Inhalt

VG Ansbach, Urteil v. 26.04.2019 – AN 17 K 18.31552
Titel:

Ablehnung des Asylantrags einer Kolumbianerin, da keine Verfolgung durch die Guerillagruppe ELN

Normenketten:
AsylG § 3 Abs. 1, § 3c, § 3d, § 3e, § 4 Abs. 1, § 76 Abs. 1, § 77 Abs. 2
AufenthG § 60 Abs. 2, Abs. 5, Abs. 7 S. 1
GG Art. 16a Abs. 1, Abs. 2
VwZG § 4 Abs. 2 S. 2
RL 2011/95/EG Art. 4 Abs. 4
Leitsätze:
1. § 4 Abs. 2 S. 2 VwZG sieht einen Ausschluss der Zustellfiktion vor, wenn das zuzustellende Schriftstück nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Nach § 4 Abs. 2 S. 3 VwZG obliegt im Zweifel hierüber die Beweislast der Behörde. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Art. 4 Abs. 4 der RL 2011/95/EG privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis bei einer Vorverfolgung durch eine Beweiserleichterung in Form einer widerlegbaren Vermutung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab (vgl. BVerwG BeckRS 2010, 50794). (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
3. An der Glaubhaftmachung von Verfolgungsgründen fehlt es in der Regel, wenn der Asylsuchende sein Asylvorbringen im Laufe des Asylverfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Asylbegehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (BayVGH BeckRS 2017, 119318, mwN aus der Rechtsprechung). (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
4. Ein landesweiter bewaffneter Konflikt in Kolumbien besteht nicht (mehr). Seit der Initiierung und Umsetzung des Friedensprozesses mit der vormals größten Guerillagruppe, der FARC, sowie den Bemühungen der kolumbianischen Regierung und ziviler und kirchlicher Institutionen, Friedensgespräche auch mit der ELN zu führen, hat sich trotz des allgemein hohen Kriminalitäts- und Gewaltniveaus die Sicherheitslage in Kolumbien landesweit spürbar verbessert. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Individuelles Verfolgungsschicksal einer Kolumbianerin durch die Guerillagruppe ELN (hier: verneint), kein bewaffneter landesinterner Konflikt in der Region … und der Stadt, keine Flüchtlingseigenschaft, subsidiäre Schutzstatus, Abschiebungsverbot, herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab, Beweiserleichterung, Vorverfolgung, widerlegbare Vermutung
Fundstelle:
BeckRS 2019, 8747

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Tatbestand

1
Die am …1967 in …Kolumbien geborene Klägerin wendet sich gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 4. Dezember 2018, mit dem ihr Asylantrag negativ verbeschieden wurde.
2
Die Klägerin ist kolumbianische Staatsangehörige und dem indigenen Volk der Chami zugehörig. Nach eigenen Angaben ist sie buddhistischen Glaubens. Sie reiste am 27. Oktober 2018 ohne gültigen Aufenthaltstitel aus Schweden kommend in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 9. November 2018 einen förmlichen Asylantrag.
3
Die Anhörung vor dem Bundesamt zu den Asylgründen erfolgte am 15. November 2018. Hierbei gab die Klägerin an, ihr Heimatland bereits 2015 verlassen und zunächst für ca. drei Jahre in Schweden zusammen mit ihrem Lebensgefährten gelebt zu haben. In Schweden habe sie keinen Asylantrag gestellt und sei auch behördlich nicht erfasst gewesen. Die Asylanträge ihres Lebensgefährten seien immer abgelehnt worden. Beide hätten sich dann zur Weiterreise nach Deutschland entschlossen. Verwandte habe sie in Deutschland keine, dagegen aber ihr Lebensgefährte. Zu den Fluchtgründen befragt gab die Klägerin an, dass ihr Vater im Jahr 1991 Opfer eines gewaltsamen Landrechtskonfliktes mit lokalen Guerillagruppen in der Gemeinde geworden und gewaltsam umgebracht worden sei. Sie habe das Land ihres Vaters gemeinsam mit ihrem Bruder geerbt. Jedoch hätte sie die Guerillagruppe im Jahr 1994 unter Androhung des Todes gezwungen, dieser das Land für einen niedrigen Preis zu verkaufen. Sie sei dann mit ihrer damals 2-jährigen Tochter in die Stadt gezogen und habe in der Folge ihren Lebensunterhalt mit der Pflege älterer Menschen verdient. Gewohnt habe sie bei ihrer Mutter. Finanzielle Mittel und Möglichkeiten, sich fortzubilden, hätte sie nicht gehabt. Die Landwirtschaft, die ihr Vater auf seinem Grund betrieben habe, habe sie jedoch stets als einzige Lebensgrundlage begriffen, die ihr durch den Zwangsverkauf an die Guerilla genommen worden sei. Deshalb habe sie sich später an den Guerilla-Kommandanten gewandt und gefragt, ob sie ihr Land zurückerhalten könne. Das sei ihr nur in Aussicht gestellt worden, wenn sie sich der Guerilla angeschlossen hätte, was sie aber abgelehnt habe. Schutz durch die Polizei bzw. staatliche Stellen sei nicht zu erwarten gewesen. Die Guerilla sei gut informiert. Bei dem Versuch, staatliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, sei dies ihr sicherer Tod. Sie habe ihr verändertes Leben nicht mehr ausgehalten und sei deshalb ausgereist. Ihre Tochter und ihre Mutter lebten noch in Kolumbien. Die Tochter arbeite als Tierarzthelferin. Sie selbst werde durch ihren Lebensgefährten finanziell unterstützt.
