Inhalt

LSG München, Beschluss v. 13.07.2020 – L 4 P 27/18
Titel:

Voraussetzung für Wohngruppenzuschlag

Normenketten:
GG Art. 3
SGB XI § 38a Abs. 1 S. 1 Nr. 3
Leitsätze:
1. Das Erfordernis, die Wohngruppenmitglieder bei der Haushaltsführung zu unterstützen, setzt eine aktive Mitwirkung der Wohngruppenmitglieder voraus. (Rn. 32)
2. Ein Anspruch auf Wohngruppenzuschlag besteht somit nicht, wenn die Bewohnerin/der Bewohner wegen seiner schweren Erkrankung (hier: Wachkoma) nicht zur Mitwirkung an diesen Tätigkeiten in der Lage ist. (Rn. 34)
3. Hierin liegt kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz. Hinreichender sachlicher Grund für eine Ungleichbehandlung ist, dass die beauftragte Person auf eine Art und Weise daran mitwirken soll, die gleichzeitig die Einbeziehung pflegebedürftiger Bewohnerinnen und Bewohner ermöglicht und damit deren Potential fördert. (Rn. 35)
Schlagworte:
Haushaltsführung, Wachkoma, Willkürverbot, Wohngruppenzuschlag
Vorinstanz:
SG Würzburg, Urteil vom 05.04.2018 – S 9 P 113/17
Fundstelle:
BeckRS 2020, 16287

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 5. April 2018 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
1
Die Klägerin und Berufungsklägerin begehrt die Gewährung eines Wohngruppenzuschlags nach § 38a SGB XI mit Wirkung ab 04.10.2016.
2
Die 1992 geborene Klägerin erhält von der Beklagten seit dem 01.01.2017 Leistungen nach dem SGB XI unter Zugrundelegung des Pflegegrades 5, nachdem ihr zuvor ab dem 22.09.2016 Leistungen unter Zugrundelegung der Pflegestufe III gewährt worden waren. Sie befindet sich in einer Wachkoma-Situation bei Zustand nach kardiopulmonaler Reanimation im Rahmen einer akuten Hypoxie am 31.05.2016. Die Klägerin lebt seit dem 04.10.2016 in der Wohngruppe „A.“, A-Straße, A-Stadt.
3
Es besteht ein Untermietvertrag vom 13.10.2016 zwischen der Klägerin und der Intensivpflege A-Stadt GmbH, durch den für die Klägerin ab 04.10.2016 in der oben genannten Wohngruppe der unmöblierte Raum Nr. 3 zur Eigennutzung sowie diverse definierte Gemeinschaftsräume zur anteiligen Nutzung angemietet wurden. Aus der Präambel zu diesem Untermietvertrag geht unter anderem hervor, dass die Intensivpflege A-Stadt GmbH sich unter anderem um die Konzeption, Realisierung, Förderung und Erhaltung von Betreuungskonzepten für pflegebedürftige Menschen kümmere. Dies umfasse insbesondere innovative ambulante und stationäre Betreuungseinrichtungen, wie zum Beispiel Wohngemeinschaften. Hierfür stelle die Intensivpflege A-Stadt GmbH angemessenen Wohnraum zur Verfügung. Sie miete Wohnungen als Hauptmieter an und vermiete diese an den betroffenen Personenkreis als Untermieter weiter. Die Intensivpflege A-Stadt GmbH biete keine Pflegeleistungen oder Leistungen zur Verpflegung ihrer Untermieter an und könne als Vermieter keine Versorgungsgarantie für die Deckung des pflegerischen Bedarfs oder des täglichen Betreuungsaufwands abgeben. Dafür sei der Untermieter durch Abschluss geeigneter Dienstleistungsverträge selbst verantwortlich.
4
Weiterhin wurde für die Klägerin am 13.10.2016 ein „Vertrag über ambulante pflegerische Leistungen“ mit dem C. Pflegedienst, D-Stadt, abgeschlossen, aus dem hervorgeht, dass der Pflegedienst ab dem 04.10.2016 für die Klägerin unter anderem Leistungen der Pflegeversicherung nach dem SGB XI und / oder Leistungen der häuslichen Krankenpflege sowie frei vereinbarte Leistungen erbringe.
