Inhalt

VG München, Beschluss v. 12.09.2020 – M 13 S 20.4346
Titel:

Verbot einer Versammlung aus infektionsschutzrechtlichen Gründen

Normenketten:
6.BayIfSMV § 7 Abs. 1
BayVersG Art. 15
Leitsatz:
Ist aufgrund der coronabedingten Teilnahmebeschränkung parallel stattfindender Versammlungen von einer unkontrollierbaren Abwanderung von Demonstranten zu einer weiteren Versammlung auszugehen, so darf sie untersagt werden. (Rn. 18 – 19) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Aufhebung des Beschränkungsbescheides einer Versammlung, Infektionsrisiko, Einhaltung von Mindestabständen, Teilnehmerzahl, Versammlung, Infektionsgefahr, Wahrscheinlichkeit, Gegendemonstration, Corona-Beschränkung, Corona, Faschismus, Mindestabstand, Ordner
Fundstelle:
BeckRS 2020, 24151

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller wendet sich gegen die Untersagung einer für den 12. September 2020 angezeigten Versammlung.
2
Am 09. September 2020 zeigte der Antragsteller für den 12. September 2020 eine stationäre Versammlung mit dem Thema: „Faschismus in Zeiten der Corona-Pandemie?“ mit einer Teilnehmerzahl von 30 auf dem Platz der Opfer des Nationalsozialismus an. Die Zahl der Ordner wurde mit ca. 5 angegeben, die Versammlung sollte von 14:00-17:00 Uhr stattfinden.
3
Für den 12. September 2020 wurden zahlreiche weitere (Protest-)Versammlungen gegen die staatlichen Corona-Beschränkungen sowie entsprechende Gegendemonstrationen im Stadtgebiet München angemeldet. Unter anderem wurde eine stationäre Versammlung mit 5.000 Teilnehmern am O.platz/L. straße von 16:00 bis 19:00 Uhr sowie eine sich fortbewegende Versammlung von 12:00 bis 15:30 Uhr mit 500 Teilnehmern mit Start und Ende O.platz angemeldet. Die stationäre Versammlung wurde auf die Theresienwiese verlegt.
4
Mit Bescheid vom 11. September 2020, dem Antragsteller um 18:45 Uhr per Fax übermittelt, erließ die Antragsgegnerin zunächst für die Versammlung verschiedene Beschränkungen, unter anderem eine maximale Teilnehmerzahl von 200.
5
Mit Bescheid ebenfalls vom 11. September 2020, dem Antragsteller um 21:25 Uhr per Fax übermittelt, hob die Antragstellerin den oben genannten Bescheid auf und untersagte die Durchführung der angezeigten Versammlung.
6
Zur Begründung wurde ausgeführt, die angezeigte Versammlung sei zunächst als Gegendemonstration zu den ebenfalls für den 12. September angemeldeten Proteste gegen die staatlichen Corona-Beschränkungen eingeordnet worden. Neueren Erkenntnissen zufolge sei die angezeigte Versammlung jedoch dem Spektrum der Proteste gegen die staatlichen Corona-Beschränkungen zuzuordnen. Die Versammlung werde an einer stark frequentierten Örtlichkeit in unmittelbarer räumlicher Nähe zum O.platz durchgeführt. Das Thema der Versammlung lehne sich an das Thema der „Querdenken“-Versammlung am O.platz an. Aufgrund des überregionalen Mobilisierungsgrades sei hiermit einem hohen Aufkommen potenzieller Teilnehmer zu rechen. Daher sei bei der streitgegenständlichen Versammlung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit damit zur rechnen, dass sich viele potenzielle Teilnehmer, die entweder bei der „Querdenken“-Versammlung mit den angezeigten 5.000 Teilnehmern auf dem O.platz nicht zum Zuge kommen, oder aber dennoch in der Innenstadt demonstrieren wollen, der streitgegenständlichen Versammlung mit 30 Teilnehmern als Ersatzversammlung anschließen und die Personenzahl deutlich mit unabsehbaren Folgen für den Infektionsschutz überschritten werde. Bei der zu befürchteten Ansammlung könnten mit hoher Wahrscheinlichkeit die Mindestabstände nicht eingehalten werden; eine Rückverfolgung möglicher Infektionsketten wäre nicht gewährleistet. Hierdurch bestünde eine Infektionsgefahr sowohl für die Versammlungsteilnehmer, als auch für unbeteiligte Dritte. Die Versammlung sei zur Gewährleistung der geltenden infektionsschutzrechtlichen Bestimmungen zu untersagen.
