Inhalt

OLG München, Beschluss v. 04.11.2019 – 32 U 4671/19
Titel:

Absenden eines Schriftsatzes ohne Unterschrift aufgrund eines Büroversehens

Normenkette:
ZPO § 85 Abs. 2, § 233, § 520 Abs. 2
Leitsatz:
Der Rechtsanwalt muss geeignete Maßnahmen zur Überwachung treffen, ob fristwahrende Schriftsätze im Original unterzeichnet werden, zwar darf die Kontrolle einer Bürokraft übertragen werden, der Anwalt muss aber sicherstellen dass Fristversäumnisse wegen fehlender Unterschrift mit Sicherheit vermieden werden. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Büroorganisation, Berufungsbegründung, Unterschrift, Organisationsverschulden, Anwaltsverschulden, Büroversehen, Überwachung
Vorinstanzen:
LG München I, Endurteil vom 11.07.2019 – 10 O 7466/18
LG München I, Versäumnisurteil vom 18.10.2018 – 10 O 7466/18
Rechtsmittelinstanzen:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 28.01.2021 – III ZB 86/19
OLG München, Beschluss vom 27.07.2021 – 32 U 4671/19
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 02.06.2022 – III ZR 110/21
Fundstelle:
BeckRS 2019, 53374

Tenor

1. Der Antrag der Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Berufungsbegründung wird zurückgewiesen.
2. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 11.07.2019, Aktenzeichen 10 O 7466/18, wird verworfen.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 65.797,08 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Kläger macht in dem vorliegenden Verfahren die Freigabe eines beim Amtsgericht … hinterlegten Betrages von 65.797,08 € geltend. Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts München I vom 11.07.2019 Bezug genommen. Am 18.10.2018 erging gegen die Beklagte ein Versäumnisurteil auf Bewilligung der Freigabe des hinterlegten Betrages. Nach dem Einspruch des Beklagten wurde das Versäumnisurteil durch Endurteil des Landgerichts München I vom 11.07.2019 aufrechterhalten. Das Urteil wurde der Beklagten am 17.07.2019 zugestellt. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der Berufung. Mit Verfügung vom 18.09.2019 wurde die Frist zur Berufungsbegründung auf Antrag der Beklagten bis zum 17.10.2019 verlängert. Eine Begründungsschrift vom 16.10.2019, die am selben Tag in der allgemeinen Einlaufstelle der Justizbehörden und am 18.10.2019 beim Oberlandesgericht München einging, trug keine Unterschrift des anwaltlichen Vertreters der Beklagten. Auf telefonischen Hinweis der Geschäftsstelle des Senats auf die fehlende Unterschrift ging am 18.10.2019 beim Oberlandesgericht München eine unterschriebene Begründungsschrift ein. Am 21.10.2019 wurde die Beklagte darauf hingewiesen, dass die unterschriebene Berufungsbegründungsschrift erst nach Ablauf der gesetzlichen Frist bei Gericht eingegangen ist und die Berufung daher für unzulässig erachtet wird. Am 30.10.2019 beantragte die Beklagte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist und reichte erneut eine unterschriebene Berufungsbegründung ein.
2
Im Berufungsverfahren beantragt die Beklagte:
3
Das Urteil des Landgerichts München I, Az. 10 O 7466/18, vom 11.07.2019 wird aufgehoben.
4
Das Versäumnisurteil des Landgerichts München I vom 18.10.2018 wird aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
II.
5
1. Die schriftsätzliche Berufungsbegründung muss von einem postulationsfähigen Rechtsanwalt eigenhändig unterzeichnet sein, der sich damit den Inhalt der Begründung zu eigen macht und die Verantwortung übernimmt (Rimmelspacher in Münchener Kommentar zur ZPO, 5. Auflage 2016, § 520 ZPO Rn. 23). Vorliegend ging eine unterschriebene Version der Begründung erst am 18.10.2019 und damit nach Ablauf der bis zum 17.10.2019 verlängerten Frist nach § 520 Abs. 2 ZPO ein.
6