4
Mit dem streitgegenständlichen Bescheid, der ausweislich eines Vermerks in der Bundesamtsakte am 7. Dezember 2018 als Einschreiben zur Post gegeben wurde, wird die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt (Ziffer 1.), der Antrag auf Asylanerkennung abgelehnt (Ziffer 2.), der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt (Ziffer 3.), festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 4.), die Abschiebung nach Kolumbien oder ein anderes aufnahmeverpflichtetes Land, in das die Klägerin einreisen darf, angedroht (Ziffer 5.) sowie das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 6.). Die Beklagte ist der Auffassung, der von der Klägerin geschilderte Sachverhalt knüpfe schon an keinen der in § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründe an. Auch eine zielgerichtete Bedrohung der Klägerin läge nicht vor. Es läge kriminelles Unrecht vor. Es fehle im Übrigen an der zeitlichen Verknüpfung zwischen behaupteter Verfolgungshandlung und der Ausreise der Klägerin aus Kolumbien. Der weitere Vortrag der Klägerin sei unsubstantiiert. Mit einer Rückkehrgefährdung der Klägerin sei überdies nicht zu rechnen, da die Guerillagruppe ihr angestrebtes Ziel, die Landgewinnung, bereits erreicht habe. Anhaltspunkte für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus seien ebenfalls nicht erkennbar oder vorgetragen. Da die gesunde und erwerbsfähige Klägerin bereits über viele Jahre nach dem Verlust ihres Grundbesitzes ihren Lebensunterhalt habe sichern und zudem auf die Unterstützung ihrer Mutter und ihrer inzwischen volljährigen, erwerbstätigen Tochter habe zurückgreifen können, seien auch nationale Abschiebungsverbote nicht festzustellen gewesen.
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Hiergegen ließ die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten am 27. Dezember 2018 mittels Telefaxschreiben Klage erheben, die mit Schriftsatz vom 13. Januar 2019 unter Wiederholung des wesentlichen Vorbringens der Klägerin vor dem Bundesamt begründet wurde.
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Die Klägerin beantragt,
1.
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 4. Dezember 2018, Az.: …, wird aufgehoben.
2.
Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG i. V. m. § 60 Abs. 1 AufenthG zuzuerkennen und sie als Asylberechtigte anzuerkennen.
3.
Hilfsweise wird die Beklagte verpflichtet, der Klägerin subsidiären Schutz nach § 4 Abs. 1 AsylG i. V. m. § 60 Abs. 2 AufenthG zuzuerkennen.
4.
Hilfsweise ist festzustellen, dass für die Klägerin ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG besteht.
5.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
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Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Sie verteidigt den angegriffenen Bescheid unter Bezugnahme auf dessen Gründe und hält die Klage für verfristet.
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Auf gerichtlichen Hinweis teilte der Bevollmächtigte der Klägerin mit, der Bescheid sei erst am 12. Dezember 2018 in seiner Kanzlei eingegangen. Dazu legte der Bevollmächtigte eine entsprechend datierte Empfangsbestätigung sowie die Kopie eines Postumschlags vor, der ein „Einschreiben“-Label der Deutschen Post AG zur Sendungsnummer …sowie eine gestempelte Frankatur des Bundesamtes vom 11. Dezember 2018 aufweist.
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Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die Bundesamtsakte zum Aktenzeichen …, die den Beteiligten vor der mündlichen Verhandlung übersandte Erkenntnismittelliste des Gerichts und für den Gang der am 24. April 2019 stattgefundenen mündlichen Verhandlung auf die dazu gefertigte Niederschrift verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.
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Die Entscheidung ergeht aufgrund des Übertragungsbeschlusses vom 28. März 2019 durch den Einzelrichter (§ 76 Abs. 1 AsylG). Über die Klage konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten in der mündlichen Verhandlung verhandelt und entschieden werden, da die Beklagte mit der ordnungsgemäßen Ladung auf diesen Umstand hingewiesen worden war (§ 102 Abs. 2 VwGO).
II.