5
Mit einer „Beitrittserklärung“ vom 13.10.2016 ist die Klägerin der bestehenden „Vereinbarung der Mitglieder der Wohngemeinschaft A.“ beigetreten. Ausweislich der Nr. 1 dieser Vereinbarung (Stand 20.04.2016) schließen sich die Mitglieder der Wohngemeinschaft bzw. deren gesetzliche Vertreter zu einer Gemeinschaft zusammen, die dazu diene, das Miteinander der Wohngemeinschaft zu gestalten, gemeinsame Interessen gegenüber Dritten zu vertreten sowie die Gemeinschaft betreffende Geschäfte abzuschließen. Aus der Nr. 6 dieser Vereinbarung geht hervor, dass die Gemeinschaft zur Sicherstellung ihrer Handlungsfähigkeit eine / einen Vorsitzende/n wähle.
6
Darüber hinaus besteht ein Arbeitsvertrag zwischen den Mitgliedern der Wohngemeinschaft und Frau E., mit dem Frau E. beginnend mit dem 15.02.2016 als Haushaltshilfe für die Wohngemeinschaft eingestellt wurde. Dieser Arbeitsvertrag wurde mit Änderungsvereinbarung vom 06.10.2016 hinsichtlich der Arbeitszeit abgeändert.
7
Im Oktober 2016 wurde für die Klägerin bei der Beklagten ein Antrag auf Gewährung des Wohngruppenzuschlags gestellt, den die Beklagte mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 16.02.2017 ablehnte. Zur Begründung des Bescheides wurde unter anderem ausgeführt, dass es sich hier um eine Intensivpflege-Wohngruppe handele, die eine andere Ausrichtung habe als vom Gesetzgeber festgelegt.
8
Mit Schreiben vom 23.02.2017 legte der Vater und Betreuer der Klägerin Widerspruch gegen den Bescheid vom 16.02.2017 ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 09.08.2017 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Eine Leistungsgewährung sei ausgeschlossen, wenn es sich um eine Wohngruppe handele, in der Intensivpflege stattfinde. Die Klägerin erhalte Leistungen der Intensivpflege seit dem 04.10.2016. Hier finde überwiegend eine medizinische Versorgung statt, die aufgrund fehlender Angebote bzw. zur Vermeidung der vollstationären Pflege innerhalb einer Wohnung durch den Pflegedienst organisiert werde. Ein Zusammenschluss mehrerer Pflegebedürftiger zum Zwecke der Organisation ihrer Pflege sei nicht gegeben. Eine ambulante Versorgungsform im Sinne des § 38a SGB XI liege nicht vor.
9
Am 17.08.2017 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben. Die Mitglieder der Wohngemeinschaft hätten mit Frau E. eine Person gemeinschaftlich beauftragt, die notwendige hauswirtschaftliche Versorgung zu leisten. Mit Frau E. sei ein Arbeitsvertrag abgeschlossen worden, wonach diese als Haushaltshilfe beschäftigt sei. Ihr obliege die hauswirtschaftliche Versorgung der Mitglieder der Wohngemeinschaft sowie der Gemeinschaftsräume. Dazu zählten das Putzen der Räume, das Waschen der Wäsche, die Müllentsorgung, erforderlichenfalls das Einkaufen und gleichgelagerte Tätigkeiten. Eine Einschränkung dahingehend, dass ein Wohngruppenzuschlag nicht gewährt werde, wenn der Pflegebedürftige zugleich umfangreiche Leistungen der häuslichen Krankenpflege erhalte, sehe das Gesetz nicht vor.
10
Die Beklagte hat ausgeführt, es bestehe rund um die Uhr Intensivpflegebedürftigkeit. Grundpflege, Betreuungspflege und offensichtlich auch die Betreuung würden aus einer Hand erbracht. Die Versorgung habe daher offensichtlich stationären Charakter (§ 38a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB XI). Das Kriterium des gemeinschaftlichen Wohnens sei das selbstbestimmte Einbringen jedes Bewohners in ein gemeinsames Ganzes. Die Versorgung solle durch aktives Einbringen eigener Ressourcen sichergestellt werden. Die Beklagte hat einen Rahmenvertrag für den Bereich vollstationäre Pflege gemäß § 75 Abs. 2 SGB XI vorgelegt.
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Die Klägerin hat erwidert, dass der Rahmenvertrag für die vollstationäre Pflege keine Anwendung finde. Eine Versorgung mit stationärem Charakter liege nicht vor. Der Pflegedienst erbringe keine Leistungen der hauswirtschaftlichen Versorgung und/oder der sonstigen Betreuung.
12
In der mündlichen Verhandlung vor dem SG haben der Bevollmächtigte und der Vater der Klägerin erklärt, es gebe keinen gewählten Vorsitzenden im Sinne der Nr. 6 der „Vereinbarung der Mitglieder der Wohngemeinschaft A.“; die organisatorische Begleitung der Wohngemeinschaft werde vom Klägerbevollmächtigten für alle Bewohner der Gemeinschaft wahrgenommen. Der Vater der Klägerin hat weiter mitgeteilt, die Angehörigen der Bewohner engagierten sich bei der Versorgung. Sie übernähmen teilweise Aufgaben wie das Waschen der Wäsche oder das Putzen der von ihren Angehörigen bewohnten Räume.
13
Mit Urteil vom 05.04.2018 hat das SG die Klage abgewiesen. Zunächst könne offen gelassen werden, ob es sich bei der Wohngemeinschaft „A.“ um eine ambulant betreute Wohngruppe im Sinne des § 38a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 4 SGB XI handele oder ob - im Hinblick auf den Umfang der notwendigen und auch tatsächlich geleisteten Versorgung der Klägerin und ihrer Mitbewohner - eine stationäre oder quasi-stationäre Versorgung vorliege, bei der ein Anspruch der Bewohner auf den Wohngruppenzuschlag nach § 38a SGB XI ausgeschlossen wäre (BSG, Urteil vom 18.02.2016, B 3 P 5/14 R; BT-Drucksache 18/2909, S. 42).
14
Jedenfalls liege keine gemeinschaftliche Beauftragung einer sogenannten Präsenzkraft im Sinne des § 38a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB XI vor. Eine solche gemeinschaftliche Beauftragung könne weder in der Einstellung von Frau E. als Haushaltshilfe noch in der organisatorischen Begleitung der Wohngemeinschaft durch den Klägerbevollmächtigten gesehen werden.
15
Im vorliegenden Fall sei Frau E. von der Wohngemeinschaft mit undatiertem Arbeitsvertrag ab dem 15.02.2016 als Haushaltshilfe eingestellt worden. Nach dem Vortrag der Klägerseite habe Frau E. die Aufgabe, die hauswirtschaftliche Versorgung der Mitglieder der Wohngemeinschaft sowie der Gemeinschaftsräume sicherzustellen, wozu das Putzen der Räume, das Waschen der Wäsche, die Müllentsorgung, erforderlichenfalls das Einkaufen und gleichgelagerte Tätigkeiten gehörten. Aus dieser Aufgabenbeschreibung und dem Umstand, dass Frau E. als „Haushaltshilfe“ eingestellt worden sei, ergebe sich, dass Frau E. nicht mit Aufgaben der ersten Alternative des § 38a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB XI („allgemeine organisatorische, verwaltende, betreuende oder das Gemeinschaftsleben fördernde Tätigkeiten“) betraut worden sei. Darüber hinaus liege aber auch keine gemeinschaftliche Beauftragung von Frau E. mit der Aufgabe vor, „hauswirtschaftliche Unterstützung zu leisten“ (zweite Alternative des § 38a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB XI). Denn die Voraussetzung der „hauswirtschaftlichen Unterstützung“ werde nicht erfüllt, wenn eine Kraft die hauswirtschaftlichen Tätigkeiten lediglich selbst erbringe, ohne die Bewohnerinnen und Bewohner in die Tätigkeiten einzubeziehen. Eine Unterstützung im Sinne der zweiten Alternative des § 38a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB XI sei keine vollständige Übernahme von Tätigkeiten, sondern setze die Einbeziehung des Pflegebedürftigen voraus (BSG, Urteil vom 18.02.2016, B 3 P 5/14 R; BT-Drucksache 18/2909, S. 42; Wahl in Udsching / Schütze, SGB XI Soziale Pflegeversicherung, 5. Auflage 2018, § 38a Rn. 9). Diesem Maßstab könne die Tätigkeit von Frau E. in der streitgegenständlichen Wohngemeinschaft aber jedenfalls für die Klägerin nicht gerecht werden, weil eine Einbeziehung der Klägerin in hauswirtschaftliche Tätigkeiten aufgrund der bestehenden Wachkoma-Situation von vornherein ausgeschlossen sei. Die Klägerin könne aufgrund ihres Gesundheitszustands keinen eigenen aktiven Beitrag bei der Verrichtung hauswirtschaftlicher Tätigkeiten leisten. Für sie komme nur eine vollständige Übernahme dieser Tätigkeiten in Betracht, so dass eine „hauswirtschaftliche Unterstützung“ im Sinne der zweiten Alternative des § 38a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB XI jedenfalls für die Klägerin nicht vorliegen könne. Eine gemeinschaftliche Beauftragung von Frau E. durch die Klägerin und ihre Mitbewohner mit der Aufgabe, hauswirtschaftliche Unterstützung zu leisten, sei vorliegend somit nicht gegeben.
