Inhalt

VG München, Beschluss v. 06.11.2020 – M 13 S 20.5656
Titel:

Infektionsschutzrechtliches Versammlungsverbot

Normenketten:
BayVersG Art. 15 Abs. 1
8. BayIfSMV § 7
IfSG § 28 Abs. 1, § 32 S. 1
Leitsatz:
Bringt der Veranstalter einer Versammlung während einer Gefährdungslage durch COVID-19 zum Ausdruck, sämtliche Schutzvorkehrungen gegen Virusübertragungen nicht zu akzeptieren, sind versammlungsrechtliche Beschränkungen nicht als milderes Mittel gegenüber dem Verbot in Betracht zu ziehen. (Rn. 15 – 16 und 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Versammlungsrecht, Verbot einer Versammlung, Infektionsrisiko, Coronavirus, Gefahrenprognose, Hygienekonzept, Infektionsschutz, Versammlungsverbot, Querdenker, Theresienwiese
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 07.11.2020 – 10 CS 20.2582
Fundstelle:
BeckRS 2020, 30389

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller wendet sich gegen das Verbot einer für den 8. November 2020 angezeigten Versammlung auf der Theresienwiese in München.
2
Der Antragsteller zeigte am 2. November 2020 per E-Mail für den 8. November 2020 eine Versammlung auf der Theresienwiese zwischen 16:00 und 22:00 Uhr an. Die geschätzte Teilnehmerzahl betrage 120.000. Der Antragsteller beschrieb das Hygienekonzept der Versammlung mit den Worten: „Keine Abstände, keine Masken, gegenseitige Umarmungen (soweit gewünscht)“. Ein Hygienekonzept im Sinne der bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung sei nicht nötig.
3
Mit Bescheid vom 4. November 2020 untersagte die Antragsgegnerin die Durchführung der angezeigten Versammlung. Die Durchführung der Versammlung sei infektionsschutzrechtlich nicht vertretbar, da der Antragsteller selbst angegeben habe, infektionsschutzrechtliche Vorgaben nicht einhalten zu wollen. Das Robert-Koch-Institut (RKI) schätze die Gefährdung der Bevölkerung in Deutschland durch Covid-19 weiterhin als hoch, für Risikogruppen sogar als sehr hoch ein. In der Landeshauptstadt München liege die sog. 7-Tages-Inzidenz aktuell bei 150,1 mit steigender Tendenz. Bei vergleichbaren Versammlungen der „Querdenken“-Bewegung sei es in den letzten Wochen zu zahlreichen Verstößen gegen die Maskenpflicht und zu zahlreichen Unterschreitungen des zwischen den Teilnehmern einzuhaltenden Mindestabstands gekommen. Dem Antragsteller komme es offenbar darauf an, seinem Anliegen gerade dadurch Ausdruck zu verleihen, dass er dazu aufrufe, die notwendigen staatlichen Regelungen zur Pandemiebekämpfung bewusst zu missachten. Die Anordnung versammlungsrechtlicher Auflagen als milderes Mittel gegenüber dem Verbot komme vorliegend nicht in Betracht. Solche Auflagen würden dem Anliegen des Antragstellers so sehr widersprechen, dass es zu einer Umprägung der Versammlung käme. Wegen der Einzelheiten wird auf den Bescheid Bezug genommen.
4
Am 5. November 2020 hat der Antragsteller Klage gegen diese Entscheidung erhoben und zugleich sinngemäß beantragt,
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die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 4. November 2020 anzuordnen und die Antragsgegnerin zu verpflichten, es zu unterlassen, die angezeigte Versammlung durch die Verpflichtung der Teilnehmer zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung und zur Einhaltung eines Mindestabstandes sowie hinsichtlich der Teilnehmerzahl zu beschränken.
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Der Antragsteller macht im Wesentlichen geltend, dass die Antragsgegnerin in verfassungswidriger Weise in die Versammlungsfreiheit eingreife. Die 8. Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung könne nicht (mehr) auf die Verordnungsermächtigung der § 32 Satz 1, § 28 Abs. 1 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) gestützt werden. Hinzu komme, dass eine Infektion im Sinne des IfSG durch PCR-Nachweise von Virus-RNA nicht nachgewiesen werden könne. In die Rechte der Allgemeinheit dürfe auf der Grundlage solcher Tests nicht eingegriffen werden. Ferner seien die Teilnehmer einer Versammlung als „Nichtstörer“ anzusehen, gegen die Maßnahmen nur ergriffen werden dürften, wenn und soweit ein Vorgehen gegen Erkrankte, bei denen ein vermehrungsfähiger Erreger nachgewiesen worden sei, keinen Erfolg verspreche. Das sei von der Antragsgegnerin nicht dargelegt worden.
