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VGH München, Beschluss v. 25.09.2019 – 11 ZB 19.32697
Titel:

Berufungszulassung wegen Ablehnung eines Sachverständigenbeweisantrags (PTBS)

Normenketten:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 3
AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1, S. 2, § 60a Abs. 2c S. 2, S. 3
VwGO § 87b Abs. 3 Nr. 1
Leitsätze:
1. Macht ein Beteiligter geltend, er leide an einer posttraumatischen Belastungsstörung, die eine Gefahr i.S. des § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG begründe, muss er für einen substantiierten Sachverständigenbeweisantrag zwar regelmäßig ein gewissen Mindestanforderungen genügendes fachärztliches Attest vorlegen. Er muss jedoch nicht glaubhaft machen oder beweisen, dass er an dieser Krankheit leidet, sondern nur substantiiert darlegen, dass diese Frage aufklärungsbedürftig ist (Rn. 3). (redaktioneller Leitsatz)
2. Ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des § 87b Abs. 3 Nr. 1 VwGO ist die Kausalität der Verspätung für die Verzögerung. Nur wenn wegen der Verspätung eine Verzögerung eintritt, können Sachvortrag und Beweismittel präkludiert sein (Rn. 6). (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verfahrensmangel, Ablehnung eines Beweisantrags, Sachverständigenbeweis, posttraumatische Belastungsstörung, fachärztliches Attest, Anforderungen, verspäteter Beweisantrag, Abschiebungsverbot
Vorinstanz:
VG Augsburg, Urteil vom 23.05.2019 – Au 2 K 17.34330
Fundstelle:
BeckRS 2019, 45349

Tenor

Die Berufung wird zugelassen, weil ein in § 138 VwGO bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG).

Gründe

1
Die Berufung ist zuzulassen, da die Begründung der Ablehnung des in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrags nicht hinreichend tragfähig ist.
2
1. Das Verwaltungsgericht hat den Beweisantrag abgelehnt, weil die von dem Beweisantrag in Bezug genommenen ärztlichen Stellungnahmen des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie W. S. vom 28. Februar 2019 und der Stationsärztin Dr. med. K., Waldhausklinik D., vom 5. März 2019 nicht den Anforderungen nach § 60a Abs. 2c Aufenthaltsgesetz, die an eine solche Bescheinigung zu stellen seien, genügten.
3
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 11.9.2007 - 10 C 8.07 - BVerwGE 129, 251 = juris Rn. 15) muss ein Beteiligter, der geltend macht, er leide an einer PTBS, für einen substantiierten Sachverständigenbeweisantrag zwar regelmäßig ein gewissen Mindestanforderungen genügendes fachärztliches Attest vorlegen, aus dem sich nachvollziehbar ergibt, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Es besteht für Beteiligte im Verwaltungsprozess aber weder eine Pflicht zur Glaubhaftmachung (BVerwG a.a.O. Rn. 13) noch bedarf es der Beibringung einer detaillierteren, an den Forschungskriterien des ICD-10 orientierten gutachtlichen fachärztlichen Stellungnahme (BVerwG a.a.O. Rn. 16). Der Betroffene muss durch die Vorlage des Attests nicht beweisen, dass er an einer entsprechenden Erkrankung leidet, denn dann wäre eine weitere Beweiserhebung überflüssig, sondern er muss nur substantiiert darlegen, dass diese Frage aufklärungsbedürftig ist. Erfüllt ein Beteiligter seine prozessualen Mitwirkungspflichten, ist es Sache des Gerichts, solchen konkreten Anhaltspunkten für das Vorliegen einer Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nachzugehen (vgl. BVerfG, B.v. 24.7.2019 - 2 BvR 686/19 - juris Rn. 43).
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Im vorliegenden Fall kann der Beweisantrag nicht deshalb als unsubstantiiert abgelehnt werden, weil die beiden im Beweisantrag in Bezug genommenen ärztlichen Atteste den Vorgaben der Rechtsprechung zur notwendigen Substantiierung von Beweisanträgen (BVerwG, U.v. 11.9.2007 a.a.O.) und den Anforderungen des § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 AufenthG, die seit der Rechtsänderung vom 15. August 2019 nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG für die Feststellung eines Abschiebungsverbots entsprechend heranzuziehen sind, nicht genügen. Im Verwaltungsprozess, der vom Untersuchungsgrundsatz beherrscht wird, sind alle vorhandenen Unterlagen und Erkenntnisse, also auch die schon in den Jahren 2015 und 2016 erstellten ärztlichen Unterlagen einzubeziehen.
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Hierauf kann die Entscheidung auch beruhen, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass in der Zusammenschau sämtlicher vorliegender Unterlagen und bekannter Umstände die Anforderungen an die Substantiierung eines Beweisantrags erfüllt sind und das Verwaltungsgericht bei Einholung eines Sachverständigengutachtens über Art, Schwere und Behandlungsbedürftigkeit der Erkrankung sowie der Gefahr der Retraumatisierung der Klägerin im Heimatland zu einem für die Klägerin günstigeren Ergebnis gelangt wäre.
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2. Der Beweisantrag konnte auch nicht als verspätet abgelehnt werden. Ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des § 87b Abs. 3 Nr. 1 VwGO ist die Kausalität der Verspätung für die Verzögerung (vgl. Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 87b Rn. 11). Nur wenn wegen der Verspätung eine Verzögerung eintritt, können Sachvortrag und Beweismittel präkludiert sein. Hier ist aber davon auszugehen, dass auch bei einer schriftlichen Ankündigung des konkreten Beweisantrags bis zur gesetzten Frist am 27. Februar 2019 erst nach Erörterung der Streitsache in der mündlichen Verhandlung am 23. Mai 2019 ein Beweisbeschluss erlassen worden wäre. Die Tatsache, dass die Klägerin an zahlreichen Erkrankungen leidet, war schon lange bekannt und auch schon Gegenstand des mit Schriftsatz vom 5. Juli 2018 angekündigten Beweisantrags, auf den der Prozessbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 28. Februar 2019 nochmals Bezug genommen hat. Der Entlassbericht der Waldhausklinik vom 5. März 2019 ist ebenfalls nicht präkludiert, da er offensichtlich falsch datiert ist und erst nach Ablauf der Frist erstellt worden sein kann. Er berichtet über einen stationären Aufenthalt der Klägerin in der Klinik vom 5. bis 20. März 2019. Der Umstand, dass eine Beweiserhebung in Form eines Sachverständigengutachtens stets eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt, stellt keine Verzögerung i.S.d. § 87b VwGO dar.