Inhalt

VG München, Urteil v. 07.11.2019 – M 24 K 19.1932
Titel:

Anforderungen an die Gefahrenprognose bei Ausweisung

Normenketten:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1
AufenthG § 11 Abs. 5a, § 53, § 54 Abs. 1 Nr. 2, § 55 Abs. 1 Nr. 4, § 71 Abs. 1
AufenthV § 31
StGB § 89a
Leitsätze:
1. Eine auf § 113 Abs. 3 S. 1 VwGO gestützte Entscheidung ist nicht sachdienlich, wenn die Beklagte hinlänglich auf ihre begrenzten Ermittlungsmöglichkeiten hingewiesen und ausgeführt hat, sie habe alle ihr möglichen Ermittlungen durchgeführt. (Rn. 51) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der Verwirklichung eines Tatbestandes nach § 54 AufenthG bedarf es stets der Feststellung, dass die vom Ausländer ausgehende Gefahr im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt fortbesteht (Anschluss an BVerwG BeckRS 2017, 107747 Rn. 26). (Rn. 59) (redaktioneller Leitsatz)
3. Reine Vermutungen genügen als als Grundlage der Gefahrenprognose nicht. Vielmehr muss eine auf Tatsachen gestützte, nicht bloß entfernte Möglichkeit eines Schadenseintritts bestehen. Diese Anforderungen erfüllt auch eine Anscheinsgefahr (Anschluss an BVerwG NJW 1975, 2158).(Rn. 65) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Erfolgreiche Klage, Sachurteil, Sachdienlichkeit der Aufhebung des Bescheids aus prozessrechtlichen Gründen (verneint), Ausweisung, Erforderliche Tatsachengrundlage einer Ausweisung, Aufenthaltsrecht, Aufenthaltsverbot, Ausreisepflicht, Ausweisungsinteresse, Drittstaat, Einreise, Familiennachzug, Lebensunterhalt, Reisepass, terroristische Vereinigung, Botschaft, Identitätsprüfung, Visumsverfahren, Terrororganisation, Gefahrenprognose, Anscheinsgefahr
Rechtsmittelinstanzen:
VGH München, Urteil vom 07.12.2021 – 10 B 21.1451
BVerwG Leipzig, Urteil vom 25.05.2023 – 1 C 6.22
Fundstelle:
BeckRS 2019, 42568

Tenor

I. Der Bescheid der Beklagten vom 21. März 2019 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 24. September 2019 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
1. Der Kläger beantragte am 19. Februar 2018 bei der deutschen Botschaft in Ankara die Erteilung eines nationalen Visums zum Familiennachzug zur deutschen Staatsangehörigen Frau … …, wohnhaft seit *. Juli 2010 in …, mit der er am … April 2017 in der Türkei die Ehe geschlossen hat (Bl. 21ff., 27, 36, 41 der Behördenakte - BA).
2
Ausweislich der im Visumsverfahren gemachten Angaben und des dabei vorgelegten irakischen Nationalpasses …, ausgestellt am … November 2016 in Bagdad, ist der Kläger irakischer Staatsangehöriger und trägt den Namen … … … …, geb. … … 1986 (Bl. 21ff., 55 BA). Vorgelegt wurden ein Personalausweis der Republik Irak (Nr. 00512413) samt beglaubigter Übersetzung, ausgestellt am 26. September 2016 in …, wonach der Kläger in … in der Provinz … geboren und registriert sei, sein Vater und Großvater … … und seine Mutter und deren Vater … … hießen (Bl. 47-49 BA), und eine irakische Staatsangehörigkeitsurkunde (Nr. .../T) samt beglaubigter Übersetzung vom 27. September 2016 mit den nämlichen Angaben (Bl. 51- 53 BA). Zudem wurden Auszüge samt beglaubigter Übersetzung vom 19. Februar 2017 und 20. Februar 2017 aus dem Standesamtsregister (Nr. 1957) der Republik Irak zum Kläger vorgelegt (Bl. 42-46 BA).
3
Im Beteiligungsverfahren gem. § 31 AufenthV hat das Bundesverwaltungsamt - BVA - der Beklagten am 9. Februar 2018 u.a. mitgeteilt, seitens der Botschaft bestünden keine Zweifel an der Echtheit und inhaltlichen Richtigkeit der vorgelegten Urkunden. Vermerkt wurde: „Von beiden ist es die erste Ehe. Vermittlung durch Bekannte. Sie haben sich 2014 in …, Malaysia, kennengelernt. Dann haben sie sich 2016 in …, Thailand, wiedergetroffen.“ (Bl. 70f. BA)
4
Im Rahmen der Identitätsprüfung im Visumsverfahren wurden die angegebenen Personalien des Klägers mit dem Ausländerzentralregister (AZR) und dem Schengener Informationssystem (SIS) durch das BVA abgeglichen und zu den beim Kläger abgenommenen Fingerabdrücken die Fingerabdruckprüfung (FAP) beim Bundeskriminalamt (BKA) veranlasst (Bl. 6 BA).
5
Die durchgeführte Identitätsprüfung führte am 19. Februar 2018 zu dem Ergebnis, dass zum Visumsantragsteller … … … …, geb. … … …, identische Fingerabdrücke unter abweichenden Personalien mit kriminalpolizeilichen Erkenntnissen vorliegen. Der Visumsantragsteller wird in den aktuellen Beständen mit 46 im Einzelnen bezeichneten Personalien geführt, die in Namen, Vornamen, Geburtsdatum und Geburtsort differieren; darunter ist der Name … (Name), … … … … (Vornamen) mit verschiedenen Geburtsdaten und geringfügigen Schreibabweichungen vielfach gelistet (Bl. 7 - 13 BA); zu diesem ist als „Erkennungsdienstliche Behandlungen“ vermerkt:
6
„ED-Maßnahme vom 07.10.2015 durch IP [Interpol] WASHINGTON aus folgendem Anlass: Anlass der Einspeicherung und Abnahme von Fingerabdrücken
7
Internationale Fahndung / Blauecke“ (siehe auch Bl. 100ff. BA).
8
Weiter wird ausgeführt, dass die betreffende Person durch das Bundespolizeipräsidium unter Az. … zum Zwecke der ausländerrechtlichen Maßnahme ausgeschrieben wurde.
9
Der Abgleich der übermittelten Personendaten mit dem AZR gemäß C3-Standard und mit dem SIS (Gesamtauskunft: SIS-Personenfahndung am 11.5.2018) ergab bestätigte Personalien mit insgesamt elf Alias-Personalien, nämlich mit der Personalie … … … … … mit unterschiedlichen Geburtsdaten, zu der im SIS vermerkt ist, dass sie von Deutschland (Bundespolizeipräsidium) mit der Entscheidungs-Referenznummer … am 23. Juni 2016 mit Ablaufdatum 22. Juni 2019 mit dem Ausschreibungsgrund „Ausländer, dem die Einreise in das Schengener Gebiet oder der Aufenthalt dort zu verweigern ist“ und mit „Durchzuführende Maßnahme An der Außengrenze: Verweigerung der Einreise in das Schengen-Gebiet, Im Inland: Einleitung aufenthaltsbeendender Maßnahmen / Vorführung bei zuständiger Behörde“ vermerkt ist. Unter personengebundene Hinweise ist angeführt: „bewaffnet, gewalttätig“ und es liegen zwei Lichtbilder vor (Bl. 13-18, 58f. BA).
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Die Beklagte lehnte am 22. August 2018 die Zustimmung im Visumsverfahren ab (Bl. 68 BA). Die Erteilung des Visums lehnte das BVA am 30. August 2018 ab. Die hiergegen erhobene Klage ist beim VG Berlin (Az. VG 5 K 28.19V) anhängig (Bl. 329 BA).
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2. Zur Person unter dem Namen … … … … … mit einer Vielzahl von Aliasnamen liegt die offen verwertbare Interpol-Blue Notice (Blauecke) - Internationales Fahndungsersuchen ohne Festnahmeausschreibung - vom 7. Oktober 2015 der Vereinigten Staaten von Amerika in der Behördenakte der Beklagten vor, die sie von der Bundespolizei erhielt. Diese Blue Notice beinhaltet als Identifizierungsdetails zwei Lichtbilder und die Fingerabdrücke aller 10 Finger, weist unter Status „Suspect“ und unter Warnung „This person may be armed and dangerous“ aus. U.a. ist als Beschreibung die Körpergröße mit 168 cm, 63 kg Gewicht, schwarzes Haar, braune Augen und als Unterscheidungsmerkmal ein Tattoo am oberen linken Arm angegeben (Bl. 100-103 BA). Als Information zur kriminalpolizeilichen Ermittlung ist „Terrorism Related Crime“ als Strafnormkomplex angegeben und hierzu wiedergegeben, dass das NCB [sic!] die Fakten aus dem Irak aus dem Kalenderjahr 2006 habe. Als „Summary of Facts of the Case“ wird ausgeführt: „Latent Fingerprints (LFPs) exploited from a 2006 Improvised Explosive Device (IED) and/or cache were biometrically matched with fingerprints of … The location of … fingerprints on the exploited IED and/or cache indicates that he had knowledge of or participated in the manufacture/placement of the IED and/or cache with the purpose of causing death or injury.“ Als Zweck der Interpolausschreibung wurde die Identifizierung, die Lokalisierung und Mitteilung vorhandener Erkenntnisse zur gesuchten Person der kriminalpolizeilichen Ermittlung benannt. Mit diesem Blue Notice - Nachforschungsauftrag wurden die ersuchten Staaten gebeten, Fingerabdruckabgleiche mit solchen von ungelösten IED-Vorfällen und mit solchen in allgemeinen Registern durchzuführen, da sich die Person auch mit einer anderen Identität ausgeben könnte.
12
3. Auf die Anfrage der Beklagten teilte das Bayerischen Landeskriminalamt - BayLKA - mit Schreiben vom 12. November 2018 zur Person …, … … …, geb. … … 1986, Staatsangehörigkeit: irakisch, alias u.a. … … … … …, geb. …1986, Staatsangehörigkeit: irakisch, mit, dass das BLKA sich an das BKA gewandt habe, mit der Bitte, dass dieses zur o.g. Person beim Bundesnachrichtendienst - BND -, bei Europol und den amerikanischen Sicherheitsbehörden anfrage.
13
Das BayLKA teilte der Beklagten mit Schreiben vom 12. November 2018 mit, die Antwort des United States Department of Justice - Federal Bureau of Investigation - FBI - vom 1. November 2018 sei am 9. November 2018 eingetroffen. In Übersetzung dessen wurde mitgeteilt, das Auswertezentrum Terroristische Sprengsätze (Terrorist Explosive Device Analytical Center - Tedac) habe zwei aus Vorfall … … … stammende latente Fingerabdrücke als die Fingerabdrücke des … … … … … identifiziert [Anm.: Der Identifizierungszeitpunkt ist nicht angegeben.]. Die latenten Fingerabdrücke des … seien an der klebenden und nichtklebenden Seite von durchsichtigem Verpackungsband einer unkonventionellen Sprengvorrichtung (USBV) gesichert worden. Der … soll als Taxifahrer und Bauarbeiter tätig gewesen sein. Der … werde in Berichten als Beteiligter am Waffenhandel für die in … (… ist eine Stadt in der Provinz al-Anbar/ Irak) operierenden Aufständischen genannt. Zu … sei bekannt, dass er mit Onkel … … … am Schwarzhandel mit Treibstoff beteiligt sei. … sei am 18. September 2008 bei einer Razzia in … / Irak durch Koalitionsstreitkräfte festgenommen worden. Gegen ihn habe sich der Tatverdacht gerichtet, …-Mitglied zu sein, das eine Zelle für USBV und projektilbildende Ladung (EFP) anführe und über Anti-Koalitionsstreitkräfte-Propaganda verfüge. Der vom 18. September 2008 bis 12. Juni 2010 in Camp … … inhaftierte … sei am 12. Juni 2010 dem Staat Irak übergeben worden. Als persönliche Merkmale des … … … … … werden mitgeteilt: Haarfarbe schwarz, Augenfarbe braun, Gewicht zwischen ca. 63 bis 68 kg und Größe zwischen 160 cm und 170 cm. … … … incl. 1x schnurloses Senao-Telefon langer Reichweite und 1x mechanischer Zeitschaltuhr Drähte und (Klebe-)Band stamme aus einem USBV-Vorfall, gesichert durch Kräfte der Kampfmittelräumung des Verteidigungsministeriums zu einem unbekannten Datum in der Provinz …/ Irak (Bl. 106-117, darunter 110-112 Originalantwort des FBI vom 1.11.2018, BA).
14
Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz teilte der Beklagten zur … angefragte Erkenntnisse mit Schreiben vom 4. Januar 2019 mit. Der Name … … … (Armee des Erlösers) deute auf schiitische eschatologische Vorstellungen hin. Bei den … … … Special Groups handle es sich höchstwahrscheinlich um die sogenannten Al-Sadr-Brigaden, eine 2003 gegründete paramilitärische irakische Einheit, die zur Abwehr der US-Invasion im Irak von … … gegründet wurde. Sie habe sich nach der militärischen Niederlage aufgelöst. 2014 habe sich die Miliz unter dem Namen „… … …“ /Friedenskompanie) rekonstituiert. Sie beteilige sich wohl am Kampf gegen den IS im Irak (Bl. 118 BA).
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Der BND teilte der Beklagten mit Schreiben vom 10. Januar 2019 (Bl. 119 - 123 BA) mit, zur Person … … … …, geb. …1986 in …, oder einer der vielfältigen Aliaspersonalien lägen hier keine Erkenntnisse vor. In der Fußnote ist zu Erkenntnisse festgehalten: „“Erkenntnisse“ sind auf der Basis mehrerer (mindestens zweier) und unabhängiger Hinweise durch einen Auswerteprozess im Bundesnachrichtendienst verdichtete Analyseergebnisse. Diese voneinander unabhängigen Hinweise entstammen dem vorliegenden Datenbestand und wurden nicht fallbezogen erhoben. Die geschilderten Erkenntnisse werden durch den Bundesnachrichtendienst als glaubhaft bewertet.“ Weiter wurde zu der irakischen Gruppierung JAMSG und deren Aktivitäten mitgeteilt, die … seien Untergruppierungen/ Abspaltungen der nationalistisch eingestuften, schiitischen … … … (…) Miliz, die zusammen mit der sog. …-Organisation als eine der beiden einflussreichsten schiitischen Milizen im Irak der Jahre 2003 - 2014 existierten. Die Umfirmierung in die … … … …) in 2014 sei erfolgt, als sich … …, diesjähriger Sieger der Parlamentswahlen, vom bewaffneten Kampf zunehmend distanziert habe. Seit den Jahren 2004/2005 führe die … den Kampf gegen die als Besatzer empfundenen Truppen der USgeführten Multinationalen Koalition in Irak (MNF-I) mit unzähligen Angriffen und Anschlägen gegen die MNF-I unter Verwendung von behelfsmäßig gefertigten, am Straßenrand positionierten IEDs und projektilbildenden Ladungen (EFP). Die JAM führte auch den Kampf gegen sunnitische Iraker, die zuerst als Vertreter des Diktators Saddam Hussein und im Verlauf der Entwicklung zunehmend als Mitglieder oder Unterstützer der sunnitisch dominierten Terrororganisation Al-Qaida erachtet wurden und unter bürgerkriegsähnlichen Rahmenbedingungen bekämpft wurden, einschließlich Entführungen, gezielten Tötungen … … … … … … … … … … … … … … … SaS neu zu gründen. Aus den Reihen der … bildete sich die …, welche die US-Truppen und die MNF-I in Bagdad und im Südirak angriffen und Anschläge und Angriffe auf militärische Liegenschaften mit selbstgefertigten Raketen und Mörsern verübten. Zum Vorfall … … … in der Provinz …/ Irak lägen keine Erkenntnisse vor.
16
Zu den Angaben des Klägers in seiner eidesstattlichen Versicherung vom … Februar 2019 (siehe unten) gab der BND am 20. März 2019 eine weitere Erklärung ab, wonach die Angaben in der eidesstattlichen Versicherung hinsichtlich der ethnisch-konfessionellen Mehrheitsverhältnisse in der Bevölkerung (mehrheitlich Sunniten) in der westirakischen Provinz …, der Rekrutierung von sunnitischen Irakern aus der Provinz … durch die schiitische Miliz … …, der Häufigkeit des Namens „…“, der Verhaftungen von Verdächtigen in den Jahren 2005-2007 durch Soldaten der MNF-I zur Eindämmung von Aufstandsbewegungen und Vermeidung von Angriffen und Anschlägen und der Internierung von Verdächtigen im Camp … nahe der südirakischen Stadt B.… glaubhaft seien (Bl. 149 - 152 BA).
17
4. Die Beklagte hörte den Kläger und seine Ehefrau vor Erlass der Ausweisung an (Bl. 167ff., 178 BA).
18
Der Bevollmächtigte des Klägers äußerte sich schriftsätzlich am 27. Februar 2019 samt (u.a.) anliegender eidesstattlicher Versicherung des Klägers vom 22./24. Februar 2019 (Anlage 1) (Bl. 183 - 192 BA) und am 12. März 2019 mit den beglaubigten Übersetzungen der zuvor nur in arabischer Sprache vorgelegten Unterlagen (Bl. 237-253 BA), auf die verwiesen wird. Laut Bevollmächtigtem wurden als Anlage 9, 13 und 14 (Bl. 205ff. BA) eine Kopie eines alten irakischen Nationalpasses des Klägers und Passseiten mit Stempeln vorgelegt, die zum Teil überhaupt nicht oder nur geringfügig wegen ihrer Schwärze lesbar sind.
19
In der eidesstattlichen Versicherung vom 22./24. Februar 2019 äußert der Kläger:
20
Es treffe zu, dass er mit dem Auto der Familie „Taxifahrten“ unternommen habe. Es seien Privatfahrten gewesen, denn Taxis im eigentlichen Sinne habe es nicht gegeben. Er habe dies nicht ständig getan. Er habe Menschen vom Einkaufen abgeholt, bei Umzügen geholfen und diverse Sachen transportiert. Die erwähnten Bauarbeiten habe sein Vater mit seinem Bruder durchgeführt. Er habe nie mit seinem Onkel … … … Treibstoff auf dem Schwarzmarkt verkauft. Er habe zwei Onkel, die geschäftsmäßig und auch aktuell noch Treibstoff verkaufen. Er habe zu keinem Zeitpunkt illegalen Waffenhandel betrieben. Dies seien Behauptungen ohne belastbaren Beweis und ohne Zeitangabe. Er sei in Hit in der Provinz … geboren. Seine gesamte Familie seien sunnitische Muslime. Die Gruppe … oder auch …-Armee (lt. Bayerischem Landesamt für Verfassungsschutz und Wikipedia) sei von schiitischen Aufständischen gegründet worden. Ein Beitritt als Sunnit in eine schiitische Gruppe im Irak sei schlichtweg unmöglich. Zur Blue Notice vom 7. Oktober 2015 wird ausgeführt, die Lichtbilder zeigten den Kläger im Jahr 2005/2007. Diese beiden Bilder seien an unterschiedlichen Tagen aufgenommen worden, erinnerlich das linke Bild während des Aufenthalts in der … … … Die Richtigkeit seiner Fingerabdrücke werde nicht bestritten. Diese seien ihm mehrfach abgenommen worden. Die Blue Notice laute nicht auf seinen richtigen Namen und es sei ihm unverständlich, dass zu seinen Fingerabdrücken 46 verschiedene Identitäten vorliegen sollen. Er sei gefangen genommen worden und ihm seien seine Fingerabdrücke und seine DNA abgenommen worden, seine Daten erfasst worden und er sei über einen Zeitraum von sieben Monaten inhaftiert gewesen und freigelassen worden. Es hätten sein korrekten Daten vorgelegen. Sein Name laute … … … Der Vatername und der Großvatername sei … Dies ergebe sich aus seiner Staatsangehörigkeitsurkunde. … … oder … … sei der Name eines sog. Clans oder Stamms im Irak. … … könne man vergleichen mit dem deutschen Nachnamen Müller oder Meier, der von 10.000enden Menschen getragen werde. Wie man auf die Aliasnamen des Klägers komme, zumal die Eintragungen keine Quellhinweise, wie etwa Bilder oder Ausweisdokumente, angäben, sei für den Kläger nicht nachvollziehbar. Er habe nie falsche Dokumente besessen und auch niemals ein Ausweisdokument mit dem Nachnamen … … o.ä. Es stimme, dass er schwarzes Haar, braune Augen und ein Tattoo am linken Oberarm trage. Allerdings habe er zu der Zeit nicht nur ein Tattoo am linken Oberarm, sondern auch an anderen Stellen seines Oberkörpers gehabt. Durch seine mehrmaligen willkürlichen Festnahmen hätten den Vereinigten Staaten auch seine Ausweisdokumente vorgelegen. Wie es dazu komme, dass unter den Aliasnamen kein einziges Mal sein richtiger Name vorkomme, sei ihm rätselhaft. Seine Staatsbürgerurkunde, seinen Personalausweis und seinen derzeitigen Reisepass habe er 2016 in der irakischen Botschaft in Kuala Lumpur/ Malysia beantragt. Hierbei seien seine Fingerabdrücke und auch ein Iris-Scan genommen worden. Dadurch werde er eindeutig als … … … identifiziert. Im Sommer 2006 sei er in seinem Heimatort von irakischen Männern des Volkswiderstands festgenommen und für einen Tag in Gewahrsam genommen und geschlagen worden. Ihm sei vorgeworfen worden, Informationen an die amerikanische Besatzung preis zu geben. Zwei Tage später, während einer großen Festnahmeaktion im Ort, seien er, sein Vater und Onkel … … … von amerikanischen Truppen festgenommen und zwei Tage festgehalten, verhört und wieder freigelassen worden. Es seien Fotos und Videos von ihm gemacht worden, auf denen die Spuren der zwei Tage zuvor erlittenen Schläge festgehalten worden seien. Diese willkürlichen Verhaftungen hätten den Hintergrund gehabt, Informationen über Personen zu erlangen, die gegen die Invasion der amerikanischen Streitkräfte gewesen seien. Im Sommer 2007 sei er von der Polizei in die örtliche Polizeistation einbestellt worden, da die amerikanischen Streitkräfte Fragen an ihn hätten. Ihm seien die gleichen Fragen wie bei seiner ersten Festnahme in 2006 gestellt worden. Er sei [rückgerechnet also Mitte 2007] in die … … … und anschließend ohne Begründung in das Camp International Airport in … verbracht worden. Nach ca. zwei Monaten sei er von dort in das … … bei … überführt worden, wo er ca. fünf Monate verbracht habe. Er habe Englischunterricht gehabt, konnte mit seiner Familie telefonieren und er sei gut behandelt worden. Im Camp seien sie nicht unter dem Namen, sondern unter einer Nummer geführt worden. Seine Nummer sei … gewesen, die er täglich mehrmals den Aufsehern habe nennen müssen. Er sei einem amerikanischen Militärrichter vorgeführt worden. Ihm sei vorgeworfen worden, mit Waffen zu handeln und ein Anführer von Rebellen zu sein. Er habe die Vorwürfe zurückgewiesen und 41 Tagen später sei er aufgrund der Entscheidung des Militärrichters freigelassen worden und Anfang 2008 in die amerikanische Basis nach Hit zurückgekehrt. Dann wurde er von dort von der irakischen Polizei abgeholt und durfte nach Hause gehen. Er sei nicht bei einer angeblichen Razzia in … am … September 2008 inhaftiert worden. Er sei nicht von … September 2008 bis … Juni 2010 im … … II in Haft gewesen. Dies sei dadurch belegt, dass sein [abgelaufener] Reisepass am … Oktober 2008 ausgestellt worden sei, er laut Ausreisestempel vom 11. April 2009 den Irak verlassen habe und laut Einreisestempel vom 9. März 2010 in den Irak eingereist sei. Zur IED (Sprengfalle) gibt der Kläger an, es wisse nicht woher seine angeblichen Fingerabdrücke auf der Sprengfalle kämen. Die Fingerabdrücke seien laut FBI auf beiden Seiten eines Packbandes festgestellt worden. Durch seine gelegentliche Arbeit als Taxifahrer habe er die unterschiedlichsten Dinge transportiert. Dass mehrere Menschen ein Packband berühren, sei mehr als wahrscheinlich. Es lägen keine Angaben zum Fundort in der Provinz … vor, die die Größe der Bundesrepublik habe. Es seien auch keine Fotos oder Beweise dieser Fingerabdrücke vorgelegt worden. Es sei lediglich behauptet worden, die Fingerabdrücke seien seine. Als er im … … gefangen gehalten worden sei, sei ihm dieses angebliche Vergehen nicht vorgehalten worden. Von der vorliegenden Blue Notice zu ihm habe er erst durch die Beklagte mit deren Schreiben vom 11. Februar 2019 erfahren. Er habe weder in 2006 noch je in seinem Leben etwas mit dem Aufbau einer Sprengfalle o.ä. zu tun gehabt. Er gehe davon aus, dass zu seiner Person von anderen Personen falsche Angaben gemacht worden seien. Zu dieser Zeit hätten Menschen im Irak alles gegen Bezahlung behauptet.
