung). Zur Regelung eines vorläufigen Zustands kann es eine einstweilige Anordnung in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint (Fall der sogenannten Regelungsanordnung, § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Der Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung setzt nach § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2, § 294 Zivilprozessordnung (ZPO) voraus, dass der Antragsteller sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund geltend und glaubhaft macht. Eine Glaubhaftmachung ist gegeben, wenn das Vorliegen von Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sich als überwiegend wahrscheinlich darstellt.
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1. Der Antrag zu 1, festzustellen, dass der Antragsgegner verpflichtet ist, dem Antragsteller im Falle seiner Coronavirus-Genesung eine Immunitätsbescheinigung auszustellen, ist bereits unzulässig, da es an einem bereits hinreichend konkreten Rechtsverhältnis zwischen den Beteiligten i.S.d. § 43 Abs. 1 VwGO fehlt. Da völlig ungewiss ist, wann und ob die Bedingung der Feststellung überhaupt eintritt, besteht für den Antrag auch kein Rechtsschutzbedürfnis. Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz bietet grundsätzlich vorläufigen, aber keinen vorbeugenden Rechtsschutz.
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2. Der Antrag zu 2, den Antragsgegner zu der Prüfung zu verpflichten, ob er Covid-19-immune Personen unabhängig vom allgemeinen Infektionsgeschehen den Besuch von Sportveranstaltungen, wie Fußballspielen der Bundesliga, per genereller oder individueller Regelung erlauben kann, ist ebenfalls unzulässig.
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Ein bloßer gerichtlicher „Prüfauftrag“ kann schon nicht Gegenstand einer einstweiligen Anordnung sein. Im Übrigen hat der Antragsteller, wenn man den Antrag zu seinen Gunsten als Antrag auf Erlass einer entsprechenden Regelung durch den Verordnungsgeber auffasst, was nach herrschender Meinung als Feststellungsklage in der Hauptsache statthaft wäre, kein Feststellungsinteresse, insofern von vornherein kein eigener Anspruch des Antragstellers auf entsprechenden Normerlass ersichtlich ist, da er nach eigenem Vortrag nicht zur Gruppe der zu begünstigenden Genesenen gehört.
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3. Beide Anträge wären darüber hinaus schon aus dem Grunde unbegründet, weil, wie der Antragsgegner unter Verweis auf die Angaben des Robert Koch-Instituts zutreffend ausführt, die Frage der Immunität und der Übertragbarkeit des Virus durch wiedererkrankte Personen nach dem Stand der Wissenschaft noch nicht ausreichend erforscht ist https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html; jsessionid=1F6DF63D6D42BEB85055385983CB01EE.internet052#doc13776792bodyText16, Stand 13.11.2020, abgerufen am 18.11.2020).
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Im Übrigen kann ein Anspruch eines Bürgers auf ein bestimmtes Einschreiten der Exekutive ausschließlich dann bestehen, wenn es sich hierbei um die einzige denkbare ermessensfehlerfreie Entscheidung handeln würde, mithin eine Situation einer Ermessensreduzierung auf Null gegeben wäre. Dem entspricht es, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts Ansprüche auf Erlass oder Änderung untergesetzlicher Rechtsnormen nur ausnahmsweise in Betracht kommen (vgl. VG Freiburg, B.v. 14.9.2020 - 2 K 2971/20 - juris Rn. 11 m.w.N.). Mit dem Ausnahmecharakter der Normerlassklage wird der im Gewaltenteilungsgrundsatz begründeten Trennung der rechtsetzenden und rechtsprechenden Organe Rechnung getragen.
18
Staatlichen Stellen kommt bei der Erfüllung ihrer Schutzpflichten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ein erheblicher Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu (vgl. BVerfG, B.v. 19.5.2020 - 2 BvR 483/20 - juris Rn. 8 m.w.N.). Was konkret zu tun ist, um Grundrechtsschutz zu gewährleisten, hängt von vielen Faktoren ab, im Besonderen von der Eigenart des Sachbereichs, den Möglichkeiten, sich ein hinreichend sicheres Urteil zu bilden, und der Bedeutung der hier betroffenen Rechtsgüter. Die Verletzung einer Schutzpflicht kann nur festgestellt werden, wenn Schutzvorkehrungen entweder überhaupt nicht getroffen sind, wenn die getroffenen Regelungen und Maßnahmen offensichtlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind, das gebotene Schutzziel zu erreichen, oder wenn sie erheblich hinter dem Schutzziel zurückbleiben (Untermaßverbot) (vgl. zuletzt BVerfG, B.v. 12.5.2020 - 1 BvR 1027/20 - juris Rn. 7 m.w.N.).
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Dass die Regelungen und Maßnahmen des Antragsgegners zur Bewältigung der Corona-Pandemie gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich wären, das gebotene Schutzziel zu erreichen, oder erheblich dahinter zurückbleiben, hat der Antragsteller nicht dargetan. Er bescheinigt dem Antragsgegner im Gegenteil ein im Allgemeinen effizientes Handeln gegen die Pandemie, das lediglich „ergänzt“ werden müsse.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.