Inhalt

LSG München, Urteil v. 22.01.2020 – L 12 KA 6/19
Titel:

Vertragsarztrecht: Entziehung der Zulassung wegen Nichtausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit

Normenkette:
SGB V § 95 Abs. 3, Abs. 5, Abs. 6
Leitsätze:
1. Maßgebend für die Beurteilung, ob und in welchem Umfang die vertragsärztliche Tätigkeit (noch) ausgeübt wird, sind die gegenüber der KV abgerechneten Behandlungsfälle. (Rn. 69)
2. Der Wille zur kontinuierlichen Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung fehlt, wenn über Jahre nur in einzelnen Quartalen wenige Behandlungsfälle abgerechnet werden und vom Vertragsarzt nicht dargelegt wird, wie zukünftig eine kontinuierliche Versorgung stattfinden soll. (Rn. 74)
3. Ein Ruhen der Zulassung kommt nicht in Betracht, wenn nach dem Vortrag des Vertragsarztes nicht absehbar ist, wann er wieder in ausreichendem Umfang an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen wird. (Rn. 60 – 64)
Schlagworte:
Nichtausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit, Ruhen der Zulassung, Zulassung, Zulassungsentziehung, Zulassungsentzug, Vertragsarztrecht
Vorinstanz:
SG München vom 15.01.2019 – S 38 KA 150/18
Rechtsmittelinstanz:
BSG Kassel, Beschluss vom 09.07.2020 – B 6 KA 3/20 B
Fundstelle:
BeckRS 2020, 22490

Tenor

I. Das Urteil des Sozialgerichts München vom 15.01.2019, Az: S 38 KA 150/18, wird insoweit aufgehoben, als dem Hilfsantrag stattgegeben wurde, und die Klage gegen den Beschluss des Beklagten vom 12.04.2018 wird auch insoweit abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten der Beigeladenen zu 1) und 2).
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1
Streitig ist die Entziehung der dem Kläger erteilten Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung.
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Der Kläger (geboren 1948) wurde mit Beschluss des Zulassungsausschusses Ärzte Oberbayern (nachfolgend: ZA) vom 19.06.1996 als Facharzt für Psychotherapeutische Medizin zur vertragsärztlichen Versorgung zunächst am Sitz A-Straße in A-Stadt zugelassen. Nach zwischenzeitlicher Verlegung des Vertragsarztsitzes nach F. (Beschluss des ZA vom 13.12.2017) befindet sich der Vertragssitzsitz wieder im A-Straße in A-Stadt (Beschluss des ZA vom 07.02.2018).
3
Der Kläger hatte für die Quartale 2/2012, 3/2012, 2/2013, 3/2014, 1/2015, 2/2015, 3/2015, 2/2016, 3/2016, 4/2016 und 2/2017 keine Abrechnungen bei der Beigeladenen zu 1) eingereicht und gab hierzu auf Nachfragen der Beigeladenen zu 1) folgende Gründe an: 2/2012 Fehlende Überweisungsscheine, Erkrankung (23.7.-1.8. AU), Praxisabgabe/MVZ geplant, Lehrtätigkeit für die Bayerische Landesärztekammer
3/2012 Sicherstellungsassistentin beantragt, Praxisabgabe/MVZ geplant, Erkrankung, Fehlende Überweisungsscheine, Lehrtätigkeit für die Bayerische Landesärztekammer
2/2013 wegen Überlastung/Prävention (Suchtpatienten/Burnout) erfolgt die Abrechnung II/2013 mit der Abrechnung III/2013 zusammen (Übergabeseminar KVB 14.9.13/Weiterbildung für BLÄK - Seminare + Praxis).
3/2014 Technische Probleme (Kartenleser/Med7-Anbindung) Datentransfer/Datenauslesung
1/2015 Abrechnung erst mit II/2015 wegen technischer Probleme
2/2015 Technische Probleme, Abrechnung II. Quartal mit III. Quartal
3/2015 Abrechnung mit dem nächsten Quartal
2/2016 Technische Probleme (und nach Rücksprache mit Herrn F./KVB wg. Familie)
3/2016
und
4/2016 Krankheit - nur wenige Patienten - technisches Problem mit Kartenleser-Anbindung
2/2017 Update Med7 - Version 8.11 B fehlgeschlagen. Abrechnung II/2017 mit III/2017
4
Die Beigeladene zu 1) hatte den Kläger mit den Schreiben vom 07.03.2016 und 01.12.2016 auf die fehlenden Abrechnungen für die Quartale 4/2015 und 03/2016 hingewiesen und um Mitteilung gebeten, ob und inwieweit die vertragsärztliche Tätigkeit vom Kläger ausgeübt werde. Der Kläger wurde auch darauf hingewiesen, dass die Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung eine der Hauptleistungspflichten des Vertragsarztes sei. Der Kläger teilte zum Quartal 4/2015 mit E-Mail vom 09.03.2016 mit, dass das Computersystem leider mehrfach mangelhaft gewesen sei. Seine beiden Töchter seien approbierte Ärztinnen in Facharztweiterbildungen. Er wolle die Weiterführung der Praxis durch die Töchter und die spätere Übergabe ermöglichen. Er übe seit Jahren Lehrtätigkeiten und Supervisionen für sein Fachgebiet neben den Patientenbehandlungen aus und befinde sich daher in einer besonderen Lage. Zum Quartal 3/2016 hatte sich der Kläger stichwortartig mit dem Verweis auf „Krankheit“ und „technisches Problem mit Kartenleser-Anbindung“ gemeldet.
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Mit Schreiben vom 08.08.2017 wies die Geschäftsstelle des ZA den Kläger darauf hin, dass nach Überprüfung der Abrechnung in der Vertragsarztpraxis keine bzw. nur in sehr geringem Maße Leistungen erbracht würden. Als zugelassener Vertragsarzt sei der Kläger u.a. verpflichtet, die Vertragsarztpraxis zu unterhalten, Sprechstunden einzuhalten und Leistungen persönlich zu erbringen. Ggf. sei die Zulassung zu entziehen, wenn die vertragsärztliche Tätigkeit nicht in nennenswertem Umfang ausgeübt werde. Der ZA werde voraussichtlich in der Sitzung am 13.09.2017 die Zulassungsvoraussetzungen überprüfen. Der Kläger wurde gebeten, vorab eine Stellungnahme einzureichen.