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Der Bevollmächtigte des Klägers verweist im Schriftsatz vom 27. Februar 2019 zum Sachverhalt auf die eidesstattliche Versicherung des Klägers und gibt ergänzende Anmerkungen zu den weiteren vorgelegten Anlagen. U.a. wird ausgeführt, Rekrutierungsversuche der … in der Provinz … seien nicht bekannt. In … sei die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung sunnitisch. Der Kläger samt der gesamten Familie seien Sunniten. Der Kläger sei niemals Mitglied der … gewesen. Es sei angesichts des tiefgreifenden Konflikts zwischen Sunniten und Schiiten im Irak, der jeweiligen Identifizierbarkeit anhand der geografischen Herkunft und der unterschiedlichen Riten von Sunniten und Schiiten, schlicht nicht vorstellbar, dass ein sunnitischer Moslem in eine schiitische Miliz aufgenommen würde. Ungeachtet dessen und höchst vorsorglich werde darauf hingewiesen, dass die … trotz der Verbrechen, für die sie verantwortlich sei, von der Europäischen Union, den Vereinten Nationen und den Vereinigten Staaten von Amerika nicht als Terrororganisation eingestuft werde. Der Kläger habe neben der erwähnten Tätowierung am linken Oberarm dort eine weitere, beide seien mittlerweile etwas verblasst, und daneben eine deutlich größere und auffälligere Tätowierung am rechten Oberarm. Die Tätowierungsmotive seien nicht charakteristisch schiitisch. Dass die weiteren Tätowierungen, insbesondere die auffälligere am rechten Arm, nicht in den Akten vermerkt seien, sei ein ernstzunehmendes Indiz, dass der Kläger und die aktenkundige Person nicht identisch seien. Unterlagen zu den vom Kläger angegebenen Zeiten der Inhaftierung/ des Gewahrsams und über seine Angaben im Verfahren vor der amerikanischen Militärgerichtsbarkeit dürften bei den amerikanischen Behörden vorhanden sein und von dort durch die Beklagte angefordert werden können. Wegen der latenten Fingerabdrücke an der Sprengfalle verweise er auf die eidesstattliche Versicherung des Klägers. Nach neuen Studienergebnissen der American Association for the Advancement of Science (AAAS) könnten latente Fingerabdrücke nicht zur zweifelsfreien Identifizierung von Personen verwendet werden (vgl. Telepolis v. 19.10.2017 - Anlage 12 Bl. 210ff. BA). In diesem Artikel finde sich folgende Passage: „…Kritisch werden daher automatisierte Fingerabdruck-Identifizierungs-Systeme (AFIS) gesehen. Die Forschung habe gezeigt, dass Vergleiche mit allen 10 Fingern (ten-print to ten-print identification) sehr genau seien, wenn alle Finger gerollt oder gedrückt werden. Sehr viel weniger genau sei AFIS für latente Fingerabdrücke, hier seien Forensiker genauer, aber zum Abgleich vieler Fingerabdrücke sei AFIS dennoch notwendig…“. Nach Aktenlage sei nicht nachvollziehbar, warum die Blue Notice der US-Behörden wegen der Sicherung von Fingerabdrücken im Jahr 2006 erst seit dem 7. Oktober 2015 vorliege [Anm.: die Sprengfalle wurde 2006 durch ein Räumkommando sichergestellt; wann die Auswertungen erfolgten, ist in den Akten nicht angegeben]. Ausweislich der Blue Notice werde der Kläger lediglich als Verdächtiger geführt. Der BND habe keine Erkenntnisse zum Kläger. Die Annahme sei nicht abwegig, dass er von den US-Behörden aufgrund fabrizierter oder schlicht falscher Tatsachen verdächtigt werde und wegen dieses Verdachts Maßnahmen gegen ihn ergriffen worden seien. Es sei nicht auszuschließen, dass die aktenkundigen Vorwürfe gegen den Kläger jeglicher belastbarer Tatsachengrundlage entbehrten. Die Beibringung von Nachweisen, die den Vortrag des Klägers stützten, könne vorerst nur in arabischer Sprache erfolgen, Übersetzungen seien schon in Auftrag gegeben; diese sollten abgewartet werden, sofern die Beklagte an der beabsichtigten Ausweisung festhalte. Da der Kläger wegen seines Aufenthalts in der Türkei im Besitz des Reisepasses bleiben müsse, könnte eine Vorlage des Reisepasses nur bei der deutschen Botschaft in Ankara erfolgen.
22
In rechtlicher Hinsicht wird ausgeführt, ein Ausweisungsinteresse sei nicht erkennbar, insbesondere liege ein Ausweisungsinteresse i.S.d. § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nicht vor. Da die … nicht als Terrororganisation eingestuft sei, scheide der Vorwurf der Zugehörigkeit zu einer terroristischen Vereinigung bzw. ihre Unterstützung von vorneherein aus. Nach dem Wortlaut des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG müsse feststehen, dass die Vereinigung den Terrorismus unterstützt (Bauer/Dollinger in Bergmann/Dienelt, Aufenthaltsrecht, 12. Aufl. 2018, § 54 AufenthG, Rn. 23). Die Missbilligung der durch die … begangenen Verbrechen rechtfertige für sich genommen jedenfalls nicht ihre Charakterisierung als Terrororganisation. Für die Annahme der Vorbereitung einer Tat i.S.d. § 89a StGB fehle es vorliegend an tatsächlichen Anhaltspunkten. Die Beklagte stütze ihre Ansicht auf Einschätzungen, die vom BND nicht als Erkenntnisse gewertet werden würden. Schon deshalb hätten diese Einschätzungen nicht den Charakter einer Tatsache i.S.d. § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Zwar seien die Anforderungen an die Beweisführung im Ausweisungsrecht im Vergleich zum Strafrecht herabgesetzt, aber allein aufgrund von Vermutungen und nicht überprüften Indizien vermöge eine Ausweisungsentscheidung auch nicht zu ergehen. Ausweisungsentscheidungen, die regelmäßig mit weitreichenden Grundrechtseingriffen einhergingen, seien nur gerechtfertigt, wenn ein sachlicher, also auf Tatsachen fußender Grund vorliege. Die aktenkundigen Einschätzungen der US-Behörden wiesen nicht nur erhebliche Widersprüche zum Vortrag des Klägers und dessen vorgelegten Beweismitteln auf. Die Einschätzungen seien auch in sich nicht substantiiert. Der Akteninhalt ergebe nicht, woher die Angaben zu den zahlreichen Aliasidentitäten kämen. Es erschließe sich nicht, warum zwischen den Geschehnissen im Jahr 2006 und dem Vorliegen der Blue Notice fast zehn Jahre vergangen seien. Es lägen keine Beweismittel hinsichtlich des Zeitraums der vermeintlichen Ingewahrsamnahme des Klägers vor, obwohl solche Unterlagen bei den US-Behörden vorhanden sein müssten. Latente Fingerabdrücke seien zudem nicht geeignet, Identitäten zweifellos festzustellen. Ungeachtet dessen wäre ihr Auffinden auch durch die Tätigkeit des Klägers als Taxifahrer, der gelegentlich Materialen transportiert habe, zu erklären. Dem Kläger sei erkennbar und glaubhaft kein sicherheitsgefährdendes Handeln vorzuwerfen - was jedenfalls einer Abstandnahme i.S.d. § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zumindest gleichstehe. Es lägen keinerlei Hinweise für ein wie auch immer geartetes sicherheitsgefährdendes Verhalten nach 2010 vor. Der Kläger habe den Irak verlassen und sei in keiner Weise strafrechtlich in Erscheinung getreten. Demgegenüber bestehe ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG, da der Kläger in ehelicher Lebensgemeinschaft mit seiner deutschen Ehefrau lebe. Die eheliche Lebensgemeinschaft werde derzeit notgedrungen grenzüberschreitend und sporadisch gelebt, da dem Kläger die beabsichtigte legale Einreise ins Bundesgebiet im Visumsverfahren zum Visumsantrag zum Zweck des Ehegattennachzugs abgelehnt worden sei. Jedenfalls mangels entgegenstehenden Ausweisungsinteresses, wenn nicht sogar der Maßstab des § 53 Abs. 3 AufenthG anzulegen sei, könne die zu treffende Abwägung vorliegend nur zugunsten des Klägers ausfallen. Aufgrund ihres präventiven Charakters setze die Ausweisung die Prognose voraus, dass vom Adressaten auch in Zukunft eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit der Bundesrepublik ausgehe. Eine solche Gefahr sei zu keinem Zeitpunkt vom Kläger ausgegangen und werde auch in Zukunft nicht von ihm ausgehen. Die Ausweisungsverfügung des Klägers verletze auch dessen Ehefrau in ihren Grund- und Menschenrechten, da ihr die Fortsetzung der ehelichen Lebensgemeinschaft im Ausland nicht zuzumuten sei. Der Kläger halte sich als Flüchtling in der Türkei auf. Daher könne ihm aus völkerrechtlichen Gründen nicht die Rückkehr in den Irak abverlangt werden, so dass eine Fortsetzung der ehelichen Lebensgemeinschaft im Irak nicht in Betracht komme. Nach den aufenthaltsrechtlichen Regelungen der Türkei sei der Ehegattennachzug zu Flüchtlingen in der Türkei nicht möglich. Die Ehefrau des Klägers erfülle auch nicht die Voraussetzungen anderer langfristiger Aufenthaltserlaubniszwecke für einen langfristigen Aufenthalt in der Türkei oder in einem Drittstaat. Unabhängig davon wäre die Ehefrau des Klägers auch nicht in der Lage, ihren Lebensunterhalt im Irak, in der Türkei oder in einem sonstigen Drittstaat in angemessener Weise zu sichern.
