Inhalt

VGH München, Beschluss v. 07.11.2020 – 10 CS 20.2583
Titel:

Versammlungsverbot täglicher „Querdenker“-Versammlungen (Sammelanmeldung) - einstweiliger Rechtsschutz

Normenketten:
GG Art. 8 Abs. 1, Art. 19 Abs. 1 S. 2
VwGO § 80 Abs. 5
IfSG § 28 Abs. 1 S. 4, § 32 S. 3
Leitsätze:
1. Ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen ein Verbot angezeigter täglicher Versammlungen ist mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, wenn der Antragsteller trotz ausdrücklicher gerichtlicher Anfrage nicht glaubhaft macht, dass die Durchführung der Versammlungen tatsächlich ernsthaft beabsichtigt ist; insofern bedarf es keiner Entscheidung, ob der Eilantrag darüber hinaus schon rechtsmissbräuchlich ist (zur Missbräuchlichkeit von sog. Vorratsanzeigen bei mangelndem Willen, die Versammlungen tatsächlich durchzuführen, vgl. BayVGH BeckRS 2016, 40018 Rn. 13).  (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2. Angesichts der derzeitigen pandemischen Lage begründet die Weigerung, irgendwelche Hygienemaßnahmen zu ergreifen, eine Gefahrenlage, die die Untersagung einer Versammlung rechtfertigt (vgl. BayVGH BeckRS 2020, 30392 Rn. 17). (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
3. Einschränkungen der Versammlungsfreiheit durch Rechtsverordnungen auf der Grundlage von § 32 i.V.m. § 28 IfSG sind grundsätzlich  zulässig, da Art. 8 GG sowohl in § 28 Abs. 1 Satz 4 wie in § 32 Satz 3 IfSG im Sinn des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG ausdrücklich genannt ist. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Versammlungsverbot täglicher „Querdenker“-Versammlungen (Sammelanmeldung), Rechtsschutzbedürfnis für Eilrechtsschutzantrag, Gefahrenprognose, Durchführungsabsicht, Verweigerung von Hygienemaßnahmen, Zitiergebot
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 06.11.2020 – M 13 S 20.5689
Fundstelle:
BeckRS 2020, 30386

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

1
Mit seiner Beschwerde verfolgt der Antragsteller seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen ein Verbot der von ihm für den 9. bis 15. November 2020 in M. auf der T.wiese angezeigten täglichen Versammlungen, das die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 6. November 2020 verfügt hat. Weiter beantragt er, der Antragsgegnerin zu untersagen, vor oder während der Versammlung(en) Auflagen bezüglich einer Maskenpflicht, Einhaltung von Mindestabständen sowie Teilnehmerzahl zu erlassen. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, das Verwaltungsgericht verkenne, dass Infektionen im Sinne des Infektionsschutzgesetzes in M. nicht vorlägen und eine hohe Anzahl von „Testpositiven“ diesbezüglich keine entscheidungserhebliche Rolle spiele. Daher seien sämtliche gegen die (täglichen) Versammlungen gerichteten Maßnahmen per se rechtswidrig. Das Verwaltungsgericht habe die Zahl der tatsächlich im Sinne des Infektionsschutzgesetzes infizierten Personen nicht ermittelt und bezüglich der Inanspruchnahme von Nichtstörern die falschen Schlüsse gezogen. Die angezeigten Versammlungen stellten keine Gefahr für die Sicherheit und Ordnung sowie die Gesundheit Dritter dar und seien daher wie beantragt durchführbar.
2
Die Antragsgegnerin hat unter Bezugnahme auf ihre Schutzschrift vorsorglich die Zurückweisung der Beschwerde beantragt.
3
Der Eilrechtsschutzantrag ist bereits unzulässig, weil ihm das Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes ist im vorliegenden Fall nicht erforderlich. Denn der Antragsteller hat nach den Feststellungen des Senats anders als bei den bisherigen Versammlungen in M. und anders als bei der für den 7. November 2020 in Leipzig geplanten Demonstration Versammlungen vom 9. bis 15. November 2020 in M. auf den einschlägigen Internetseiten und Social-Media-Kanälen der Bewegung „Querdenken 089“ (https://querdenken-089.de/#termine; https://www...com/querdenken89/; https://m...com/querdenken089/) weder erwähnt, noch ist sonst ersichtlich, dass in irgendeiner Form eine Ankündigung und Mobilisierung für diese Veranstaltungen stattfindet oder Vorbereitungen für solche relativ großen Versammlungen getroffen würden. Auch nach ausdrücklicher diesbezüglicher Anfrage durch den Senat hat der Antragsteller nicht im Sinne von § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft gemacht, dass die Durchführung der Versammlung tatsächlich ernsthaft beabsichtigt ist. Schon aus diesem Grund kann auch die Beschwerde keinen Erfolg haben. Ob der Eilantrag darüber hinaus schon rechtsmissbräuchlich ist (zum allgemeinen Verbot eines Rechtsmissbrauchs als Zulässigkeitsvoraussetzung für eine Inanspruchnahme des Gerichts vgl. Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, Vor §§ 40-53 Rn. 12), wofür vorliegend zur Überzeugung des Senats manches spricht, bedarf insofern keiner Entscheidung (zur Missbräuchlichkeit von sog. Vorratsanzeigen bei mangelndem Willen, die Versammlungen tats. durchzuführen vgl. BayVGH, B.v. 21.12.2015 - 10 CS 15.2603 - juris Rn. 13).
4
Unabhängig davon zeigt die Beschwerde bei einer aufgrund der Eilbedürftigkeit nur möglichen summarischen Prüfung keine durchgreifenden Bedenken gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts auf (§ 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO). Angesichts der derzeitigen pandemischen Lage und der Weigerung des Antragstellers, irgendwelche Hygienemaßnahmen zu ergreifen, hat die Antragsgegnerin die Versammlungen zu Recht untersagt. Soweit der Antragsteller das Vorliegen einer Gefahrenlage bestreitet, nimmt der Senat Bezug auf seine Entscheidungen vom 1. November 2020 (10 CS 20.2449 bzw. 10 CS 20.2450), die den Beteiligten bekannt sind und deren Erwägungen auch für den vorliegenden Fall gelten. Die Beschwerdebegründung stellt diese nicht durchgreifend in Frage. Der Senat ist im Übrigen entgegen dem Vorbringen des Antragstellers der Ansicht, dass Einschränkungen der Versammlungsfreiheit durch Rechtsverordnungen auf der Grundlage von § 32 i.V.m. § 28 IfSG grundsätzlich zulässig sind, da Art. 8 GG sowohl in § 28 Abs. 1 Satz 4 wie in § 32 Satz 3 IFSG im Sinn des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG ausdrücklich genannt ist (siehe dazu auch Martini/Thiesen/Ganter, NJOZ 2020, 929).
5
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 2 GKG.
6
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).