Inhalt

VG Augsburg, Urteil v. 09.05.2019 – Au 5 K 18.31137
Titel:

Keine Verfolgung wegen Konversion zum Baha´itum im Iran

Normenketten:
AsylG § 3b Abs. 1 Nr. 2
RL 2011/95/EU Art. 10 Abs. 1 lit. b
Leitsatz:
Es ist nach der Auskunftslage nicht nachvollziehbar, dass eine Person, die sich auf dem Radar der iranischen Sicherheitsbehörden befindet, das Land mit seinem Originalreisepass mittels Visum auf dem Luftweg ungehindert verlassen kann. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Iran, Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (verneint), Konversion zum Baha´itum (Apostasie), Ernsthaftigkeit der Gewissensentscheidung nicht glaubhaft gemacht, religiöse Identität (verneint), inneren Glaubensüberzeugung
Fundstelle:
BeckRS 2019, 9098

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Tatbestand

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Der Kläger begehrt mit seiner Klage die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise die Gewährung subsidiären Schutzstatus bzw. hilfsweise die Feststellung von nationalen Abschiebungsverboten in den Iran bzw. in einen anderen aufnahmebereiten Staat.
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Der am ... 1975 in ... (Iran) geborene Kläger ist iranischer Staatsangehörige mit persischer Volkszugehörigkeit und Angehöriger der Glaubensgemeinschaft Baha´i.
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Der Kläger reiste am 5. April 2018 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er unter dem 2. Mai 2018 Asylantrag stellte.
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Die persönliche Anhörung der Kläger beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) erfolgte am 7. Mai 2018. Der Kläger trug hierbei im Wesentlichen vor, dass seine Eltern und viele seiner Geschwister (1 Bruder, 3 Schwestern) noch im Iran (...) lebten. Seinen Personalausweis und seine Wehrbefreiungskarte/Militärausweis habe er dabei, andere Papiere befänden sich noch dort. Er habe im Iran bis 2009 ein Universitätsstudium absolviert und einen Doktortitel in Ökonomie erworben. Zuletzt habe er in einer Führungsrolle für die Fa. ... gearbeitet, aber 6 Monate vor der Ausreise dort gekündigt. Vor dieser Tätigkeit habe er eine eigene Firma gehabt, die Lebensmittel und Waschmittel vertrieben habe. Die eigene Firma habe er geschlossen, weil er aus religiösen Gründen keine Erlaubnis mehr bekommen habe und somit faktisch zur Geschäftsaufgabe genötigt worden sei. Er sei als schiitischer Moslem geboren, nun aber Baha´i und habe deswegen schon während seines Militärdienstes, den er beim Sicherheitsdienst ... abgeleistet habe, Probleme gehabt und sei insgesamt dreimal inhaftiert worden. Im Jahr 2000 habe er an der Universität an einer Demonstration teilgenommen und sei deshalb auch im Gefängnis ... inhaftiert gewesen. Zum Jahreswechsel 2017/2018 habe er während eines ganzen Monats in ... an Demonstrationen teilgenommen, die sich gegen die iranische Führung gerichtet hätten. Dort sei er vom zivil gekleideten Sicherheitsdienst ... fotografiert worden. Freunde von ihm seien verhaftet worden. Da er schon verschiedene Vorstrafen habe und wegen seines Glaubenswechsel zum Baha´itum als Ketzer betrachtet werde, habe er um sein Leben gefürchtet. Für das weitere Vorbringen des Klägers wird auf die über die Anhörung gefertigte Niederschrift des Bundesamtes Bezug genommen.