7
Am 12. September 2020, 09:01 Uhr, übersandte der Antragsteller dem Verwaltungsgericht die vorgenannten Bescheide per Telefax und erklärte telefonisch, dass er sich gegen die Untersagung der angezeigten Versammlung wende. Ein Antrag wurde nicht gestellt.
8
Die Antragsgegnerin wurde telefonisch angehört und teilte dem Gericht per Fax (09:21 Uhr) die Wegstrecke der sich fortbewegenden „Querdenken“-Versammlung, beginnend ab 12 Uhr am O.platz, mit.
9
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten verwiesen.
II.
10
Die Entscheidung erfolgt nach § 80 Abs. 8 VwGO durch die Vorsitzende.
11
Der Antrag führt in der Sache nicht zum Erfolg.
12
Das Gericht kann in der kurzen zur Verfügung stehenden Zeit die Rechtmäßigkeit nicht mehr bewerten. In der hiernach nur möglichen reinen Interessenabwägung überwiegt aus Sicht des Gerichts das öffentliche Interesse wegen der Infektionsgefahr das Interesse des Antragstellers an der Durchführung der Versammlung.
13
Rechtsgrundlage für die Versagung ist Art. 15 Abs. 1 BayVersG in Verbindung mit § 7 Abs. 1 der gültigen Fassung der 6. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (BaylfSMV).
14
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Begründung des Bescheids der Antragsgegnerin vom 11.9.2020 verwiesen (§ 117 Abs. 5 VwGO).
15
Ergänzend wird ausgeführt:
16
Die Wegstrecke der sich fortbewegenden Versammlung „… - Querdenken, beginnend ab 12 Uhr am O.platz“ folgt am 12.9.2020 vom O.platz auf der L. straße Höhe Finanzministerium mit Marschrichtung Nord - L. straße (nördlich) - Oskar von MillerRing (Gegenfahrbahn) - G. straße. - B. Platz - G. straße - D. Straße - S1. straße, S2.platz -S. straße - Paul-Heyse-Unterführung -P. Straße - S3. straße - Bavariaring (westlich in Fahrtrichtung) - Theresienwiese. Die Veranstalter haben hierfür 500 Menschen angemeldet.
17
Die hier streitgegenständliche Versammlung lehnt sich thematisch an die Themen der Versammlung von „Querdenken“ an. Der fortbewegende Zug befindet sich in unmittelbarer Nähe des hier angezeigten Versammlungsortes am Platz der Opfer des Nationalsozialismus.
18
Da für die Versammlung von Querdenken 5000 Teilnehmer auf dem O.platz angemeldet wurden und die Versammlung mit nur 1000 Teilnehmern auf die Theresienwiese verlegt wurde, ist damit zu rechnen, dass sich Teilnehmer, die auf der Theresienwiese nicht zum Zuge kommen und in der Innenstadt demonstrieren wollen, sich der hier streitgegenständlichen Versammlung anschließen. Dies gilt auch für diejenigen, die an der sich fortbewegenden Versammlung teilnehmen wollen, wenn mehr als 500 Teilnehmer an der Versammlung teilnehmen.
19
Es ist daher damit zu rechnen, dass die zunächst zugelassene Teilnehmerzahl von 200 deutlich überschritten wird. Da nicht absehbar ist, wie viele an der Versammlung tatsächlich teilnehmen, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dass die bisher vorgesehene Anzahl der Ordner nicht ausreichen wird, um die Einhaltung der Mindestabstände zu gewährleisten. Es ist nicht damit zu rechnen, dass kurzfristig genügend entsprechend geschulte Ordner zur Verfügung stehen.
20
Es muss daher damit gerechnet werden, dass die Mindestabstände nicht eingehalten werden und nicht nur eine Infektionsgefahr für die Teilnehmer, sondern auch für unbeteiligte Dritte entsteht.
21
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG.