Inhalt

OLG Bamberg, Urteil v. 22.10.2020 – 1 U 427/19
Titel:

Versicherungsort in der Hausratversicherung

Normenkette:
VHB 92 § 3 Nr. 2, § 5, § 10 Nr. 2
Leitsätze:
1. Unter einem Raum eines Gebäudes ist jeder abgegrenzte und verschließbare Teil eines Gebäudes zu verstehen, der in verschlossenem Zustand Unbefugte abhält oder sie zwingt, eines der Mittel des erschwerten Diebstahls anzuwenden, um Zutritt zu erlangen (Anschluss an OLG Köln BeckRS 2011, 17083). (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Pergola ist in der Hausratversicherung nicht als Raum in einem Nebengebäude iSv § 10 Nr. 2 VHB 92 anzusehen. (Rn. 5 – 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Hausratversicherung, Versicherungsort, Brand, Pergola, Raum eines Gebäudes
Vorinstanz:
LG Aschaffenburg, Endurteil vom 26.11.2019 – 11 O 3/18
Fundstellen:
r+s 2021, 159
VersR 2021, 1379
BeckRS 2020, 28572
ZfS 2021, 33
LSK 2020, 28572

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Endurteil des Landgerichts Aschaffenburg vom 26.11.2019, Az. 11 O 3/18, abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Die Nebenintervenientin trägt ihre Kosten selbst.
3. Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Tatbestand

(abgekürzt gem. § 540 Abs. 2, § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO)

Entscheidungsgründe

I.
1
Die zulässige Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Die Klage ist insgesamt abzuweisen.
2
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung der geltend gemachten Beträge, da die streitgegenständliche, einem Brand zum Opfer gefallene Pergola nicht dem Versicherungsschutz unterfällt.
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Der Senat teilt die Auffassung des Erstgerichts, die Pergola sei als Raum in einem Nebengebäude im Sinne des zwischen den Parteien bestehenden Hausratsversicherungsvertrages (§ 10 Ziff. 2 Hausratsversicherung VHB 92-Euro/AGIB 94) anzusehen, nicht.
1. Es gilt:
4
Nach gefestigter Rechtsprechung des BGH sind Versicherungsbedingungen so auszulegen, „wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss“. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit - auch - auf seine Interessen an. Dieser Versicherungsnehmer wird in erster Linie vom Wortlaut einer Klausel ausgehen und den Begriff nach dem allgemeinen Sprachgebrauch verstehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Sinn und Zweck bzw. (systematische) Sinnzusammenhang der Klausel(n) sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (Brömmelmeyer in Rüffer/Halbach/Schimikowsky, VVG, 4. Aufl., Einleitung Rn. 66).
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2. Nach diesen Maßgaben kann die Pergola der Klägerin nicht als Raum in einem Nebengebäude im Sinne der Versicherungsbedingungen beurteilt werden.
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aa) Es ist bereits fraglich, ob eine Pergola im allgemeinen Sprachgebrauch als Gebäude verstanden wird.
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bb) Ein verständiger Versicherungsnehmer muss davon ausgehen, dass der Gebäudebegriff innerhalb einer Versicherung nach denselben Kriterien zu beurteilen ist und nicht, dass im Rahmen der Versicherung gegen Brandschutz ein anderer Gebäudebegriff zugrunde gelegt wird, als wenn im Rahmen derselben Versicherung Schutz aufgrund eines Einbruchdiebstahls begehrt wird.
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Das Wort „Gebäude“ findet sich auch in § 5 VHB 92-Euro, in welchem u.a. der Einbruchsdiebstahl geregelt ist. Unter einem Raum eines Gebäudes im Sinne dieser Vorschrift ist jeder abgegrenzte und verschließbare Teil eines Gebäudes zu verstehen, der in verschlossenem Zustand Unbefugte abhält oder sie zwingt, eines der Mittel des erschwerten Diebstahls anzuwenden, um Zutritt zu erlangen. Dieser Definition folgend hat das OLG Köln ein Carport nicht unter den Schutz der Hausratsversicherung fallen lassen, da es nicht nach allen Seiten geschlossen ist und betreten werden kann, ohne besondere Hindernisse zu überwinden (OLG Köln, Urteil vom 13.01.2005 - 9 U 200/04, zu § 5 VHB 84). Es ist überdies auch allgemein anerkannt, dass im Rahmen der Einbruchsdiebstahlsversicherung nach § 92 VHB ein Gebäude zu verstehen ist als ein auf der Erdoberfläche errichtetes Bauwerk, das unbeweglich allseitig umschlossen ist und den Eintritt von Menschen gestattet und Unbefugte abhalten soll (Bruck/Möller, VVG, 9. Aufl. VHB A § 3 Rn. 7).
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Die Pergola der Klägerin erfüllt diese Kriterien ebenfalls nicht. Insbesondere war sie nicht allseitig umschlossen und nicht geeignet, Unbefugte abzuhalten. Es erschließt sich für einen verständigen Versicherungsnehmer auch, dass in einen nicht umschlossenen Raum nicht eingebrochen werden kann.
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cc) Der Senat sieht es nicht als angebracht an, im vorliegenden Fall auf den Gebäudebegriff aus der Gebäudefeuerversicherung zurückzugreifen.
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Der streitgegenständliche Versicherungsvertrag umfasst neben einer Versicherung gegen Brandschäden u.a. auch eine solche gegen Einbruchsdiebstahl (§ 3 Nr. 2 VHB 92-Euro = Bl. 20 d.A.). Der Versicherungsort wird für beide Versicherungen einheitlich in § 10 VBH 92-Euro geregelt.
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Die Gebäudefeuerversicherung stellt zwar auch eine Versicherung gegen Feuerschäden dar, dient jedoch einem anderen Zweck. Die Vorschriften über die Gebäudefeuerversicherung (§§ 142-149 VVG) sollen danach den berechtigten Sicherungsinteressen der Realgläubiger Rechnung tragen und im Interesse der (insbes. Verbraucher-)Kreditnehmer die Bereitschaft zur Vergabe von Realkrediten fördern (Klimke in Prölss/Martin, VVG, vor § 142-149 Rn. 1). Einen solchen Zweck verfolgt die vorliegende Hausratsversicherung ersichtlich nicht. Bei der Hausratsversicherung geht es sowohl im Bereich des Brand- als auch des Einbruchsschutzes darum, im Schadensfall den Inhalt eines Gebäudes ersetzt zu erhalten (§ 1 Nr. 1 VHB 92-Euro: „Versichert ist der Hausrat“). Insoweit ergeben sich Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Versicherungen und Unterschiede zur Gebäudefeuerversicherung.
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dd) Es begegnet ebenso Bedenken, wie das Erstgericht insoweit auf den in den Vorbemerkungen zu § 88 VVG (Prölss/Martin, 29. Aufl. § 88 Rn. 9) definierten Gebäudebegriff abzustellen. In § 88 VVG ist geregelt, wie sich der Versicherungswert berechnet, wenn sich die Versicherung auf eine Sache oder einen Inbegriff von Sachen bezieht. Die zitierte Fundstelle beschäftigt sich damit, nach welchen Maßgaben der Wert unbeweglicher Sachen errechnet wird, wenn dieser Gegenstand einer Versicherung sind. Hier geht es jedoch nicht darum, den Wert eines versicherten Gebäudes zu berechnen. Daher erscheint es nicht sachgerecht, diese Definition heranzuziehen.
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ee) Die Auffassung des Regulierers … es handele sich bei der Pergola um ein Gartenhaus, ist insoweit irrelevant. Er hat nur den zerstörten Zustand sehen und damit den Bau nicht vollumfänglich beurteilen können, wie aus den vorgelegten Lichtbildern, welche den Zustand nach dem Brand zeigen. Im Rahmen der Auslegung von Versicherungsbedingungen findet zudem eine Zurechnung nach § 278 BGB nicht statt.
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3. Unter diesen Umständen kann die Frage, ob der Anspruch der Klägerin verjährt ist, dahinstehen.
II.
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1. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 97 Abs. 1, 101 Abs. 1 ZPO.
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2. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10 Satz 1, 711, 713 ZPO.
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3. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen dafür nicht vorliegen (§ 543 Abs. 2 ZPO). Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Über klärungsfähige und -bedürftige Rechtsfragen hat der Senat nicht zu befinden. Der Streitfall ist geprägt durch die ihm eigenen Besonderheiten im Tatsachenbereich.