Inhalt

VG Augsburg, Urteil v. 02.10.2020 – 8 K 20.1187
Titel:

Gewährung von Soforthilfe aus dem Künstlerhilfsprogramm

Normenketten:
BayHO Art. 23, Art. 44, Art. 53
BMG § 19 Abs. 3 Nr. 1
VwGO § 113 Abs. 5 S. 2, § 114
GG Art. 3 Abs. 1
Leitsätze:
1. Für die gerichtliche Prüfung der Entscheidung über die Gewährung einer Förderung in Form einer Billigkeitsleistung gelten dieselben Grundsätze wie für Zuwendungen, die ebenfalls auf der Grundlage der einschlägigen Förderrichtlinien im billigen Ermessen der Behörde und im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel (Art. 23, 44 BayHO) erfolgen. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Entscheidend für die gerichtliche Prüfung ist, wie die Behörde des zuständigen Rechtsträgers die Verwaltungsvorschrift im maßgeblichen Zeitpunkt in ständiger Praxis gehandhabt hat und in welchem Umfang sie infolgedessen durch den Gleichheitssatz gebunden ist. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Anspruch auf die Förderung besteht im Einzelfall über den Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung und den Gleichheitssatz dann, wenn die in den Richtlinien dargelegten Fördervoraussetzungen vorliegen und vergleichbare Anträge in ständiger Förderpraxis auch positiv verbeschieden werden. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Richtlinien setzen Maßstäbe für die Verteilung der staatlichen Hilfen und regeln insoweit die Ermessenshandhabung; die Ermessensbindung reicht jedoch nur so weit wie die festgestellte tatsächliche ständige Verwaltungspraxis. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ermessen, Verwaltungspraxis, Selbstbindung, Auslegung, Bewilligung, Finanzhilfe, Hinterlegung, Gewährung, Künstler, Künstlerhilfsprogramm, Corona-Virus
Fundstelle:
BeckRS 2020, 30112

Tenor

I. Der Bescheid vom 16. Juni 2020 wird aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, über den Förderantrag der Klägerin vom 25. Mai 2020 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Die Klägerin wendet sich gegen einen ablehnenden Bescheid über eine Finanzhilfe nach den Richtlinien für die Gewährung von finanziellen Hilfen für die von der Corona-Virus-Pandemie betroffenen freischaffenden Künstlerinnen und Künstler.
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Die Klägerin ist freischaffende Künstlerin und hat am 6. Mai 2020 ihren Hauptwohnsitz in * mit Einzugsdatum 1. April 2020 beim zuständigen Bürgeramt angemeldet. Das zuständige Bürgerbüro hatte nach amtlicher Auskunft in der Zeit vom 16. März 2020 bis 12. Mai 2020 geschlossen. In Ausnahmefällen konnten Anmeldungen postalisch erledigt werden. Eine erste Anmeldung der Klägerin ist dem Bürgeramt am 22. April 2020 per Post zugegangen, wurde wegen fehlender Unterlagen jedoch an die Klägerin zurückgesandt.
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Die Klägerin hat unter dem 25. Mai 2020 die Gewährung von finanziellen Hilfen für die von der Corona-Virus-Pandemie (SARS-CoV-2) betroffenen freischaffenden Künstlerinnen und Künstler („Künstlerhilfsprogramm“) u.a. unter Vorlage einer Einkommensbescheinigung einer Band vom 24. Mai 2020, adressiert an die Klägerin an eine Adresse in, beantragt. Auf Rückfrage des Beklagten und der Bitte um Vorlage einer Wohnungsgeberbescheinigung hat die Klägerin die o.g. Anmeldebestätigung nachgereicht. Eine Wohnungsgeberbestätigung reichte die Klägerin erst im Rahmen einer schriftlichen Reaktion auf den ablehnenden Bescheid am 9. Juli 2020 per E-Mail nach. 4 Mit Bescheid vom 16. Juni 2020 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass die Voraussetzungen für die Gewährung einer Finanzhilfe nach dem Künstlerhilfsprogramm nicht erfüllt sind und daher keine Finanzhilfe gewährt wird.