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Mit E-Mail vom 10.08.2017 teilte der Kläger der Beigeladenen zu 1) mit, dass er vom 22.08.2017 bis 19.09.2017 eine stationäre Behandlung geplant habe und bat, vom Termin am 13.09.2017 abzusehen. Mit weiterer E-Mail vom 14.08.2017 beantragte er bei der Beigeladenen zu 1) das Ruhen seiner Zulassung aus gesundheitlichen Gründen wegen einer koronaren 3-Gefäß-Erkrankung mit einer geplanten stationären Behandlung im August/September 2017. Er habe auch im 2. Quartal nur eine geringe Zahl von Kassenpatienten behandelt und abgerechnet und leite neben seiner Praxis Weiterbildungen als Lehrtherapeut für Verhaltenstherapie, Autogenes Training, Hypnose und psychosomatische Grundversorgung bei der Bayerischen Landesärztekammer. Von der Beigeladenen zu 1) wurde dem Kläger am 16.08.2017 mitgeteilt, dass ein formeller Ruhensantrag erforderlich sei.
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Am 21.08.2017 ging beim ZA der Antrag des Klägers auf Ruhen der Zulassung ab 21.08.2017 bis 31.12.2017 wegen einer Erkrankung ein. Er wurde in der Sitzung des ZA am 13.09.2017 durch seinen Bevollmächtigten vertreten.
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Der ZA hat mit Beschluss vom 13.09.2017 die Zulassung des Klägers wegen Nichtausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit und wegen gröblicher Verletzung vertragsärztlicher Pflichten vollständig entzogen. Der Antrag auf Vertagung der Entscheidung wurde abgelehnt.
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Dagegen hat sich der Kläger, vertreten durch seinen Bevollmächtigten, mit dem Widerspruch vom 13.11.2017 gewandt. Eine schriftliche Begründung des Widerspruchs erfolgte nicht. Dem Beklagten wurde in der Sitzung am 12.04.2018 ein Attest von Herrn Dr. L., Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 10.04.2018 übergeben. Danach habe beim Kläger wegen einer lang anhaltenden depressiven Erkrankung, intermittierend auch mit stationärer Behandlungsnotwendigkeit, eine längere Arbeitsunfähigkeit bestanden. Zwischenzeitlich habe eine erfreuliche Stabilisierung erreicht werden können, so dass mit einer Wiederaufnahme der kassenärztlichen Tätigkeit zum 01.07.2018 zu rechnen sei.
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Mit Beschluss des Amtsgerichts Augsburg - Insolvenzgericht -, Az. …, wurde am 29.12.2017, 16:30 Uhr das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers eröffnet. Der Insolvenzverwalter hat dem Kläger gegenüber am 08.01.2018 erklärt, dass das Vermögen, das der Schuldner aus der von ihm ausgeübten selbstständigen Tätigkeit, derzeit als niedergelassener Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, erzielt, nicht zur Insolvenzmasse gehört.
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Der Beklagte wies mit Beschluss vom 12.04.2018 den Widerspruch gegen den Beschluss des ZA vom 13.09.2017 zurück und entzog dem Kläger die Zulassung vollständig. Er wies zunächst auf die Ausführungen des Zulassungsausschusses hin, wonach der Kläger in der Zeit vom 22.08.2017 bis voraussichtlich 03.10.2017 in der Klinik W. stationär behandelt werde und nach Meinung der Klinik ab dem 01.01.2018 wieder in vollem Umfang seine Praxis werde führen können. Der Kläger sei wiederholt an seine Verpflichtung zur Einreichung einer Abrechnung, sowie die Verpflichtung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Tätigkeit erinnert worden. Daraufhin habe er mit unterschiedlichen Begründungen (Krankheit, technische Probleme, fehlende Überweisungsscheine, u.a.) reagiert. Der Kläger habe zum Ausdruck gebracht, es sei eine Übernahme der Praxis durch seine Töchter geplant. Diese würden ihre Weiterbildung in seiner Praxis beginnen. Entsprechende Anträge würden noch gestellt werden.
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Zur Begründung des Zulassungsentzuges bezog sich der Beklagte auf mehrere Entscheidungen der Sozialgerichte (SG München, Urteil vom 11.10.2011, Az. S 38 KA 1338/08; LSG Baden-Württemberg, L 5 KA 2155/09; LSG Bayern, Urteil vom 08.04.2013, Az. L 12 KA 82/11), in denen Gegenstand der Entscheidung die Entziehung der vertragsärztlichen Zulassung nach § 95 Abs. 6 SGB V i.V.m. § 27 Ärzte-ZV war. Der Kläger sei seit dem Quartal 1/2010 nur in sehr geringem Umfang vertragsärztlich tätig gewesen bzw. habe in den Jahren 2015 und 2016 sowie in den Quartalen 3/2017 und 4/2017 überhaupt keine Fälle zur Abrechnung gebracht. So habe er in dem genannten Zeitraum insgesamt lediglich 83 Fälle zur Abrechnung gebracht. Im Einzelnen wurde im angefochtenen Bescheid des Beklagten folgende Liste abgedruckt:
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Damit habe er deutlich weniger als 10% des Fachgruppendurchschnitts abgerechnet. Es liege daher eine „Nichttätigkeit“ vor, die zum Entzug der vertragsärztlichen Zulassung nach § 95 Abs. 6 SGB V berechtige. Im Übrigen bestünden ernsthafte Zweifel, ob angesichts der langen „Pause“ überhaupt noch ein übergabefähiges Praxissubstrat vorhanden sei.
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Auch lägen die Voraussetzungen für ein Ruhen der Zulassung nach § 95 Abs. 5 SGB V nicht vor. Obwohl der Kläger ab dem 01.01.2018 wieder in der Lage gewesen sei, seine vertragsärztliche Tätigkeit auszuüben, habe er nach seinem Bekunden auch im Quartal 1/2018 keinerlei Leistungen im Rahmen der vertragsärztlichen Tätigkeit erbracht. Auch die Aufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit zum 01.07.2018 sei keineswegs als sicher anzusehen. Für den Beklagten sei daher nicht ersichtlich, wann eine Wiederaufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit zu erwarten sei. Es dränge sich der Verdacht auf, dass der Widerspruchsführer seine Praxis lediglich „pro forma“ noch führe, um diese an seine beiden Töchter eines Tages übergeben zu können. Dies stelle aber keinen Grund für ein Ruhen der Zulassung nach § 95 Abs. 5 SGB V dar.