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Mit Bescheid des Bundesamtes vom 15. Mai 2018 wurden die Anträge des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. Asylanerkennung abgelehnt (Nrn. 1. und 2. des Bescheides). Nr. 3. des Bescheids bestimmt, dass dem Kläger auch der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt wird. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) liegen im Fall des Klägers nicht vor (Nr. 4.). In Nr. 5. wird der Kläger aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde dem Kläger die Abschiebung in den Iran bzw. in einen anderen aufnahmebereiten Staat angedroht. Nr. 6. setzt das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Tage ab dem Tag der Abschiebung fest. Zur Begründung seiner Entscheidung führt das Bundesamt aus, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Anerkennung als Asylberechtigte nicht vorliegen. Der Kläger sei kein Flüchtling im Sinne des Gesetzes. Die Teilnahme an den Demonstrationen 2017/2018 sei nicht verfolgungsrelevant, weil der Kläger nicht habe überzeugend darlegen können, dass ihm deswegen Verfolgung drohe. So habe er nach den Demonstrationen sich im Iran noch geraume Zeit unbehelligt aufhalten und auch auf dem Luftweg (nach Serbien) ausreisen können. Die vor 2000 liegenden Gefängnisaufenthalte seien nicht fluchtauslösend gewesen. Auch der Glaubensübertritt zum Baha´itum begründe keine Flüchtlingseigenschaft. Bereits der Vortrag, wegen seines Glaubens zur Geschäftsaufgabe genötigt worden zu sein, erreiche nicht die Schwelle der Asylerheblichkeit. Der Kläger habe auch im Übrigen seinen Glauben nicht überzeugend als für ihn prägend dargestellt und sich auch nicht in Deutschland einer Baha´i-Gemeinde angeschlossen. Auch lägen die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nicht vor. Insbesondere scheide eine Schutzfeststellung nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG aus, da im Herkunftsland der Kläger kein Konflikt bestehe. Abschiebungsverbote lägen ebenfalls nicht vor. Die Abschiebung trotz schlechter und humanitärer Verhältnisse könne nur in sehr außergewöhnlichen Einzelfällen als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu bewerten sein und die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) erfüllen. Die derzeitigen humanitären Bedingungen im Iran führten nicht zu der Annahme, dass bei einer Abschiebung des Klägers eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Die hierfür vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) geforderten hohen Anforderungen an den Gefahrenmaßstab seien nicht erfüllt. Für den Kläger seien auch keine individuellen gefahrerhöhenden Umstände ersichtlich. Die Abschiebungsandrohung sei gemäß § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG zu erlassen. Die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate sei vorliegend angemessen. Anhaltspunkte für eine kürzere Fristfestsetzung seien weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
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Auf die weiteren Ausführungen im Bescheid des Bundesamtes vom 15. Mai 2018 (Gz.: ...), dem Kläger zugestellt am 11. Juni 2018, wird ergänzend verwiesen.
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Der Kläger ließ gegen den vorbezeichneten Bescheid am 25. Juni 2018 Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg erheben und beantragen,
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1. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 15. Mai 2018 (Gz.: ...) wird mit Ausnahme dessen Ziffer 2 aufgehoben.
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2. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise festzustellen, dass er die Voraussetzung des subsidiären Schutzstatus erfüllt, hilfsweise festzustellen, dass für ihn Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
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Zur Begründung der Klage wurde mit Schriftsatz vom 6. Juli 2018 ausgeführt, dass der Kläger eine identitätsprägende Hinwendung zum Baha´i-Glauben habe. Er besuche hier in die Deutschland die Baha´i-Gemeinde und habe zum Glauben eine tiefe Verbindung. Daher sei ihm nicht zumutbar, den Glauben im Iran nicht auszuleben. Dort drohe ihm aber deswegen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung, wie dies auch schon das VG Würzburg im Urteil vom 21. Oktober 2015, W 6 K 15.30149 ausgeführt habe.
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Die Beklagte hat dem Gericht die einschlägige Verfahrensakte vorgelegt, sich aber im Verfahren nicht geäußert.
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Mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 19. März 2019 wurde der Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
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Auf Antrag vom 25. Juni 2018 wurde dem Kläger mit Beschluss vom 23. April 2019 Prozesskostenhilfe und Rechtsanwaltsbeiordnung gewährt.
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Am 6. Mai 2019 fand die mündliche Verhandlung statt. Für den Hergang der Sitzung, in der der Kläger informatorisch angehört wurde, wird auf die hierüber gefertigte Niederschrift Bezug genommen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und auf die von der Beklagten vorgelegte Verfahrensakte verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Der Einzelrichter (§ 76 Abs. 1 AsylG) konnte über die Klage der Kläger verhandeln und entscheiden, ohne dass die Beklagte an der mündlichen Verhandlung vom 6. Mai 2019 teilgenommen hat. Auf den Umstand, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, wurden die Beteiligten ausweislich der Ladung ausdrücklich hingewiesen (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO). Die Beklagte ist zur mündlichen Verhandlung 6. Mai 2019 form- und fristgerecht geladen worden.