4
Antragsberechtigt seien nur freischaffende Künstlerinnen und Künstler mit bestehendem Hauptwohnsitz in Bayern zum Stichtag 1. April 2020. Die Klägerin habe am 1. April 2020 ihren Hauptwohnsitz nicht in Bayern gehabt. Die rückwirkende Anmeldung vom 6. Mai 2020 führe nicht dazu, dass die Voraussetzungen für das Künstlerhilfsprogramm vorlägen.
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Hiergegen hat die Klägerin am 13. Juli 2020 unter der Voraussetzung der Bewilligung der Prozesskostenhilfe Klage erhoben und beantragt zuletzt,
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den Beklagten zu verpflichten, über den Antrag der Klägerin vom 25. Mai 2020 auf Gewährung einer finanziellen Hilfe nach dem Künstlerhilfsprogramm unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
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Zur Begründung ist auf eine E-Mail der Klägerin vom 9. Juli 2020 an die zuständige Regierung verwiesen. Sie sei antragsberechtigt, da die Klägerin nach erfolgtem Umzug just seit dem 1. April 2020 ihren Hauptwohnsitz in Bayern habe. Die Anmeldung beim Bürgeramt sei durch die vorgelegte Anmeldebestätigung belegt, das beurkundete Einzugsdatum maßgeblich. Da das zuständige Bürgeramt pandemiebedingt für mehrere Wochen für den Publikumsverkehr geschlossen und sodann nur für Notfälle geöffnet gewesen sei, sei die Anmeldung erfolgt, sobald die Klägerin einen Termin erlangen habe können. Eine frühere Anmeldung sei ob der geschilderten Umstände unmöglich gewesen. Um die Anmeldung habe sie sich bereits im April bemüht, bereits am 16. April 2020 sei eine Wohnungsgeberbestätigung elektronisch an das Bürgeramt übermittelt worden. Das Künstlerhilfsprogramm sei erst am 20. April 2020 in der Regierungserklärung des Bayerischen Ministerpräsidenten gegenüber dem Bayerischen Landtag erstmalig angekündigt worden. Die Wohnung an ihrer alten Adresse sei bereits am 30. Dezember 2019 zum 31. März 2020 gekündigt worden, der Umzug für den 23. / 24. März 2020 geplant gewesen. Der Bruder der Klägerin habe dafür ein Umzugsfahrzeug organisiert. Ausschließlich wegen einer angeordneten Quarantäne vom 25. März 2020 bis zum 8. April 2020 wegen des Verdachts, Kontaktperson zu einer mit dem Coronavirus infizierten Person zu sein, habe die Klägerin nicht im März wie geplant nach Bayern ziehen können. Die Adresse in * auf der Bestätigung der Band sei fälschlicherweise dort genannt, da das Schreiben nur per E-Mail übermittelt und aus Versehen eine ehemalige Rechnungsanschrift aufgeführt worden sei.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Alle aktuellen Dokumente, die die Klägerin ihrem Antrag beigefügt habe, seien auf den Wohnort * ausgestellt. Aus der Anmeldebestätigung ergebe sich eine rückwirkende Anmeldung zum 1. April 2020. Die einschlägigen Richtlinien sähen den Stichtag 1. April 2020 für das Bestehen eines Hauptwohnsitzes in Bayern vor. An diesem Stichtag sei die Klägerin nicht mit ihrem Hauptwohnsitz in * gemeldet gewesen, sondern noch in *.