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Dagegen richtete sich die zum Sozialgericht München erhobene Klage. Zur Begründung ließ der Kläger durch seine Prozessbevollmächtigten vortragen, die geringe Tätigkeit sei durch seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bedingt. Er leide seit 2008 an einer koronaren 3-Gefäß-Erkrankung nach Herzinfarkt. Nach vorübergehender Stabilisierung seien neue Herzattacken im Jahr 2014 und verstärkt noch in den Jahren 2015 und 2016 aufgetreten. Im September 2016 sei es erforderlich gewesen, erneut eine komplexe koronare Intervention im Klinikum der Universität B-Stadt mit erneuter Stent-Setzung durchzuführen. Im Sommer 2017 seien wiederum Beschwerden aufgetreten, weshalb eine erneute Behandlung im Klinikum der Universität B-Stadt erforderlich gewesen sei. Dem habe sich ein RehaAufenthalt in der Klinik in W. angeschlossen. Die geplante Aufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit zum 01.07.2018 habe sich leider nicht realisieren lassen, denn es sei zu erneuten gesundheitlichen, aber auch wirtschaftlichen Problemen (Privatinsolvenzverfahren) gekommen. Der Kläger sei zusätzlich an Depressionen erkrankt. Er werde von einem Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie behandelt. Dieser habe mehrere Diagnosen gestellt. Es handle sich um die Diagnose nach ICD 10: F32 2GF 50.9 G (= Schwere depressive Episode mit somatischen Symptomen, hier eine Essstörung, ICD 10: F50.9), sowie einer Pannikulitis (ICD 10: M 54.4) und einer Enthesopathie der unteren Extremitäten nach ICD 10: M76.8 (= entzündliche Vorgänge im Thorakalbereich sowie der unteren Extremitäten). Der Prozessbevollmächtigte trug vor, der Kläger beabsichtige, nach Wiederherstellung seiner Gesundheit seine Zulassung in ein medizinisches Versorgungszentrum einzubringen. Er machte überdies geltend, dass im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsabwägung zu bedenken sei, dass auch ein hälftiger Entzug der Zulassung in Frage käme. Es sei davon auszugehen, dass der Kläger nach Wiederherstellung seiner Gesundheit 10 Patienten pro Quartal behandeln könne und dies auch tun werde. Er verfüge weiterhin über ein Netz von Zuweisern.
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In der mündlichen Verhandlung am 15.01.2019 vor dem Sozialgericht München führte der Kläger aus, er sei in ständigem jahrelangen intensiven Kontakt mit dem Präsenzberater der Beigeladenen zu 1, Herrn F. gestanden. Er habe sich von diesem stets gut beraten gefühlt. Deshalb sei es für ihn vollkommen überraschend gewesen, von Herrn D. (Geschäftsstelle der Zulassungsausschüsse) zu erfahren, dass ihm die ärztliche Zulassung entzogen werde.
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Der Plan einer Praxisübernahme durch seine beiden Töchter bestehe nicht mehr. Geplant sei vielmehr, den Vertragsarztsitz in ein neu zu gründendes MVZ einzubringen. Frühere Versuche, ein MVZ zusammen mit anderen Ärzten zu gründen, seien nicht erfolgreich gewesen. Auch habe sich der Plan, eine Weiterbildungsassistentin zu beschäftigen - eine Genehmigung zur Beschäftigung einer Weiterbildungsassistentin habe bereits vorgelegen - nicht realisieren lassen.
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Zu den technischen Problemen und dem Datenverlust führte der Kläger aus, er habe das Abrechnungsgerät Zemo benutzt, das leider mit der Abrechnungssoftware Med7 nicht mehr kompatibel gewesen sei. Er habe sich deshalb ein neues Gerät zulegen müssen. Wegen der gesundheitlichen Situation sei es dem Kläger nicht möglich gewesen, den Nachweis für eine vertragsärztliche Tätigkeit anderweitig zu führen. Insgesamt seien die Umstände, dass Datenverlust eingetreten sei und dass der Kläger wiederholt schwer erkrankt war, im Rahmen der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme zu würdigen gewesen.
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Das Sozialgericht München hat mit Urteil vom 15.01.2019 den Bescheid des Beklagten vom 12.04.2018 aufgehoben und den Beklagten verurteilt, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid des ZA vom 13.09.2017 zu entscheiden.
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Der Beklagte habe zu Recht die Anordnung des Ruhens der Zulassung abgelehnt. Der Kläger habe mehrfach Atteste eingereicht, mit denen die Wiederaufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit zu unterschiedlichen Zeitpunkten angekündigt wurde. Daraus werde deutlich, dass eine gesicherte Prognose zur Wiederaufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit nicht möglich sei. Auch sei bei der geringen vertragsärztlichen Tätigkeit in der Vergangenheit bereits von einem „faktischen Ruhen“ auszugehen.
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Die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung könne zwar entzogen werden, wenn die vertragsärztliche Tätigkeit nicht ausgeübt werde, was bereits bei einer Fallzahl von weniger als 10% der durchschnittlichen Fallzahl der Fachgruppe vorliege. Daran gemessen, habe der Kläger mit weniger als 5 Fällen pro Quartal die vertragsärztliche Tätigkeit über einen längeren Zeitraum nicht ausgeübt. Jedoch stelle die Entziehung der Zulassung eine schwerwiegende Sanktion und einen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit dar. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz müsse gewahrt werden. Die vom Kläger wiederholt angegebenen technischen Probleme seien über einen so langen Zeitraum zwar nur bedingt nachvollziehbar, es hätte dem Kläger aber bei den bekannten Gesamtumständen - Erkrankung und wirtschaftliche Probleme - die Gelegenheit gegeben werden müssen, die Leistungserbringung anderweitig, etwa durch Vorlage der Dokumentationen, nachzuweisen. Zu berücksichtigen sei auch, dass man den Kläger habe lange gewähren lassen.
