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LG Nürnberg-Fürth, Endurteil v. 05.04.2019 – 2 HK O 3068/18
Titel:

Durchgriffshaftung eines Komplementär Gesellschaftersgeschäftsführers für eine KG

Normenkette:
GmbH § 43 Abs. 1, Abs. 2
Leitsatz:
Der Geschäftsführer einer Komplementär GmbH schuldet der KG die Führung der Geschäfte mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns. Die KG ist in den Schutzbereich von § 43 GmbH-Gesetz einbezogen und kann aus einer sorgfaltswidrigen Führung der Geschäfte mittelbar über ihre Komplementär-GmbH den Schaden direkt geltend machen. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Schadensersatz, Sorgfaltspflichtverletzung, Geschäftsführer, Komplementär, Durchgriffshaftung, Gesellschaftersgeschäftsführer
Rechtsmittelinstanz:
OLG Nürnberg, Endurteil vom 30.03.2022 – 12 U 1520/19
Fundstelle:
BeckRS 2019, 60124

Tenor

I. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 860.859,74 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über Basiszins seit 31.05.2018 zu bezahlen.
II. Der Beklagte wird weiter verurteilt, an die Klägerin außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 11.052,50 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über Basiszins seit 05.10.2018 zu bezahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
IV. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung von 110 % des jeweiligen vollstreckten Betrages vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 860.963,94 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über Schadensersatzansprüche der Klägerin gegen den Beklagten wegen Verletzung seiner Sorgfaltspflichten als Geschäftsführer der Komplementärin der Klägerin.
2
Unternehmensgegenstand der Klägerin ist der Vertrieb von Mineralölprodukten, wobei sie unter anderem speziell für die Betankung von Lkw einen … und eine Tankstation betreibt. Kommanditisten der Klägerin sind der Beklagte und dessen Vater. Komplementärin der Klägerin ist die …, deren einzelvertretungsberechtigter Geschäftsführer der Beklagte war bzw. ist. Die Klägerin trägt vor, dass in den fraglichen streitgegenständlichen Jahren 2012-2013 der wesentlichen Gegenstand der B-GmbH die Übernahme der Geschäftsführung und Vertretung der Klägerin gewesen sei, wobei Gesellschafter der B-GmbH wiederum der Beklagte und sein Vater sind.
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Hierbei verweist die Klägerin auf die Gesellschaftsverträge K3 und K4. Für die B - GmbH war der Beklagte aufgrund Geschäftsführer Dienstvertrag vom 03.04.2008 tätig - K5.
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Dem streitgegenständlichen Schadensersatzanspruch, den die Klägerin gegen den Beklagten durchzureichen zu können meint, liegt im wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde:
5
Die Klägerin gibt an Unternehmen mit größerem Fuhrpark auf Antrag Tankkarten aus, die es den jeweiligen Fahrern des Kunden ermöglichen im … sowie im …, die von der Klägerin betrieben werden mittels Tankkarte und Eingabe einer PIN bargeldlos zu tanken. Die Tankvorgänge für alle ausgegebenen Tankkarten des jeweiligen Kunden werden sodann monatlich seitens der Klägerin in Rechnung gestellt. Für jeden Karten-Kunden wurde ein Kreditlimit festgelegt bis zu dem auf Rechnung getankt werden kann.
6
Bereits im Jahr 2006 ist festgestellt worden, dass zwei Kunden über ihr Kreditlimit hinaus Diesel tanken konnten, was den Beiratsbeschluss vom 07.04.2006 herbeiführte - K6.
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Für die Betreuung Karten Kunden und der Betreuung war 2012 und 2013 der Mitarbeiter der Klägerin … zuständig.