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Ergänzend sei festzuhalten, dass auch im Hinblick auf die Tätigkeit des Klägerbevollmächtigten für die Wohngemeinschaft keine gemeinschaftliche Beauftragung im Sinne des § 38a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB XI vorliege. Nach den Angaben der Klägerseite in der mündlichen Verhandlung nehme der Klägerbevollmächtigte die organisatorische Begleitung der Wohngemeinschaft wahr. In diesem Zusammenhang könne offen gelassen werden, ob die vom Klägerbevollmächtigten wahrgenommene Tätigkeit überhaupt zu den Aufgaben der ersten Alternative des § 38a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB XI gehöre. Denn es sei jedenfalls davon auszugehen, dass dieser Tätigkeit des Klägerbevollmächtigten keine gemeinschaftliche Beauftragung durch die Bewohner der Wohngemeinschaft zugrunde liege. Denn eine solche gemeinsame Beauftragung setze unter anderem eine konkrete Festlegung und klare Bestimmung des wahrzunehmenden Aufgabenkreises voraus (BSG, Urteil vom 18.02.2016, B 3 P 5/14 R; Wahl in Udsching / Schütze, a.a.O. Rn. 8). Für eine solche Festlegung eines etwaigen Aufgabenkreises des anwaltlichen Klägerbevollmächtigten, der sich im Übrigen wohl auch nicht als Präsenzkraft im Sinne des § 38a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB XI verstehen dürfte, sei von Klägerseite nichts vorgetragen worden und es seien auch ansonsten keine Anhaltspunkte ersichtlich. Ein Vorsitzender im Sinne der Nr. 6 des Wohngemeinschaftsvertrags sei nach den Angaben der Klägerseite in der mündlichen Verhandlung jedenfalls nicht gewählt worden.
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Gegen das am 12.04.2018 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 24.04.2018 Berufung zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Eine vollständige Übernahme der hauswirtschaftlichen Versorgung durch Frau E. finde nicht statt. Der Vater der Klägerin habe in der mündlichen Verhandlung ausgesagt, dass Angehörige teilweise das Waschen oder Putzen übernähmen. Was zur hauswirtschaftlichen Versorgung zähle, ergebe sich aus § 14 Abs. 4 Nr. 4 SGB XI a.F.: Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung, Spülen, Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleidung oder das Beheizen.
18
Im Übrigen sei nicht maßgeblich, ob die Klägerin selbst sich an hauswirtschaftlichen Tätigkeiten beteiligen könne. Entscheidend sei, ob irgendeiner der Bewohner dazu in der Lage sei. Dies müsse gerichtlich aufgeklärt werden. Seit 24.04.2018 sei der Vater der Klägerin als Vorsitzender des Angehörigengremiums gewählt und als solcher mit den organisatorischen Aufgaben innerhalb der Wohngemeinsacht beauftragt.
