Inhalt

LG Kempten, Urteil v. 09.12.2019 – 3 Ns 205 Js 9089/18
Titel:

Freispruch vom Vorwurf des Diebstahls und Betrugs eines Berufssoldaten wegen Umtauschs eines Paar Stiefels während eines Auslandseinsatzes

Normenketten:
StPO § 11 a
SG § 62
MilStGB § 138
WStG § 3 Abs. 1
Schlagworte:
deutsch, wohnhaft:, Berufssoldat, Bundeswehr, Berufung, Diebstahl, Betrug, Freispruch, Auslandseinsatz, Mali, Stiefel
Vorinstanz:
AG Kempten, Urteil vom 05.12.2019 – 11 Cs 205 Js 9089/18
Rechtsmittelinstanz:
BayObLG, Urteil vom 23.07.2020 – 207 StRR 230/20
Fundstelle:
BeckRS 2019, 52356

Tenor

1. Auf die Berufung des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft Kempten wird das Urteil des Amtsgerichts Kempten aufgehoben.
2. Der Angeklagte wird freigesprochen.
3. Die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten erwachsenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.

Entscheidungsgründe

I.
1
Das nach §§ 11 a StPO, 62 SG örtlich zuständige Amtsgericht Kempten (Allgäu) - Strafrichterhat den Angeklagten mit Urteil vom 05.02.2019 wegen Diebstahls in Tatmehrheit mit Betrug zu einer Geldstrafe von 75 Tagessätzen zu je 60 EUR verurteilt. Daneben wurde die Einziehung von Wertersatz in Höhe von 108,89 € angeordnet Gegen dieses Urteil haben der Angeklagte am 12.02.2019 und die Staatsanwaltschaft Kempten (Allgäu) am 05.02.2019 form- und fristgerecht Berufung eingelegt.
2
Auf die Berufung des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft Kempten war das Urteil des Amtsgerichts Kempten aufzuheben und der Angeklagte aus rechtlichen Gründen freizusprechen.
II.
3
Der nicht vorbestrafte 42-jährige Angeklagte ist Berufssoldat. Er übt derzeit den Dienst im Rang eines Stabsfeldwebels aus. Der Angeklagte ist verheiratet, seine Partnerin hat einen 12-jährigen Sohn mit in die Ehe gebracht, für den der Angeklagte die soziale Vaterrolle ausübt. Der Angeklagte lebte mietfrei in einem Haus, welches er geerbt hat, für Renovierungs- und Umbauarbeiten sind noch Darlehen offen.
III.
4
Der Angeklagte befand sich ab 12.02.2018 als Mitglied des 7. deutschen Einsatzkontingents in besonderer Auslandsverwendung nach § 62 Soldatengesetz (SG) im Rahmen der Multidimensionalen Integrierten Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali (MINUSMA) im Feldlager Gao in Mali, Camp Castor. Gemeinsam mit Hauptmann war er dort als Vertreter des Bundesamts für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAIN) eingesetzt.
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Der Angeklagte war dabei unter anderem mit 2 Paar beigen Bundeswehreinsatzstiefeln ausgerüstet. Wie bei vielen anderen Soldaten auch lösten diese Stiefel beim Angeklagten Trageprobleme unter den erschwerten Bedingungen des Auslandseinsatzes aus. Daher versuchte der Angeklagte bereits vor dem 22.03.2018 diese Einsatzstiefel in ein Paar modernere, braune Einsatzstiefel der Marke Meindl mit besserem Tragekomfort umzutauschen, was ihm aufgrund der Bekleidungsvorschriften der Bundeswehr aber verweigert wurde.
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Am Vormittag des 22.03.2018 zwischen 7:00 Uhr und 11:00 Uhr entwendete der Angeklagte dann im Camp Castor aus einem Regal vor der Stube 12 im Chalet 19 die dort abgestellten gebrauchten braunen Einsatzstiefel, Marke Meindl, ASD 15196 A 110, Größe 8 (42) der geschädigten Oberstabsärztin im Beschaffungswert von 105,79 €, um diese für sich zu benutzen.