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1. Die Klage ist zulässig, insbesondere fristgerecht erhoben worden. Zwar ist in der Bundesamtsakte vermerkt, dass der angegriffene Bescheid am 7. Dezember 2018 als Einschreiben zur Post gegeben wurde; ein Zustellnachweis an den Klägerbevollmächtigten oder ein Einlieferungsbeleg der Deutschen Post AG findet sich in der Bundesamtsakte nicht. Stellt man insoweit auf die Zustellfiktion des § 4 Abs. 2 Satz 2 VwZG ab, würde die Zustellung des Bescheides am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post, mithin am 10. Dezember 2018 als bewirkt gelten. In der Folge wäre die zweiwöchige Frist zur Klageerhebung (§ 74 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG) mit Ablauf des 24. Dezember 2018 abgelaufen gewesen. Da es sich hierbei nicht um einen Samstag, Sonntag oder gesetzlichen Feiertag handelte (vgl. OVG Hamburg, B.v. 9.2.1993 - Bs VI 4/93 - NJW 1993, S. 1941), wäre die Klageerhebung am 27. Dezember 2018 verfristet gewesen. Die Vorschrift des § 4 Abs. 2 Satz 2 VwZG sieht dabei aber einen Ausschluss der Zustellfiktion vor, wenn das zuzustellende Schriftstück nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Im Zweifel hierüber obliegt die Beweislast der Behörde, § 4 Abs. 2 Satz 3 VwZG. Der Bevollmächtigte der Klägerin hat seinerseits substantiiert unter Vorlage einer Empfangsbestätigung und einer Kopie des Briefumschlages zum zuzustellenden Schriftstück vorgetragen, dass der angegriffene Bescheid, der unstreitig an ihn anstatt an die Klägerin zugestellt worden war, vom Bundesamt erst am 11. Dezember 2018 frankiert und ihm am 12. Dezember 2018 zugestellt worden war. Dem ist die Beklagte nicht substantiiert entgegengetreten und hat auch keinen Gegenbeweis angetreten. Damit endete die Klagefrist erst mit Ablauf des 27. Dezember 2018 (§ 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 u. 2 ZPO i.V.m. §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 1 BGB) und erfolgte somit durch Eingang des Telefaxschreibens mit der vollständigen, unterzeichneten Klageschrift an diesem Tag beim Verwaltungsgericht noch fristgerecht.
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2. Die Klage ist jedoch unbegründet. Der angegriffene Bescheid erweist sich als rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Klägerin steht weder ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG oder auf Anerkennung als Asylberechtigte gemäß Art. 16a GG, noch auf Zuerkennung des subsidiären Flüchtlingsschutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG, noch ein Anspruch auf Feststellung eines Abschiebeverbots gemäß § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG zu. Auch im Übrigen stößt der angegriffene Bescheid auf keine rechtlichen Bedenken. Folglich war die Klage abzuweisen.
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Zunächst macht sich das Gericht die Feststellungen und Gründe des angegriffenen Bescheides zu Eigen und nimmt vollumfänglich auf diese Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG).
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Ergänzend ist - insbesondere im Hinblick auf den erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen neuen Sachverhalt - Folgendes auszuführen.
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3. Auf eine Asylanerkennung nach Art. 16a Abs. 1 GG kann sich die Klägerin gemäß Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG nicht berufen. Unterstellt man als wahr, dass sie sich vor ihrer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland in Schweden aufgehalten hatte, ist zu bemerken, dass es sich bei Schweden um einen Mitgliedsstaat der Europäischen Union handelt, aus dem per Fährverbindung auch direkt die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland möglich ist. Zu ihrem genauen Reiseweg aus Schweden hat die Klägerin nichts vorgetragen. Indes schlösse auch eine Einreise auf dem Landweg über Dänemark oder der Republik Polen den Anwendungsbereich des Art. 16a Abs. 1 GG aus, da beide Länder Mitgliedsstaaten der Europäischen Union sind (vgl. i.Ü.: BVerfG, U.v. 14.5.1996 - 2 BvR 1938/93 u. 2315/93 - NVwZ 1996, S. 700 ff [S. 704]). Für einen Einreiseweg per Luftweg über einen anderen als der in Art. 16a Abs. 2 Satz 1 und 2 GG bezuggenommenen Staaten ist nichts ersichtlich oder vorgetragen. Mithin kommt es nicht darauf an, auf welchen genauen Weg die Klägerin von Schweden kommend in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist. Etwas Anderes gälte schließlich auch nicht, wenn die Klägerin sich - wie wohl irrtümlich falsch in der Anhörung vor dem Bundesamt übersetzt - in der Schweiz anstatt in Schweden aufgehalten hätte. Die Klägerin könnte sich dann auf Art. 16a Abs. 1 GG aufgrund der Ausschlussregelung des Art. 16a Abs. 2 Satz 2 GG i.V.m. § 26a Abs. 2 AsylG i.V.m. Anlage I zu § 26a nicht berufen, da die Schweiz als sicherer Drittstaat im Sinne dieser Bestimmungen eingestuft ist.
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4. Bezüglich der Flüchtlingsanerkennung legt das Gericht bei seiner Entscheidungsfindung den nachfolgenden Maßstab zugrunde.
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Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Eine solche Verfolgung kann nicht nur vom Staat ausgehen (§ 3c Nr. 1 AsylG), sondern auch von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 3c Nr. 2 AsylG) oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 3c Nr. 3 AsylG). Allerdings wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3e Abs. 1 AsylG).
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Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die genannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 - 10 C 23/12 -, NVwZ 2013, 936, juris Rn. 19). Die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist anzunehmen, wenn die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen (BVerwG, U.v. 5.11.1991 - 9 C 118/90 - BVerwGE 89, 162, juris Rn. 17).
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Nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EG (Qualifikationsrichtlinie - QRL) ist die Tatsache, dass ein Asylsuchender bereits verfolgt wurde bzw. von Verfolgung unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht vor individueller Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen. Diese Regelung privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis bei einer Vorverfolgung durch eine Beweiserleichterung in Form einer widerlegbaren Vermutung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab (vgl. BVerwG, U.v. 27.4.2010 - 10 C 5/09 - BVerwGE 136, 377, juris Rn. 22f.). Eine Vorverfolgung liegt vor, wenn der Asylsuchende aus einer durch eine eingetretene oder unmittelbar bevorstehende Verfolgung hervorgerufenen ausweglosen Lage geflohen ist, was grundsätzlich einen nahen zeitlichen Zusammenhang zwischen Verfolgung und Ausreise voraussetzt. Die bereits erlittener Verfolgung gleichzustellende unmittelbar - d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit - drohende Verfolgung setzt eine Gefährdung voraus, die sich schon so weit verdichtet hat, dass der Betroffene für seine Person ohne Weiteres mit dem jederzeitigen Verfolgungseintritt aktuell rechnen muss (BVerwG, U.v. 24.11.2009 - 10 C 24/08 - BVerwGE 135, 252, juris Rn. 14).
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Für den Erfolg des Antrags muss das Gericht dabei die volle Überzeugung von der Wahrheit des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Schicksals erlangen. Angesichts des typischen Beweisnotstands, in dem sich Asylsuchende insbesondere hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im Herkunftsland befinden, kommt dabei dem persönlichen Vorbringen des Asylsuchenden und dessen Würdigung für die Überzeugungsbildung eine gesteigerte Bedeutung zu. Demgemäß setzt ein Anspruch auf der Grundlage des § 3 Abs. 4 u. 1 AsylG voraus, dass der Asylsuchende den Sachverhalt, der seine Verfolgungsfurcht begründen soll, schlüssig darlegt. Dabei ist es seine Sache, unter genauer Angabe von Einzelheiten und gegebenenfalls unter Ausräumung von Widersprüchen und Unstimmigkeiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das Asylbegehren lückenlos zu tragen (BVerwG, U.v. 8.5.1984 - 9 C 141.83 - Buchholz § 108 VwGO Nr. 147).
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Mit Rücksicht darauf, dass sich der Schutzsuchende vielfach hinsichtlich asylbegründender Vorgänge außerhalb des Gastlandes in einem gewissen sachtypischen Beweisnotstand befindet, genügt bezüglich dieser Vorgänge für die nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO gebotene richterliche Überzeugungsgewissheit in der Regel die Glaubhaftmachung. Dies bedeutet, dass das Gericht keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen darf, sondern sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit begnügen muss, die auch nicht völlig auszuschließende Zweifel mit umfasst (vgl. BVerwG, U.v. 29.11.1977, Buchholz 402.24, § 28 AuslG Nr. 11; U. v. 16.4., 1.10. und 12.11.1985, Buchholz 402.25, § 1 AsylVfG Nrn. 32, 37 und 41).
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Dabei ist der Beweiswert der Aussage des Asylsuchenden im Rahmen des Möglichen wohl-wollend zu beurteilen. Er muss jedoch andererseits von sich aus unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen, widerspruchsfreien Sachverhalt schildern. Bei erheblichen Widersprüchen oder Steigerungen im Sachvortrag kann ihm nur bei einer überzeugenden Auflösung der Unstimmigkeiten geglaubt werden (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 20.10.1987, Buchholz 310, § 86 Abs. 3 VwGO, Nr. 37; B.v. 21.07.1989, Buchholz 402.25, § 1 AsylVfG, Nr. 113).
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An der Glaubhaftmachung von Verfolgungsgründen fehlt es in der Regel, wenn der Asylsuchende im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellung nach der Lebenserfahrung oder auf-grund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheint, sowie auch dann, wenn er sein Asylvorbringen im Laufe des Asylverfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Asylbegehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. BVerfG, B.v. 29.11.1990, InfAuslR 1991, 94, 95; BVerwG, U.v. 30.10.1990, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 135; B.v. 21.7.1989, Buchholz a.a.O., Nr. 113; BayVGH, B.v. 18.7.2017 - 20 ZB 17.30785 - juris Rn. 5 m.w.N. aus der Rechtsprechung).