19
Im Erörterungstermin am 31.07.2019 sind der Leiter der Intensivpflege-WG, Herr D., und Frau E. als Zeugen vernommen worden. Die Aussagen stimmen darin überein, dass die Bewohner der Wohngruppe wegen ihrer schweren Erkrankungen ausnahmslos nicht in der Lage sind, sich an den Reinigungsarbeiten zu beteiligen, die Frau E. ausführt. Zu den Einzelheiten der Zeugenaussagen wird auf die Niederschrift des Erörterungstermins verwiesen.
20
Der Bevollmächtigte der Klägerin hat ausgeführt, es genüge, wenn die Angehörigen unterstützt würden; eine Unterstützung der Wohngruppenmitglieder sei nicht zwingend Voraussetzung für die Gewährung des Wohngruppenzuschlags. Es beständen auch Bedenken im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz; es sei bedenklich, wenn diejenigen benachteiligt würden, die selbst nicht in der Lage seien, bei der Haushaltsführung mitzuwirken.
21
Die Beteiligten wurden zur beabsichtigten Entscheidung im Beschlussverfahren gemäß § 153 Abs. 4 SGG angehört; zuletzt der Bevollmächtigte der Klägerin mit gerichtlichem Schreiben vom 29.05.2020.
22
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Würzburg vom 5. April 2018 sowie des Bescheides vom 16.02.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.08.2017 zu verurteilen, der Klägerin
1. für den Zeitraum 04.10.2016 bis 31.03.2019 Wohngruppenzuschlag in Höhe von 6.420,-- Euro zuzüglich Zinsen in gesetzlicher Höhe zu zahlen,
2. für den Zeitraum ab 01.04.2019 Wohngruppenzuschlag in gesetzlicher Höhe zu zahlen.
23
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
24
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und auf die beigezogenen Akten der Beklagten verwiesen.
II.
25
Der Senat darf nach § 153 Abs. 4 SGG die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter zurückweisen, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Unter Ausübung richterlichen Ermessen hat der Senat die Erforderlichkeit einer mündlichen Verhandlung verneint, da der Sachverhalt durch das erstinstanzliche Verfahren, den schriftlichen Vortrag der Beteiligten und den am 31.07.2019 durchgeführten Erörterungstermin bereits in ausreichendem Umfang aufgeklärt worden ist. Die Beteiligten sind gehört worden; sie haben sich nach dem Erörterungstermin nicht mehr zur Sache geäußert.
26
Die Berufung ist zulässig; insbesondere ist sie ohne Zulassung statthaft (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG - im Streit stehen laufende Leistungen für mehr als ein Jahr) und wurde form- und fristgerecht eingelegt (§ 151 SGG).
27
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zutreffend abgewiesen.
28
1. Hinsichtlich der Beauftragung von Frau E. ist die Klage als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG) zulässig, aber nicht begründet. Die streitgegenständlichen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, weil der Klägerin kein Anspruch auf den streitgegenständlichen Wohngruppenzuschlag zusteht.
29
Voraussetzung eines solchen Anspruchs ist nach § 38a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB XI, dass eine Person von den Mitgliedern (ab 01.01.2017: durch die Mitglieder) der Wohngruppe gemeinschaftlich beauftragt ist, unabhängig von der individuellen pflegerischen Versorgung allgemeine organisatorische, verwaltende, betreuende oder das Gemeinschaftsleben fördernde Tätigkeiten zu verrichten oder hauswirtschaftliche Unterstützung zu leisten. Durch Art. 11 Nr. 7 des Pflegepersonal-Stärkungsgesetzes vom 11.12.2018 (BGBl I S. 2394) wurden mit Wirkung ab 01.01.2019 die Wörter „hauswirtschaftliche Unterstützung zu leisten“ durch die Wörter „die Wohngruppenmitglieder bei der Haushaltsführung zu unterstützen“ ersetzt.
30
Frau E. ist keine beauftragte Person im Sinne dieser Vorschrift. Sie war und ist nicht beauftragt, hauswirtschaftliche Unterstützung zu leisten bzw. die Wohngruppenmitglieder bei der Haushaltsführung zu unterstützen.
