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AG Landshut, Endurteil v. 25.01.2019 – 10 C 985/18
Titel:

Keine vorgerichtliche Aufklärungspflicht des für Urheberrechtsverletzung nicht verantwortlichen Anschlussinhabers

Normenketten:
UrhG § 97
BGB § 826
Leitsätze:
1. Zwischen dem Rechtsinhaber, dessen urheberrechtlich geschütztes Werk ohne seine Zustimmung über eine Internettauschbörse öffentlich zugänglich gemacht wird, und dem hierfür nicht als Täter, Teilnehmer oder Störer verantwortlichen Inhaber des Internetanschlusses, über den die Urheberrechtsverletzung begangen worden ist, besteht regelmäßig keine gesetzliche Sonderverbindung, die den Anschlussinhaber dazu verpflichtet, den Rechtsinhaber vorgerichtlich über den ihm bekannten Täter der Urheberrechtsverletzung aufzuklären. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Verpflichtung zu vorgerichtlicher Aufklärung kann aus der etwaigen im Rechtsstreit anzunehmenden sekundären Darlegungslast nicht hergeleitet werden.  (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Urheberrechtsverletzung, Abmahnung, Prozesskosten, Pflichtverletzung, Filesharing, Wettbewerbsrecht, Bundesgebiet, Darlegungslast, Verfahren, Zugang, Ungarn, Einspruch, Streitwert, Anspruch, keinen Erfolg
Rechtsmittelinstanzen:
LG München I, Endurteil vom 13.11.2019 – 21 S 2205/19
BGH Karlsruhe, Urteil vom 17.12.2020 – I ZR 228/19
BGH Karlsruhe, Berichtigungsbeschluss vom 17.02.2021 – I ZR 228/19
Fundstelle:
GRUR-RS 2019, 53111

Tenor

1. Das Versäumnisurteil des Amtsgerichts Landshut vom 06.11.2018 bleibt aufrechterhalten.
2. Die Klägerin hat auch die weiteren Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, wobei die Klägerin die Vollstreckung durch den Beklagten durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden kann, wenn dieser nicht zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 1.884,60 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über Schadensersatzansprüche aus einer Urheberrechtsverletzung.
2
Der Beklagte ist Inhaber eines Internetanschlusses für sein Wohnanwesen in Haag. Hierbei handelt es sich um eine Doppelhaushälfte, in der der Kläger gemeinsam mit seiner Tochter wohnt. Die andere Hälfte des Doppelhauses, in Haag, wird von der Lebensgefährtin des Beklagten sowie deren Sohn bewohnt. Der Internetanschluss, den der Beklagte unterhält, versorgt auch die Doppelhaushälfte Nr. 6b und wird von der Zeugin … und ihrem Sohn genutzt. Der Internetanschluss wurde am 05.11.2013 als derjenige ermittelt, über den eine Urheberrechtsverletzung begangen wurde. Das Computerspiel „Saints Row 3“ wurde mittels einer Tauschbörse öffentlich zum Download angeboten. Wegen dieses Vorfalls versandten die Klägervertreter an den Beklagten mit Schreiben vom 13.03.2014 eine Abmahnung. Eine Reaktion hierauf erfolgte dergestalt, dass der Beklagte sich zur Unterlassung verpflichtete. Des Weiteren wurde in dem Antwortschreiben der damaligen Beklagtenvertreter bestritten, dass der Beklagte in eigener Person das Spiel öffentlich im Internet zugänglich gemacht habe. Hinweise auf den Täter der Urheberrechtsverletzung gab der Beklagte zum damaligen Zeitpunkt nicht. Tatsächlich hatte er nach Erhalt der Abmahnung sowohl seine Tochter als auch die Lebensgefährtin und deren Sohn befragt. Darüber hinaus hatten Gespräche mit der damaligen Untermieterin der Zeugin … stattgefunden. Die Zeugin … hatte vorübergehend eine Arbeitskollegin, Frau …, mit deren beiden minderjährigen Söhnen bei sich aufgenommen. Auch dieser Familie stand der Internetanschluss des Beklagten zur Verfügung und die hier in Streit stehende Urheberrechtsverletzung wurde durch den älteren der beiden Söhne von Frau begangen. Die entsprechende Information hatte der Beklagte bereits erlangt, bevor er seine anwaltlichen Vertreter auf die Abmahnung reagieren ließ. Erst nach Einleitung des gerichtlichen Verfahrens wurde dieser nunmehr unstreitige Sachverhalt offengelegt.