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand konnte nicht gewährt werden, weil die Beklagte nicht ohne ein ihr zuzurechnendes Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten verhindert war, die Frist für die Begründung der Berufung einzuhalten (§§ 233, 85 Abs. 2 ZPO).
7
Die Beklagte hat zur Glaubhaftmachung vorgetragen, dass die Handakte dem anwaltlichen Vertreter am 16.10.2019 vorgelegt worden sei, er am selben Tag die Berufungsbegründung gefertigt und diese dem kanzleiinternen Schreibbüro zum Ausfertigen weitergegeben habe. Die Mitarbeiterin des Schreibbüros habe den Schriftsatz nach der Ausfertigung aus nicht nachvollziehbaren Gründen in den Postausgang gelegt. Bei der Bearbeitung des Postausgangs habe die bis dahin stets zuverlässige Rechtsanwaltsfachangestellte …l weisungswidrig übersehen, die Begründungsschrift auf die Anbringung der Unterschrift zu kontrollieren. Das Versehen der Angestellten sei der Partei nicht zuzurechnen.
8
Auf dieser Grundlage ist von einer Mitursächlichkeit des Anwaltsverschuldens für die Fristversäumung auszugehen. Auf die fristgerechte Vorlage der Handakten folgen weitere Arbeitsabläufe im Anwaltsbüro, die durch sorgfältige Büroorganisation als Fehlerquellen ausgeschlossen werden müssen. Der fristwahrende Schriftsatz muss diktiert, geschrieben, unterschrieben, zum Versand fertiggemacht und abgeschickt werden (Stackmann in Münchener Kommentar zur ZPO, 5. Auflage 2016, § 233 ZPO Rn. 145). In der Begründung des Antrags muss daher auch ein Organisationsverschulden ausgeschlossen werden. Eine Unaufklärbarkeit der Ursache eines Büroversehens und der Verantwortlichkeit des Anwalts hierfür geht zu Lasten der Partei (Zöller/Greger, ZPO, 33. Auflage 2020, § 233 ZPO Rn. 23.13). Wird der Antrag auf ein Büroversehen gestützt, muss auch zu Schulung, Erfahrung und Zuverlässigkeit der Angestellten sowie zur ordnungsgemäßen Büroorganisation vorgetragen werden; ein Rechtsanwalt muss hierauf nicht besonders hingewiesen werden (Zöller/Greger, Zivilprozessordnung, 33. Auflage 2020, § 236 ZPO Rn. 6). Der Rechtsanwalt muss geeignete Maßnahmen zur Überwachung treffen, ob fristwahrende Schriftsätze im Original unterzeichnet werden. Die Kontrolle darf der Bürokraft übertragen werden, sofern der Rechtsanwalt durch allgemeine Anweisungen sichergestellt hat, dass Fristversäumnisse wegen fehlender Unterschrift mit Sicherheit vermieden werden (Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 40. Auflage 2019, § 233 ZPO Rn. 19 g; BGH NJW 2006, 2414; BGH NJW 2012, 856). Vorliegend hat die Beklagte eine entsprechende Weisung durch anwaltliche Versicherung glaubhaft gemacht. Die weiter in der Versicherung geschilderte Fehlleistung der Mitarbeiterin … hat sich jedoch nicht allein kausal auf die Fristversäumnis ausgewirkt. Denn der erste Fehler in dem Büroablauf ist darin zu sehen, dass eine Mitarbeiterin des Schreibbüros den Schriftsatz in den Postausgang gelegt hat, anstatt ihn dem anwaltlichen Vertreter zur Unterschrift vorzulegen. Insoweit fehlt es an einem Vortrag der Beklagten, durch welche Maßnahmen der Büroorganisation sichergestellt wird, dass derartige Versäumnisse verhindert werden. Bei normalem Lauf der Dinge wäre der Schriftsatz dem Prozessbevollmächtigten zur Unterschrift vorgelegt worden. In diesem Fall hätte sich das Fehlverhalten der Angestellten … nicht ausgewirkt. Es ist damit von einer Ursächlichkeit des Organisationsfehlers auszugehen, welcher der Partei zugerechnet wird.
9
3. Die Berufung erweist sich daher wegen der Versäumung der Frist zur Berufungsbegründung als unzulässig und war daher gemäß § 522 Abs. 1 ZPO zu verwerfen.
III.
10
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
11
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG, § 3 ZPO bestimmt.