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a) Unter Zugrundelegung dieses Maßstabes hat die Beklagte der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft im Hinblick auf ihren Vortrag, sie sei im Jahr 1994 unter Anwendung von Todesdrohungen durch eine Guerillagruppe gezwungen worden, ihr Familienland weit unter Wert an diese Gruppe zu verkaufen, zu Recht nicht zuerkannt. Dies gilt auch für den Vortrag, sie habe später versucht, durch ein Gespräch mit dem Kommandanten der Guerillagruppe ihr Land zurück zu erhalten. In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin präzisiert, es habe sich um die Gruppe ELN gehandelt. Zwar geht das Gericht aufgrund der ihm vorliegenden aktuellen Erkenntnismittel (vgl. u.a. Auswärtiges Amt, Reise- und Sicherheitshinweise zu Kolumbien, Stand: 5.3.2019, Stichpunkt: Terrorismus) davon aus, dass es sich bei der Guerillagruppe ELN auch nach Abschluss eines Friedensvertrages und zwischenzeitlicher Umsetzung des Friedensprozesses mit der ehemaligen Guerillagruppe FARC um einen weiterhin äußerst gewaltbereiten, nichtstaatlichen Akteur handelt, von dem Verfolgung im Sinne des § 3c Nr. 3 AsylG ausgehen kann, da die gesonderten Friedensgespräche des kolumbianischen Staates mit der Gruppe ELN auch im Jahr 2019 bislang stagnieren bzw. abgebrochen wurden. Die Klägerin hat aber nicht substantiiert vorgetragen, sie sei durch die Gruppe ELN sowohl in den Jahren bis 1994 als auch bei ihrem späteren - zeitlich von ihr im Einzelnen nicht näher dargelegten - Versuch, ihren vormaligen Grundbesitz zurück zu erlangen, gezielt wegen eines asylrelevanten Grundes nach §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3b AsylG verfolgt worden. Es ist aus dem Vortrag der Klägerin auch nicht erkennbar, dass die Guerillagruppe der Klägerin Merkmale im Sinne des § 3b Abs. 2 AsylG zugeschrieben hat. In Betracht kommen nach Auffassung des Gerichts unter Zugrundelegung des klägerischen Vortrags überhaupt nur die Merkmale „Rasse“ und „Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe“, wenn man im Sinne der Klägerin annimmt, dass sie als Angehörige der indigenen Volksgruppe der Chami Merkmale einer solchen sozialen Gruppe im Sinne des § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG aufweist. Jedoch fehlt es nach Überzeugung des Gerichts an einer Verfolgungshandlung durch die Gruppe ELN hinsichtlich der Klägerin gerade wegen ihrer indigenen Abstammung und somit an der notwendigen Verknüpfung zwischen Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund. Dass die Guerillagruppen in Kolumbien in der Vergangenheit vor allem die ärmere, weniger widerstandsfähige Landbevölkerung, die u.a. auch durch Menschen indigener Abstammung gebildet wird, von deren Landbesitz vertrieben hat (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt Kolumbien, Stand: 25.10.2018, Punkt 13.2 Indigene Völker), genügt für die Annahme einer solchen Verknüpfung zwischen Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund nicht. Vielmehr handelt es sich hierbei um kriminelles Unrecht, das - insoweit an das Merkmal Landeigentümer anknüpfend - auch nach dem Vortrag der Klägerin dann abgeschlossen ist, wenn die Landübertragung erfolgreich zu Gunsten der Guerillagruppe erfolgte und die vormaligen Besitzer vertrieben sind. Die Klägerin widerlegt eine abweichende Betrachtungsweise in ihrem Fall zudem dadurch, dass sie selbst angab, die Guerillagruppe habe in der Vergangenheit darauf gedrängt, dass ihr Vater und später auch sie Mitglied der ELN werde. Dieser Aspekt spricht deutlich gegen eine Verfolgung aufgrund der Merkmale „Rasse“ oder „Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe“, wobei letzteres regelmäßig dadurch geprägt ist, dass die Angehörigen der sozialen Gruppe gerade wegen ihrer Gruppenmerkmale von Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3a AsylG betroffen sind. Die Aktionen der Guerillagruppen in Kolumbien, wie die Klägerin sie beschreibt, sind indes ubiquitär und auf verschiedene Gründe, darunter auch Machterhalt und Machtgewinn zurückzuführen (vgl. etwa: Konrad Adenauer Stiftung, Länderbericht Kolumbien, Stand: Februar 2019). Hierzu zählen auch Assimilationsbemühungen, wie sie der Klägerin und ihrem Vater widerfahren sind, da sie die Gruppenstärke erhöhen sollen. Sie greifen nicht an das Merkmal der Zugehörigkeit zu einer indigenen Bevölkerungsgruppe an. Schließlich fehlt es aber auch an der zeitlichen Verknüpfung zwischen der behaupteten Verfolgungshandlung und der Ausreise der Klägerin aus Kolumbien, worauf die Beklagte im angegriffenen Bescheid zutreffend hinweist. Dass das der Klägerin durch die Gruppe ELN widerfahrene Unrecht im Zeitpunkt ihres Ausreiseentschlusses noch fortdauerte und für diesen (auch) maßgeblich war, nimmt das Gericht aufgrund der Einlassung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung nicht an. Ungeachtet der Frage, dass die Klägerin nicht darlegte, wann sie sich um den Rückerwerb ihres vormaligen Landbesitzes bei der ELN bemüht haben will, waren die späteren Ereignisse der Schutzgelderpressungen, denen die Klägerin als Geschäftsfrau ausgesetzt war, nicht durch die ELN, sondern durch eine andere kriminelle Vereinigung veranlasst. Im Übrigen blieb die Klägerin in ihrem diesbezüglichen Sachvortrag zur Situation mit der Gruppe ELN sowohl vor dem Bundesamt als auch in der Klagebegründung und in ihren Äußerungen in der mündlichen Verhandlung vage, so dass insbesondere ihr Vortrag zu den späteren Rückerwerbsbemühungen als unsubstantiiert anzusehen ist.