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Der Beklagte hat gegen das am 23.01.2019 zugestellte Urteil am 19.02.2019 Berufung eingelegt. Er stellte in der Berufungsbegründung vom 02.03.2019 nochmals die der Entscheidung des Beklagten zugrundeliegenden Abrechnungsdaten/Fallzahlen dar und wies darauf hin, dass der Kläger auch im Jahr 2018 nichts abgerechnet habe, obwohl er am 12.04.2018 gegenüber dem Beklagten die Wiederaufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit zum 01.07.2018 angekündigt hatte. Der Kläger sei bereits mit den Schreiben der Beigeladenen zu 1) vom 07.03.2016 und 01.12.2016 auf seine Pflicht zur Einreichung der Abrechnung, die Möglichkeit eines Antrages auf Ruhen der Zulassung oder Beschränkung des Versorgungsauftrages sowie die Genehmigung eines Sicherstellungsassistenten hingewiesen worden. Auch die Geschäftsstelle des ZA habe den Kläger mit Schreiben vom 08.08.2017 auf die Verpflichtung zur Unterhaltung der Vertragsarztpraxis und zum Abhalten von Sprechstunden hingewiesen.
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Die unzureichende Abrechnung von Leistungen zeige sich seit 9 Jahren. In dieser Zeit sei der Kläger mehrfach aufgefordert worden, Nachweise über seine Tätigkeit einzureichen. Er habe auch selbst vorgetragen, jahrelang von einem Mitarbeiter der Beigeladenen zu 1), Herrn F., betreut worden zu sein. In dieser langen Zeit wäre es Sache des Klägers gewesen, Nachweise über seine Tätigkeit vorzulegen. Auch der ZA habe den Kläger mit E-Mail vom 03.07.2018 zur Stellungnahme aufgefordert. Darauf sei der Kläger nicht eingegangen. Es sei nicht erkennbar, wie hier eine weitere Sachaufklärung hätte stattfinden können. Auch die vom Kläger geschilderten Abrechnungsprobleme seien nicht glaubhaft, weil für einzelne Quartale Abrechnungen - wenn auch in geringem Umfang - eingereicht worden seien. Entweder seien die Systeme nicht kompatibel - dann hätte es dem Kläger oblegen, Abhilfe zu schaffen -, oder die Systeme seien kompatibel, aber es habe keine abzurechnenden Fälle gegeben oder diese seien nicht zeitnah abgerechnet worden.
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Auch sei der Berufungskläger nicht durchgehend arbeitsunfähig gewesen. Der Kläger habe selbst in der Sitzung des Beklagten angegeben, seiner Lehrtätigkeit weiterhin nachzugehen und auch im privaten Kreis Behandlungen durchzuführen. Dabei würden ihn seine Krankheiten und finanziellen Belastungen offenbar nicht beeinträchtigen.
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Zu berücksichtigen sei, dass es mehrfache Versuche des Klägers gegeben habe, die Praxis zu verwerten.
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Das vom Sozialgericht angeführte „Gewährenlassen“ sei nicht nachvollziehbar. Es habe eine jahrelange Beratung durch die Beigeladene zu 1) gegeben, die jedoch mangels Mitwirkung des Klägers erfolglos geblieben sei.
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Mit Schriftsatz vom 28.09.2019 ging der Beklagte auf die vom Kläger vorgebrachten Argumente ein und wiederholte und vertiefte seinen Vortrag.
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Im Termin zur mündlichen Verhandlung betonte die Vertreterin des Beklagten, dass ein Verschulden für die zur Zulassungsentziehung führende Pflichtverletzung nicht notwendig sei und die Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit seit Jahren fehle. Der Kläger habe gegenüber dem Beklagten Inkompatibilitäten zwischen dem Kartenleser und seiner Abrechnungssoftware nicht vorgetragen, sondern dies erst beim Sozialgericht nachgeschoben. Maßgebend sei der Sachstand zum Zeitpunkt der Entscheidung des Beklagten am 12.04.2018.
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Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 15.01.2019 insoweit aufzuheben, als dem Hilfsantrag stattgegeben wurde und die Klage auch insoweit abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.
31
Das Sozialgericht sei zu Recht davon ausgegangen, dass der Beklagte bisher nicht festgestellt habe, dass keine oder nur eine geringe vertragsärztliche Behandlung stattgefunden habe. Zwar habe es die fehlende Abrechnung bzw. die Abrechnung nur weniger Fälle hierfür als wesentliches Indiz angesehen, aber es habe zu Recht angenommen, dass der Kläger in der Vergangenheit mehrfach gegenüber der Beigeladenen zu 1) einen Datenverlust geltend gemacht habe. Dies habe der Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung auch dahingehend konkretisiert, dass das Einlesegerät nicht kompatibel zur Software gewesen sei. Hierzu habe das Sozialgericht zutreffend festgestellt, dass der Kläger aufgrund des schweren Krankheitsbildes und seiner finanziellen Situation nicht in der Lage gewesen sei, die technischen Probleme zeitnah zu beheben. Zutreffend habe es auch berücksichtigt, dass die Entziehung der Zulassung ein schwerwiegender Eingriff in Grundrechte des Klägers sei und die vom Kläger vorgebrachten Gründe für die Nichttätigkeit und Nichtabrechnung im Rahmen der Verhältnismäßigkeit zu würdigen seien.
32
Unzutreffend sei der Vortrag des Beklagten, der Kläger sei in 9 Jahren mehrmals von der Beigeladenen zu 1) aufgefordert worden, Nachweise über seine Tätigkeit einzureichen. Erstmals im Jahr 2016 sei eine Aufforderung erfolgt, dass die Abrechnung für das Quartal 4/2015 nicht vorliege und Nachweise für die Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit einzureichen seien. Dieser Aufforderung sei der Kläger mit E-Mail vom 09.03.2016 nachgekommen. Überdies habe er sich nach einer ähnlichen Anfrage der Beklagten vom 02.12.2016 mit dem Berater Herrn F. in Verbindung gesetzt. Auf Datenverluste und die Inkompatibilität der Abrechnungssysteme habe sich der Kläger bereits seit dem Jahr 2014 berufen.
33
Das Sozialgericht habe aufgezeigt, wie der Beklagte noch hätte weiter aufklären können. Im Rahmen der gebotenen Aufklärung hätte der Beklagte erkennen können, dass die Abrechnungsprobleme glaubhaft seien. Die Datenverluste seien auch nicht fortwährend aufgetreten, so dass Abrechnungen auch hätten durchgeführt werden können.