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Die zulässige Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg.
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Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 15. Mai 2018 ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß §§ 3 ff. AsylG. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG sowie für die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß §§ 3 ff. AsylG.
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a) Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560 - Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet. Eine Verfolgung i.S. des § 3 AsylG kann nach § 3c Nr. 3 AsylG auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern der Staat oder ihn beherrschende Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten.
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Nach Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Qualifikationsrichtlinie - QualfRL) vom 13. Dezember 2011 (ABl EU Nr. L 337/9) umfasst der Begriff der Religion insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder der Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind. Dabei ist nicht jeder Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit, der gegen Art. 10 Abs. 1 der Grundrechtscharta verstößt, bereits eine Verfolgungshandlung i.S. der Qualifikationsrichtlinie. Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit vorliegt, der Art. 10 Abs. 1 der Grundrechtscharta verletzt und als Verfolgungshandlung zu qualifizieren ist, sind eine Reihe objektiver wie auch subjektiver Gesichtspunkte zu berücksichtigen (EuGH, U.v. 5.9.2012 - C-71/11, C-99/11 - NVwZ 2012, 1612/1614; BVerwG, U.v. 20.2.2013 - 10 C 23/12 - NVwZ 2013, 936/939 Rn. 28). Objektive Gesichtspunkte sind dabei insbesondere die Schwere der dem Ausländer bei Ausübung seiner Religion drohenden Verletzung anderer Rechtsgüter, wie Leib und Leben. Subjektiv ist zu berücksichtigen, ob die religiöse Handlung, die die Verfolgung auslöst, für den Einzelnen zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist. Maßgeblich ist, wie der einzelne Gläubige seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis unverzichtbar ist (BVerwG, a.a.O., Rn. 29). Zu den Handlungen, die eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit i.S. von Art. 9 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie darstellen können, gehören nicht nur gravierende Eingriffe in die Freiheit, den Glauben im privaten Rahmen zu praktizieren, sondern auch solche in die Freiheit, den Glauben öffentlich zu leben (EuGH, U.v. 5.9.2012 - C-71/11, C-99/11 - NVwZ 2012, 1612/1614; BVerwG, U.v. 20.2.2013 - 10 C 23/12 - NVwZ 2013, 936/938 Rn. 24). Ein hinreichend schwerer Eingriff setzt dabei nicht voraus, dass der Ausländer seinen Glauben nach der Rückkehr in sein Heimatland tatsächlich in einer Weise ausübt, die ihn der Gefahr einer Verfolgung aussetzt. Auch der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung kann die Qualität einer Verfolgung erreichen (BVerwG, U.v. 20.2.2013 - 10 C 23/12 - NVwZ 2013, 936/939 Rn. 26).
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Es ist jedoch stets Sache des Ausländers, seine Gründe für eine Verfolgung in schlüssiger Form und vollständig vorzutragen (§ 25 Abs. 1 und 2 AsylG, § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 VwGO). Er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Herkunftsland zu verbleiben oder dorthin zurückzukehren. Wegen des sachtypischen Beweisnotstands, in dem sich Flüchtlinge insbesondere im Hinblick auf asylbegründende Vorgänge im Verfolgerland vielfach befinden, genügt für diese Vorgänge in der Regel eine Glaubhaftmachung. Voraussetzung für ein glaubhaftes Vorbringen ist allerdings ein detaillierter und in sich schlüssiger Vortrag. Unauflösbare Widersprüche und erhebliche Steigerungen des Vorbringens sind hiermit nicht vereinbar und können dazu führen, dass dem Vortrag im Ganzen nicht geglaubt werden kann. Bleibt ein Kläger hinsichtlich seiner eigenen Erlebnisse konkrete Angaben schuldig, so ist das Gericht nicht verpflichtet, insofern eigene Nachforschungen durch weitere Fragen anzustellen.
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b) Gemessen an diesem Maßstab ist es dem Kläger nicht gelungen, die für seinen geltend gemachten Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft relevanten Gründe in der dargelegten Art und Weise geltend zu machen.
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aa) Nach Überzeugung des Gerichts liegen bereits keine Vorfluchtgründe aus religiösen Motiven vor.
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Als fluchtauslösenden Umstand hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung seine Furcht formuliert, dass er im Nachgang zu seiner Teilnahme an Demonstrationen für den Zeitraum von rund einem Monat Ende 2017/Anfang 2018 von den iranischen Revolutionsgarden ... verhaftet werde und in Folge vom Tode bedroht sei. Der Kläger schlussfolgerte dies aus dem Umstand, dass bei den Demonstrationen durch ... Bildaufnahmen gefertigt wurden, auf denen er zu sehen sei. Aufgrund seiner Vorstrafen sei er bei den Sicherheitsbehörden bekannt gewesen. Mehrere Freunde von ihm, die wie er an den Demonstrationen teilgenommen hätten und ebenfalls Baha´i seien, seien verhaftet worden und man wisse nichts über deren Verbleib. Er habe daher als zum Baha´itum konvertierter Moslem ebenfalls um sein Leben gefürchtet und sich deshalb zur Ausreise entschieden.
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Das Gericht ist aus diesem Vortrag nicht vom Vorliegen einer Verfolgungssituation überzeugt. Der Kläger hat seit Ende der Demonstrationen im 10. Monat des Jahres 1396 (ca. Dezember 2017) noch rund einen Monat unbehelligt im Iran gelebt. Er ist nach seinen Angaben bei der Anhörung vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung im 11. Monat des Jahres 1396 (ca. Januar 2018) mit seinem Originalreisepass mittels Visum auf dem Luftweg vom Flughafen ... aus dem Iran ausgereist. Es ist nach der Auskunftslage nicht nachvollziehbar, dass eine Person, die sich auf dem Radar der iranischen Sicherheitsbehörden befindet, das Land ungehindert verlassen kann. Beides spricht gegen eine Vorverfolgung des Klägers. Weiterhin ist wenig glaubhaft, dass sich der Kläger zwar noch an die Anzahl der Demonstrationen (27-28), an denen er teilgenommen hat, erinnern kann, nicht aber an das genaue Datum seiner Ausreise. Ein solch schwerwiegende Entscheidung wie das Verlassen des Heimatlandes aufgrund angeblicher Verfolgung ist ein einschneidendes Ereignis, zu dem für das Gericht nicht nachvollziehbar ist, dass der Kläger dieses Datum nicht mehr benennen kann. Der Vortrag des Klägers ist daher nicht in sich schlüssig.
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Eine konkrete, ihn persönlich betreffende Verfolgungssituation wegen seines Glaubens zum Baha´itum hat der Kläger trotz entsprechender Nachfrage des Gerichts in der mündlichen Verhandlung nicht benennen können, obwohl der Kläger diesen Glauben bereits seit rund 7-8 Jahren angenommen haben will (siehe dazu auch 1. b) bb) a.E.)
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bb) Auch der vom Kläger vorgetragene Wechsel zum Baha´itum führt nicht zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Der Einzelrichter geht insoweit von keiner Verfolgungsgefahr für den Kläger mangels eines nachgewiesenen ernsthaften und nachhaltigen Glaubenswandels aus.
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Das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit ist im Iran deutlich eingeschränkt. Der Abfall vom Islam (Apostasie) kann nach der bestehenden Rechtslage mit der Todesstrafe geahndet werden (vgl. Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, Gz.: 508-516.80/3 IRN vom 12. Januar 2019 - Stand November 2018 - S. 4, 12 - 14).
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Dabei gelten im Iran die Anhänger der Glaubensgemeinschaft der Baha´i nicht als Mitglieder einer Religionsgemeinschaft, sondern als Abtrünnige. Sie sind wirtschaftlicher, politischer und gesellschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt und stellen damit die derzeit am stärksten in ihren Rechten eingeschränkte Minderheit in Iran dar. Muslimen ist es verboten, zu konvertieren („Abfall vom Glauben“). Die Konversion eines schiitischen Iraners zu einer anderen Religion kann eine Anklage wegen Apostasie und schwerste Sanktionen bis hin zur Todesstrafe nach sich ziehen. Oftmals lautet die Anklage jedoch auf „Gefährdung der nationalen Sicherheit“ oder anderes, wohl um die Anwendung des Scharia-Rechts und damit die Todesstrafe wegen Apostasie zu vermeiden.