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b) Aber auch der weitere Vortrag der Klägerin, sie sei in Kolumbien im Zuge der von ihr betriebenen Geschäfte eines … und eines … Opfer von Schutzgelderpressungen geworden, kann die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht rechtfertigen. Dabei vermochte die Klägerin schon keine vernünftigen Gründe angeben, warum sie diesen Sachvortrag nicht bereits im Zuge der Anhörung vor dem Bundesamt oder wenigstens mit der Klagebegründung angegeben hat. Ihre diesbezügliche Einlassung, ihr später Sachvortrag stelle keinen Widerspruch zu ihren Äußerungen gegenüber dem Bundesamt dar, weil ihre Geschichte schon länger andauere, überzeugt das Gericht nicht. Ungeachtet dessen fehlt es auch hierbei an einer zeitlichen Verknüpfung zwischen behaupteter Verfolgungshandlung und der Ausreise der Klägerin aus Kolumbien. Die Klägerin gab in der mündlichen Verhandlung an, sie sei bis zur Aufgabe ihres …betriebes im Jahr 2002 Opfer der Schutzgeldforderungen gewesen, wobei es allen erfolgreichen Geschäftsleuten in der Gegend so gegangen sei. Nach Aufgabe ihres …betriebes habe sie sich bis zur Ausreise im Dezember 2015 mit Gelegenheitsjobs beschäftigen müssen, wobei sie sich vor den kriminellen Banden versteckt gehalten und insbesondere nur noch Pflege- und Putzarbeiten in häuslicher Umgebung angenommen habe. Das Gericht ist überzeugt, dass hierin eine übertriebene Schilderung des persönlichen Schicksals der Klägerin bezogen auf ein Verborgen halten der Klägerin liegt, da nicht ansatzweise vorgetragen wurde oder sonst ersichtlich ist, warum die kriminellen Gruppen gezielt an der Klägerin auch nach deren Geschäftsaufgabe ein weiteres Verfolgungsinteresse gehabt haben sollten. Die Klägerin traf in der mündlichen Verhandlung dazu nur allgemeine Aussagen, dass es in Kolumbien so sei, dass kriminelle Banden ganze Familien bedrohten. Dass das insbesondere nach dem Jahr 2002 jedoch ihr noch einmal widerfahren sei, verneinte die Klägerin explizit. Auch Bedrohungslagen gegenüber ihrer Tochter oder ihrer Mutter durch die kriminellen Banden behauptete die Klägerin nicht.
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c) Soweit schließlich die Klägerin in der Anhörung vor dem Bundesamt noch angab, sie fühle sich auch wegen ihrer Religionszugehörigkeit verfolgt, hat sie diesen Aspekt weder in der Klagebegründung noch in der mündlichen Verhandlung aufgegriffen. Für eine Verfolgungssituation von Buddhisten in Kolumbien hat das Gericht unter Zugrundelegung seiner Erkenntnismittel zudem keine objektiven Anhaltspunkte (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt Kolumbien, Stand: 25.10.2018, Punkt 12 Religionsfreiheit). Auch insoweit ist das Gericht davon überzeugt, dass die Klägerin in Kolumbien keine mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eintretende Verfolgung droht bzw. die Klägerin hinsichtlich der Zugehörigkeit zu einer Religion ohne Vorverfolgung ausgereist ist.
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5. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 2 AufenthG. Subsidiär schutzberechtigt ist nach § 4 Abs. 1 AsylG, wer stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, ihm drohe in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden. Als ernsthafter Schaden gilt die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3). Die vorgenannten Gefahren müssen dabei gemäß § 4 Abs. 3 i.V.m. § 3c AsylG in der Regel von dem in Rede stehenden Staat oder den ihn beherrschenden Parteien oder Organisationen ausgehen. Die Bedrohung durch nichtstaatliche Akteure kann hingegen nur dann zu subsidiärem Schutz führen, wenn der betreffende Staat selbst nicht willens oder nicht in der Lage ist, Schutz zu gewähren. Auch subsidiärer Schutz wird nicht zuerkannt, wenn der Ausländer landesinternen Schutz in Anspruch nehmen kann (§ 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3e AsylG).
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Konkrete Anhaltspunkte für das Drohen eines ernsthaften Schadens nach § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 AsylG (Todesstrafe, Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung) sind im Fall der Klägerin nicht ersichtlich. Insbesondere sind die der Klägerin widerfahrenen Schutzgelderpressungen durch kriminelle Banden nicht hierunter zu subsumieren, da solche kriminellen Handlungen der Klägerin jedenfalls nicht mehr aktuell drohen. Unter Zugrundelegung ihres Vortrages waren von solchen Handlungen Geschäftsleute betroffen, wobei die Klägerin letztmals im Jahr 2002 solche Zahlungen leistete. Seit der Aufgabe ihres Geschäftsbetriebes drohten ihr vonseiten der kriminellen Banden nach eigenem Bekunden keine konkreten Erpressungshandlungen mehr.