8
Zu den durch Herrn … akquirierten Karten Kunden gehörten die Speditionen … GmbH & Co. KG, … GmbH und … Logistikteam und Transporte, die sich zwar in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befanden, aber gleichwohl darauf angewiesen waren, ihre Lkw zu betanken und Transportaufträge auszuführen.
9
Die genannten Firmen überzogen 2012 und 2013 die bestehenden Kreditlimits, was niemandem, insbesondere auch dem Beklagten nicht, auffiel.
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Somit kam es nicht zu einer Sperrung der Tankkarten trotz hoher Rückstände auf die betreffenden Tankrechnungen. Der Mitarbeiter … missbrauchte dabei seine Befugnis zur Anlage und Verwaltung von Kunden in der Tankkartenabrechnungssoftware dergestalt, dass er Tankkarten für die Fahrzeuge der vorgenannten Firmen anderen Kunden zuordnete und deren Konten belastet wurden. Um dies zu vertuschen (die entsprechenden belasteten Kundenkonten wurden seitens der Kunden moniert) ließ er sich die Rechnungen teilweise in der Buchhaltung aushändigen und erklärte, er werde diese selbst an die Kunden versenden, was er natürlich nicht tat. Er klebte dann Adressen-Aufkleber auf die Rechnungen und sandte diese an die Firmen … obwohl diese, wie er wusste nicht mehr zahlungsfähig waren. Obwohl der Mitarbeiter … nicht für das Beschwerdemanagement zuständig gewesen war, zog er die Beschwerden der Kunden an sich und bemühte sich weiterhin die Mahnungen abzufangen und an Scheinkunden zu versenden.
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Die Firma … stellte … Insolvenzantrag, die Firma … am im Oktober 2013 und die Firma … stellte den Geschäftsbetrieb ein, ohne einen Insolvenzantrag zu stellen.
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Die Klägerin legt dar, dass ihr durch das Verhalten von Herrn … ein Schaden von 860.963,94 EUR entstanden sei, und verweist darauf auf dahingehend auf den Bericht des Mitarbeiters, des Zeugen … vom 25.03.2014 - K7. Letztlich wird eingeräumt, dass 104,20 EUR herauszurechnen seien (Bl. 91 d.A.)
13
Sie macht den Beklagten haftbar, weil er als Geschäftsführer der Komplementär-GmbH es pflichtwidrig versäumt habe, den Schaden von der Gesellschaft durch Verhinderung des Verhaltens des Mitarbeiters … abzuwehren. Er habe den Mitarbeiter in keiner Weise überwacht, sodass es letztlich zu den Schäden gekommen sei.
14
Die Klägerin beantragt deshalb,
-
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 860.963,94 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über Basiszins seit 31.05.2018 zu bezahlen.
-
Der Beklagte wird weiter verurteilt, an die Klägerin außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 11.052,50 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über Basiszins seit 05.10.2018 zu bezahlen.
15
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
16
Er verweist darauf, dass … 20 Jahre Mitarbeiter bei der Klägerin gewesen sei. Man habe ihn bis zum streitgegenständlichen Vorfall Vertrauen entgegengebracht, da keinerlei Beanstandungen aufgetreten sein. Des Weiteren bestreitet der Beklagte eigene Sorgfaltspflichten verletzt zu haben. Er habe sich ständig bei Herrn … informiert und die entsprechenden Listen überprüft. Es sei dabei keine Unregelmäßigkeit aufgefallen.
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Hinsicht des weiteren Vorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen. Die Kammer hat in der Sitzung vom 05.04.2019 den Zeugen … vernommen. Dies erfolgte aufgrund Beweisbeschlusses vom 18.12.2018 - Blatt 72 der Akten