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Die Annahme einer konkreten Verfolgungsgefährdung i.S.v. §§ 3 ff. AsylG setzt im konkreten Einzelfall allerdings voraus, dass die vorgetragene Hinwendung des Asylsuchenden zu der angenommenen Religion auf einer inneren Glaubensüberzeugung beruht, mithin eine ernsthafte, dauerhafte und nicht lediglich auf Opportunitätserwägungen oder asyltaktischen Gründen beruhende Hinwendung zum neuen Glauben vorliegt und der neue Glaube die religiöse Identität des Schutzsuchenden prägt. Hierzu gehört auch, aber nicht nur, dass dem Konvertiten die wesentlichen Grundelemente seiner neuen Religion vertraut sind, wobei seine Persönlichkeit und seine intellektuellen Fähigkeiten zu berücksichtigen sind. Allein ein formeller Übertritt in eine Glaubensgemeinschaft reicht nicht aus. Vielmehr muss glaubhaft sein, dass der Betreffende seinen neuen Glauben in einer Weise verinnerlicht hat, dass es ihm ein tiefempfundenes Bedürfnis ist, diesen Glauben auch im Falle der Rückkehr in das Herkunftsland ungehindert leben zu können. Hingegen ist nicht zu erwarten, dass ein Asylsuchender nach der Rückkehr in sein Herkunftsland eine Religion entsprechend lebt, die er in seinem Zukunftsland nur vorgeblich, oberflächlich oder als asyltaktischen Gründen angenommen hat (vgl. OVG NRW, U.v. 7.11.2012 - 13A1999/07.A - juris). Das Gericht hat unabhängig von den durch den Staat zu respektierenden Kirchenmitgliedschaftsregelungen Feststellungen zur religiösen Identität des Flüchtlings zu treffen, um die Wahrscheinlichkeit der Verfolgung der Kläger im Iran zu beurteilen, d.h. insbesondere, welche Art der religiösen Betätigung die Kläger für sich als verpflichtend empfinden, um ihre religiöse Identität zu wahren (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 - 10 C 23/12 - InfAuslR 2013, 339 ff.).
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Unter Zugrundelegung der Angaben des Klägers gegenüber dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass für den Kläger eine begründete Gefahr politischer Verfolgung aus religiösen Gründen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit besteht. Insbesondere hat das Gericht beim Kläger den Eindruck gewonnen, dass dieser sich zwar möglicherweise vertieft mit den Glaubensinhalten der Baha´i beschäftigt, diese aber nicht in einer identitätsprägenden Weise für sich übernommen hat. So wusste der Kläger zwar auf die Mehrzahl der ihm gestellten religiösen Wissensfragen zum Baha´itum die zutreffende Antwort zu geben. Allerdings besteht beim Gericht der Eindruck, dass es sich eher um abstraktes Wissen handelt, das sich auch ohne inneren Bezug zur Religionsgemeinschaft der Baha´i erwerben lässt. So blieb der Kläger bei den Angaben, was ihn persönlich zum Glaubenswechsel motiviert habe, detailarm und in der Schilderung wenig lebendig. Er gab lediglich an, bereits in seiner Jugend (noch während seiner Prägung als Moslem) mit anderen Jugendlichen in Kontakt gekommen zu sein, die Baha´i seien. Im beruflichen Umfeld habe er dann andere Anhänger des Baha´itum kennen gelernt und diese als respektvolle, ruhige Menschen erlebt, die nicht klauen, nicht lügen und nicht betrügen. Dies habe ihn fasziniert. Eine Darstellung der inneren Auseinandersetzung, inwieweit sich der Kläger mit seinem bisherigen Glauben einerseits und der neuen Religion andererseits auseinandergesetzt hat, fehlt bei diesen Angaben völlig. Das Gericht erhielt vielmehr den Eindruck, der Kläger habe mehr oder minder von einem Tag auf den anderen für sich beschlossen, nun Anhänger des Baha´i-Glaubens zu sein, ohne sich mit dessen Glaubensinhalten reflektiert und umfassend beschäftigt zu haben. Die theoretischen Grundlagenkenntnisse seiner Religion hat sich der Kläger anscheinend erst nach und nach angeeignet. Inwieweit sich der Kläger bereits im Iran mit den religiösen Inhalten des Baha´itum beschäftigt oder dies zumindest versucht hat, hat er nicht ausgeführt. Auch fällt auf, dass der Kläger seinen Glaubenswechsel im Iran vor der eigenen Familie verborgen gehalten hat. Dies lässt umso mehr an der identitätsprägenden Übernahme des neuen Glaubens zweifeln, als Schwestern des Klägers sich zu dieser Zeit bereits im Ausland (Deutschland) aufgehalten und ebenfalls den Glauben der Baha´i für sich übernommen haben. Das Gericht hält es für nicht nachvollziehbar, dass man sich nicht unter Geschwistern über solch relevante Fragen wie die Glaubenszugehörigkeit austauschte; vor allem vor dem Hintergrund, dass die beiderseits neu gewählte Religion identisch ist und für den im Iran verbliebenen Bruder möglicherweise ein Risiko darstellt.