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Da der Angeklagte Schuhgröße 9 (43) hat, entschloss er sich, die entwendeten Stiefel in ein ihm passendes Paar umzutauschen. Hierzu suchte er bereits am 23.03.2018 die Materialgruppe im Camp Castor auf und versuchte den Zeugen zu bewegen, ihm ein neues Paar Stiefel im Umtausch auszuhändigen. Nachdem der Zeuge den Umtausch entsprechend den Vorschriften der Bundeswehr wiederum verweigerte, da die Stiefel nicht beschädigt waren, beschwerte sich der Angeklagte hierüber bei dessen Vorgesetzten, dem Zeugen . Dabei gab er im Gespräch mit dem Zeugen bewusst wahrheitswidrig an, dass es sich bei dem bei den vorgenannten entwendeten Stiefeln um seine eigenen Stiefel handeln würde, mit welchen er eingekleidet worden wäre und welche ihm nunmehr unter den besonderen Einsatzbedingungen zu eng währen. 
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Dabei gab er im Gespräch mit dem Zeugen bewusst wahrheitswidrig an, dass es sich bei dem bei den vorgenannten entwendeten Stiefeln um seine eigenen Stiefel handeln würde, mit welchen er eingekleidet worden wäre und welche ihm nunmehr unter den besonderen Einsatzbedingungen zu eng währen.
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Der Zeuge ordnete darauf den Umtausch der Stiefel an, welcher am 24.03.2018 vom Zeugen in der Materialgruppe vorgenommen wurde.
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Wie der Angeklagte wusste, hatte er keinen Anspruch auf den Erhalt neuer Stiefel, da die Voraussetzungen für einen Umtausch bzw. Ersatz entsprechend den Bekleidungsvorschriften der Bundeswehr nicht vorlagen. In Unkenntnis der fehlenden Berechtigung erhielt der Angeklagte seinem Tatplan entsprechend im Tausch gegen die vorgenannten entwendeten Stiefel ein paar neue Einsatzstiefel, Marke Meindl, ASD 15206A130, Größe 9 (43) im Wert von 108,89 €.
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Die beim Umtausch ausgehändigten Stiefel wurden vom Angeklagten ab dem 24.03.2018 im Dienst verwendet, keiner privaten Nutzung zugeführt und haben das Feldlager Gao/Mali nicht verlassen. Nach Bekanntwerden des unrechtmäßigen Umtausches am 12.04.2018 wurden die Kampfstiefel von der Bundeswehr sichergestellt.
IV.
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Der Sachverhalt steht fest aufgrund der durchgeführten Hauptverhandlung.
13
Der Angeklagte hat sich dahingehend eingelassen, die ihm ausgehändigten braunen Stiefel im Dienst getragen und keiner privaten Nutzung zugeführt zu haben. Schon vor dem Umtausch am 24.03.2018 habe er mehrfach versucht, neue Stiefel zu bekommen. Er habe große Probleme mit Blasen und offenen Stellen an den Füßen gehabt.
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Abweichend von den getroffenen Feststellungen hat sich der Angeklagte dahingehend eingelassen, dass es sich bei den am 24.03.2018 getauschten Stiefeln um ein Paar gehandelt habe, welches ihm sein Cousin, der ebenfalls Bundeswehrangehöriger sei, als zusätzliche Ausrüstung geschickt habe.
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Diese Einlassung ist jedoch, soweit sie den oben getroffenen Feststellungen widerspricht, nicht glaubhaft und widerlegt.
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Der Angeklagte wird bezüglich des festgestellten Sachverhaltes durch die glaubhaften Aussagen der Zeugen und überführt.
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Der Zeuge, der mit dem Angeklagten gemeinsam auf einer Stube untergebracht war, hat glaubhaft angegeben, dass der Angeklagte sich häufig über seine Stiefel beschwert habe und er mit dem Angeklagten gemeinsam einmal im Materialdepot des Camps gewesen sei, der Umtauschversuch der Stiefel aber erfolglos geblieben sei.