34
Auf eine durchgängige Arbeitsunfähigkeit habe sich der Kläger niemals berufen, sondern nur beschrieben, welche Auswirkungen seine schweren gesundheitlichen Probleme auf die berufliche Tätigkeit hätten. Wenn der Kläger gesundheitlich dazu in der Lage gewesen sei, habe er neben seiner vertragstherapeutischen Praxis auch seinen Weiterbildungsverpflichtungen als Lehrtherapeut nachkommen können.
35
Der Kläger habe tatsächlich vorgehabt, die Praxis durch eine seiner beiden Töchter fortführen zu lassen. Daran seien die Töchter aber nicht interessiert gewesen. Auch die Einbringung der Zulassung in ein MVZ sei gescheitert.
36
Zutreffend sei die Überlegung des Sozialgerichts, die Zulassung ggf. nur hälftig zu entziehen. Bei durchschnittlich 5 Fällen pro Quartal erreiche der Kläger etwa 10% des Fachgruppendurchschnitts von 55 Fällen pro Quartal.
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Das Abrechnungsverhalten des Klägers stelle unter Berücksichtigung der vorgetragenen Umstände keine gröbliche Pflichtverletzung dar.
38
Der Kläger trug im Termin zur mündlichen Verhandlung zu seinen gravierenden gesundheitlichen Problemen, u.a. einem Wirbelbruch im Jahr 2018, vor. Er habe über all die Jahre stets Kontakt mit der Beigeladenen zu 1) gehalten. Er empfinde den Vertragsarztsitz als Aufgabe und habe im Quartal 4/2019 auch 15 Scheine abgerechnet. Mit Kollegen in F. sei die Gründung eines MVZ geplant. Der vollständige Entzug der Zulassung gehe zu weit.
39
Er wünsche die Verweisung des Rechtsstreits an den Güterichter zur Durchführung eines Mediationsverfahrens, in dem nach seiner festen Überzeugung eine einvernehmliche Lösung gefunden werden könne.
40
Der angeregten Verweisung des Rechtsstreits an den Güterichter traten der Beklagte und die Beigeladenen zu 1), 2) und 5) entgegen, der Rechtsstreit sei entscheidungsreif.
41
Die Beigeladene zu 1) schloss sich dem Antrag des Beklagten an.
42
Sie führte aus, dass der Tatbestand der Nichtausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit erfüllt sei, weil der Kläger eine Fallzahl von weniger als 10% der Vergleichsgruppe aufweise. Der Kläger habe für viele Quartale trotz Nachfragen der Beigeladenen zu 1) gar keine - auch keine nachträgliche - Abrechnung eingereicht und damit den ihm obliegenden Nachweis einer kontinuierlichen Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit ausdrücklich nicht erbracht. Ob und inwieweit er die Nichterfüllung des Versorgungsauftrages zu vertreten habe, sei unerheblich.
43
Das Verhalten des Klägers begründe zudem auch den Tatbestand der gröblichen Pflichtverletzung, welche er im Wesentlichen auch zu vertreten habe. Dafür würde schon die Dauer der unberechtigten Nichtausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit sprechen. Auch habe der Kläger für die Quartale, in denen er einzelne Patienten behandelt habe, seine Abrechnung nur wenige Male fristgerecht und sonst erst nach entsprechender Mahnung eingereicht. Auf einzelne Mahnungen habe der Kläger gar nicht reagiert und auf andere Mahnungen habe er die Nichteinreichung der Abrechnung undifferenziert mit wiederkehrenden Angaben wie „Lehrtätigkeit, Erkrankung, […] technische Probleme“ begründet. Die angekündigte Einreichung der Abrechnung zu späteren Zeitpunkten sei regelmäßig nicht erfolgt. Damit habe er gegen die für ihn als Mitglied verbindlichen Abrechnungsbestimmungen der Beigeladenen zu 1) verstoßen.
44
Die regelmäßige Mitteilung technischer Probleme belege, dass der Kläger über keine funktionierende Praxisstruktur verfügt habe.
45
Der Beklagte habe die Sachlage umfassend geprüft. Die vom Sozialgericht geforderten Ermittlungen seien unter keinem Gesichtspunkt veranlasst gewesen.
46
Auch eine nur hälftige Entziehung der Zulassung komme nicht in Frage. Wenn, wie das Sozialgericht bereits zutreffend ausführt, ein Ruhen der Zulassung als milderes Mittel nicht in Frage komme, sei die Entziehung der Zulassung die einzig mögliche Entscheidung. Überdies erfülle der Kläger seit dem Quartal 1/2010 auch einen hälftigen Versorgungsauftrag nicht einmal annähernd. Es sei darauf hinzuweisen, dass die durchschnittliche Fallzahl der Fachgruppe in den Quartalen 1/2015 bis 4/2018 jeweils ca. 60-74 Patienten/Quartal und vollem Versorgungsauftrag betragen habe.
47
Überdies liege nicht nur die Nichtausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit, sondern auch eine gröbliche Pflichtverletzung vor. Die nur hälftige Entziehung der Zulassung komme somit nicht in Betracht.
48
Ungeachtet dessen, dass allein der Zeitpunkt der Entscheidung des Beklagten für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit entscheidend sei, werde darauf hingewiesen, dass der Kläger auch in den Quartalen 1/2018 bis 4/2018 keine Abrechnung eingereicht habe. Die vom Kläger gegenüber der Beigeladenen zu 1) abgegebenen Erklärungen würden dokumentieren, dass der Kläger die Ausübung einer persönlichen vertragsärztlichen Tätigkeit für die Zukunft nicht verfolge.
49
Der der Beigeladenen zu 1) obliegende Sicherstellungsauftrag bedinge, dass erteilte Versorgungaufträge auch erfüllt werden müssten. Zulassungen, aufgrund derer keine oder keine hinreichende vertragsärztliche Tätigkeit ausgeübt werde, seien zu entziehen (BSG, Beschluss vom 10.05.2017, Az. B 6 KA 8/17 B).