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Weiter fällt auf, dass der Kläger die Festtage im Baha´itum nicht vollständig benennen konnte. So fehlten in der Aufzählung der wichtigsten 7 bzw. 9 Festtage der Baha´i (vergleiche www.Bahai.de und „Baha´itum“ auf Wikipedia sowie VG Würzburg, U.v. 21.10.2015, W 6 K 15.30149 - juris und VG Stuttgart, U.v.13.05.2016, A 11 K 3939/15) die Benennung der Geburtstage des Bab, des Balla-u-llah und des Abdul-Baha sowie Daten der beiden Märtyrertode. Gerade die Kenntnis und Berücksichtigung religiöser Feiertage hält das Gericht aber für ein relevantes Merkmal religiöser Identitätsprägung im täglichen Leben. Der Kläger räumt ein, das Wissen über das Baha´itum vielfach aus Recherchen in Schriften etc. erworben zu haben (beispielsweise seine Angaben zu den Umständen einer Beerdigung). An praktischer Glaubensbetätigung benannte der Kläger lediglich das Gebet, wöchentlichen Austausch über das Internet und gelegentliche Besuche bei der Baha´i-Gemeinde in München. Ihm ist die Ausrichtung beim Gebet hin zu den heiligen Stätten des Bab und Balla-u-llah bekannt, er konnte aber in der mündlichen Verhandlung nicht mitteilen, wie er selbst für das angeblich tägliche Gebet diese Richtung ermittelt, sondern bezog sich auf die Hinweise der Gelehrten anlässlich der Baha´i-Versammlungen.
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Der Kläger konnte somit dem Gericht nicht schlüssig und überzeugend vermitteln, in wieweit ihm sein Glaube im Alltäglichen wie im Besonderen richtungsweisend ist, ihm Orientierung und Halt bietet, seine Handlungen begleitet, ihm als Individuum wichtig ist und seine Persönlichkeit und religiöse Identität prägt. Stattdessen wirkten viele Antworten wie die Angabe auswendig gelernten Wissens. Allein aus den formalen Kenntnissen über eine Religion und der rein reproduktiven Wiedergabe selbiger, lässt sich aber nicht ableiten, dass die religiöse Identität einer Person von dieser Glaubenslehre geprägt wird. Eben weil es nur die Wiedergabe dessen ist, was die Lehre der (neuen) Religion besagt, nicht, weshalb man persönlich daran „glaubt“.