31
a) Eine Unterstützung in diesem Sinne lag schon nach der bis 31.12.2018 geltenden Gesetzesfassung nicht vor, wenn hauswirtschaftliche Tätigkeiten vollständig übernommen wurden. Dies ergibt sich aus der Gesetzesbegründung zur Fassung vom 01.01.2015 (BT-Drs. 18/2909, S. 42). Dort heißt es (im Original ohne Unterstreichungen):
„Die beauftragte Person wird in der Regel eine Vielfalt an Aufgaben in der Wohngruppe übernehmen. Es genügt jedoch, dass ihr eine der alternativ genannten Aufgaben übertragen wird. Eine Reinigungskraft oder eine Kraft, die nur hauswirtschaftliche Tätigkeiten selbst erbringt, ohne die Bewohnerinnen und Bewohner in die Tätigkeiten einzubeziehen, erfüllt nicht die Voraussetzung der „hauswirtschaftlichen Unterstützung“. Eine Unterstützung im Sinne dieser Vorschrift ist keine vollständige Übernahme von Tätigkeiten, sondern setzt eine Einbeziehung des Pflegebedürftigen voraus. Eine solche Unterstützung liegt z. B. beim gemeinschaftlichen Kochen vor. Unterstützung ist die teilweise Übernahme, aber auch die Beaufsichtigung der Ausführung von Verrichtungen oder die Anleitung zu deren Selbstvornahme.“
32
In der seit 01.01.2019 geltenden Fassung der Vorschrift ist der Wortlaut des Gesetzes noch deutlicher; danach muss eine Person beauftragt sein, die Wohngruppenmitglieder bei der Haushaltsführung zu unterstützen. Dies setzt eine aktive Mitwirkung der Wohngruppenmitglieder voraus. Bestätigend wird in der Gesetzesbegründung zum Pflegepersonal-Stärkungsgesetz (BT-Drs. 19/4453, S. 100) ausgeführt:
„Durch die Bezugnahme auf die Unterstützung bei der Haushaltsführung wird die Vorschrift zum einen an den seit dem 1. Januar 2017 in diesem Buch verwendeten Sprachgebrauch angepasst. Zum anderen kommt durch die Anpassung der Formulierung noch deutlicher zum Ausdruck, dass die Person (Präsenzkraft), die durch die Mitglieder der ambulant betreuten Wohngruppe gemeinschaftlich beauftragt wird, nicht im Rahmen der individuellen pflegerischen Versorgung tätig wird, sondern dass sich ihre Tätigkeiten auf die Unterstützung der gesamten Wohngruppe als solcher richten. Dazu gehört, dass die Präsenzkraft für die Wohngruppe Unterstützung im organisatorisch-verwaltenden Bereich leistet, zur Förderung des Gemeinschaftslebens tätig wird oder auch die Wohngruppenmitglieder bei der Haushaltsführung unterstützt. Denn auch dies bietet Gelegenheit, die Wohngruppenmitglieder im Rahmen ihrer jeweiligen Möglichkeiten aktiv in die Gestaltung des Wohngruppenalltags einzubeziehen (vergleiche auch BT-Drucksache 18/2909, Seite 42).“
33
Dabei reicht es nicht aus, wenn die beauftragte Person etwa auch in der Wohngruppe tätige Angehörige unterstützt; die Unterstützung müssen die Bewohner selbst erhalten. Entscheidend ist dabei die Einbeziehung der Pflegebedürftigen bzw. Wohngruppenmitglieder.
34
b) Frau E. übernimmt die vertraglich vereinbarten hauswirtschaftlichen Tätigkeiten - insbesondere Reinigungsarbeiten - vollständig. Die Bewohnerinnen und Bewohner der Wohngruppe werden dabei nicht einbezogen, weil sie zur Mitwirkung an diesen Tätigkeiten wegen ihrer schweren Erkrankungen nicht in der Lage sind. Dies gilt nicht nur für die Klägerin, sondern auch für die übrigen Bewohnerinnen und Bewohner. Hiervon ist der Senat auf Grund der übereinstimmenden Zeugenaussagen des Herrn D. und der Frau E. im Erörterungstermin am 31.07.2019 überzeugt.