3
Die Klägerin trägt vor, dass der Beklagte nach den Grundsätzen der Antwortpflicht in wettbewerbsrechtlichen Angelegenheiten auch in einer Konstellation wie der vorliegenden dazu verpflichtet gewesen wäre, auf die Abmahnung der Klägerin hin wahrheitsgemäße und vollständige Angaben zu machen. Dies habe er, obwohl der Täter ihm sehr wohl bekannt gewesen sei, vorsätzlich unterlassen. Nachdem die Familie … nunmehr wieder das Bundesgebiet verlassen habe und in Ungarn lebe, sei durch das Zurückhalten der Informationen über die Täterschaft des … der Klägerin ein rechtzeitiges Tätigwerden diesem gegenüber unmöglich gemacht worden. Das Verhalten des Beklagten sei als unverfroren und sittenwidrig einzustufen. Völlig unnötig habe er gerichtliche Kapazitäten blockiert. Das streitgegenständliche Verfahren habe vollständig vermieden werden können, wenn er nur rechtzeitig bereits vorgerichtlich die ihm vorliegenden Informationen über den Täter der Urheberrechtsverletzung an die Klägerin weitergegeben hätte. Für sein Verhalten gebe es keine Entschuldigung. Durch die Abmahnung sei eine Sonderbeziehung zwischen den Parteien entstanden, die eine Auskunftspflicht des Beklagten nach sich gezogen habe. Gegen diese Pflicht habe der Beklagte verstoßen und müsse nun deswegen für die entstandenen Schäden, insbesondere auch für die nutzlos aufgewandten Prozesskosten, einstehen.
4
Nachdem auf Seiten der Klägerin niemand am Termin vom 06.11.2018 teilgenommen hatte, erging gegen diese am selben Tag Versäumnisurteil. Nach form- und fristgerechter Einlegung eines Einspruchs beantragt die Klägerin nunmehr zuletzt:
1.
Das Versäumnisurteil vom 15. Februar 2018 (richtig: 06.11.2018) wird aufgehoben.
2.
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag von 984,60 € nebst jährlicher Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 25.03.2014 zu zahlen.
3.
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen weiteren Betrag über 900,00 € nebst jährlicher Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 25.03.2014 zu bezahlen.
4.
Hilfsweise: Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin die durch seine gerichtliche Inanspruchnahme im Streitfall entstandenen Kosten zu erstatten.
5
Der Beklagte beantragt,
das Versäumnisurteil des Amtsgerichts Landshut vom 06.11.2018 aufrechtzuerhalten.
6
Der Beklagte habe sich vorgerichtlich im Zusammenhang mit dem Zugang der Abmahnung korrekt verhalten, der Vorwurf einer Pflichtverletzung müsse zurückgewiesen werden. Mitnichten werde alleine durch den Zugang der Abmahnung zwischen den Parteien ein Sonderrechtsverhältnis begründet. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes aus dem Wettbewerbsrecht sei nicht auf Urheberrechtsverletzungen durch Filesharing zu übertragen. Der Beklagte habe sich auch nicht etwa dadurch widersprüchlich verhalten, dass er eine Unterlassungserklärung abgegeben, im Übrigen aber Informationen zurückgehalten habe. Die Abmahnung sei bereits im Jahr 2014 erfolgt. Zum damaligen Zeitpunkt sei die obergerichtliche Rechtsprechung noch nicht auf dem Stand gewesen, auf dem sie sich heute befinde. Es habe durchaus im Raum gestanden, dass der Beklagte unter Umständen erfolgreich als Störer für die Urheberrechtsverletzung in Anspruch genommen werden könnte. Tatsächlich habe er sich aber nichts vorzuwerfen, weswegen er dazu berechtigt gewesen sei, die Abmahnung hinsichtlich der Schadensersatzforderungen einfach zurückzuweisen und sich darauf zu beschränken, die eigene Täterschaft wahrheitsgemäß in Abrede zu stellen.
7
Es wurde Beweis erhoben durch die uneidliche Einvernahme der Zeugen …. Für das diesbezügliche Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 06.11.2018 Bezug genommen.