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Die Zeugen hat glaubhaft angegeben, dass sie zu Beginn der Mittagspause am 22.03.2018 gegen 11:00 Uhr das Fehlen ihrer Kampfstiefel bemerkt habe. Zuletzt habe sie die Stiefel in den frühen Morgenstunden desselben Tages zwischen 6:30 und 7:00 Uhr gesehen.
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Die Stiefel seien in einem Regal vor der Stube 12 im Chalet 19 des Feldlagers in Gao abgestellt gewesen. Als sie nach erfolgreicher Durchführung der Schadensmeldung und der Zuweisung eines neuen Paares Kampfstiefel sich diese am 12.04.2018 im Materialdepot holen wollte, habe sie dort ihre zuvor entwendeten alten Stiefel anhand einer Knickfalte und von Abnutzungsspuren auf der Kappe vorne zweifelsfrei wiedererkannt.
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Daneben hat die Zeugin als Ärztin berichtet, dass eine Vielzahl von Soldaten im Auslandseinsatz in Mali aufgrund der dort herrschenden Umweltbedingungen Probleme mit den beigen Bundeswehrkampfstiefeln hatte. Es sei bei Soldaten mit beigen Stiefeln immer wieder zu offenen Stellen und Blasen an den Füßen gekommen. Bei Soldaten, die bereits mit den neueren braunen Stiefeln ausgerüstet waren, sei dies viel seltener der Fall gewesen.
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Aufgrund der Aussage des Zeugen steht fest, dass der Angeklagte am 23.03.2018 in der Materialausgabe versucht hat, Kampfstiefel in der Größe 42 mit der Begründung umzutauschen, 3 Ns 205 Js 9089/18 - Seite 4 - dass sie ihm zu klein seien. Dies wurde vom Zeugen entsprechend der Dienstvorschrift abgelehnt, weil Schuhe grundsätzlich nur nach Anprobe an einen Soldaten ausgegeben werden, um Passprobleme zu verhindern und folglich nur bei einem Schaden getauscht werden dürfen. Als am 12.04.2008 die Zeugin zur Abholung neuer Stiefel ins Materialdepot kam, war der Zeuge wiederum im Dienst. Er habe mit der Zeugin gemeinsam nach einem passenden Paar Kampfstiefel gesucht. Dabei habe die Zeugin ihre zuvor entwendeten Stiefel zweifelsfrei erkannt. Er habe den Vorgang dann gemeldet. 
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Der Zeuge gibt glaubhaft an, dass der Angeklagte vermutlich am 24.03.2018 bei ihm in der Materialausgabe ein paar gebrauchte Einsatzstiefel der Marke Meindl in der Größe 42 umgetauscht habe, weil sie ihm angeblich zu klein gewesen sein. Er habe von seinem Vorgesetzten, Herrn Hauptfeldwebel die Anweisung zum Umtausch bekommen. Den Umtausch habe er mit den entsprechenden Nummern der Stiefel in der dafür vorgesehenen Liste (Sammelbelegtausch, Bekleidung) in der Materialausgabe vermerkt. Dabei seien die entsprechenden ASD-Nummern, anhand derer jeder Ausrüstungsgegenstand bundeswehrintern identifiziert werden kann, vermerkt worden. Anhand dieses Eintrages habe man später auch feststellen können, dass es der Angeklagte war, welche die der Zeugin entwendeten und von ihr später identifizierten Stiefel umgetauscht habe.
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Der Zeuge hat glaubhaft bekundet, dass er als Hauptfeldwebel für die Versorgung der im Einsatz befindlichen Kräfte im Feldlager Gao in Mali zuständig war. Er sei am 23.03.2018 von der Materialgruppe telefonisch darüber informiert worden, dass es Probleme beim Umtausch von Stiefeln mit dem Angeklagten gegeben habe. Er habe den Angeklagten dann zu sich bestellt und sich in einem Gespräch sodann mit ihm darauf geeinigt, ausnahmsweise einen Tausch der Stiefel vorzunehmen. Dabei habe der Angeklagte die später umgetauschten braunen Stiefel angehabt und als seine eigenen ausgegeben. Weil er davon ausgegangen war, dass es sich dabei tatsächlich um die Stiefel des Angeklagten handelte, habe er diesem Tausch ausnahmsweise zugestimmt.