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Die Ehefrau des Klägers nahm am 6. März 2019 Stellung (Bl. 219f. BA). Sie schließe sich vollumfänglich den Ausführungen des Klägerbevollmächtigten in dessen Schriftsatz vom 27. Februar 2019 nebst den vorgelegten Unterlagen an. Sie kenne ihren Ehemann sei vier Jahren, zwei davon seien sie verheiratet. Sie hätten ein sehr intaktes Verhältnis, trotz der ihrem Ehemann vorgeworfenen, nicht bewiesenen Behauptungen. Die in Deutsch verfasste eidesstattliche Versicherung des Klägers sei von ihnen beiden verfasst worden. Es sei ihr gleichermaßen unverständlich, wie zu ihrem Ehemann eine Blue Notice aus dem Jahr 2015 vorliege, die angebliche Vergehen im Jahr 2006 enthalte. Der Aufenthalt von 2008 bis 2010 im … … II könne durch die vorgelegten Unterlagen ebenfalls widerlegt werden. Selbst einem Laien wie ihr falle es auf, dass vorliegend viele Dinge nicht zusammenpassen.
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5. Mit streitgegenständlichem Bescheid (sgB) vom 21. März 2019 hat die Beklagte den Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen (Nr. 1) und das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf acht Jahre befristet, mit Fristbeginn ab Zustellung des Bescheides. Auf die Begründung des Bescheides wird verwiesen. Der Bescheid wurde dem Bevollmächtigten des Klägers am 23. März 2019 zugestellt (Bl. 254ff., 292f. BA).
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6. Mit Eingang am 23. April 2019 (Dienstag nach Ostern) ließ der Kläger durch seinen Bevollmächtigten Klage zum Verwaltungsgericht München erheben und beantragen,
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den Bescheid vom 21. März 2019 aufzuheben.
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In der Klagebegründung vom 28. Mai 2019 wird ergänzend zur Stellungnahme im Verwaltungsverfahren ausgeführt, soweit die Beklagte im sgB (Seite 11) an den Personalien des Klägers zweifle, da nur Kopien der Ausweisdokumente vorgelegt worden seien, sei darauf zu verweisen, dass der Kläger die Vorlage von Originalurkunden zur Einsicht bei der deutschen Botschaft angeboten habe. Dies gelte auch insoweit, als die Beklagte vortrage, dass die Reisepasskopien nicht geeignet seien, die Inhaftierung des Klägers im Camp Remembrance II zu widerlegen (Seite 15 des sgB). Die Verneinung der Beklagten der Glaubwürdigkeit der eidesstattlichen Versicherung des Onkels des Klägers, da nicht zu erwarten sei, dass sich dieser selbst einer Straftat bezichtige, überzeuge schon deshalb nicht, weil der Vorwurf des illegalen Treibstoffhandels nach Aktenlage äußerst vage bleibe und schon im Ansatz nicht erkennbar sei, gegen welche Vorschriften der angebliche Handel mit Treibstoff aus welchen Gründen verstoßen haben soll. Insbesondere führe die Beklagte nicht aus, ob sie irakische Rechtsvorschriften oder andere, und hinsichtlich der irakischen mit welchem Geltungszeitpunkt sie diese heranziehe. Dies sei für die Rechtswidrigkeit oder Strafbarkeit von erheblicher Bedeutung, da das irakische Recht in jüngster Zeit erhebliche Umwälzungen erfahren habe. Bei Zugrundelegung der Einschätzung der Beklagten, es handle sich beim Treibstoffhandel um einen - nicht straffreien, nicht gerechtfertigten, nicht entschuldigten und auch nicht um einen verjährten - Verstoß gegen (straf) rechtliche Vorschriften, erschließe sich im Übrigen nicht, warum sich hieraus eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung der Bundesrepublik Deutschland ergeben sollte. Der Kläger bestreitet eine Mitgliedschaft in der … Die Annahmen der Beklagten, es sei dem Kläger möglich gewesen, als Sunnit den … beizutreten, und der Kläger sei hierzu aus dem Bedürfnis, sich den Koalitionsstreitkräften entgegenzustellen, motiviert gewesen, zeuge von der Unkenntnis oder jedenfalls falschen Einschätzung der tatsächlichen Gegebenheiten im Irak im maßgeblichen Zeitpunkt. Für sunnitische Iraker, die sich an der von Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen gedeckten Selbstverteidigung des Irak gegen den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der Vereinigten Staaten von Amerika und ihrer Verbündeten gegen den Irak beteiligen wollten, kämen zahlreiche Optionen in Betracht, die naheliegender seien als der Versuch, sich einer schiitischen Miliz anzuschließen, die nicht zuletzt auch Angehörige der eigenen Glaubensgemeinschaft drangsaliere. Unabhängig davon erscheine es fraglich, ob aus einer Mitgliedschaft bei den … auf eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung geschlossen werden könne. Die … stehe auf keiner irakischen, europäischen oder internationalen Terrorliste. Die Milizen würden jedoch ungeachtet dieser Vorwürfe von der irakischen Regierung in das staatliche Handeln eingebunden. Die Beklagte trage keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Verstöße der … - bei Unterstellung einer Mitgliedschaft des Klägers in der … - dem Kläger individuell zuzurechnen bzw. vorzuwerfen seien. Der Vortrag der Beklagten, der Kläger hätte sich außerhalb der Provinz al-Anbar den … anschließen können, sei nach Aktenlage reine Spekulation, da keinerlei Anhaltspunkte bestünden, dass sich der Kläger im relevanten Zeitraum außerhalb der Provinz al-Anbar aufgehalten habe. Dass die Beklagte an der eidesstattlichen Versicherung des Klägers moniere, dass er sich zwar zu einer Nichtbeteiligung am Aufbau, jedoch nicht zur Herstellung der Sprengfalle äußere, sei Wortklauberei. Angesichts der rudimentären Deutschkenntnisse des Klägers und seiner nicht zwischen Aufbau und Herstellung einer Sprengfalle differenzierenden Sichtweise sei es abwegig anzunehmen, dass der Kläger eine entsprechende Äußerung zur Beteiligung an der Herstellung einer Sprengfalle „bewusst vermieden“ habe. Soweit die Beklagte dem Kläger vorwerfe, taktisch zu agieren und nur so viel Sachverhalt einzuräumen als nach Aktenlage unwiderlegbar feststehe, sei darauf hinzuweisen, dass der Kläger nur leugnen könne, was ihm auf weitgehend spekulative Weise vorgeworfen werde. Die Beklagte verlange den schier unmöglichen Beweis negativer Tatsachen. Der Kläger könne nur im Ansatz den Beweis führen, als er sich zu dem von der Beklagten vorgetragenen Sachverhalt äußere. Zwar greife die Unschuldsvermutung im Verwaltungsverfahren nicht in derselben Weise wie im Strafverfahren. Eine Verkehrung des Untersuchungsgrundsatzes (Art. 24 BayVwVfG) in sein Gegenteil, wie die Beklagte sie vorliegend für angezeigt halte, sei jedoch unzulässig. Selbstverständlich stehe der Kläger zu etwaigen weitergehenden Nachfragen und ergänzenden Angaben, einschließlich einer Parteieinvernahme im Ausland, zur Verfügung. Die Erkenntnisse des FBI seien nicht hinreichend substantiiert, um eine Ausweisungsverfügung hierauf zu stützen. Vielmehr seien erhebliche Zweifel am Wahrheitsgehalt bzw. an der Glaubhaftigkeit der Erkenntnisse des FBI angebracht, zumal der FBI als Inlandsgeheimdienst seine Erkenntnisse wohl kaum aus erster Hand haben dürfte. Soweit die Beklagte zum Ablauf von zehn Jahren zwischen den Sicherheitserkenntnissen, die der Blue Notice zugrunde lägen, und der Veröffentlichung der Blue Notice auf „zahlreiche denkbare Erklärungsansätze“ verweise (S. 17 des sgB), sei dies unsubstantiiert. Ehegatten deutscher Staatsangehöriger komme der besondere Ausweisungsschutz nach § 53 Abs. 3 AufenthG jedenfalls in verfassungskonformer Auslegung zugute. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG seien nicht erfüllt. Zumindest sei anzunehmen, dass der Kläger von seinem angeblichen sicherheitsgefährdenden Verhalten erkennbar und glaubhaft Abstand genommen habe. Auch liege die - nach Ansicht des Klägers zu Unrecht erfolgte - Inhaftierung des Klägers durch die Streitkräfte der Vereinigten Staaten von Amerika etliche Jahre zurück und spätere weitere Maßnahmen der Streitkräfte oder anderer Stellen der Vereinigten Staaten, ihrer Verbündeten oder der irakischen Behörden gegenüber dem Kläger seien nicht bekannt. Damit liege nicht zuletzt eine Abstandnahme von jeglichem sicherheitsgefährdenden Handeln, dieses unterstellt, vor. Die dem Kläger zugeschriebenen aktenkundigen Aliasidentitäten für sich genommen seien nicht ausreichend, eine generalpräventive Ausweisung zu stützen. Die Aliasidentitäten wiesen nur geringfügige Abweichungen auf und seien bei irakischen Staatsangehörigen wegen der Unzulänglichkeiten des irakischen Personenstandswesens nicht selten der Fall. Die Beklagte verkenne die Tragweite der grundrechtlichen Schutzgewährungen bei ihrer Abwägung. Insbesondere sei die Fortsetzung der ehelichen Lebensgemeinschaft als Fernbeziehung auf Dauer nicht tragfähig; entgegen der Auffassung sei die Fortsetzung der ehelichen Lebensgemeinschaft weder im Herkunfts- noch im Aufenthaltsstaat des Klägers noch in einem Drittstaat möglich, im Übrigen auch weder dem Kläger noch seiner Ehefrau als deutscher Staatsangehöriger zumutbar. Die Befristungsentscheidung sei schon wegen der Rechtswidrigkeit der Ausweisung rechtswidrig. Darüber hinaus würden insoweit nicht die ausgeführten Auswirkungen auf die Fortsetzung der ehelichen Lebensgemeinschaft in hinreichender Weise berücksichtigt. Die zur Begründung der Befristungsentscheidung vorgetragene Anführerposition des Klägers werde von der Beklagten nicht belegt. Eine solche käme dem Kläger nach der Sachverhaltsdarstellung der Beklagten auch nicht zu. Die Beteiligung an dem angeblichen Treibstoffhandel des Onkels, dessen Rechtswidrigkeit nicht weiter erläutert werde, und das Auffinden von latenten Fingerabdrücken an einem Klebeband reichten jedenfalls nicht aus, um einen solchen Vorwurf zu begründen, zumal diese Vorwürfe sich auf einen lange zurückliegenden Zeitpunkt bezögen und der Kläger noch relativ jung war. Dass der Kläger in Deutschland in einer „denkbaren Funktion als Anlaufstelle“ fungieren könnte, sei bloße Spekulation.
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Die Beklagte legte mit Eingang am 16. Mai 2019 die Behördenakte (Bl. 1 - 382) sowie am 25. September 2019 die fortgeführte Behördenakte (Bl. 383 - 431) vor und beantragte
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Klageabweisung.
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Die Beklagte behielt sich eine Klageerwiderung ggf. nach Eingang der Klagebegründung vor.
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Mit Schriftsatz vom 15. Juli 2019 beteiligte sich die Regierung von Oberbayern als Vertreter des öffentlichen Interesses am Verfahren.
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6. Die Beklagte hörte den Kläger vor Erlass zur Anordnung eines befristeten Einreise- und Aufenthaltsverbots unter Hinweis auf die seit 15. August 2019 geltende Rechtslage durch Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht, darunter der Neufassung des § 11 AufenthG, zur beabsichtigten Abänderung der Ziff. 2 des streitgegenständlichen Bescheids, nämlich die Frist gemäß § 11 Abs. 5a S. 1, Abs. 4 S. 5, Abs. 3 AufenthG auf 20 Jahre festzusetzen, an (Bl. 411f. BA).
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Der Klägerbevollmächtigte nahm mit Schriftsatz vom 17. September 2019 Stellung (Bl. 413ff. BA). Da die Ausweisungsverfügung rechtswidrig sei, komme schon deshalb keine Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots in Betracht. Ungeachtet dessen komme eine Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 20 Jahre auf der Grundlage des § 11 Abs. 5a S. 1 AufenthG nicht in Betracht. Jedenfalls ergebe sich eine atypische Sonderkonstellation, die zur Gewährleistung des grund- und menschenrechtlichen Schutzes der Ehe (Art. 6 GG, Art. 8 EMRK) eine Abweichung von dieser Soll-Bestimmung aufgrund der Ehe des Klägers mit einer deutschen Staatsangehörigen, die sich im Bundesgebiet aufhalte, hier arbeite und stets hier ihren Lebensmittelpunkt hatte, gebiete.
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Mit Bescheid vom 24. September 2019 hat die Beklagte den streitgegenständlichen Bescheid vom 21. März 2019 wie folgt geändert: Unter Abänderung der Ziffer 2 des Bescheides der Beklagten vom 21. März 2019 wurde gegen den Kläger ein Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen, welches auf 13 Jahre befristet wurde. Die Frist beginnt am 23. März 2019 (Nr. 1). Der Sofortvollzug der Nr. 1 des Bescheides vom 24. September 2019 wurde angeordnet. Auf die Begründung des Bescheides wird verwiesen. (Bl. 423ff. BA). Der Bescheid wurde dem Bevollmächtigten des Klägers am 26. September 2019 zugestellt.
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7. Im Klageverfahren beantragte der Klägerbevollmächtigte im Wege der Klageerweiterung,
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den Bescheid der Beklagten vom 24. September 2019 aufzuheben.
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Die Klageerweiterung sei sachdienlich, da der Bescheid den sgB in dessen Nr. 2 abändere und in der Sache ebenfalls die Rechtmäßigkeit der Entstehung und Befristung eines mit der Ausweisungsverfügung verbundenen Einreise- und Aufenthaltsverbots betreffe. Da die Ausweisungsverfügung rechtswidrig sei, sei das davon abhängige und damit verbundene Einreise- und Aufenthaltsverbot rechtswidrig. Die nachträgliche Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots erfülle nicht die Anforderung nach § 11 Abs. 2 S. 1 AufenthG - des gemeinsamen Erlasses mit der Ausweisungsverfügung. Die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 13 Jahre sei rechtswidrig und verletze den Kläger in seinen Rechten. Die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots richte sich nach der im Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung geltenden Rechtslage. Jedenfalls ergebe sich eine atypische Sonderkonstellation, die zur Gewährleistung des grund- und menschenrechtlichen Schutzes der Ehe (Art. 6 GG, Art. 8 EMRK) eine Abweichung von dieser Soll-Bestimmung aufgrund der Ehe des Klägers mit einer deutschen Staatsangehörigen, die sich im Bundesgebiet aufhalte, hier arbeite und stets hier ihren Lebensmittelpunkt hatte, gebiete. Dem Kläger sei in der Türkei die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden. Die Führung der ehelichen Lebensgemeinschaft in der Türkei sei der Ehefrau des Klägers nicht zumutbar.
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Im Schriftsatz vom 6. November 2019 teilte der Bevollmächtigte mit, der Kläger habe richtigerweise seine Ehefrau zufällig in einer Straßenwäscherei und nicht über Bekannte kennengelernt. Der alte Reisepass des Klägers werde in der mündlichen Verhandlung im Original vorliegen. Auf Seite 9 dieses Reisepasses sei dem Kläger von der syrischen Botschaft in Bagdad am 12. Februar 2010 ein Visum erteilt worden und auf Seite 11 des Reisepasses sei ein syrischer Einreisestempel - datierend wohl auf den 16. März 2010. Auch diese Daten stützten den klägerischen Vortrag. Vor der mündlichen Verhandlung wurden die Pass-Doppelseiten 8/9 und 10/11 des Passes Nr. G2432875 in Kopie und die deutsche Übersetzung der Seiten 8 bis 11 vorgelegt. Hiernach wurde dem Kläger am 13. März 2010 von der Botschaft der Arabischen Republik Syrien in Bagdad ein Visum mit einer Gültigkeitsdauer von einem Monat für die einmalige Einreise ausgestellt. Ausweislich des Stempels auf Seite 11 der Arabischen Republik Syrien erfolgte die Einreise nach Syrien am 16. März 2010.
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8. Die Beklagte legte die Behördenakte (Bl. 1- 476) elektronisch vor, sowie mit Schriftsatz vom 4. November 2019 die Aktenergänzung Bl. 477 - 508.
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Auf Nachfrage der Beklagten teilte das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration per E-Mail am 30. September 2019 mit, dass das BKA die dort vorliegenden Erkenntnisse dem BayLKA übermittelt habe und dass weitere Erkenntnisse zur Person … … … …, geb. … in … nicht erlangt werden könnten. Aufgrund der damaligen Anfrage des BayLKA sei bereits eine Anfrage an das FBI gerichtet worden. Die Antwort des FBI sei ans BayLKA übermittelt worden. Die damaligen Auskünfte habe das BayLKA in der Erkenntnismitteilung vom 12. November 2018 an die Ausländerbehörde weitergeleitet (Bl. 474 BA).
41
Auf Nachfrage erhielt die Beklagte am 30. September 2019 die Auskunft des BKA vom 4. September 2019 übermittelt, dass die dort vorliegenden Erkenntnisse bereits an das BayLKA und von dort in der Erkenntnismitteilung vom 12. November 2018 an die Beklagte übermittelt worden seien und keine weiteren Erkenntnisse zur Person … … … …, geb. … in … erlangt werden könnten (Bl. 474 BA).
42
Auch nach Eingang der Klagebegründung erfolgte keine Klageerwiderung.
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9. Nach Erörterung der Sach- und Rechtslage beantragte der Klägerbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung,
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den Bescheid der Beklagten vom 21. März 2019 in der Fassung durch den Änderungsbescheid vom 24. September 2019 (Ziffer I) aufzuheben,
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hilfsweise die Beklagte unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu verpflichten, die Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots zu verkürzen.
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Die Beklagte und die Vertretung des öffentlichen Interesses beantragten
47
Klageabweisung.
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Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage hat im Hauptantrag Erfolg.
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1. Die Klage ist als Anfechtungsklage mit hilfsweise erhobener Verpflichtungsklage auf Verkürzung der Sperrfrist zulässig und begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 21. März 2019 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 24. September 2019 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Er war aufzuheben (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
51
Eine auf § 113 Abs. 3 S. 1 VwGO gestützte Entscheidung ergeht nicht. Zwar hätte nach Auffassung des Gerichts eine weitere erhebliche Sachaufklärung durch die Behörde - auch unter ggf. erforderlicher Inanspruchnahme von Amtshilfe - erfolgen können, jedoch ist die Aufhebung des Bescheides aus prozessualen Gründen unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten vorliegend nicht vorzugswürdig und damit nicht sachdienlich. Die Beklagte hat hinlänglich zu Protokoll in der mündlichen Verhandlung auf ihre begrenzten Ermittlungsmöglichkeiten hingewiesen und ausgeführt, sie habe alle ihr möglichen Ermittlungen durchgeführt. Damit hat die Beklagte zu erkennen gegeben, dass sie weiteren Sachaufklärungsbemühungen zurückhaltend gegenübersteht und / oder solchen keinen Erfolg beimisst. Bei dieser Sachlage ist es nicht sachdienlich, dem Kläger als Betroffenen der streitgefangenen Rechtssache eine Sachentscheidung vorzuenthalten und eine auf § 113 Abs. 3 S. 1 VwGO gestützte prozessrechtliche Entscheidung zu treffen.
52
2. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheides ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, U.v. 15.11.2007 -1 C 45/06 - juris Rn.12ff.; BVerwG, U.v. 22.2.2017 - 1 C 3/16 - juris Rn. 18). Zur Anwendung kommt somit das Aufenthaltsgesetz in der ab 21. August 2019 geltenden Fassung, insbesondere das Ausweisungsrecht in der seit 1. Januar 2016 geltenden Neuregelung.
53
2.1. Der Bescheid vom 21. März 2019 in der Fassung vom 24. September 2019 ist formell rechtmäßig ergangen.
54
Die handelnde Ausländerbehörde der Beklagten war für den Erlass des Bescheides nach § 1 Nr. 1 i.V.m. § 6 Abs. 1 Satz 3 analog der Zuständigkeitsverordnung Ausländerrecht i.d.F.v. 27. August 2018 (ZustVAuslR) örtlich zuständig, da der Kläger sich derzeit in der Türkei aufhält, wo er bei der deutschen Botschaft im Visumsverfahren zum Ehegattennachzug den Zuzug zu seiner im Zuständigkeitsbereich der Beklagten wohnhaften Ehefrau beantragt und damit beabsichtigt, im Zuständigkeitsbereich der Beklagten seinen gewöhnlichen Aufenthalt zu nehmen. Mithin ist damit die Ausländerbehörde der Beklagten unter Heranziehung dieses Anknüpfungspunktes örtlich zuständig. Die sachliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 71 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 1 Nr. 1, § 2 ZustVAuslR i.V.m. § 11 Abs. 5c AufenthG.
55
Dem Kläger wurde vor Erlass des Bescheides (in der Ausgangswie auch der Änderungsfassung) Gelegenheit gegeben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern (Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG).
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2.2. Die Ausweisung in Nr. 1 des Bescheides vom 21. März 2019 in der Fassung vom 24. September 2019 ist materiell-rechtlich rechtswidrig.