8
Im Übrigen wird für das Parteivorbringen auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Entscheidungsgründe

9
Der Einspruch der Klägerin gegen das Versäumnisurteil des Amtsgerichts Landshut vom 06.11.2018 ist zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
I.
10
Die Klägerin hat gegen den Beklagten keine Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit der Urheberrechtsverletzung aus dem November 2013.
11
Zwischen den Parteien ist mittlerweile unstreitig, dass der Beklagte weder Täter noch Teilnehmer der fraglichen Urheberrechtsverletzung ist. Nach der überzeugenden Aussage der Zeugen … steht fest, dass tatsächlich der Sohn der damaligen Untermieterin der Zeugin … die fragliche Urheberrechtsverletzung begangen hat. Auf entsprechenden Vorhalt nach Zugang der Abmahnung wurde dies von Seiten der Familie … unumwunden eingeräumt. Auch die Klägerin geht nunmehr davon aus, dass die Bekundungen des Beklagten, belegt durch die Zeugenaussagen, objektiv zutreffend sind. Insofern wurde die Urheberrechtsverletzung durch … begangen, der Beklagte hatte hieran weder als Täter oder Teilnehmer Anteil.
12
Der Beklagte haftet indessen auch nicht als Störer. Dies würde voraussetzen, dass der Beklagte in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal an der Herbeiführung oder Aufrechterhaltung der Beeinträchtigung des klägerischen Urheberrechts mitgewirkt hätte. Hierfür ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte.
13
Unter diesen Umständen ist der Beklagte nicht verpflichtet, Schadensersatz für die Verletzung der Urheberrechte an die Klägerin zu bezahlen oder die angefallen Abmahnkosten zu ersetzen.
14
Etwas anderes folgt entgegen der Annahme der Klägerin auch nicht aus dem Umstand, das der Beklagte unstreitig, obwohl er wusste, wer die Urheberrechtsverletzung begangen hat, diese Tatsache gegenüber der Klägerin vorgerichtlich nicht offenlegte.
15
Die Klägerin sieht in diesem Verhalten eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung durch den Beklagten. Dies ist jedoch nicht der Fall. Hierfür wäre nämlich Voraussetzung, dass der Beklagte verpflichtet gewesen wäre, die Wahrheit gegenüber der Klägerin offenzulegen. Eine solche Verpflichtung besteht jedoch nicht. Sie kann insbesondere nicht aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zur Antwortpflicht des Abgemahnten im Wettbewerbsrecht hergeleitet werden. Auch im Wettbewerbsrecht setzt eine Antwortpflicht des Abgemahnten voraus, dass dieser zumindest als Störer zu qualifizieren ist (vgl. BGH MDR 1995, 421 f; BGH MDR 1990, 508 f). In diesen Fällen argumentiert der Bundesgerichtshof dahingehend, dass im Falle einer berechtigten Abmahnung eine wettbewerbsrechtliche Sonderbeziehung eigener Art zwischen den Parteien entstehe, aus der heraus der Abgemahnte verpflichtet sei, innerhalb der gesetzten oder zumindest einer angemessenen Frist auf die Abmahnung zu reagieren. Diese Verpflichtung kann nicht, zumindest nicht ohne Weiteres, auf Fallkonstellationen wie die vorliegende übertragen werden, erst recht dann nicht, wenn tatsächlich nicht einmal eine Störerhaftung des Abgemahnten begründet ist. Selbst das Oberlandesgericht Köln, das in seiner Entscheidung I - 6 U 208/10 vom 22.07.2011 von einer Antwortpflicht des Abgemahnten ausgeht, hatte über einen Sachverhalt zu entscheiden, in dem der Abgemahnte als Störer für die Urheberrechtsverletzung anzusehen war. Dies ist vorliegend nicht der Fall, so dass nicht ersichtlich ist, unter welchem Gesichtspunkt zwischen den Parteien eine Sonderbeziehung entstanden sein sollte, die der wettbewerbsrechtlichen Sonderbeziehung in den vergleichbaren Fällen entsprechen sollte. Insbesondere ist zu berücksichtigen, dass der Beklagte als reine Privatperson an dem Verfahren beteiligt ist, nicht etwa wegen irgend eines Verhaltens, das in Zusammenhang stünde mit geschäftlichem Verkehr. Insoweit bestand eine Verpflichtung des Beklagten, seine vollständigen Erkenntnisse über den Hergang der Urheberrechtsverletzung gegenüber der Klägerin vorgerichtlich auszubreiten, nicht (vgl. Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, 27.08.2013, 5 W 88/12, Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, 02.02.2015, 5 W 47/13; Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, 24.11.2008, 5 W 117/08; Amtsgericht Hamburg, 03.07.2015, 36a C 134/14).