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Die Antragsgegnerin beantragt.
8
den Antrag abzulehnen.
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Zur Begründung wird auf den Bescheid vom 4. November 2020 und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
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Mit einem ergänzenden Schriftsatz vom 6. November 2020 fordert der Antragsteller von der Antragsgegnerin eine Klarstellung, wie die in der Gefahrenprognose des Referates für Umwelt und Gesundheit angegebene Zahl von 17.800 Covid-19-Erkrankten in der Stadt München ermittelt worden sei und fordert weitere Auskünfte, etwa zum Anteil schwerer und kritischer Verläufe an dieser Gesamtzahl.
11
Wegen weiterer Einzelheiten wird ergänzend auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
12
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 4. November 2020 ist zwar gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Er hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Demgemäß kommen die weiteren, auf die Untersagung von Beschränkungen der angezeigten Versammlung gerichteten Anträge von vornherein nicht zum Tragen. Bei verständiger Würdigung des Rechtsschutzbegehrens (§ 88 VwGO) sind diese Anträge als („uneigentliche“) Hilfsanträge zu werten, die nur für den Erfolgsfall des Hauptantrags zu bescheiden wären.
13
Im Rahmen der Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO ist eine Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Vollzugsinteresse und dem privaten Suspensivinteresse am Eintritt der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs vorzunehmen. Nach herrschender Meinung trifft das Gericht dabei eine eigene Ermessensentscheidung, für die in erster Linie die Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs maßgeblich sind. Bei offener Erfolgsprognose ist eine Folgenabwägung durchzuführen. Dem Charakter des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO entspricht dabei in der Regel eine nur summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage (vgl. Gersdorf, BeckOK VwGO, Stand 1.10.2019, § 80 Rn. 176). Auf dem Gebiet des Versammlungsrechts ist jedoch schon im Eilverfahren durch eine intensivere Prüfung dem Umstand Rechnung zu tragen, dass der Vollzug der umstrittenen Maßnahme in der Regel zur endgültigen Verhinderung der Versammlung in der beabsichtigten Form führt (vgl. BVerfG, B.v. 12.5.2010 - 1 BvR 2636/04 -juris Rn. 18 m.w.N.).
14
Hieran gemessen überwiegt hier das öffentliche Interesse an der Beachtung der im Streit stehenden Untersagung der Versammlung. Der Bescheid der Antragsgegnerin vom 4. November 2020 ist nach summarischer Prüfung rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das Gericht folgt der Begründung des angegriffenen Verwaltungsaktes und sieht mit Ausnahme der folgenden ergänzenden Ausführungen zur Vermeidung von Wiederholungen von einer weiteren Darstellung der Gründe entsprechend § 117 Abs. 5 VwGO ab.
15
Die Antragsgegnerin hat mit Recht angenommen, dass von der angezeigten Versammlung voraussichtlich infektionsschutzrechtlich nicht vertretbare Gefahren ausgehen würden und dass die infektionsschutzrechtliche Vertretbarkeit nicht durch versammlungsrechtliche Beschränkungen als milderes Mittel sichergestellt werden können.
16
Dabei kann dahinstehen, ob die Auffassung des Antragstellers zutrifft, dass § 32 Satz 1, § 28 Abs. 1 IfSG keine ausreichende gesetzliche Verordnungsermächtigung für die in der Achten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (§ 8. BayIfSMV) vorgesehenen Maßnahmen zur Eindämmung der Sars-CoV-2-Pandemie darstelle. Selbst wenn man die in § 7 8. BayIfSMV vorgenommen Konkretisierungen der versammlungsrechtlichen Befugnisnorm des Art. 15 Abs. 1 BayVersG für ungültig hielte, ließe sich eine Untersagung der angezeigten Versammlung unmittelbar auf Art. 15 Abs. 1 BayVersG stützen (vgl. BayVGH, B.v. 29.5.2020 - 10 CE 20.1291 - juris Rn. 11). Denn aufgrund der fehlenden Bereitschaft des Antragstellers, dem Risiko von Virusübertragungen in irgendeiner Weise zu begegnen, wäre bei der derzeitigen Gefährdungslage durch Covid-19 die öffentliche Sicherheit durch die Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet.