Nach der Meldung durch den Zeugen am 12.04.2008 habe er den Sachverhalt weiter aufgeklärt indem er die entsprechenden ASD-Nummern der umgetauschten Kampfstiefel mit den Nummern aller Ausrüstungsgegenstände verglichen habe, die dem Angeklagten zugewiesen waren. Diese seien für jeden Soldaten auf einer Liste sämtlicher Ausrüstungsgegenstände, der sogenannten „BAN“ vermerkt. Die BAN des Angeklagten habe er sich extra dafür von dessen Heimatdienststelle schicken lassen. Auf der BAN des Angeklagten seien die von ihm getauschten braunen Stiefel nicht verzeichnet gewesen.
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Zweifel an der Aussagetüchtigkeit der genannten Zeugen bestehen für das Gericht nicht. Die Aussagen der Zeugen waren dabei durchgehend logisch konsistent und wiesen angesichts des bereits längeren zeitlichen Zurückliegens noch einen hohen quantitativen Detailreichtum auf.
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Insbesondere die Zeugin konnte mit ihrem Erfahrungswissen als Ärztin dem Gericht Insbesondere die Zeugin glaubhaft vermitteln, dass die vom Angeklagten eingetauschten braunen Stiefel einen deutlich besseren Tragekomfort hatten als die ihm dienstlich zugewiesenen beigen Stiefel.
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Der Zeuge hat sehr glaubhaft und mit hohem Erfahrungswissen gut nachvollziehbar die Versorgungslage in der Bundeswehr und den Ablauf der Versorgung der Soldaten mit Ausrüstungsgegenstände sowie den Umtausch von Ausrüstungsgegenständen unter besonderer Berücksichtigung eines Auslandseinsatzes erläutert.
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Die Aussagen der genannten Zeugen sind in sich konstant und weisen ein hohes Maß an Übereinstimmung auf. Die Aussagen der Zeugen wiederholen sich über einen langen Zeitraum seit Beginn der Ermittlungen im April 2018 über das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren, das Verfahren in der 1. Instanz bis hin zur durchgeführten Hauptverhandlung. Widersprüche zwischen den Aussagen der Zeugen sind für das Gericht nicht erkennbar. Bei keinem der Zeugen ist eine Motivation zur Falschbelastung des Angeklagten erkennbar. Die dargestellte Aussagegenese lässt zudem eine suggestive Beeinflussung der Zeugen als fernliegend erscheinen ebenso wie eine Übertragung anderweitiger Erlebnisse auf die Person des Angeklagten. Die Zeugenaussagen ergänzen sich in objektiver Hinsicht und ergeben ein logisch nachvollziehbares Geschehen.
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Durch die Zeugenaussagen ist damit die Einlassung des Angeklagten, er habe tatsächlich einen eigenen Ausrüstungsgegenstand umgetauscht, widerlegt.
V.
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Der Angeklagte war trotz des festgestellten Sachverhaltes aus rechtlichen Gründen vom Vorwurf des Diebstahls in Tatmehrheit mit Betrug freizusprechen.
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1. Wegen Diebstahls ist strafbar, wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen.
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a) Die Tathandlung besteht dabei in der Wegnahme einer Sache durch Bruch fremden und Begründung neuen, in der Regel eigenen Gewahrsams. Aufgrund der dafür erforderlichen Gewahrsamsverschiebung vom Opfer zum Täter kommt dem Gewahrsamsbegriff eine Schlüsselfunktion zur Bestimmung der Wegnahme zu.
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Gewahrsam ist ein tatsächliches Herrschaftsverhältnis zwischen einer Person und einer Sache, das von einem Herrschaftswillen getragen ist. Ob diese Elemente vorliegen, ist nach der natürlichen Auffassung des täglichen Lebens zu beurteilen, ohne dass jedoch in diesem sozialnormativen Maßstab ein selbstständiges Element des Gewahrsamsbegriffs zu erblicken wäre.