16
Etwas anderes folgt auch nicht aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zur sekundären Darlegungslast. Es ist zwar zutreffend, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes dem Inhaber des Internetanschlusses im eigenen Interesse abverlangt wird, in gewissem und zumutbarem Umfang Nachforschungen anzustellen darüber, wer die Urheberrechtsverletzung begangen hat oder für diese als Täter konkret in Betracht kommt. Für den Fall, dass er die sekundäre Darlegungslast nicht erfüllt, hat er zu befürchten, dass der klägerische Sachvortrag zur eigenen Täterschaft des Anschlussinhabers als nicht substantiiert bestritten gilt. Die sekundäre Darlegungslast ist indessen erst für das streitige Verfahren vor dem Gericht von Bedeutung, sie entfaltet keine Auswirkungen auf die vorgerichtlichen Geschehnisse. Deswegen kann die Klägerin sich insbesondere auch nicht auf die „Loud“ Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH 30.03.2017 I ZR 19/16) stützen, um ihren Anspruch zu begründen. Soweit der Bundesgerichtshof in jenem Verfahren sich dahingehend äußerte, dass die verklagten Anschlussinhaber sich nicht darauf beschränken können, darzulegen, dass familienintern habe aufgeklärt werden können, wer die Urheberrechtsverletzung begangen hat, ohne aber bereit zu sein, im Prozess den Namen des volljährigen Kindes, das die Rechtsverletzung zugegeben hat, zu benennen, hatte auch diese Entscheidung lediglich Auswirkungen hinsichtlich der Frage, ob die Beklagten ihre sekundäre Darlegungslast ausreichend erfüllt hatten. Aus dieser Entscheidung können keine Rückschlüsse vorgenommen werden dahingehend, dass der Bundesgerichtshof Anschlussinhaber schon ab Erhalt der Abmahnung dazu verpflichtet sieht, sämtliche Erkenntnisse, die sie im Zuge interner Aufklärungsmaßnahmen erzielen konnten, offenzulegen.
17
Schließlich geht auch das Argument der Klägerin fehl, es widerspreche der Billigkeit, sie mit den Kosten des Verfahrens zu belasten, da sie keine andere Möglichkeit gehabt habe, als den Beklagten im streitigen Verfahren wegen der Urheberrechtsverletzung in Anspruch zu nehmen, um den Sachverhalt überhaupt aufklären zu können. Dies ist zwar zweifellos richtig. Die Klägerin hatte keinen Einblick, wer neben dem Anschlussinhaber selbst gegebenenfalls das Internet regelmäßig nutzt und konkret als Täter für die Urheberrechtsverletzung in Betracht kommt. Nachdem der Beklagte diesbezüglich auch nach Erhalt der Abmahnung vorgerichtlich keine detaillierte Auskunft erteilte, blieb ihr letztlich nur die Möglichkeit, den Klageweg zu beschreiten. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sie hinsichtlich der hierdurch generierten Kosten völlig schutzlos gestellt wäre und diese im Ergebnis selbst zu tragen hätte. Es ist nämlich durch den Bundesgerichtshof bereits entschieden worden, dass in einer entsprechenden Fallkonstellation der Täter der Urheberrechtsverletzung auch für jene Kosten einzustehen hat (BGH 22.03.2018 I ZR 265/16).
18
Im Ergebnis erweisen sich daher die klägerischen Forderungen vollständig als unbegründet, weswegen das Versäumnisurteil des Amtsgerichts Landshut vom 06.11.2018 aufrechtzuerhalten war.
II.
19
Die Kostenentscheidung erging gemäß § 91 ZPO.
III.
20
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
IV.
21
Der Streitwert war gemäß §§ 3 ff. ZPO, 40 GKG festzusetzen.