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Des Weiteren sei die Klägerin ausweislich der vorgelegten Einkommensbescheinigung Mitglied einer Band aus * (Nordrhein-Westfalen), so dass sie einen Wohnsitz in der Nähe benötige, den sie auch Anfang des Jahres 2020 dort gehabt habe. Aus der Bescheinigung gehe auch nicht hervor, dass die Klägerin vorgehabt hätte, aus der Band auszutreten. Im Gegenteil sei bescheinigt, dass für 2020 die Auftragslage leicht nach oben gegangen sei, aber pandemiebedingt 90% der Termine abgesagt worden seien. Im letzten Quartal 2020 seien noch Termine, die noch fraglich seien. Aus dieser Aussage ergebe sich, dass seitens der Klägerin durchaus der Wille gegeben sei, weiter in der Band aufzutreten, wozu sie allerdings einen Wohnsitz in der Nähe des Sitzes der Band benötige. Sie übe ihre künstlerische Tätigkeit daher dort aus und gerade nicht in Bayern. Gerade dies sei aber der Sinn und Zweck der Voraussetzung des Hauptwohnsitzes in Bayern zum 1. April 2020.
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In der nachträglich vorgelegten Wohnungsgeberbestätigung vom 16. April 2020 sei festgehalten, dass die Klägerin Mieterin ihrer Mutter sei. Ein Mietvertrag, aus dem sich dieses Mietverhältnis ergebe, sei bis jetzt nicht vorgelegt worden. Dagegen spreche auch, dass die Klägerin in der E-Mail vom 14. Juni 2020 von einer Mitbewohnerin und nicht von einer Vermieterin gesprochen habe.
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Die amtliche Auskunft des Bürgerbüros ändere nichts, da für den Stichtag 1. April 2020 keine Anmeldung vorgelegen habe. Die Gewährung der Soforthilfe erfolge gemäß der Richtlinie als Billigkeitsleistung ohne Rechtsanspruch im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel. Die Klägerin habe nur Anspruch auf Gleichbehandlung. Der Genehmigungspraxis entsprechend seien alle Anträge auf Künstlerhilfe, bei denen der Antragsteller nicht am Stichtag seinen Hauptwohnsitz in Bayern gemeldet gehabt habe, abgelehnt worden.
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Mit Beschluss vom 31. Juli 2020 hat die Kammer der Klägerin Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren bewilligt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtssowie der vorgelegten Behördenakten und auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.
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Die zulässige Klage ist begründet. Der streitgegenständliche Bescheid vom 16. Juni 2020 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Klägerin hat einen Anspruch darauf, dass der Beklagte über ihren Antrag vom 25. Mai 2020 auf Gewährung einer finanziellen Hilfe für die von der Corona-Virus-Pandemie (SARS-CoV-2) betroffenen freischaffenden Künstlerinnen und Künstler („Künstlerhilfsprogramm“, BayMBl. 2020, Nr. 301) unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut entscheidet (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
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Der Beklagte kann den Antrag der Klägerin nicht mit der pauschalen Begründung ablehnen, dass ihr Hauptwohnsitz zum Stichtag 1. April 2020 nicht in Bayern bestanden hat, weil die melderechtliche Anmeldung erst nachträglich erfolgte. Ausweislich des Melderegisterauszuges ist die Klägerin mit dem Einzugsdatum 1. April 2020 in * gemeldet. Dass diese Meldung erst nach dem 1. April 2020 rückwirkend erfolgte, ist den besonderen, pandemiebedingten Umständen des Einzelfalls geschuldet, die von dem Beklagten nicht ausreichend gewürdigt wurden.
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1. Bei Billigkeitsleistungen der vorliegenden Art handelt es sich um freiwillige staatliche Maßnahmen. Eine explizite Rechtsnorm, die konkret einen Anspruch der Klägerin auf Bewilligung der beantragten Soforthilfe begründet, existiert nicht. Vielmehr erfolgt die Billigkeitsleistung auf der Grundlage der einschlägigen Richtlinien im billigen Ermessen der Behörde und im Rahmen der dafür im Haushaltsplan besonders zur Verfügung gestellten Ausgabemittel (Art. 53 BayHO). Ein Rechtsanspruch besteht danach nur ausnahmsweise, insbesondere aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) durch eine Selbstbindung der Verwaltung aufgrund einer ständigen Verwaltungspraxis auf Basis der einschlägigen Richtlinien. Die Förderrichtlinien begründen als ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften nicht wie Gesetze und Rechtsverordnungen unmittelbar Rechte und Pflichten, sondern entfalten erst durch ihre Anwendung Außenwirkung (vgl. VG Würzburg, U.v. 3.8.2020 - W 8 K 20.743 - juris Rn. 23).