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Die Gefahr eines ernsthaften Schadens in Folge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konflikts nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG kann hier ebenfalls nicht festgestellt werden. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Richtlinie RL 2004/83/EG (EuGH, U.v. 30.1.2014 - C-285/12 - NVwZ 2014, 573) liegt ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vor, wenn die regulären Streitkräfte eines Staates auf eine oder mehrere bewaffnete Gruppen treffen oder wenn zwei oder mehrere bewaffnete Gruppen aufeinandertreffen. Der Gerichtshof weist darauf hin, dass das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts nach der durch die Richtlinie eingeführten Regelung nur zur Gewährung subsidiären Schutzes führen kann, wenn der Grad willkürlicher Gewalt ein solches Niveau erreicht, dass der Schutzsuchende allein durch seine Anwesenheit im betreffenden Gebiet tatsächlich Gefahr läuft, einer ernsthaften individuellen Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit ausgesetzt zu sein. Der Gerichtshof folgert daraus, dass es nicht erforderlich ist, die Feststellung, dass ein bewaffneter Konflikt vorliegt, von der Intensität der bewaffneten Auseinandersetzungen, dem Organisationsgrad der bewaffneten Streitkräfte oder der Dauer des Konflikts abhängig zu machen. Für die Beurteilung der Frage des Bestehens eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ist, sofern der Konflikt nicht landesweit besteht, auf die Herkunftsregion des Schutzsuchenden abzustellen, in die er typischerweise zurückkehren wird. Ist für die maßgebliche Region eine individuelle Bedrohung entweder wegen gefahrerhöhender individueller Umstände oder ausnahmsweise wegen eines besonders hohen Niveaus allgemeiner Gefahren im Rahmen eines bewaffneten Konflikts anzunehmen, ist weiter zu prüfen, ob der Schutzsuchende in anderen Teilen seines Herkunftslandes, in denen derartige Gefahren nicht bestehen, internen Schutz finden kann (§ 4 Abs. 3 i.V.m. § 3e AsylG; vgl. auch BVerwG, U.v. 14.7.2009 - 10 C 9.08 - juris).
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Unter Beachtung dieser Grundsätze und nach Auswertung der dem Gericht vorliegenden Erkenntnismittel (v.a. Auswärtiges Amt, Reise- und Sicherheitshinweise zu Kolumbien, Stand: 5.3.2019, Stichpunkte: Terrorismus u. Kriminalität; United States Department of State, Colombia 2017 Human Rights Report, Stand: 20.4.2018, Section 1 lit. g. - Abuses in Internal Conflicts; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt Kolumbien, Stand: 25.10.2018, Punkt 3 Sicherheitslage; UNHCR, Global Report 2017, Stand: 2017, Colombia Situation) geht das Gericht davon aus, dass sich seit der Initiierung und Umsetzung des Friedensprozesses mit der vormals größten Guerillagruppe, der FARC, sowie den Bemühungen der kolumbianischen Regierung und ziviler und kirchlicher Institutionen, Friedensgespräche auch mit der ELN zu führen, die Sicherheitslage in Kolumbien landesweit spürbar verbessert hat. Zwar darf dies nach Überzeugung des Gerichts nicht darüber hinwegtäuschen, dass insbesondere die spezifische Gemengelage aus verschiedenen, sich gegenseitig bekämpfenden Gruppierungen und Drogenbanden in Kolumbien im Zuge der Entwaffnung der FARC zu Machtkämpfen und einer weiteren Zersplitterung des Konfliktes auf Gruppen ohne hierarchische Struktur führte, so dass von einer Beseitigung des bewaffnetes Konfliktes nicht gesprochen werden kann. Dies belegen die einschlägigen Erkenntnisquellen unter Benennung von konkreten Verstößen gegen ausgehandelte Waffenstillstandsvereinbarungen. Gleichwohl ist das Gericht auch davon überzeugt, dass ein landesweiter bewaffneter Konflikt in Kolumbien nicht (mehr) besteht. Hiervon zeugen die Erkenntnisquellen dadurch, dass Sicherheitshinweise und Reisewarnungen aufgrund bewaffneter Auseinandersetzungen letztlich nur für bestimmte Regionen (v.a. Grenzregionen und pazifische Region des Landes sowie dünn besiedelte und entlegene Landesteile und Zentren des Drogenanbaus und -handels) ausgesprochen werden. Dass ungeachtet dessen vereinzelt Anschläge auch in dichter besiedelten, von der Regierung kontrollierten Gebieten (etwa der Autobombenanschlag der ELN auf eine Polizeischule in Bogota am 17. Januar 2019 - vgl. Auswärtiges Amt, Reise- und Sicherheitshinweise zu Kolumbien, Stand: 05.03.2019, Stichpunkt: Terrorismus) durchgeführt werden und das allgemeine Kriminalitäts- und Gewaltniveau in Kolumbien als hoch einzustufen ist, begründen keine andere Sichtweise hinsichtlich der Einschätzung zum Vorliegen eines landesweiten bewaffneten Konflikts.