17
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 1. November 2020 (Az. 10 CS 20.2450) zu einer mit einem nahezu identischen Hygienekonzept für den 1. November 2020 in München angezeigten „Querdenker“-Versammlung Folgendes ausgeführt (Rn. 16 f.):
18
„Die Antragsgegnerin und das Verwaltungsgericht haben sich bei ihrer Gefahrenprognose in nicht zu beanstandender Weise maßgeblich auf die fachliche Einschätzung des Robert-Koch-Instituts gestützt. Das Robert-Koch-Institut (RKI), dem der Gesetzgeber im Bereich des Infektionsschutzes mit § 4 IfSG besonderes Gewicht eingeräumt hat (vgl. BVerfG, B.v. 10.4.2020 - 1 BvQ 28/20 - juris Rn. 13; BayVerfGH, E.v. 26.3.2020 - Vf. 6-VII-20 - juris Rn. 16), schätzt in der erneut überarbeiteten Risikobewertung vom 26. Oktober die Lage in Deutschland auch gegenwärtig als sehr und ernstzunehmend und die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung weiterhin als insgesamt hoch, für Risikogruppen als sehr hoch ein (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html). Die Inzidenz der letzten 7 Tage ist deutschlandweit weiter auf 110,9 Fälle pro 100.000 Einwohner (EW) angestiegen. Das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) weist für die Landeshauptstadt eine demgegenüber nochmals erhöhte 7-Tages-Inzidenz von aktuell 133,2 aus. Der Senat sieht auch unter Berücksichtigung der umfangreichen - teilweise nur schwer nachvollziehbaren - Einwendungen des Antragstellers, der einen Nachweis einer Infektionsgefahr beim Sars-CoV-2-Virus als nicht erbracht ansieht, keine Veranlassung im Rahmen dieses Eilverfahrens diese indizielle Risikobewertung ernsthaft in Frage zu stellen.
19
Das Verwaltungsgericht ist weiter zutreffend davon ausgegangen, dass angesichts der Erfahrungen vergangener Versammlungen von „Querdenker-Gruppierungen“, der geplanten hohen Teilnehmerzahl, eines nicht vorhandenen Sicherheits- und Hygienekonzepts bzw. sogar der ausdrücklichen Forderung „Keine Abstände, keine Masken, Sprechchöre erlaubt, Tanzen erlaubt, Umarmungen Fremder erlaubt“ mit hoher Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden muss, dass sich die Infektionsgefahren bei dieser Versammlung verwirklichen, und weiter auch nicht damit zu rechnen ist, dass der Antragsteller entsprechende versammlungsrechtliche Beschränkungen akzeptieren oder gar wirksam durchsetzen würde. Das Vorbringen des Antragstellers, der Versammlungszweck könne nur dadurch erreicht werden, dass er die Versammlung ohne Einhaltung der Abstandsregeln und Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung durchführt, verkennt die Bedeutung der kollidierenden Rechtsgüter Dritter und der Allgemeinheit und die daraus resultierende Begrenzung der Gestaltungsfreiheit des Veranstalters.“
20
Diese Ausführungen gelten erst Recht für die am 8. November geplante Versammlung des Antragstellers. An den maßgeblichen Grundlagen der Gefahrenprognose der Antragsgegnerin hat sich, abgesehen von einem weiteren Anstieg der für München ausgewiesenen 7-Tages-Inzidenz nichts geändert (vgl. S. 19 des Bescheides). Nach Versammlungsthema, Organisatoren- und Teilnehmerkreis handelt sich um eine weitere, noch größer dimensionierte Veranstaltung aus dem „Querdenker-Spektrum“ (vgl. S. 22 ff. des Bescheides); und auch vorliegend hat der Antragsteller zum Ausdruck gebracht, dass er versammlungsrechtliche Beschränkungen aus Gründen des Infektionsschutzes nicht akzeptiert. Ergänzend, insbesondere im Hinblick auf die Einwendungen des Antragstellers gegen die Berücksichtigung von PCR-Virusnachweisen und die Inanspruchnahme von Versammlungsteilnehmern als „Nichtstörern“, wird auf die Ausführungen der Kammer in dem zwischen den gleichen Beteiligten ergangenen Beschluss vom 4. November 2020 (Az. M 13 E 20.5610) verwiesen.
21
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 1 und 2, § 52 Abs. 2 GKG.