Entscheidungsgründe

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Die Klage erweist sich aus § 43 Absatz 1, Abs. 2 GmbH-Gesetz in Verbindung mit den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen für die Durchgriffshaftung eines Komplementär Gesellschaftersgeschäftsführers für die KG als begründet
19
Nach § 43 Abs. 2 GmbHG haften Geschäftsführer, welche ihre Obliegenheiten verletzen, gegenüber der GmbH. Die Haftung resultiert aus der organschaftsrechtlichen Sonderbeziehung des Geschäftsführers zur GmbH und ist vom Bestand eines gesonderten Anstellungsvertrags unabhängig. Bei der GmbH & Co KG ist die KG in den Schutzbereich des Organschaftsverhältnisses einbezogen, jedenfalls wenn die einzige oder wesentliche Aufgabe der GmbH die Komplementärstellung der KG ausmacht. In diesem Fall kann die KG hat die KG einen eigenen Anspruch gegen den pflichtwidrig handelnden Geschäftsführer aus § 43 Abs. 2 GmbHG - BGH, Urteil vom 18. Juni 2013 - II ZR 86/11 -, BGHZ 197, 304-316, Rn. 14-19. So liegt es hier aufgrund der unbestritten vorgetragenen Tatsachen zur Stellung des Beklagten innerhalb der GmbH und deren Funktion im Verhältnis zur Klägerin.
20
1. Der Geschäftsführer einer Komplementär GmbH schuldet der KG die Führung der Geschäfte mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns. Die KG ist in den Schutzbereich von § 43 GmbH-Gesetz einbezogen und kann aus einer sorgfaltswidrigen Führung der Geschäfte mittelbar über ihre Komplementär-GmbH den Schaden direkt geltend machen.
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2. Der Beklagte hat die ihm obliegenden Sorgfaltspflichten eines ordentlichen Geschäftsführers massiv verletzt und haftet der Klägerin deshalb auf Ersatz des hierdurch verursachten Schadens:
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Die Versuche des Beklagten sich zu entlasten, sind ungeeignet die Haftung von § 43 GmbH-Gesetz in Wegfall zu bringen, da ein Geschäftsführer eine interne Organisationsstruktur seiner Gesellschaft schaffen muss, die die Rechtmäßigkeit und Legalität des Handelns auch ihm unterstellter Personen gewährleistet. So ist ein geschlossenes System an Überwachung einzuführen um zu vermeiden, dass sich - wie hier - ein Mitarbeiter über längere Zeiträume über jegliche Vorgaben der Gesellschaft auch im strafrechtlichen Sinne hinwegsetzt.
23
Der Geschäftsführer kann sich auch nicht auf Personalmangel berufen, da er gehalten ist, entsprechende Compliance-Vorgaben umzusetzen, die zwischenzeitlich in jedem Handbuch für Geschäftsführer nachgelesen werden können.
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Ggf ist entsprechendes Personal einzustellen, wenn er selbst aus Zeitmangel oder ähnlichen nicht in der Lage ist, die Überwachung selbst vorzunehmen.
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So hat es der Beklagte verabsäumt, die relativ leicht zu durchschauenden und feststellbaren Handlungen von Herrn … insbesondere die Manipulation der entsprechenden Versandadressen, die händische Rechnungsregulierung und auch dessen sicher auffälliges Gesamtverhalten entsprechend zu würdigen und stichprobenartig Vorgänge nachzuprüfen, wie dies dem Zeugen … jederzeit möglich gewesen ist, nachdem er die entsprechenden Dokumente eingesehen hatte. Besonders hätte der Beklagte sensibilisiert sein müssen, nachdem bereits ein Beiratsbeschluss vom 07.04.2006 die entsprechenden Handlungsmaximen zur Vermeidung von Forderungsausfällen fixiert hatte. Hierauf hat er offenkundig nicht reagiert, was zu einem massiven Schaden geführt hat.
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3. Die Kammer ist auch davon überzeugt, dass der Schaden in Höhe der Klageforderung entstanden ist. Die Insolvenzfälle bzw. die Einstellung des Geschäftsbetriebs der begünstigten Firmen ist erwiesen bzw. offenkundig. Der Zeuge … hat auch in gut nachvollziehbarer Weise sein Vorgehen bei der Auswertung der Vorgänge dargelegt und genau erläutert, wie er zu der Gesamtschadenssumme gelangt ist. Er hat jeweils individuell und im Einzelfall die entsprechenden Buchungsvorgänge untersucht und in der entsprechenden Excel-Tabelle die jeweils begünstigten Firmen mit deren Forderungen die Klägerin in welcher Höhe ausgefallen ist, entsprechend niedergelegt.
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Die Klage erweist sich deshalb in beantragter Höhe als begründet.
Kosten: § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, vorläufige Vollstreckbarkeit § 709 ZPO und Streitwert § 3 ZPO.