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Das Gericht ist somit grundsätzlich an den Zweck der Soforthilfen gebunden, wie ihn der Geber der Soforthilfen versteht. Für die gerichtliche Prüfung der Entscheidung über die Gewährung einer Förderung in Form einer Billigkeitsleistung gelten deshalb dieselben Grundsätze wie für Zuwendungen, die ebenfalls auf der Grundlage der einschlägigen Förderrichtlinien im billigen Ermessen der Behörde und im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel (Art. 23, 44 BayHO) erfolgen. Entscheidend für die gerichtliche Prüfung ist, wie die Behörde des zuständigen Rechtsträgers die Verwaltungsvorschrift im maßgeblichen Zeitpunkt in ständiger Praxis gehandhabt hat und in welchem Umfang sie infolgedessen durch den Gleichheitssatz gebunden ist (vgl. VG Würzburg, U.v. 3.8.2020 - W 8 K 20.743 - juris Rn. 24 sowie zur vergleichbaren Thematik der Zuwendungen BayVGH, U.v. 11.10.2019 - 22 B 19.840 - juris Rn. 26). Ein Anspruch auf die Förderung besteht im Einzelfall über den Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung und den Gleichheitssatz dann, wenn die in den Richtlinien dargelegten Fördervoraussetzungen vorliegen und vergleichbare Anträge in ständiger Förderpraxis des Beklagten auch positiv verbeschieden werden (BayVGH, U.v. 11.10.2019 - 22 B 19.840 - juris Rn. 26; VG Würzburg, U.v. 3.8.2020 - W 8 K 20.743 - juris Rn. 25).
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Da Richtlinien keine Rechtsnormen sind, unterliegen sie auch grundsätzlich keiner richterlichen Interpretation. Eine Überprüfung hat sich darauf zu beschränken, ob aufgrund der einschlägigen Förderrichtlinien überhaupt eine Verteilung öffentlicher Mittel vorgenommen werden kann (Vorbehalt des Gesetzes) und bejahendenfalls, ob bei Anwendung der Richtlinien in Einzelfällen, in denen die begehrte Leistung versagt worden ist, der Gleichheitssatz (Art. 3 GG) verletzt oder der Rahmen, der durch die gesetzliche Zweckbestimmung gezogen ist, nicht beachtet worden ist (vgl. BVerwG, U.v. 26.4.1979 - 3 C 111/79 - juris).
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Die Richtlinien setzen Maßstäbe für die Verteilung der staatlichen Hilfen und regeln insoweit die Ermessenshandhabung. Die Ermessensbindung reicht jedoch nur so weit wie die festgestellte tatsächliche ständige Verwaltungspraxis. Die gerichtliche Überprüfung erfolgt nur im Rahmen des § 114 VwGO. Das Gericht hat nicht die Befugnis zu einer eigenständigen oder gar erweiternden Auslegung der Richtlinien (vgl. SaarlOVG, B.v. 28.5.2018 - 2 A 480/17 - juris; OVG SH, U.v. 17.5.2018 - 3 LB 5/15 - juris; OVG NRW, B.v. 29.5.2017 - 4 A 516/15 - juris; HessVGH, U.v. 28.6.2012 - 10 A 1481/11 - juris; VG Würzburg, U.v. 3.8.2020 - W 8 K 20.743 - juris Rn. 26).
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Ausgangspunkt ist die ständige Verwaltungspraxis in vergleichbaren Fällen, sofern sie nicht im Einzelfall aus anderen Gründen zu rechtswidrigen Ergebnissen führt. So dürfen im Einzelfall keine sachlichen Gründe für das Abweichen von der Behördenpraxis bestehen. Ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften dürfen nur für den Regelfall gelten und müssen Spielraum für die Berücksichtigung der Besonderheiten atypischer Fälle lassen (Ramsauer in Kopp/Ramsauer, VwVfG, 21. Aufl. 2020, § 40 Rn. 42 ff.; Schenke/Ruthig in Kopp/Schenke, VwGO 26. Aufl. 2020, § 114 Rn. 41 ff.). Ein derartiger atypischer Fall ist dann gegeben, wenn der konkrete Sachverhalt außergewöhnliche Umstände aufweist, deren Besonderheiten von der ermessenslenkenden Vorschrift nicht hinreichend erfasst und von solchem Gewicht sind, dass sie eine von der im Regelfall vorgesehenen Rechtsfolge abweichende Behandlung gebieten (OVG NRW, B.v. 29.5.2017 - 4 A 516/15 - juris; VG Würzburg, U.v. 3.8.2020 - W 8 K 20.743 - juris Rn. 28).
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2. Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben konnte der Beklagte, der in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, im Regierungsbezirk nur diesen einen Fall hinsichtlich der Stichtagsfrage bearbeitet zu haben - selbst bei einer Bejahung einer zunächst vorgetragenen bestehenden „Genehmigungspraxis“ bei nur einem Fall - jedenfalls unter Beachtung des Telos des pandemiebedingten rahmensetzenden Soforthilfeprogramms sowie der besonderen Gesamtumstände des Falles der Klägerin deren Antrag nicht mit der Begründung ablehnen, dass diese zum Stichtag 1. April 2020 keinen bestehenden Hauptwohnsitz in Bayern gehabt habe, weil eine rückwirkende Anmeldung erfolgt sei.
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a) Es liegt nach den Besonderheiten der Gesamtumstände im Fall der Klägerin ein atypischer Fall vor, dem gerade eine pandemiebedingte rückwirkende Anmeldung des Hauptwohnsitzes in * zugrunde liegt. Diese Besonderheiten sind vom Wortlaut der ermessenslenkenden Vorschriften nicht hinreichend erfasst, obgleich diese als Soforthilfe pandemiebedingte - also fremdbestimmte, unbeeinflussbare - Auswirkungen abfedern möchten. Ist aber im konkreten Einzelfall die Erfüllung aller Tatbestandsmerkmale der Richtlinie zur Abfederung pandemiebedingter finanzieller Härten ebenso pandemiebedingt erheblich erschwert bzw. faktisch unmöglich, so gebietet der Einzelfall jedenfalls eine von der im Regelfall vorgesehenen Rechtsfolge abweichende Behandlung. Ein solcher Spielraum für die Berücksichtigung der Besonderheiten atypischer Fälle - wie sie gerade bei einer wenig berechenbaren Pandemie vorkommen können - muss daher auch bei einer bestehenden Verwaltungspraxis bleiben. Erschwerend kommt hier hinzu, dass der Beklagte nach seinen Einlassungen in der mündlichen Verhandlung in diesem Regierungsbezirk nur einen Fall dieser Art zu entscheiden hatte und ihm nur ein weiterer, ähnlicher Fall aus einem anderen Regierungsbezirk bekannt war.
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b) Dies zugrunde gelegt hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung überzeugend und unter Vorlage eines Kündigungsschreibens dargelegt, dass sie bereits im Dezember 2019 ihre Wohnung in * gekündigt hat und den Umzug zu ihrer Mutter im März 2020 plante. Dieser Umzugsplan war ausweislich einer vorgelegten E-Mail vom 12. März 2020 soweit gediehen, dass bereits ein Umzugsfahrzeug für den 23./24. März 2020 reserviert war. Dies deckt sich auch mit den dahingehenden Aussagen der Klägerin und der glaubhaften Aussage der als Zeugin vernommenen Mutter der Klägerin. Die Klägerin hat ebenfalls glaubhaft geschildert, bereits im März noch aus der häuslichen Quarantäne heraus versucht zu haben, mit der Stadt * Kontakt aufzunehmen, was aber pandemiebedingt gescheitert sei.