35
c) Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 GG) liegt nicht vor. Zwar trifft es zu, dass Personen, die selbst nicht an der Haushaltsführung mitwirken können, keinen Wohngruppenzuschlag wegen Inanspruchnahme von Unterstützung im Haushalt erhalten können. Hierfür gibt es jedoch einen hinreichenden sachlichen Grund. Der Wohngruppenzuschlag soll in Konstellationen ausgezahlt werden, die für Wohngruppen charakteristisch sind und anderswo nicht vorkommen. Die beauftragte Person soll nicht „nur“ hauswirtschaftliche Tätigkeiten übernehmen, sondern auf eine Art und Weise daran mitwirken, die gleichzeitig die Einbeziehung pflegebedürftiger Bewohnerinnen und Bewohner ermöglicht und damit deren Potential fördert. Derartige wohngruppenspezifische Anforderungen werden an Frau E. nicht gestellt. Ihre Tätigkeit unterscheidet sich nicht wesentlich von einer Reinigungstätigkeit in einer vollstationären Einrichtung oder auch einem Privathaushalt.
36
2. Soweit die Klägerin geltend macht, ihr Vater und ihr Bevollmächtigter seien beauftragte Personen im Sinne von § 38a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB XI, ist die Klage bereits wegen fehlenden Rechtsschutzinteresses unzulässig, weil diesbezüglich weder ein Antrag bei der Beklagten noch eine Verwaltungsentscheidung vorliegt. Der Antrag der Klägerin war allein auf die Anerkennung von Frau E. als beauftragte Person gerichtet. Dies ergibt sich aus den Angaben im Antragsformular und den sonstigen Äußerungen der Klägerin im Verwaltungsverfahren. Allein auf diesen Antrag bezogen sich der streitgegenständliche Bescheid und der Widerspruchsbescheid. Für eine Prüfung der Frage, ob ihr Vater oder ihr Bevollmächtigter als beauftragte Personen anerkannt werden können, hatte die Beklagte bislang keinen Anlass. Insoweit wäre ein gesondertes Verwaltungsverfahren durchzuführen.
37
Im Übrigen ist die Klage auch insoweit unbegründet. Es liegen keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte dafür vor, dass der Vater oder der Bevollmächtigte der Klägerin beauftragte Personen im Sinne von § 38a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB XI sein könnten.
38
a) Hinsichtlich des Vaters hat die Klägerin im Schriftsatz vom 04.03.2019 vorgetragen, seit 24.04.2018 komme ihr Vater als beauftragte Person in Betracht. Er sei als Vorsitzender des Angehörigengremiums gewählt und als solcher mit den organisatorischen Aufgaben innerhalb der Wohngemeinsacht beauftragt. Der Senat hat die Beteiligten mit Schreiben vom 23.01.2020 darauf hingewiesen, dass hierzu keinerlei Unterlagen vorliegen (gemeinschaftliche Beauftragung, klare Bestimmung übernommener Tätigkeiten, Umfang der Präsenz etc.). Der Senat hat den Beteiligten ausdrücklich Gelegenheit gegeben, hierzu vorzutragen und ggf. schriftliche Unterlagen vorzulegen. Auf das rechtskräftige Urteil des Senats vom 27.06.2019 (L 4 P 63/18) wurde hingewiesen. Die Beteiligten haben gleichwohl weiter nichts zur Sache vorgetragen und auch keine Stellungnahme angekündigt oder um die Einräumung entsprechender Fristen gebeten; insbesondere auch nicht, nachdem der Senat mitgeteilt hatte, dass eine Entscheidung im Beschlussverfahren nach § 153 Abs. 4 SGG beabsichtigt war.
39
b) Hinsichtlich des Bevollmächtigten hat bereits das SG in dem angefochtenen Urteil dargelegt, dass es an Anhaltspunkten für eine Beauftragung im Sinne von § 38a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB XI mangelt; dies insbesondere, weil die Klägerin zu den in der Rechtsprechung des BSG formulierten Anforderungen nichts vorgetragen hat. Gleichwohl gilt auch insoweit, dass die Beteiligten im Berufungsverfahren keine weiteren Ausführungen gemacht und auch keine Stellungnahme angekündigt oder um die Einräumung entsprechender Fristen gebeten haben; insbesondere auch nicht, nachdem der Senat mitgeteilt hatte, dass eine Entscheidung im Beschlussverfahren nach § 153 Abs. 4 SGG beabsichtigt war.
40
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
41
Gründe zur Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.