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Gewahrsam ist dabei nicht gleichbedeutend mit Besitz im Sinne des BGB, obwohl auch dieser tatsächliche Herrschaft bedeutet, infolge seiner rechtsähnlichen Ausgestaltung jedoch einerseits enger, andererseits weiter als der strafrechtliche Gewahrsam ist. Daher kann auch der zivilrechtliche Nicht-Besitzer strafrechtlichen Gewahrsam haben und umgekehrt.
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aa) Erster Handlungsteil ist der Bruch fremden Gewahrsams auf Seiten des Opfers. Erforderlich dafür ist die Aufhebung der tatsächlichen Herrschaftsmacht ohne Willen des bisherigen Gewahrsamsinhabers oder einer zur Disposition über den Gewahrsam befugten Person.
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Unter der Geltung des § 138 des MilStGB i.d.F. v. 10. 10. 1940 wurde angenommen, dass der Kompaniechef den Gewahrsam an allen Sachen hatte, die zu den Kompaniebeständen gehörten, die Kompanieangehörigen jedoch zumindest Mitgewahrsam an Bekleidungsstücken hatten, die ihnen zum Gebrauch überlassen worden waren. Das WStG v. 30. 3. 1957 hat die Rechtslage gegenüber dem MilStGB nur insoweit geändert, als der frühere militärische Diebstahl heute keine militärische Sonderstraftat mehr ist, so dass gemäß § 3 Abs. 1 WStG das allgemeine Strafrecht anzuwenden ist (OLG Hamm NJW 1964, 1427).
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Gewahrsam an den Kampfstiefeln der Zeugin hatte diese gemeinsam mit dem im Feldlager Gao zuständigen Kontingentführer, der insoweit anstelle des Kompaniechefs tritt. Den Mitgewahrsam der Zeugin hat der Angeklagte gebrochen. Ungeachtet dessen bestand aber weiter der Mitgewahrsam des Kontingentführers, welcher die Begründung eines (eigenen) neuen Gewahrsams seitens des Angeklagten verhindert.
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bb) Als zweiter Handlungsteil ist zwecks Vollendung der Wegnahme die Begründung neuen Gewahrsams auf Täterseite erforderlich.
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Ob neuer Gewahrsam begründet ist, beurteilt sich nach den tatsächlichen Umständen unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung. Entscheidend ist, ob der Täter die Herrschaft über die Sache derart erlangt hat, dass er sie ohne Behinderung durch den alten Gewahrsamsinhaber ausüben und dieser seinerseits ohne Beseitigung der Verfügungsgewalt des Täters nicht mehr über die Sache verfügen kann. Regelmäßig ist neuer Gewahrsam in dem Augenblick begründet, in dem die Herrschaftsmacht des bisherigen Gewahrsamsinhabers vollständig aufgehoben ist.
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Angesichts der Tatsache, dass sich die Kampfstiefel weiterhin in dienstlicher Nutzung des Angeklagten auf dem Gelände des Feldlagers der Bundeswehr in Gao/Mali befanden, konnte dieser nach den tatsächlichen Umständen unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung zu keinem Zeitpunkt neuen Gewahrsam begründen, da die Herrschaftsmacht des Kontingentführers nicht vollständig aufgehoben wurde.
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cc) Der objektive Tatbestand des Diebstahls ist durch die Handlung des Angeklagten mangels Begründung neuen Gewahrsams bereits nicht erfüllt.
41
b) Der Angeklagte handelte zudem nicht in der für eine strafrechtliche Verurteilung notwendigen rechtswidrigen Zueignungsabsicht.
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Wie der BGH in seinem Beschluss vom 21.01.1964 (BGHSt 19, 387) unter Bezugnahme auf sein Urteil vom 28.11.1961 - 5 StR 505/61 - entschieden hat, handelt ein Soldat, der einem Kameraden Dienstsachen wegnimmt, um sie als Ersatz für die von ihm empfangenen, aber verlorenen oder ihm abhanden gekommenen bei der Abmusterung auf der Bekleidungskammer abzugeben, nicht in Zueignungsabsicht und begeht deshalb auch keinen Diebstahl (OLG Stuttgart, NJW 1977, 277).
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Dasselbe gilt im vorliegenden Fall, der dem vom BGH und dem OLG Stuttgart behandelten insoweit gleicht. Der Angeklagte hat der Zeugin die Stiefel zwar nicht weggenommen, um sie bei der Abmusterung auf der Bekleidungskammer als Ersatz für eigene verlorene Ausrüstungsgegenstände abzugeben, sondern um sich ein weiteres Paar modernerer und bequemerer Kampfstiefel für die eigene dienstliche Nutzung zu beschaffen.
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Dabei ist der Angeklagte aber bei der Wegnahme der Kampfstiefel offensichtlich davon ausgegangen, dass sie letztlich, spätestens bei seiner eigenen Abmusterung, wieder an die Bekleidungskammer zurückgelangen.
45
Bei dieser Sachlage hat sich der Angeklagte mangels Zueignungsabsicht keines Diebstahls schuldig gemacht.
46
c) Aus den gleichen Gründen kommt auch eine Verurteilung des Angeklagten wegen Unterschlagung nicht in Betracht.
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2. Der Angeklagte hat sich durch den Umtausch der Stiefel am 24.03.2018 auch nicht wegen Betrugs strafbar gemacht.
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Wegen Betrugs ist strafbar, wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, dass er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Irrtum erregt oder unterhält.
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Zwar hat der Angeklagte unzweifelhaft das Vermögen eines anderen, nämlich der Bundeswehr, dadurch beschädigt, dass er durch Vorspiegelung falscher Tatsachen, nämlich die (fehlende) Berechtigung zum Umtausch der Stiefel, einen Irrtum erregte. Auch ist der Bundeswehr ein entsprechender Schaden in Höhe von 108,89 € entstanden.
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Die Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, ist dem Angeklagten jedoch nicht nachzuweisen.
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Die Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, ist der auf diesen Erfolg zielgerichtete Wille. Das setzt voraus, dass die Erfolgsvorstellung, die auch die Bedeutung des Vorteils als wirtschaftliche Besserstellung umfassen muss, auf den Handlungsentschluss (mit-)bestimmend einwirkt; jedoch braucht der Vorteil weder der Einzige, der maßgebende oder auch nur überwiegende Zweck, noch die letzte Triebfeder (Endziel, Beweggrund oder Motiv) zum Handeln zu sein. Es genügt, wenn der Täter ihn neben anderen Zielen oder nur als Mittel für einen anderweitigen Zweck anstrebt.
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Vermögensvorteil ist dabei jede wirtschaftliche Verbesserung der Vermögenslage; der Besitz an einer Sache nur, wenn ihm eigenständiger Wert zukommt.
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Ein solcher eigenständiger Wert des Besitzes eines weiteren Paares Kampfstiefel, welche ausschließlich im Einsatz getragen werden, ist im vorliegenden Einzelfall nicht anzunehmen. Es kann nicht mit der für eine Verurteilung wegen Betrugs erforderlichen Sicherheit angenommen werden, dass dem Angeklagten nicht nur darum ging, sich einen Tragevorteil in Form von bequemeren und objektiv geeigneteren Kampfstiefeln gegenüber anderen Kameraden zu verschaffen.
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Eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Betruges scheidet daher aus.
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3. Es steht für das Gericht dabei außer Frage, dass sich das festgestellte Verhalten des Angeklagten disziplinarrechtlich als ein im Kameradenkreis der Bundeswehr nicht tolerierbares Verhalten darstellt. Kameradschaft baut auf gegenseitigem Vertrauen und Respekt auf, beides wird durch das Verhalten des Angeklagten massiv geschädigt. Gerade in einem Auslandseinsatz ist jedoch Kameradschaft besonders wichtig.
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Die disziplinarrechtliche Ahndung des Verhalten des Angeklagten muss jedoch dem Wehrdisziplinaranwalt beim Bundesamt für Personalmanagement der Bundeswehr vorbehalten bleiben.
57
Der Angeklagte hat sich durch sein Verhalten nicht strafbar im Sinne des Strafgesetzbuches gemacht und war folglich aus rechtlichen Gründen freizusprechen.
VI.
58
Die Entscheidung über die Kosten der Berufung beruht auf § 467 StPO.