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c) Nach einer amtlichen Auskunft der Stadt, Bürgeramt, vom 17. August 2020 waren die mit dem Meldewesen betrauten Bürgerbüros mit Ausrufung des Katastrophenfalls in Bayern am 16. März 2020 ab diesem Tag bis zum 12. Mai 2020 geschlossen. Lediglich in Ausnahmefällen konnten Anmeldungen postalisch erledigt werden. Die Anmeldung der Klägerin sei dem Bürgeramt am 22. April 2020 per Post zugegangen, wegen fehlender Anlagen jedoch noch einmal zurückgesandt worden. Die endgültige Anmeldung der Klägerin zum 1. April 2020 erfolgte sodann mit am 6. Mai 2020 beim Bürgerbüro eingegangenem Schreiben. Eine Wohnungsgeberbestätigung für den Mieter mit Einzugsdatum 1. April 2020 (die ausweislich des Wortlautes von § 19 Abs. 3 Nr. 1 BMG e contrario auch von dem zum Eigentümer personenverschiedenen Vermieter ausgestellt werden kann, wenn dieser Wohnungsgeber im Sinne der Vorschrift - etwa bei einem Untermietverhältnis - ist) ist der Stadt * laut einer Bescheinigung des Bürgerservice * zur elektronischen Datenübermittlung am 16. April 2020 zugegangen. Hinzu kommt, dass die Klägerin bis 8. April 2020 pandemiebedingt unter häuslicher Quarantäne stand, weil der Verdacht bestand, sie könne Kontaktperson zu einer mit SARS-CoV-2 infizierten Person gewesen sein.
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d) Einen Fall, der von vorneherein wegen der Stichtagsregelung nicht unter die Richtlinien im Künstlerhilfsprogramm fallen würde bzw. ein rechtsmissbräuchliches Verhalten der Klägerin vermag das Gericht daher nicht zu erkennen. Der Beklagte hat in seiner Entscheidung diese besonderen - und v.a. pandemiebedingten - Gesamtumstände jedenfalls im Rahmen der Einzelfallentscheidung nicht hinreichend berücksichtigt.
28
e) Darüber hinaus hat der Beklagte im Rahmen der Konkretisierung seiner Ermessensentscheidung im Rahmen der Klageerwiderung (§ 114 Satz 2 VwGO) sachfremde Erwägungen angestellt, indem er davon ausgeht, dass bei einer künstlerischen Tätigkeit in der Nähe von * mangels räumlicher Nähe kein Hauptwohnsitz in Bayern begründet werden könne. Wo konkret die Klägerin ihre - regelmäßig wenig ortsgebundene - künstlerische Tätigkeit ausübt, obliegt alleine ihrer Entscheidung, ebenso wie die davon unabhängig zu treffende Entscheidung, wo sie ihren Hauptwohnsitz nimmt. Hinzu kommt, dass die einschlägigen Richtlinien nur von einem „bestehende[n] Hauptwohnsitz in Bayern“ sprechen, die künstlerische Tätigkeit ausweislich des Wortlautes und im systematischen Kontext zum Hauptwohnsitz aber als eigenständiges Tatbestandsmerkmal erfassen, ohne diese Tätigkeit räumlich auf Bayern zu beschränken. Insoweit ist der von den Förderrichtlinien gesetzte Rahmen des Ermessens hier ebenfalls erkennbar überschritten.
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3. Damit war der streitgegenständliche Bescheid aufzuheben und der Beklagte mangels Spruchreife zu verpflichten, über den Antrag der Klägerin vom 25. Mai 2020 unter Beachtung Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
II.
30
Der Klage ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
III.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.