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2.2.1. Die von der Beklagten auf § 53 Abs. 1, Abs. 2 AufenthG gestützte Ausweisung zieht als besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse § 54 Abs. 1 Nr. 2 Halbsatz 1 AufenthG und als besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG (familiäre Lebensgemeinschaft mit einer deutschen Staatsangehörigen) heran. Die Beklagte stützt die Ausweisung als präventive Maßnahme auf die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit, namentlich Individual- und Gemeinschaftsgüter, und die Gefährdung sonstiger erheblicher Interessen der Bundesrepublik Deutschland, vorliegend die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland. Spezialpräventiv motiviert prognostiziert die Beklagte, dass durch die Anwesenheit des Klägers im Bundesgebiet mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die öffentliche Sicherheit und die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet werde. Generalpräventiv wird die Ausweisung als Gefahrenabwehrmaßnahme auf die zum Kläger mitgeteilten und demnach von ihm verwendeten Aliaspersonalien und der dahinterstehenden Intention bei der Verwendung der Aliaspersonalien gestützt. Die Beklagte geht davon aus, dass für die Verfügung einer Ausweisung das Bestehen einer Anscheinsgefahr neben der sich anschließend zu treffenden Abwägungsentscheidung ausreichend ist. Die Beklagte sieht auf der Grundlage der vorliegenden Erkenntnisse die Annahme gerechtfertigt, dass der Kläger Mitglied einer paramilitärischen irakischen Einheit sei, er Umgang mit Waffen und Sprengstoff gehabt habe, Spezialwissen über den Einsatz von Sprengstoff habe und sein Spezialwissen in der Bundesrepublik selbst nutzen oder anderen Personen zur Verfügung stellen könne, die terroristische Zwecke verfolgen. Der Kläger verschleiere seine wahre Identität. Er könne seine Kontakte und Erfahrungen im Zusammenhang mit Waffenhandel und Schwarzhandel mit Treibstoff für kriminelle Aktivitäten nutzen und weiter ausbauen. Der Kläger sei geeigneter Ansprechpartner und Helfer für Personen aus dem unterschiedlichen extremistischen Spektrum, weil der Kläger als Anführer einer auf Sprengfallen und projektilbildenden Sprengladungen spezialisierten Zelle und als Beteiligter am Waffen- und Schwarzhandel tiefgehende Verbindungen zur organisierten Kriminalität erworben habe. Obschon die Erkenntnisse schon mehrere Jahre zurücklägen, gehe vom Kläger weiterhin eine konkrete Gefahr für die vorgenannten Schutzgüter, hierbei für die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, aus. Aus der Beteiligung des Klägers an der Herstellung mindestens einer Sprengvorrichtung folge, dass Kläger eine radikal ablehnende Einstellung gegenüber den USA und deren Verbündeten eingenommen habe und bereit gewesen sei, extreme Gewalt einzusetzen und hierbei auch die Verletzung und Tötung von Unbeteiligten in Kauf genommen habe. Wegen der vielfältigen politischen, militärischen und wirtschaftlichen Bindungen zwischen den USA und der Bundesrepublik Deutschland sei davon auszugehen, dass auch Deutschland als Verbündeter der USA und damit als Feind angesehen werde. Damit drohe die Gefahr, dass der Kläger in Deutschland versuche, seine politischen und religiösen Ziele mit Gewalt durchzusetzen oder andere hierbei zu unterstützen.
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2.2.2. Nach der Grundsatznorm des § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausweisung mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausweisung überwiegt.
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Wenn ein Ausweisungsinteresse nach § 54 AufenthG gegeben ist, ist die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nach dem Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG regelmäßig indiziert. Die Aufzählung der Ausweisungsinteressen in § 54 AufenthG konkretisiert den Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG (BVerwG, U.v. 22.2.2017 - 1 C 3/16 - juris Rn. 24). Bei Nichtvorliegen eines Ausweisungsinteresses nach § 54 AufenthG ist das Vorliegen eines Ausweisungsinteresses nach § 53 Abs. 1 AufenthG jedoch nicht ausgeschlossen (Hailbronner, Ausländerrecht, Kom. Stand 4/2019, Bd. 2, § 53 Rn. 23f.). Die in § 54 AufenthG fixierten Tatbestände erfüllen zwei Funktionen: Sie sind gesetzliche Umschreibungen spezieller öffentlicher Interessen an einer Ausweisung im Sinne von § 53 Abs. 1 Halbsatz 1 AufenthG und weisen diesen Ausweisungsinteressen zugleich ein besonderes Gewicht für die durch § 53 Abs. 1 Halbsatz 2 und Abs. 3 AufenthG geforderte Abwägung zu. Da ein Rückgriff auf die allgemeine Formulierung eines öffentlichen Ausweisungsinteresses nach § 53 Abs. 1 Halbsatz 1 AufenthG entbehrlich ist, bedarf es auch bei der Verwirklichung eines Tatbestandes nach § 54 AufenthG stets der Feststellung, dass die vom Ausländer ausgehende Gefahr im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt fortbesteht (BVerwG, U.v. 22.2.2017 - 1 C 3/16 - juris Rn. 26).
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Die Tatbestandsmerkmale der „öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ im ausweisungsrechtlichen Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG sind nach der Begründung des Gesetzgebers im Sinn des Polizei- und Ordnungsrechts zu verstehen (vgl. auch BT-Drs. 18/4097 S. 49; BVerwG, U.v. 22.2.2017 - 1 C 3/16 - juris Rn. 23). Auch die Gefährdung dieser Schutzgüter bemisst sich nach den im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht entwickelten Grundsätzen. Erforderlich ist die Prognose, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die (weitere) Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet ein Schaden an einem der aufgeführten Schutzgüter eintreten werde. Mit Blick auf die verwendeten Begriffe sollte keine Ausweitung des Gefahrenbegriffs gegenüber dem bislang geltenden Recht erfolgen, vielmehr sollten lediglich die bislang verwandten unterschiedlichen Formulierungen aneinander angeglichen werden (BVerwG, U.v. 22.2.2017 - 1 C 3/16 - juris Rn. 23).
61
Der Begriff der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit umfasst hochrangige Individualrechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Vermögen, ebenso wie den Bestand und das Funktionieren des Staates und seiner Einrichtungen (vgl. Bauer/Dollinger in Bergmann/Dienelt, AuslR, 12.A. 2018, § 53 Rn. 19). Der Begriff der Gefährdung der inneren Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland als sonstiges erhebliches Interesse der Bundesrepublik ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts enger zu verstehen als der Begriff der öffentlichen Sicherheit des allgemeinem Polizeirechts. Sie umfasst die innere und äußere Sicherheit (vgl. Legaldefinition in § 92 Abs. 3 Nr. 2 StGB) und schützt nach innen den Bestand und die Funktionstüchtigkeit des Staates und seiner Einrichtungen (BVerwG, U.v. 15.3.2005 - 1 C 26/03 - juris Rn. 17).
62
Das Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG stellt sich als „Grundtatbestand (Halbsatz 1) und als in Halbsatz 2 angeführte Untertatbestände („hiervon ist auszugehen, wenn…“) dar. Der Grundtatbestand kann unabhängig von den Untertatbeständen in Halbsatz 2 erfüllt werden (Tanneberger in BeckOK, Ausländerrecht, Stand: 1.8.2019, § 54 Rn. 14f.).
63
In der Bundesverwaltungsgerichtsentscheidung vom 22. Februar 2017, die explizit zum nunmehr als Untertatbestand erfassten („hiervon ist auszugehen, wenn…“) Unterstützen einer terroristischen Vereinigung nach dem neu gefassten § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG erging, wird ausgeführt, dass durch diese funktionale Verknüpfung in der Erfüllung des Untertatbestandes (dieses nach dem bisher eigenständigen Tatbestandes des § 54 Nr. 5 AufenthG a.F.) eine Gefährdung der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland vorliegt und dadurch der Begriff der Gefährdung der freiheitlich demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik eine Erweiterung erfahren hat. Denn der Gesetzgeber hat mit § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nunmehr kraft Gesetzes definiert, wann von einer Gefährdung der freiheitlich demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik auszugehen ist, nämlich (jedenfalls) dann, wenn eine der dort genannten Tatbestandsalternativen erfüllt ist. Die Auslegung des Begriffs der Gefährdung der freiheitlich demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik richtet sich daher (auch) nach diesen Tatbestandsalternativen, nicht umgekehrt. Anderes lässt sich hinsichtlich des Gefahrenmaßstabs auch nicht der Regelung des § 53 Abs. 1 AufenthG entnehmen. Denn anders als bei den übrigen Ausweisungsinteressen hat der Gesetzgeber in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG das Erfordernis einer Gefahr (nochmals) ausdrücklich aufgeführt, was unter systematischen Gesichtspunkten für eine gewisse Eigenständigkeit des Gefahrentatbestands gegenüber § 53 Abs. 1 AufenthG fruchtbar gemacht werden kann (BVerwG, U.v. 22.2.2017 - 1 C 3/16 - juris Rn. 34). Es gilt damit nunmehr, dass das Gesetz bereits die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Bundesgebiet als eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ansieht, unabhängig davon, ob die terroristische Vereinigung Gewaltakte auch auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland oder gegen deutsche Einrichtungen im Ausland begeht. Weiterhin gilt jedenfalls für die Fälle des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung ein abgesenkter Gefahrenmaßstab, der auch Vorfeldmaßnahmen erfasst und keine von der Person des Unterstützers ausgehende konkrete und gegenwärtige Gefahr erfordert. Der Tatbestand des Unterstützens des Terrorismus durch eine Vereinigung setzt allerdings voraus, dass die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung (auch) auf die Unterstützung des Terrorismus gerichtet sind. Für den im Gesetz verwandten Begriff des Terrorismus sind Versuche, auf völkerrechtlicher Ebene eine allgemein anerkannte vertragliche Definition zu entwickeln, nicht in vollem Umfang erfolgreich gewesen. Jedoch können wesentliche Kriterien aus der Definition terroristischer Straftaten in Art. 2 Abs. 1 Buchst. b des internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus vom 9. Dezember 1999 (BGBl. 2003 II S. 1923), aus der Definition terroristischer Straftaten auf der Ebene der europäischen Gemeinschaft im Beschluss des Rates Nr. 2 1002/475/JI vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung (Abl. L 164 S. 3) sowie dem gemeinsamen Standpunkt des Rates 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus vom 27. Dezember 2001 (Abl. L 344 S. 93) gewonnen werden (BVerwG, U.v. 22.2.2017 - 1 C 3/16 - juris Rn. 30 unter Verweis auf BVerwG, U.v. 15.3.2005 - 1 C 26/03 - juris). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist die Aufnahme einer Organisation in die vom Rat der Europäischen Union angenommene Liste terroristischer Organisationen im Anhang zum gemeinsamen Standpunkt 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus ein deutlicher Anhaltspunkt dafür dass die Organisation terroristischer Art ist oder im Verdacht steht, eine solche zu sein (BVerwG, U.v. 22.2.2017 - 1 C 3/16 - juris Rn. 30 mit Verweis auf EuGH, U.v. 24.6.2015 - C-373/13). Dabei ist trotz einer gewissen definitorischen Unschärfe des Terrorismusbegriffs anerkannt, dass als terroristisch jedenfalls der Einsatz gemeingefährlicher Waffen und Angriffe auf das Leben Unbeteiligter zur Durchsetzung politischer Ziele anzusehen ist (BVerwG, U.v. 22.2.2017 - 1 C 3/16 - juris Rn. 30 m.w.d. Rspr.).
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Das Schutzgut der inneren Sicherheit muss „gefährdet“ sein. Der Ausweisungsgrund bezieht sich auf alle Gefahren für die Sicherheit des Staates, die sich aus der Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet ergeben. Daraus folgt, dass der Ausländer persönlich eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellen muss (BVerwG, U.v. 31.5.1994 - 1 C 5/93 - juris Rn. 23; ebenso Tanneberger in BeckOK, Ausländerrecht, Stand 1.8.2019, § 54 Rn. 18 ff. mit Beispielen aus dem Bereich Hoch- und Landesverrat, Spionage zu Lasten der Bundesrepublik, Straftaten nach §§ 80 ff. StGB; BVerwG, U.v. 22.2.2017 - 1 C 3/16 - juris Rn. 35, 33 unter dem Aspekt der Vorfeldunterstützung des Terrorismus, der individuellen Zurechnung eines Unterstützerverhaltens und dem „erkennbaren Abstandnehmen“ / Distanzieren als Endpunkt der Zurechnung eines in der Vergangenheit liegenden Unterstützerverhaltens).
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Wenngleich die Gefahr des Schadens, also der Schadenseintrittswahrscheinlichkeit, umso geringer sein darf, je höher der mögliche Schaden ist, genügen reine Vermutungen als Grundlage der Gefahrenprognose nicht (vgl. BVerwG, U.v. 11.11.1980 - 1 C 46.74 - juris Rn. 13 zur „Gefährdung der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland“ unter Verweis auf BVerwG, U.v. 1.7.1975 - 1 C 35.70 - BVerwGE 49, 36 (42ff.) - juris Rn. 32: Bericht des Bundeskriminalamts als Tatsachenbasis der dortigen Anscheinsgefahr). Vielmehr muss eine auf Tatsachen gestützte, nicht bloß entfernte Möglichkeit eines Schadenseintritts bestehen. Diese Anforderungen erfüllt auch eine Anscheinsgefahr (BVerwG, U.v. 1.7.1975 - 1 C 35.70 - BVerwGE 49, 36 (42ff.) - juris Rn. 32).
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2.2.3. Das Gericht sieht es nach den ihm vorliegenden Informationen als nicht hinreichend durch Tatsachen belegt an, dass der Kläger die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet (§ 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) oder eine konkrete Gefahr für hochrangige Individualrechtsgüter darstellt.
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Es ist nicht hinreichend durch Tatsachen belegt, dass der Kläger Mitglied der schiitischen Miliz … … (oder einer Untergruppierung oder einer der anders oder umbenannten Fortführungsorganisationen der … …) ist oder war und / oder diese aktuell unterstützt oder unterstützt hat und / oder der Kläger in terroristischer und / oder anderweitig die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdenden Weise auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland agieren und hochrangige Individualrechtsgüter gefährden will.
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2.2.3.1. Die dem Gericht vorliegenden Informationen weisen folgenden Tatsachengehalt auf:
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Die Blue Notice vom 7. Oktober 2015 von Interpol Washington betreffend “… … … … … (im Folgenden „…l“) mit einer Vielzahl von aufgeführten Aliasnamen führt auch gerollte Fingerabdrücke aller zehn Finger und zwei Lichtbilder auf. Es handelt sich nicht um eine Red Notice, d.h. Interpol Washington hat die Person “… … … … …“ nicht zur Festnahme ausgeschrieben (vgl. www.wikipedia.org/ Interpol Notice und Notice types), sondern um Zusammenarbeit ersucht, da die gesuchte Person im Zusammenhang mit kriminalpolizeilichen Ermittlungen von Interesse sei, weswegen diese Person lokalisiert oder identifiziert werden soll bzw. Interpol Washington zu ihr Informationen erhalten will. In der Blue Notice und hierzu in Ergänzung wird vom FBI am 1. November 2018 mitgeteilt, dass im Jahr 2006 der amerikanische Kampfmittelräumdienst eine „Improvised Explosive Device (IED; Sprengfalle)“ in der irakischen Provinz al-Anbar erbeutete. Auf dieser IED wurden - zu einem späteren, ungenannten Zeitpunkt - von der Tedac zwei latente Fingerabdrücke gefunden und abgenommen, die im durchgeführten biometrischen Abgleich zu den bei den US-Behörden gespeicherten Fingerabdrücken des „…“ passten. Die zwei latenten Fingerabdrücke wurden an der klebenden und nicht klebenden Seite von durchsichtigem Verpackungsband einer unkonventionellen Sprengvorrichtung gesichert. Die bei den US-Behörden gespeicherten Fingerabdrücke des „…“ wurden in der Blue Notice den deutschen Behörden übermittelt und anschließend im AZR und im SIS gespeichert, bei begleitender SIS-Ausschreibung vom 23. Juni 2016 bis 22. Juni 2019. Die beim Kläger bei dessen Visumsantrag abgenommenen Fingerabdrücke, die mit den im AZR und im SIS gespeicherten Daten abgeglichen wurden, passten zu den in der Blue Notice übermittelten Fingerabdrücken des „…“. Unstreitig ist, dass die in der Blue Notice übermittelten Fingerabdrücke des „…“ mit denen bei der Visumsantragstellung beim Kläger abgenommenen und gespeicherten Fingerabdrücken übereinstimmen.
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Nach Auffassung des Gerichts bestehen keine durchgreifenden Zweifel daran, dass die auf der IED gesicherten zwei latenten Fingerabdrücke mit den bei den US-Behörden gespeicherten und in der Blue Notice den deutschen Behörden übermittelten Fingerabdrücken des „…“ identisch sind. Der seitens der Klagepartei vorgebrachte Zweifel, gestützt auf den Artikel von … … in Telepolis vom 19. Oktober 2017 zu einem Bericht, der von der AAAS in Auftrag gegeben worden sein soll, greift nicht durch. Nach den Ausführungen in diesem Artikel wird die Fingerabdruck-„Vergleichssicherheit“ kritisch gesehen, wenn der Fingerabdruck in einem automatisierten Fingerabdruck-Identifizierungs-System erfasst und verglichen wird [man denke etwa an elektronische Zugangs-Sicherungssysteme mit „Touch“-Fingerabdruck-Identifizierung]; hingegen seien Fingerabdruckvergleiche von gerollten oder gedrückten Fingerabdrücken - auch nach den Ausführungen in diesem Artikel - sehr genau. Zu sehen ist, dass die auf dem Klebeband beidseitig vorhandenen Fingerabdrücke dort „aufgedrückt“ waren, vom Personal der Tedac gesichert und anschließend mit den gespeicherten, gerollten Fingerabdrücken des „…“ verglichen wurden. Darüber hinaus hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung überzeugend auf die in Fachkreisen anerkennte Expertise der Tedac im Hinblick auf die fachkundige Sicherung und Auswertung von Fingerabdrücken hingewiesen.
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Hiernach geht das Gericht davon aus, dass die zwei Fingerabdrücke auf der im Irak im Jahr 2006 vom US-Kampfmittelräumdienst eingesammelten IED, die einen „selbstgebastelten“, nämlich einen mit diesem Klebeband angeklebten, aus einem Mobiltelefon bestehenden Zündungsmechanismus hatte, der offensichtlich nicht funktionierte, vom Kläger stammen.
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Unstreitig ist auch, dass die beiden Lichtbilder, die die US-Behörden zum Namen „…“ gespeichert haben, den Kläger abbilden. Insoweit gibt der Kläger an, dass die Lichtbilder in den Jahren 2005 und 2007 aufgenommen wurden, u.a. das eine erinnerlich in der … … … im Irak.
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Den in der FBI-Auskunft vom 1. November 2018 enthaltenen Mitteilungen, wonach „…“ als Taxifahrer und Bauarbeiter tätig gewesen sein soll und Berichte vorlägen, in denen „…“ als Beteiligter am Waffenhandel für die Aufständischen in Hit, Provinz al-Anbar/Irak und als Beteiligter mit Onkel … … … am Schwarzhandel mit Treibstoff genannt sei, fehlt ohne Angabe der Erkenntnisquelle und Prüfbarkeit der Glaubhaftigkeit der Erkenntnisquelle die erforderliche nachvollziehbare Tatsachenbasierung. Insoweit ist auch zu sehen, dass es schon keine zeitliche Einordnung hierzu gibt und die Lage im Irak mit Beginn des USamerikanisch geführten Angriffskriegs und Einmarschs der US-Truppen zusammen mit dem alleinigen Verbündeten Großbritannien in den Irak im März 2003 und in der nach der irakischen Kapitulation bis 2011 andauernden Besetzung des irakischen Territoriums durch die USA und Großbritannien zum einen vom Widerstand und Gewalt gegen die Besatzungsmacht und auch dem Kampf gegen die 2003 unter dem Namen Al-Qaida im Irak gegründete und dann ab 2014 unter dem Namen Islamischer Staat im Irak und Großsyrien (ISIS, kurz IS) operierende extremistische Terrororganisation geprägt war. In dieser Zeit entstanden verschiedene kämpfende Milizengruppierungen, hierunter die im Juni 2003 vom schiitischen Religionsführer und Politiker Moqtada al-Sadr gegründete und aufgebaute schiitische Miliz Jaish al-Mahdi (benannt u.a. als Mahdi-Armee, JAM; vgl. zum Werdegang der Jaish al-Mahdi samt ihrer unterschiedlichen Namensgebung im Laufe der Zeit bis heute und ihrer Eingliederung in die irakischen Streitkräfte: www.e...net/Dokument # 1407552 Accord, Anfragebeantwortung zum Irak vom 28.7.2017: Aktivitäten der Jaish al-Mahdi; Spiegel-Online v. 3.7.2019, Schiitische Milizen im Irak, Teherans trojanisches Pferd von Ch. Sydow; www.s...edu, Mahdi Army vom 26.11.2017, Bl. 125ff BA; Bay Landesamt für Verfassungsschutz v. 4.1.2019, Bl. 118 BA; BND vom 10.1.2019, Bl. 119 ff. BA).
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Aus den diversen Quellen ergibt sich in der Zusammenschau etwa folgendes Bild: Die Jaish al-Mahdi hat in der Periode von ca. 2004 bis 2007 gezielt die sunnitische Bevölkerung bedroht, verfolgt etc.; im Jahr 2008, im Zuge des seinerzeitigen Machtverlusts Sadrs kam es zum einen zu einer Zersplitterung der Jaish al-Mahdi wie auch zum Verlust der hierarchischen Führungsmacht Sadrs. Im Jahr 2008 erfolgte die offizielle Auflösung der Jaish al Mahdi und sogleich erfolgte eine „Umstrukturierung“ der Jaish al-Mahdi in eine social service-Versorgung (dann Mumahidoon benannt), aber die Splittergruppen blieben militant und gehorchten nicht Sadrs Führungsanspruch und Umstrukturierung; trotz Sadrs Bekundung seiner Abkehr von der Militanz im Zuge seiner politischen Ambitionen hat sich Sadr selbst trotz allem eine militante Elite-Einheit wiederaufgebaut (bzw. behalten) mit dem neuen Namen Promised Day Brigades (abgekürzt PDB; Brigade des Tags der Auferstehung, arab. Liwa al-Yaum al-Mau’du), die nicht die irakische Bevölkerung und auch nicht die irakische Armee attackierten, sondern die USArmy. Die Promised Day Brigades gründeten in 2014 die „Friedenskompanie“ - „Saraya asSalam“ als zusätzliche Miliz für die Volksmobilisierungseinheiten (abgekürzt PMU; arab. Al-Haschd Al-Scha’abi, einem vom irakischen Staat geförderten Dachverband mehrheitlich schiitischer Milizen). Stärkste Teilgruppierungen der Volksmobilisierungskräfte sind die Badr-Organistation, die Kata’ib Hizbullah, die Asa’ib al-Haqq und Saraya as-Salam. Die PMU besiegte den IS. Die PMU ist im Sommer 2019 der irakischen Armee angegliedert worden.
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Insgesamt vermag das Gericht keine hinreichende Tatsachengrundlage für die Annahme zu erkennen, dass der Kläger ein Unterstützer oder Mitglied der Jaish al-Mahdi (incl. der JAMSG) gewesen sein soll. Die deutschen Behörden haben keine Erkenntnisse zum Kläger. Die US-Behörden haben als (einzige) nachvollziehbare Erkenntnis die beiden Fingerabdrücke auf der 2006 erbeuteten IED. Dies rechtfertigt unter Berücksichtigung aller Umstände jedoch nicht den hinreichend sicheren Schluss, dass der Kläger der Jaish al-Mahdi (incl. der JAMSG) angehörte oder diese unterstützte. Der BND bewertet in seiner Erklärung vom 20. März 2019 zur eidesstattlichen Versicherung des Klägers vom 22. Februar 2019 dessen Angabe, dass der Kläger als Sunnit sich nicht (freiwillig oder zwangsrekrutiert) der schiitischen Miliz Jaish al-Mahdi anschließen würde bzw. angeschlossen hat, als glaubwürdig. Hierbei ist auch zu sehen, dass es für einen irakischen Sunniten auch keinen Grund gab, sich einer schiitischen Miliz anzuschließen, zumal zeitabschnittsweise schiitische Milizen auch die sunnitische irakische Bevölkerung mindestens drangsalierten und eine Kluft zwischen den Glaubensrichtungen herrscht (vgl. www.w...de/politik/ausland, 20.6.2014, Warum Sunniten und Schiiten sich so hassen). Der BND weist in seiner Erklärung vom 20. März 2019 zur eidesstattlichen Versicherung des Klägers vom 22. Februar 2019 in der Fußnote 1 darauf hin und führt weiter aus, dass gerade in der Provinz al-Anbar die zahlreichen Operationen der USgeführten Streitkräfte und die damit verbundenen Gefahren, Einschränkungen und zahlreichen Opfer unter der Zivilbevölkerung bei der dortigen deutlich sunnitischen Bevölkerungsstruktur den Nährboden für den nationalen sunnitischen Widerstand in Irak schuf und den Zulauf zu den Widerstandsgruppen und für die Terrororganisation Al-Qaida nährte. In der Provinz al-Anbar wurden 2006 mehrere sunnitische Stämme unter Führung des Scheichs Abu Risha zu der Organisation der Sahawat (auch Sons of Iraq) vereint, um den Kampf gegen Terroristen und Aufständische zu führen. Das FBI selbst hat nur einen Verdacht der Mitgliedschaft des Klägers in den JAMSG (SG für Special Groups) mitgeteilt, ohne jedoch zu benennen, worauf sich der Verdacht der Mitgliedschaft gründet und zu welchem Zeitpunkt der Verdacht „festgestellt“ wurde, was angesichts des Werdegangs der Jaish al-Mahdi, insbesondere der „Eingliederung“ in die nationalen irakischen Kampfverbände von zusätzlicher Bedeutung wäre im Hinblick auf die völkerstrafrechtliche Einordnung der Ausübung von Kampfhandlungen irakischer Milizen auf irakischem Territorium gegenüber einer Besatzungsmacht, vorliegend den US-Truppen von 2003 bis 2011 im Irak (vgl. BVerwG, U.v. 24.11.2009 - 10 C 24/08 - juris). Hierbei ist auch zu sehen, dass das FBI den Kläger auch nicht zur Festnahme ausgeschrieben hat, sondern zur Informationsgewinnung bei einer kriminalpolizeilichen Ermittlung.
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Die Jaish al-Mahdi (oder eine Untergliederung oder Nachfolgeorganisation) ist auch nicht in der vom Rat der Europäischen Union angenommenen Liste terroristischer Organisationen im Anhang zum gemeinsamen Standpunkt 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus gelistet (vgl. aktueller Beschluss (GASP) 2019/1341 vom 8.8.2019, ABl. L 209 v. 9.8.2019 s. 15 mit der Liste im Anhang). Die deutschen Behörden haben auch keine Erkenntnisse mitgeteilt, dass die schiitische Miliz Jaish al-Mahdi (oder eine Untergliederung oder Nachfolgeorganistation) im Bundesgebiet operieren würde. Der Beklagten ist auch nicht in ihrer Vermutung zu folgen, dass der Kläger als vom FBI vermutetes Mitglied der Jaish al-Mahdi im Bundesgebiet die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährden könnte, weil die USA und die Bundesrepublik Deutschland - neben weiteren 27 Staaten - Mitglied der NATO, einem politisch-militärischen Staatenbündnis, seien. Hierbei ist zu sehen, dass die Bundesrepublik Deutschland sich nicht der USamerikanischen Militäroperation in 2003 angeschlossen hat und niemals als Besatzungsmacht im Irak auftrat. Auch die NATO war als Staatenbündnis nicht an der USamerikanisch geführten Militäroperation im Irak in 2003 bis 2011 beteiligt. Vielmehr hat sich die Bundesrepublik Deutschland auch offen gegen die US-Invasion im Irak ausgesprochen.
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Die in der FBI-Auskunft vom 1. November 2018 enthaltene Mitteilung, wonach „…“ am 18. September 2008 bei einer Razzia in Bagdad durch Koalitionsstreitkräfte festgenommen wurde und „…“ verdächtigt wurde, JAMSG-Mitglied zu sein, das eine Zelle für USBV und projektilbildende Ladung anführe und über Anti-Koalitionsstreitkräfte-Propaganda verfüge, sowie „…“ vom 18. September 2008 bis 12. Juni 2010 in Camp Remembrance II inhaftiert gewesen sei und am 12. Juni 2010 dem Staat Irak übergeben worden sei, findet keine tatsachenbasierte Grundlage dahingehend, dass diese Angaben dem Kläger zugeschrieben werden können. Demgegenüber hat der Kläger angeben, dass er tatsächlich im Irak im Sommer 2006 ein bis zwei Tage und anschließend von Mitte 2007 bis Anfang 2008, davon 5 Monate im Camp … bei B.… inhaftiert war, eine Häftlingsnummer als Identifikation in der Haftzeit hatte und ihm im Zuge dieser Internierungen durch die US-Streitkräfte auch seine Fingerabdrücke abgenommen und von ihm die beiden Lichtbilder gefertigt wurden. Der BND bewertet in seiner Erklärung vom 20. März 2019 zur eidesstattlichen Versicherung des Klägers vom 22. Februar 2019 dessen Angabe, im Camp …, in dem zumeist sunnitische Iraker interniert wurden, als Verdächtiger interniert gewesen zu sein, als glaubhaft und führt insoweit auch aus, dass in den Jahren 2005 bis 2007 durch Soldaten der Multinationalen Streitkräfte Irak Verhaftungen von Verdächtigten erfolgten zur Eindämmung von Aufstandsbewegungen und Vermeidung von Angriffen und Anschlägen. Der Kläger seinerseits hat in der mündlichen Verhandlung durch Kopien mit beglaubigten Übersetzungen von Seiten seines abgelaufenen Reisepasses, den der Klägerbevollmächtigten zur Einsichtnahme durch die Beklagte in der mündlichen Verhandlung bereitgehaltenen hatte, widerspruchsfrei zu seinen bisherigen Angaben dargelegt, dass er am 11. April 2009 aus dem Irak ausreiste und am 9. März 2010 wieder in den Irak einreiste, am 13. März 2010 bei der syrischen Botschaft in Bagdad ein in seinem Reisepass eingestempeltes Visum für Syrien erhielt und ausweislich des Stempels im Pass am 16. März 2010 in Syrien einreiste. Diese Belege des Klägers entkräften die nicht von den US-Behörden belegte Mitteilung, wonach der Kläger im Zeitraum vom 18. September 2008 bis 12. Juni 2010 im Camp R.… … inhaftiert gewesen sei.
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2.2.3.2. Es ist im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt, ausgenommen der Fingerabdrücke des Klägers auf der im Jahr 2006 von den US-Streitkräften in der Provinz al-Anbar / Irak erbeuteten IED, keine hinreichende Tatsachengrundlage gegeben, woran die Ausweisung maßgeblich im Hinblick auf § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG anknüpft, vielmehr bestehen insoweit nur Annahmen und Verdachtsmomente und es fehlt jede weitere Sachaufklärung durch die Beklagte unter Einbeziehung der Angaben des Klägers insbesondere bei den US-Sicherheitsbehörden.
79
Allein die Fingerabdrücke des Klägers auf der im Jahr 2006 von den US-Streitkräften in der Provinz al-Anbar / Irak erbeuteten IED sind nach Auffassung des Gerichts tatsachenbelegt. Allein hierauf und unter Einbeziehung der Ausführungen unter 2.2.3. gründet sich kein Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Weiter ist zu sehen, dass der Zeitraum von 13 Jahren zwischen diesem einzigen belegten, im Irak stattgefundenen Ereignis und heute in Bezug auf eine Gefährdung der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland jedenfalls den im Wortlaut des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG in Halbsatz 2 „..es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand“ enthaltenen Rechtsgedanken einer erkennbaren und glaubhaften Abkehr von früherem Handeln ausfüllt, erst Recht, wenn diesem damaligen Handeln nach Ort, Zeit und Umständen kein Sicherheitsgefährdungszusammenhang für die Bundesrepublik Deutschland zugeordnet werden kann. Insoweit finden sich auch für das Erfordernis, dass im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt vom Ausländer, der ausgewiesen werden soll, eine konkrete Gefahr ausgehen muss für das Ausweisungsinteresse, auf das abgehoben wird, keine tatsächlichen Anhaltspunkte.
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2.2.4. Das Gericht sieht es nach den ihm vorliegenden Informationen als nicht hinreichend durch Tatsachen belegt an, dass der Kläger Aliaspersonalien verwendete oder die Intension hat, seine Identitätsfeststellung durch die deutschen Behörden zu erschweren oder falsche Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels bei der Visumsantragstellung bei der deutschen Botschaft in Ankara gemacht hätte (vgl. § 54 Abs. 2 Nr. 8 lit. a) AufenthG) und dadurch ein Ausweisungsinteresse erfüllt, das die Beklagte zu einer generalpräventiv motivierten, d.h. auf die Abschreckung Dritter vor ähnlichem Handeln abzielende Ausweisung des Klägers heranziehen kann.
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Festzuhalten ist, dass die im AZR und SIS gespeicherten verschiedenen 46 Personendatensätze zu der Person „…“ nach Aktenlage einzig und allein von den US-Behörden zu deren Blue Notice zu den - identischen Fingerabdrücken des „…“ mit denen des Klägers - „mitgeliefert“ wurden; keine dieser Personaldatensätze ist von einer deutschen Behörde originär erhoben worden.
82
Das FBI hat weder in der Blue Notice noch in der Mitteilung vom 1. November 2018 ausgeführt, wie die US-Behörden zur Erst-Erfassung und Speicherung der Personalie des „… und aller zu diesem Namen gespeicherten Daten gelangten und ob ggf. die US-Behörden bei der Erfassung und Speicherung eigengeneriert eine systematische Diversifikation als maximale Suchfunktion integrieren. Es ist nicht belegt, dass der Kläger sich dieser Namen und der hierzu gespeicherten Daten bediente. Vielmehr hat der Kläger in Bezug auf den Rechtsverkehr mit Behörden der Bundesrepublik Deutschland ausschließlich den in seinem gültigen Reisepass angegebenen Namen und die dort angegebenen personenbezogenen Daten (Geburtsort, Geburtstag) verwendet. Der deutschen Botschaft in Ankara zufolge hat sich der Kläger im Visumsverfahren zweifellos mit echten Dokumenten und einem echten Nationalpass ausgewiesen.
83
Nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand stellt es sich als reine Spekulation der Beklagten dar, dass der Kläger mit den angegebenen Personalien den deutschen Behörden seine „Vergangenheit“ und seine „Identität“ verschleiern wollte.
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Da das von der Beklagten herangezogene Ausweisungsinteresse nicht hinreichend tatsachenbasiert ist, kann offen bleiben, ob ein solcher Sachverhalt überhaupt geeignet ist, hierauf eine generalpräventive Ausweisung zu stützen, zumal generalpräventiven Ausweisungen regelhaft inländische rechtskräftige Strafurteile als Anknüpfungspunkt zugrunde liegen (zur generalpräventiven Ausweisung: Tanneberger in BeckOK, Ausländerrecht, Stand 1.8.2019, § 53 Rn. 27 ff.).
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2.3. Da die Ausweisung in Nr. 1 des Bescheides vom 21. März 2019 in der Fassung vom 24. September 2019 materiell-rechtlich rechtswidrig ist, war der Klage unter Aufhebung des in Nr. 2 angeordneten Einreise- und Aufenthaltsverbots mit einer Sperrfristdauer von 13 Jahren mit Fristbeginn ab 23. März 2019 im Hauptantrag stattzugeben. Infolge der Aufhebung der Ausweisung war die dadurch hinfällige Anordnung des Sofortvollzugs bezüglich des Einreise- und Aufenthaltsverbots in Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheids ebenfalls aufzuheben.
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3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.