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Auch nach der Rechtsprechung (vgl. etwa BVerwG, U.v. 20.2.2013 - 10 C 20.12 - Buchholz 402.25 § 3 AsylVfG Nr. 15; EuGH, U.v. 5.9.2012 - C 71/11 und C 99/11 - ZAR 2012, 433) ist für die Annahme einer Verfolgungsgefahr erforderlich, dass für den Kläger eine öffentliche Glaubensbetätigung als zentrales Element seiner religiösen Identität für ihn unverzichtbar ist. Daran hat das Gericht zum gegenwärtigen maßgeblichen Zeitpunkt im Asylverfahren bei dem Kläger noch durchgreifende Zweifel. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung nicht den Eindruck erweckt, dass er das unbedingte Bedürfnis hat, seinen Glauben in Gemeinschaft mit anderen Gläubigen auszuüben und dass er ihn auch tatsächlich ausübt, mithin dass er den Glauben des Baha´itum schon nachhaltig und endgültig verinnerlicht hat und deshalb bei einer eventuellen Rückkehr in den Iran als unverzichtbares Element seiner Glaubensüberzeugung auch öffentlich betätigen müsste.
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Diese Einschätzung einer beim Kläger fehlenden ernsthaften und die religiöse Identität bindend prägenden Hinwendung zur Religion der Baha´i wird auch durch seine Angaben zu einer Rückkehr in den Iran bestätigt. Das Gericht hat den Kläger danach befragt, wie er seinen Glauben bei einer Rückkehr in den Iran ausüben würde. Auf diese Frage gab der Kläger an, er gehe auf keinen Fall in den Iran zurück. Seinen Glauben werde er aber auch auf keinen Fall aufgeben. Konkretere Angaben zur Ausübung des Glaubens der Baha´i im Iran machte der Kläger nicht. Eine überzeugende Auseinandersetzung mit einem Leben als Baha´i im Iran hat ersichtlich nicht stattgefunden.
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Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass der Kläger auch bislang im Iran trotz der angeblichen Zugehörigkeit zum Baha´itum unbehelligt gelebt hat. Auf ausdrückliche Frage in der mündlichen Verhandlung, ob der Kläger persönlich aufgrund seines Glaubens in der Zeit von 2011/2012 bis zur Ausreise Schwierigkeiten deswegen hatte, ist der Kläger einen substantiierten Vortrag schuldig geblieben. Das Gericht hält es insbesondere für nicht nachvollziehbar, warum der Kläger an diesem Punkt nicht die von ihm gegenüber dem Bundesamt vorgetragene zwangsweise Schließung seiner in Selbstständigkeit betriebenen Firma erneut erwähnt hat. Der Kläger hatte gegenüber dem Bundesamt angegeben, seine Firma geschlossen zu haben, weil er aus religiösen Gründen keine Erlaubnis mehr bekommen habe. Er sei wegen seines Glaubens von der Gewerbeaufsicht unter Druck gesetzt worden (Blatt 84,85 der Bundesamts-Akte). Sollte der Kläger tatsächlich aufgrund seines Glaubens einer solchen Situation ausgesetzt gewesen sein, ist es nicht ersichtlich, warum er dies auf konkrete Nachfrage zu bereits erlittener eigener Verfolgung nicht benennt. Der „Druck“ der Gewerbeaufsicht, soweit tatsächlich erfolgt, kann somit in einer Vielzahl anderer Gründe seine Ursache gehabt haben.
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Nach alldem ist bei einer Gesamtwürdigung aller Umstände zur Überzeugung des Gerichts davon auszugehen, dass die behauptete Hinwendung zum Baha´itum im Falle des Klägers nicht auf einer inneren Glaubensüberzeugung beruht, welche seine religiöse Identität nachhaltig prägt, sondern vielmehr, dass dieser Behauptung möglicherweise Opportunitätserwägungen und asyltaktische Überlegungen zugrunde liegen. Damit ist der Kläger nach dem Gericht in der mündlichen Verhandlung vermittelten Eindruck (noch) nicht vertieft im Glauben des Baha´itum verankert.
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Auch sonst droht dem Kläger bei einer Rückkehr keine politische Verfolgung, etwa wegen seines Auslandsaufenthalts oder seiner Asylantragstellung in der Bundesrepublik Deutschland. Auslandsaufenthalte sind im Iran nicht grundsätzlich verboten.
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2. Nach dem vorstehenden Gesagten sind weiter insgesamt betrachtet keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG oder von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfüllt wären.
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Im Übrigen wird auf den angefochtenen Bescheid des Bundesamtes Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung der Gründe abgesehen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Dies gilt auch hinsichtlich der Abschiebungsandrohung sowie der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes.
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3. Nach allem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Als im Verfahren unterlegen, hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG.