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AG Kempten, Beschluss v. 07.10.2020 – 210 Js 12406/20
Titel:

Attest zur Befreiung vom Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes kein Gesundheitszeugnis

Normenkette:
StGB § 277, § 278, § 279
Leitsätze:
1. Ein Schriftstück, in dem lediglich bestätigt wird, dass das Tragen eines Mundschutzes aus medizinischen Gründen nicht ratsam sei, ist kein Zeugnis über den Gesundheitszustand iSd §§ 277 - 279 StGB. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein auf den ersten Blick erkennbares Fantasieattest stellt ebenfalls kein Gesundheitszeugnis iSd §§ 277 - 279 StGB dar. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Coronavirus SARS-CoV-2, COVID-19, Mund-Nasen-Schutz, Befreiung, Gesundheitszeugnis, medizinische Gründe, Fantasieattest, Urkunde
Fundstellen:
BeckRS 2020, 31415
COVuR 2021, 249
LSK 2020, 31415

Tenor

1. Der Erlass des beantragten Strafbefehls wird abgelehnt.
2. Die Staatskasse trägt die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen d.. Angeschuldigten.

Gründe

I.
1
Wegen des d.. Angeschuldigten zur Last gelegten Sachverhalts wird auf den Strafbefehlsantrag Bezug genommen.
2
Ergänzend wird wegen der äußeren Form und des Inhalts des von d.. Angeschuldigten dem Zeugen … vorgelegten Schriftstücks auf Blatt 13 der Akte Bezug genommen, wobei
· unter dem Text „Dieses Attest gilt für“ wohl nur ein Feld vorhanden war und
· zugunsten d.. Angeschuldigten nach der Aussage des Zeugen W… davon auszugehen ist, dass auf Höhe des Textes „Dieses Attest gilt für“ der Stern und die unter Wiederholung des Sterns am Ende des vorgelegten Schriftstücks stehende drei Zeilen lange Erläuterung fehlte.
II.
3
D.. Angeschuldigte hat sich durch die Verwendung des Schriftstücks ähnlich Blatt 13 der Akte nicht strafbar gemacht. Tatbestandsmerkmal der §§ 277 - 279 StGB ist „ein Zeugnis über den Gesundheitszustand“ eines Menschen. Aus dem Zeugnis muss sich also entweder der gegenwärtige Gesundheitszustand eines Menschen oder der vergangene Gesundheitszustand eines Menschen oder ein bei einem Menschen erhobener medizinischer Befund oder eine sachverständige Schlussfolgerung im Zusammenhang mit dem Gesundheitszustand eines Menschen ergeben (Zieschang in: Laufhütte u.a., StGB Leipziger Kommentar, 12. Aufl. 2009, § 277, Rdnr. 2). Hieran fehlt es:
4
Das verfahrensgegenständliche Schriftstück enthält lediglich folgende Feststellung: „Hiermit bestätige ich, dass das Tragen eines Mundschutzes für o.g. Person aus medizinischen Gründen nicht ratsam ist.“ Irgendeinen gegenwärtigen oder vergangenen Gesundheitszustand d… Angeschuldigten oder irgendeinen bei d.. Angeschuldigten erhobenen medizinischen Befund oder irgendeine sachverständige Schlussfolgerung mit Bezug zum Gesundheitszustand d.. Angeschuldigten führt das Schriftstück nicht an. Es wird nicht einmal attestiert, dass d.. Angeschuldigten aus „gesundheitlichen Gründen“ abgeraten wird, eine Maske zu tragen, sondern nur auf „medizinische Gründe“ verwiesen. Medizinische Gründe können aber ohne jeden Bezug zu einer Person und zu einem Gesundheitszustand einer Person gegen das Tragen von Masken sprechen. Etwa, weil ein Mundschutz als ungeeignet betrachtet wird, Covid-19 Ansteckungen zu verhindern oder weil Mund-Nasen-Masken bei fehlerhafter Handhabung Brutstätten von Bakterien sein und zu Krankheiten bei den Maskenträgern führen können. Das von d.. Angeschuldigten dem Zeugen W… vorgelegte Schriftstück ist daher kein Gesundheitszeugnis, sodass sich d.. Angeschuldigte nicht nach § 279 StGB schuldig gemacht hat. Auf die Vorstellungen d.. Angeschuldigten kommt es nicht an, da der Versuch in §§ 277ff StGB nicht unter Strafe gestellt wird. Auch sonstige Straftatbestände sind nicht erfüllt.
5
Unabhängig hiervon ist das verfahrensgegenständliche Schriftstück auf den ersten Blick als Fantasieattest zu erkennen und damit nicht geeignet, ein Gesundheitszeugnis im Sinne der §§ 277 - 279 StGB zu sein. Die §§ 277 - 279 StGB gehören zu den Urkundendelikten, sodass eine Eignung des Schriftstücks vorliegen muss, eine Urkunde, also ein Gesundheitszeugnis zu sein, was bei offensichtlichem Fantasieschriftstücken nicht der Fall ist (Fischer, StGB, 67. Aufl. 2020, § 267, Rdnr. 14). Nach dem äußeren Erscheinungsbild und insbesondere durch das Einkopieren einer auch noch unleserlichen „Approbationsurkunde“ ist für jedermann sofort ersichtlich, dass es sich um fake und um kein Gesundheitszeugnis handelt. Dementsprechend hat sich auch der Zeuge W. nicht in die Irre leiten lassen, sondern d.. Angeschuldigten sofort und ohne jede Rücksprache / Recherche den Zutritt z… S… ohne Mund-Nasen-Schutz verweigert; erst nach dem Vorfall hat der Zeuge W. im Internet zu derartigen Attesten und dem Aussteller … recherchiert. Dementsprechend stellt die Staatsanwaltschaft im Strafbefehlsantrag fest: „Es ist offensichtlich, dass es sich hierbei nicht um ein wirksames ärztliches Attest handelt, da keine ärztliche Untersuchung vorausging.“
6
Der Erlass des Strafbefehls war daher abzulehnen.
III.
7
Nach § 467 Abs. 1 StPO hat die Staatskasse die Verfahrenskosten und die notwendigen Auslagen d.  Angeschuldigten zu tragen.