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OLG München, Endurteil v. 25.01.2019 – 10 U 441/18
Titel:

Mietwagen- und Sachverständigenkosten nach Verkehrsunfall - Werkstattrisiko und Obliegenheiten

Normenketten:
BGB § 249, § 254
ZPO § 287
Leitsätze:
1. Verlängert sich der für die Reparatur eines Unfallfahrzeugs erforderliche Zeitraum, weil die vom Geschädigten beauftragte Werkstatt ohne Verschulden des Geschädigten unwirtschaftlich oder unsachgemäß vorgeht, so hat der Schädiger auch eine dadurch verursachte Erhöhung der erforderlichen Mietwagenkosten zu tragen. Ihn trifft das Prognoserisiko. (Rn. 6 – 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Beauftragt der Geschädigte einen Kfz-Sachverständigen mit der Begutachtung des beschädigten Fahrzeugs, so trifft ihn die Obliegenheit, diesen auch auf etwaige Vorschäden hinzuweisen bzw. zu einer genauen Prüfung anzuhalten. Verletzt er diese Obliegenheit zumindest fahrlässig und ist das erstellte Gutachten deshalb nicht tauglich, so sind die dafür angefallenen Kosten nicht ersatzfähig. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verkehrsunfall, Mietwagenkosten, Prognoserisiko, Werkstattrisiko, Sachverständigenkosten, Vorschäden, Obliegenheit, Hinweispflicht, Schadensschätzung
Vorinstanz:
LG München I, Endurteil vom 18.01.2018 – 19 O 427/16
Fundstelle:
BeckRS 2019, 592

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers vom 07.02.2018 wird das Endurteil des LG München I vom 18.01.2018, ergänzt durch Beschluss vom 13.03.2018 (Az. 19 O 427/16), abgeändert und wie folgt neu gefasst:
I. Die Beklagten werden samtverbindlich verurteilt, an den Kläger 33.107,44 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 11.01.2016 zu bezahlen.
II. Die Beklagten werden samtverbindlich verurteilt, an den Kläger außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe 1.474,89 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21.02.2016 zu bezahlen.
III. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
IV. Von den Kosten des Rechtsstreits (1. Instanz) tragen der Kläger 5% und die Beklagten samtverbindlich 95%. Die Kosten der Nebenintervention tragen die Beklagten samtverbindlich zu 95% und der Streithelfer zu 5%.
2. Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
3. Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger 38% und die Beklagten samtverbindlich 62%. Die Kosten der Nebenintervention tragen die Beklagten samtverbindlich zu 62% und der Streithelfer zu 38%.
4. Das vorgenannte Urteil des Landgerichts sowie dieses Urteil sind jeweils ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe

A.
1
Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird abgesehen (§§ 540 II, 313 a I 1 ZPO i. Verb. m. § 26 Nr. 8 EGZPO).
B.
2
Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung, die sich lediglich auf zwei Streitpunkte beschränkte (vgl. Berufungsantrag vom 23.04.2018, Bl. 95 d.A.), hat in der Sache teilweise Erfolg.
I.
3
Der Kläger hat gegen die Beklagten einen Anspruch auf vollen Ersatz seiner Mietwagenkosten, bezüglich der Sachverständigenkosten verbleibt es jedoch beim Ersturteil.
4
1. Zu Recht rügt der Kläger mit seiner Berufung, dass die geltend gemachten und in der Höhe unbestrittenen Mietwagenkosten nicht in der vom Erstgericht vorgenommen Weise hätten gekürzt werden dürfen. Das Erstgericht unterstellt ohne nachvollziehbare Begründung und ohne Ausschöpfung der klägerischen Beweisanträge eine Reparaturdauer von lediglich 14 Werktagen. Die Klagepartei hat einen Reparaturablaufplan vorgelegt (vgl. Anlage K 14). Eine Würdigung bzw. Bewertung dieses Plans unter Berücksichtigung der arbeitsfreien Tage nahm das Erstgericht nicht vor.
5
Bei der Ermittlung des eingetretenen Schadens, wozu auch die Kosten für ein Mietfahrzeug gehören, unterliegt der Tatrichter nicht den strengen Anforderungen des § 286 ZPO; vielmehr ist er nach Maßgabe des § 287 ZPO freier gestellt (BGHZ 4, 192 [196], st. Rspr., zuletzt etwa BGHZ 159, 254; Senat NZV 2006, 261 [262]; r+s 2006, 474 [Nichtzulassungsbeschwerde vom BGH durch Beschluss vom 8.5.2007 - VI ZR 29/07 zurückgewiesen]; NJW 2011, 396 [397]; zfs 2015, 500 [501]; OLG Schleswig NZV 2007, 203 [204]; LAG Köln NZA-RR 2007, 156). Im Rahmen der Beweiswürdigung gem. § 287 ZPO werden geringere Anforderungen an seine Überzeugungsbildung gestellt. Hier genügt, je nach Lage des Einzelfalls, eine höhere oder deutlich höhere oder überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Überzeugungsbildung (ausführlich BGH VersR 1970, 924 [926 f.]; NJW 1994, 3295 ff.; 2003, 1116 [1117]; 2004, 777 [778]; Senat NZV 2006, 261 [262]; r+s 2006, 474 [Nichtzulassungsbeschwerde vom BGH durch Beschluss vom 8.5.2007 - VI ZR 29/07 zurückgewiesen]; NJW 2011, 396 [397]; zfs 2015, 500 [501]).
6
Auf Grund der vom Senat ergänzend durchgeführten Beweisaufnahme steht wegen der überzeugenden Angaben des Zeugen B. zur Anlage K 14 bzw. zum tatsächlichen Reparaturverlauf (der Zeuge Ü. konnte hierzu nichts aussagen) fest, dass die Verzögerungen bei der Reparaturdurchführung durch Krankheitsfälle in der Werkstatt H. und durch ein fehlerhaft geliefertes Ersatzteil hervorgerufen wurden, weshalb auch eine Auslieferung des Fahrzeugs noch vor Weihnachten nicht mehr möglich war. Weiter hat der Zeuge berichtet, dass der Kläger gegen Ende der Reparatur mehrfach („fast jeden zweiten Tag“) nachgefragt hat, weshalb ein Verstoß gegen dessen Schadensminderungspflicht (§ 254 BGB) daher auch angesichts der noch eher geringfügigen Verzögerung (hierbei ist auf die reinen Arbeitstage abzustellen) gegenüber der im Privatgutachten angegebenen Reparaturdauer nicht ersichtlich ist.
7
Der auf Kostenersatz gehende Herstellungsanspruch erfasst grundsätzlich die Kosten solcher Maßnahmen, die zur Herstellung erforderlich sind. Die Erforderlichkeit bestimmt die Rechtsprechung aus einer subjektbezogenen ex-ante-Betrachtung. Danach kann der Geschädigte die Kosten ersetzt verlangen, die vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und notwendig erscheinen. Der Schädiger trägt das Prognoserisiko, indem er etwa mit dem Mehraufwand belastet wird, den die von dem Geschädigten beauftragte Werkstatt - wie hier - ohne sein Verschulden infolge unwirtschaftlicher und unsachgemäßer Maßnahmen verursacht hat (vgl. Freymann/Rüßmann in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 249 BGB, Rn. 76 m.w.N.). Der Kläger kann deshalb hier bis zur tatsächlichen Rückgabe seines reparierten Unfallfahrzeugs (28.12.) Mietwagenkosten verlangen.
8
2. Dagegen hat die Berufung im Hinblick auf die begehrten und vom Erstgericht nach Auffassung des Senats zu Recht nicht zugesprochenen Gutachterkosten und Gutachterhilfekosten, welche sich nach der Erstattungsfähigkeit der Gutachterkosten richten, keine Aussicht auf Erfolg. Insoweit wird zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts München I Bezug genommen. Die Erwägungen des Klägers hierzu in der Berufungsbegründung vermögen den Senat nicht zu überzeugen. Aus dem vom Kläger vorgelegten Kaufvertrag (vgl. Anlage K 9) über den Erwerb des Fahrzeugs vom vorherigen Eigentümer ist mit „Ja“ angekreuzt: „Dem Verkäufer sind auf andere Weise Unfallschäden bekannt“. Zudem findet sich in gleicher Zeile unter „Wenn ja, folgende:“ der handschriftliche Hinweis auf einen „reparierten Seitenschaden“. Auch aus der Anlage K 12 ergibt sich unter „A Karosserie“: „Fahrzeug an diversen Stellen nachlackiert“. Es musste sich damit gerade für den Kläger aufdrängen, bei dem Veräußerer detailliert nach den Vorschäden nachzufragen. Hieraus folgt die weitere Obliegenheit, den Sachverständigen bei der Begutachtung auf diese Informationen im Zusammenhang mit dem Erwerb hinzuweisen bzw. den Sachverständigen zu einer genauen Prüfung anzuhalten. Diese zumindest fahrlässige Fehlinformation des beauftragten Sachverständigen muss sich der Kläger zurechnen lassen. Anzumerken bleibt zudem, dass in der Anlage K 12 genannt wird, dass das Fahrzeug an diversen Stellen, also nicht nur wie der Kläger in der Berufungsbegründung darzustellen versucht, von einem einzigen seitlichen Kratzschaden, auszugehen hatte. Entgegen der Auffassung des Klägers in seiner Berufungsbegründung vermag der Senat nicht zu erkennen, dass das Erstgericht das als Anlage K 4 vorgelegte Sachverständigengutachten selbst hinsichtlich der Reparaturkosten und für den Wiederbeschaffungs- und Restwert als taugliche Regulierungsgrundlage angesehen hat. Das Erstgericht bezog sich dabei klar auf das gerichtlich erholte Sachverständigengutachten des Dipl.-Ing. S.(vgl. EU S.4, Bl. 68 d.A.) Dieser wiederum erwähnte zwar den vom Gutachter der Klagepartei genannten Wiederbeschaffungswert. Wie der Sachverständige Dipl.-Ing. S.(vgl. Gutachten vom 12.04.2017, S. 20) klar erläuterte, hat er den Wiederbeschaffungswert aber einer eigenen Berechnung unterzogen.
II.
9
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 I 1 Fall 1, 101 I ZPO. Hinsichtlich der Kosten des Streithelfers war das Ersturteil in der Fassung des Beschlusses vom 13.03.2018 im Hinblick auf die klare Regelung des § 101 I ZPO abzuändern, da die unterstützte Partei keine Kosten der Streithilfe zu tragen hat. Der Nebenintervenient ist nach dem Beitritt am Verfahren beteiligt, solange der Rechtsstreit anhängig ist (vgl. Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 39. Aufl. 2018, § 70 Rd. 5), weswegen er zum Verhandlungstermin auch geladen wurde. Ein Verstoß gegen rechtliches Gehör im Hinblick auf die (von Amts wegen) zur verteilenden Kosten des Nebenintervenienten ist nicht gegeben, da der Nebenintervenient zu diesem Termin unentschuldigt nicht erschienen ist.
III.
10
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Ersturteils und dieses Urteils beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i. Verb. m. § 26 Nr. 8 EGZPO.
IV.
11
Die Revision war nicht zuzulassen. Gründe, die die Zulassung der Revision gem. § 543 II 1 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben. Mit Rücksicht darauf, dass die Entscheidung einen Einzelfall betrifft, ohne von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen, kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.