50
Im Termin zur mündlichen Verhandlung verwies die Beigeladene zu 1) darauf, dass der Kläger, statt vertragsärztlich tätig zu sein, Geschäftsführer der A. GmbH gewesen sei. Das aktuelle Sprechstundenangebot laut Arztregister betrage eine Stunde pro Woche, jeweils von 8.00 - 8.30 Uhr am Montag und Mittwoch. Die Eintragung beruhe auf einer Abfrage der Beigeladenen zu 1) bei allen Vertragsärzten nach Inkrafttreten des TSVG im Mai 2019. Die im Quartal 4/2019 eingereichte Abrechnung enthalte jeweils 5 Nachtragsfälle für die Quartale 2/2019 und 3/2019 und 5 Fälle für das Quartal 4/2019. Der Fachgruppendurchschnitt liege derzeit bei 75-77 Fällen pro Quartal.
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Der Kläger trat diesem Vortrag entgegen. Die GmbH sei nur bis 1999 tätig gewesen und habe sich danach in Abwicklung befunden. Die angegebenen Sprechstundenzeiten seien falsch. Im Zusammenhang mit den diversen Verlegungsanträgen seien jeweils 20 Stunden Sprechstundenzeit/Woche angegeben worden.
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Die Beigeladene zu 2) schloss sich ebenfalls dem Antrag des Beklagten an.
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Auf die gerichtliche Anfrage teilte die Beigeladene zu 1) mit Schriftsatz vom 13.08.2019 mit, dass der Kläger im Quartal 1/2017 eine Abrechnung über 3 Fälle, im Quartal 2/2017 eine Abrechnung über 4 Fälle und im Quartal 1/2019 eine Abrechnung über 7 Fälle eingereicht habe. Für die Quartale 3/2017 bis 4/2018 und 2/2019 sei keine Abrechnung eingereicht worden.
54
Die übrigen Beigeladenen haben sich nicht geäußert.
55
Dem Senat lagen die beigezogenen Verwaltungsakten des ZA und des Beklagten, die Akte des Sozialgerichts München zum Verfahren S 38 KA 150/18 sowie die Berufungsakte vor, auf die ergänzend verwiesen wird.

Entscheidungsgründe

I.
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Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und begründet.
57
Der Beschluss des Beklagten vom 12.04.2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, so dass die Klage abzuweisen war.
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1. Eine Verweisung an den Güterichter war nicht angezeigt.
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Gemäß § 202 S. 1 SGG i.V.m. § 278 Abs. 5 S. 1 ZPO kann das Gericht die Parteien für die Güteverhandlung sowie für weitere Güteversuche vor einen hierfür bestimmten und nicht entscheidungsbefugten Richter (Güterichter) verweisen. Die Verweisung steht im Ermessen des Gerichts und ist in der Regel nur angezeigt, wenn die Beteiligten mit der Verweisung einverstanden sind und von dem Verfahren vor dem Güterichter eine raschere Erledigung des Verfahren erwartet werden kann. Dies war hier nicht der Fall, nachdem der Beklagte und die Beigeladenen zu 1), 2) und 5) einer Verweisung an den Güterichter ausdrücklich widersprochen haben. Der Rechtsstreit war entscheidungsreif, so dass eine Verweisung an den Güterichter lediglich eine Verzögerung der Entscheidung bedeutet hätte.
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2. Der Beklagte war nicht verpflichtet, auf den Antrag des Klägers vom 21.08.2017 das Ruhen der Zulassung nach § 95 Abs. 5 S. 1 SGB V anzuordnen Nach § 95 Abs. 5 S. 1 SGB V ruht die Zulassung auf Beschluss des Zulassungsausschusses, wenn der Vertragsarzt seine Tätigkeit nicht aufnimmt oder nicht ausübt, ihre Aufnahme aber in angemessener Frist zu erwarten ist.
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Nach den dem Beklagten vorliegenden Unterlagen und Informationen bestanden keine hinreichenden Anhaltspunkte, dass der Kläger seine vertragsärztliche Tätigkeit als Facharzt für Psychotherapeutische Medizin in angemessener Frist wieder in einem Umfang aufnehmen werde, die dem erteilten Versorgungsauftrag entsprechen würde.
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Hier konnte aufgrund der wenigen, vom Kläger vorgelegten ärztlichen Atteste, die überdies unterschiedliche Zeitpunkte für eine voraussichtliche Wiederaufnahme der ärztlichen Tätigkeit ohne Berücksichtigung der bereits langandauernden Nichtausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit angaben, keine Prognose über die Wiederaufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit getroffen werden. Der Beklagte hat zutreffend darauf hingewiesen, dass das dem ZA vorgelegte Attest von Frau Dr. V. von der Klinik W. vom 05.09.2017, erstellt während des dortigen stationären Aufenthalts, eine Fortführung der Praxis in vollem Umfang ab 01.01.2018 in Aussicht stellte, der Kläger aber seine Tätigkeit auch zum 01.01.2018 nicht aufgenommen hat. Das dem Beklagten vorgelegte Attest vom 10.04.2018 von Herrn Dr. L. wurde nur zwei Tage vor der Sitzung des Beklagten ausgestellt und gibt an, dass mit der Wiederaufnahme der Tätigkeit zum 01.07.2018 voraussichtlich zu rechnen sei. Auf welcher Grundlage diese Prognose, auch unter Berücksichtigung der bereits einmal fehlgeschlagenen Prognose zum 01.01.2018, beruhte, geht aus dem Attest nicht hervor.
63
Nicht zu beanstanden ist auch, dass der Beklagte berücksichtigte, dass die Praxis des Klägers bereits seit langer Zeit nicht mehr in ausreichendem Umfang betrieben wurde und nicht erkennbar war, wie der Kläger unter diesen Umständen die vertragsärztliche Tätigkeit in einem ausreichenden Umfang wieder aufnehmen kann.
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Auch der Vortrag des Klägers im gerichtlichen Verfahren hätte zu keiner anderen Beurteilung führen können.
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3. Die Voraussetzungen für eine Entziehung der Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung nach § 95 Abs. 6 S. 1 SGB V lagen vor, weil der Kläger die vertragsärztliche Tätigkeit nicht mehr ausgeübt hat.
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Nach § 95 Abs. 6 S. 1 SGB V ist die Zulassung zu entziehen, wenn ihre Voraussetzungen nicht oder nicht mehr vorliegen, der Vertragsarzt die vertragsärztliche Tätigkeit nicht aufnimmt oder nicht mehr ausübt oder seine vertragsärztlichen Pflichten gröblich verletzt.
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a) Zur Beurteilung der Frage, ob die vertragsärztliche Tätigkeit nicht mehr ausgeübt wird, ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung - hier also auf den 12.04.2018 - abzustellen.
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b) Die vertragsärztliche Tätigkeit wird nicht mehr ausgeübt, wenn entgegen der nach § 95 Abs. 3 S. 1 SGB V bestehenden Verpflichtung kein wesentlicher Beitrag mehr zur vertragsärztlichen Versorgung geleistet wird. Der Vertragsarzt ist kraft seiner Zulassung nach § 95 Abs. 3 S. 1 SGB V berechtigt und verpflichtet, an der vertragsärztlichen Versorgung im Umfang seines aus der Zulassung folgenden zeitlich vollen oder hälftigen Versorgungsauftrages teilzunehmen. § 17 Abs. 1a BMV-Ä (in der im Jahr 2018 geltenden Fassung) sah dazu vor, dass der sich aus der Zulassung des Vertragsarztes ergebende Versorgungsauftrag dadurch zu erfüllen ist, dass der Vertragsarzt an seinem Vertragsarztsitz persönlich mindestens 20 Stunden wöchentlich in Form von Sprechstunden zur Verfügung steht. Dem ist der Kläger bereits aufgrund seiner Erkrankung nach den Attesten von Frau Dr. V. vom 30.08.2017 und Herrn Dr. L. vom 12.04.2018 jedenfalls vom 24.10.2016 bis 22.12.2016 und ab August 2017 bis April 2018 nicht nachgekommen. Die Benennung eines Vertreters für die Zeiten der Arbeitsunfähigkeit ist nicht vorgetragen und auch nicht ersichtlich. Auch die vom Kläger mit der Klagebegründung vorgetragenen wiederholten Herzattacken seit dem Jahr 2014 mit der Notwendigkeit stationärer Behandlungen in den Jahren 2016 und 2017 sprechen gegen ein nach § 17 Abs. 1a BMV-Ä ausreichendes Sprechstundenangebot. Die Eintragung im Arztregister zeigt, dass der Kläger auch gegenüber der Beigeladenen zu 1) kein ausreichendes Sprechstundenangebot angezeigt hat. Die im Antrag auf Verlegung des Vertragsarztsitzes von F. nach A-Stadt angegebenen Sprechstundenzeiten von insgesamt 21 Stunden/Woche sind bis zur Entscheidung des Beklagten am 12.04.2018 wegen der durch Atteste nachgewiesenen Arbeitsunfähigkeit offensichtlich nicht realisiert worden.
69
c) Eine Nichtausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit liegt nicht nur vor, wenn vom Vertragsarzt wie hier vom Kläger in zahlreichen Quartalen überhaupt keine Behandlungsfälle abgerechnet werden, sondern auch dann, wenn die Anzahl der Behandlungsfälle unter 10% des Fachgruppendurchschnitts liegt. Maßgebend dafür ist die Abrechnung der erbrachten Leistungen gegenüber der Beigeladenen zu 1). Erst durch die Abrechnung erbrachter Leistungen ist die Leistungserbringung quantitativ und qualitativ für Dritte überprüfbar und nachvollziehbar und es gehört zudem gerade zu den Pflichten eines Vertragsarztes, seine Leistungen auch abzurechnen (Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 30.11.2016 - L 4 KA 29/16, Rn. 37 - juris).
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Der Kläger hat nach den unwidersprochenen Feststellungen des Beklagten in den letzten 5 Jahren vor der Entscheidung des Beklagten nur 38 Behandlungsfälle abgerechnet, das entspricht durchschnittlich 1,9 Behandlungsfällen pro Quartal. In den letzten 3 Jahren vor der Entscheidung des Beklagten wurden insgesamt sogar nur 7 Behandlungsfälle (in den Quartalen 1/2017 und 2/2017) abgerechnet, was einer durchschnittlichen Fallzahl pro Quartal von 0,58 entspricht. Die durchschnittliche Fallzahl der Gruppe der Fachärzte für psychotherapeutische Medizin beträgt nach den Feststellungen des Beklagten 55, so dass der Kläger in den letzten 3 bzw. 5 Jahren vor der Entscheidung des Beklagten nicht einmal 5% der durchschnittlichen Fallzahl seiner Fachgruppe erreicht hat. Die vertragsärztliche Tätigkeit wurde durch den Kläger vor der Entscheidung des Beklagten schon seit Jahren nicht mehr ausgeübt.
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Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts hätte der Beklagte auch nicht ermitteln müssen, ob und in welchem Umfang der Kläger möglicherweise gesetzlich krankenversicherte Patienten behandelt und diese Behandlung wegen der von ihm vorgetragenen Probleme seiner Praxis-IT nicht bei der Beigeladenen zu 1) abgerechnet hat. Denn aus dem Vortrag das Klägers war bis zur Entscheidung des Beklagten nicht zu entnehmen, dass solche Behandlungen tatsächlich stattgefunden haben. Es ist auch vor dem Hintergrund der vorgetragenen finanziellen Probleme nicht glaubhaft, dass es dem Kläger über einen Zeitraum von mehreren Quartalen seit der erstmaligen Mitteilung technischer Probleme für das Quartal 3/2014 nicht gelungen sein soll, die bestehenden Kartenleser-, Schnittstellen- und Software-Probleme zu lösen, wenn tatsächlich Behandlungen in einem der Verpflichtung nach § 95 Abs. 3 S. 1 SGB V entsprechenden Umfang durchgeführt worden sind und ein entsprechender Honoraranspruch gegenüber der Beigeladenen zu 1) entstanden ist.
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Der Kläger hat auf die Anfragen der Beigeladenen zu 1) betreffend die Nichteinreichung einer Abrechnung für die Quartale 2/2012, 3/2012, 2/2013, 3/2014, 1/2015 - 4/2015, 2/2016 - 4/2016 und 2/2017 nur für die Quartale 3/2014, 3/2016, 4/2016 und 2/2017 technische Probleme mit der Anbindung des Kartenlesers und einem Update der Praxissoftware angegeben, wobei aber für die Quartale 4/2014, 1/2017 und 2/2017 eine Abrechnung eingereicht wurde. Zusätzlich hat der Kläger selbst für die Quartale 2/2016 familiäre Probleme geltend gemacht und für die Quartale 3/2016 und 4/2016 angegeben, wegen Krankheit nur wenige Patienten behandelt zu haben. Einen Verlust der Abrechnungsdaten hatte der Kläger gegenüber der Beigeladenen zu 1) nie angegeben. Auch auf die ausdrücklichen Aufforderungen der Beigeladenen zu 1) mit den Schreiben vom 07.03.2016 und 02.12.2016 hat der Kläger nicht dargelegt, ob und in welchem Umfang er seine vertragsärztliche Tätigkeit noch ausübt und wie viele gesetzlich krankenversicherte Patienten er tatsächlich behandelt hat. Bei dieser Sachlage ergaben sich für den Beklagten keinerlei Anhaltspunkte, dass der Kläger tatsächlich mehr Patienten behandelt haben könnte, als Behandlungsfälle zur Abrechnung eingereicht worden sind. Auch ist ein entsprechender Vortrag im Verfahren vor dem ZA und vor dem Beklagten nicht erfolgt.
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Zu berücksichtigen ist auch, dass der Kläger nach § 3 Abs. 4 der Abrechnungsbestimmungen die Möglichkeit hatte, die wegen der angeblichen technischen Probleme nicht abgerechneten Behandlungsfälle bis zu neun Monate nach dem Behandlungsquartal noch bei der Beklagten zur Abrechnung einzureichen. Das bedeutet, dass der Kläger Behandlungsfälle der Quartale 2/2014 bis 3/2014 mit der von ihm eingereichten Abrechnung für das Quartal 4/2014 und Behandlungsfälle der Quartale 3/2016 und 4/2016 mit der von ihm eingereichten Abrechnung für das Quartal 1/2017 bei der Beklagten zur Abrechnung hätte einreichen können. Dies ist offenbar nicht geschehen, so dass für den Beklagten und auch für das Gericht keinerlei Anlass bestand, hierzu weitere Ermittlungen anzustellen.
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d) Von einer Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit kann auch dann nicht mehr gesprochen werden, wenn der Arzt nicht mehr den Willen zur kontinuierlichen Teilnahme an der Versorgung hat (Rademacker, in: Kasseler Kommentar zur Sozialversicherungsrecht, Stand 106. EL September 2019, § 95 SGB V Rn. 238). Nachdem der Kläger seit dem Quartal 1/2010 nur noch sporadisch Abrechnungen zu wenigen Behandlungsfällen einreichte und von ihm auch bis zur Entscheidung des Beklagten nicht dargelegt wurde, wie er zukünftig die vertragsärztliche Tätigkeit kontinuierlich ausüben wolle, hat der Beklagte zutreffend festgestellt, dass es dem Kläger am Willen fehle, der Verpflichtung zur vertragsärztlichen Versorgung nachzukommen.
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e) Eine nur hälftige Entziehung der Zulassung als milderes Mittel kommt nicht in Betracht. Der Kläger hat über Jahre hinweg die vertragsärztliche Tätigkeit gar nicht oder in wenigen Quartalen nur in einem Umfang deutlich unterhalb von 5-10% des Durchschnitts seiner Fachgruppe erbracht und es bestehen keinerlei belastbare Anhaltspunkte, dass der Kläger seine vertragsärztliche Tätigkeit auch nur im Umfang eines hälftigen Versorgungsauftrages wieder aufnehmen wird. Unerheblich ist, dass der Kläger nach dem angefochtenen Beschluss des Beklagten in einigen Quartalen Behandlungen gegenüber der Beigeladenen zu 1) abgerechnet hat und wohl in überschaubarem Umfang vertragsärztlich tätig war oder dass die Gründung eines MVZ zusammen mit anderen Vertragsärzten geplant ist. Maßgebend ist allein die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung des Beklagten, auf ein etwaiges späteres „Wohlverhalten“, d.h. die nach der Entscheidung des Beklagten liegende Erfüllung vertragsärztlicher Pflichten, kommt es nicht an (BSG, Urteil vom 17.10.2012 - B 6 KA 49/11 R, und Beschluss vom 28.10.2015 - B 6 KA 36/15 B).
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f) Die Entziehung der Zulassung ist nicht unverhältnismäßig.
77
Das Interesse des Klägers am weiteren Bestehen seiner Zulassung überwiegt nicht das öffentliche Interesse am Bestehen eines tatsächlichen Versorgungsangebotes entsprechend der Bedarfsplanung. Die Regelung in § 95 Abs. 6 S. 1 SGB V dient dem berechtigten Anliegen des Gesetzgebers und des Gemeinsamen Bundesausschusses als Normgeber der Bedarfsplanungs-Richtlinie, Abweichungen zwischen „Ist“ und „Soll“ in der Bedarfsplanung zu verhindern, damit das tatsächliche „Ist“ der Bedarfsplanung möglichst zuverlässigen Aufschluss über die tatsächliche Versorgungssituation gibt. Vertragsarztsitze, auf denen tatsächlich keine Versorgung der Patienten stattfindet, die aber in ihrem jeweiligen Planungsbereich störende Auswirkungen auf die Beurteilung der Zulassungsaussichten eines anderen Arztes haben, sind in diesem Sinne unerwünscht und möglichst zu vermeiden. Diese Zwecke haben ein hinreichendes Gewicht, um als verfassungskonforme Regelung im Sinne des Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG (Regelung der Berufsausübung) beurteilt zu werden (BSG, Beschluss vom 10.05.2017 - B 6 KA 8/17 B, Rn. 10 - juris). Die Erlangung oder das Behalten einer Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung „auf Vorrat“ mit dem Ziel, sie zu einem nicht näher bestimmten Zeitpunkt in ein MVZ einzubringen oder im Wege des Nachbesetzungsverfahrens für eine Praxisveräußerung nutzbar zu machen, ist dem System der Bedarfsplanung fremd (BSG, a.a.O. Rn. 10 mit Verweis auf Urteil vom 19.10.2011 - B 6 KA 23/11, Rn. 23 - juris; vom 13.10.2010 - B 6 KA 40/09 R, Rn. 28 - juris und vom 30.01.2002 - B 6 KA 20/01 R, Rn. 31 - juris).
78
4. Ob überdies auch die Voraussetzungen für eine Entziehung der Zulassung nach § 95 Abs. 6 S. 1 SGB V vorliegen, weil der Kläger seine vertragsärztlichen Pflichten gröblich verletzt hat, kann dahinstehen.
II.
79
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO.
III.
80
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.