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Die Klägerin stammt aus der Stadt …, der Hauptstadt des Departments … im Westen Kolumbiens. Dort befindet sich das Haus der Mutter der Klägerin, in welchem sie seit dem Landrechtskonflikt mit der ELN und bis zu ihrer Ausreise aus Kolumbien nach eigenen Angaben gelebt hat. Das Gericht geht aufgrund der Auskunftslage davon aus, dass in der Region … und im Speziellen in der Stadt … zum gegenwärtigen Zeitpunkt kein bewaffneter Konflikt im Sinne von § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG stattfindet und auch in naher Zukunft nicht zu erwarten ist. Die Klägerin trug zu einer möglichen Konfliktlage in ihrer Herkunftsregion selbst nichts Konkretes vor. Ihre Aussagen in der mündlichen Verhandlung blieben diesbezüglich allgemeiner Natur und bezogen sich vordergründig auf das Agieren bewaffneter krimineller Banden, die sich mit Schutzgelderpressungen an Geschäftsleute wandten. Das Gericht entnimmt aus der Aussage der Klägerin, dass es ihr über die Jahre seit 1994 bis 2002 möglich gewesen war, sowohl ein gutgehendes … als auch ein … zu betreiben, dass ein normales Leben der Zivilbevölkerung in der Stadt … jedenfalls soweit möglich war, dass dort auch Freizeitaktivitäten ohne größere Einschränkungen nachgegangen werden konnte. Anders ließe sich der von der Klägerin selbst angegebene Geschäftserfolg, der es ihr auch ermöglichte, Geld anzusparen, nicht erklären. Dieser Umstand spricht schon gegen das Herrschen willkürlicher Gewalt in der Herkunftsregion der Klägerin in einem Maße, wie es der Europäische Gerichtshof für die Zuerkennung subsidiären Schutzes fordert. Im Weiteren sind das Department … und dessen Hauptstadt nicht in den aktuellen Sicherheits- und Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes aufgeführt. Auch die weiteren Erkenntnismittel geben keine Hinweise darauf, dass die Herkunftsregion der Klägerin im Besonderen von bewaffneten Konflikten betroffen ist. Die Stadt … weist eine Bevölkerungszahl von ca. … Einwohnern, unter Berücksichtigung der Ballungsregion sogar von ca. … Einwohnern auf (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/ …_(Kolumbien) unter Verweis auf statistische Angaben der Regierung Kolumbiens). Sie ist damit als Großstadt zu qualifizieren, so dass Hinweise und Warnungen für dünn besiedelte Regionen Kolumbiens für sie keine Geltung beanspruchen. Die Herkunftsregion der Klägerin ist zudem keine Grenzregion Kolumbiens und nicht als Drogenanbaugebiet aufgeführt (Rabea Kaas, Drogenhandel und -bekämpfung in Kolumbien, in: Kolumbien Blog - Frieden im Fokus, Freie Universität Berlin, Stand: 12. März 2017, abrufbar unter: https://blogs.fu-berlin.de/kolblog/ra-bea_kaas2/). Soweit die Klägerin meint, die von ihr angeführten Schutzgelderpressungen bewaffneter krimineller Banden gegenüber zivilen Geschäftsleuten in der Stadt … seien für die Bewertung eines bewaffneten Konflikts beachtlich, ist auszuführen, dass solche Handlungen gegenüber der Zivilbevölkerung nicht die Definition eines bewaffneten Konflikts gemäß der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs erfüllen, da hier nicht mehrere bewaffnete Gruppen gegeneinander agieren. Im Übrigen ist das Gericht unter Beachtung des Vorstehenden insgesamt davon überzeugt, dass in der Stadt … kein derart hohes Maß an willkürlicher Gewalt gegenüber Zivilpersonen herrscht, dass allein die Anwesenheit der Klägerin dort zu einer tatsächlichen Gefahr einer individuellen Bedrohung von Leib und Leben führen wird. Bekräftigt wird dies durch die Einlassung der Klägerin, die - ausgenommen die Schutzgelderpressungen - dort über viele Jahre hinweg ohne konkrete Bedrohungen ihrer Person oder ihrer Familie leben konnte. Individuelle gefahrerhöhe Umstände in der Person der Klägerin sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Auf die Frage, ob die Klägerin anderenfalls auf eine landesinterne Schutzalternative zu verweisen wäre, kommt es mithin nicht an. Die Merkmale des § 4 Abs. 1 AsylG sind im Fall der Klägerin allesamt nicht erfüllt, so dass eine Zuerkennung subsidiären Schutzes ausscheidet.
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6. Das Bundesamt hat im angegriffenen Bescheid auch zutreffend ausgeführt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht gegeben sind (§ 77 Abs. 2 AsylG). Insbesondere liegen die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vor. Danach soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn für ihn dort eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Für eine konkrete, die Klägerin betreffende Gefährdungslage über die bereits erörterten Gründe hinaus hat sie nichts dargetan. Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, werden gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG bei Entscheidungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG berücksichtigt. Die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG kann zwar im Wege verfassungskonformer Auslegung überwunden werden, wenn der Ausländer gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (vgl. BVerwG, U.v. 24.6.2008 - 10 C 43.07 - juris). Anhaltspunkte für eine solche extreme Gefahrenlage bestehen im Fall der Klägerin aber nicht. Sie ist in Kolumbien aufgewachsen und hat dort auch vor der Ausreise ihren Lebensunterhalt bestritten. Sie ist insbesondere nicht in der schwierigen sozio-ökonomischen Lage eines Binnenflüchtlings in Kolumbien. Das Gericht geht deshalb davon aus, dass die Klägerin als erwerbsfähige, gesunde Frau im mittleren Lebensalter ihren Lebensunterhalt verdienen und dabei gegebenenfalls auch weiterhin auf die Unterstützung ihrer Mutter und ihrer Tochter zurückgreifen kann.
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Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei.