Inhalt

OLG München, Beschluss v. 17.12.2019 – 30 U 4455/18
Titel:

Behauptung der Anordnung des Einbaus von Abschaltvorrichtungen in Dieselmotoren bei Audi

Normenketten:
AEUV Art. 267
BGB § 31, § 826, § 831
Leitsätze:
1. Die Behauptung, VW habe konzernübergreifend den Einbau von Abschaltvorrichtung in Dieselmotoren auch bei Audi angeordnet, ist eine Behauptung ins Blaue hinein. Sie kann nicht auf die Wikipedia-Seite zu „VW EA 897“ gestützt werden, deren Autorenschaft nicht auf VW zurückgeht. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ebenso ins Blaue hinein ist die Behauptung, VW habe die Audi AG angewiesen oder zumindest aufgefordert, bei der Programmierung der Software des von dieser hergestellten Motors die behaupteten Manipulationen durchzuführen. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Abgasskandal, Abschaltvorrichtung, Dieselmotoren, Anweisung, Behauptung ins Blaue hinein, Audi, VW EA 897, Abgaswerte
Vorinstanz:
LG Augsburg, Urteil vom 31.10.2018 – 093 O 1092/18
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe vom -- – VI ZR 137/20
Fundstelle:
BeckRS 2019, 41979

Tenor

1. Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 31.10.2018, Aktenzeichen 093 O 1092/18, wird zurückgewiesen.
2. Die Klagepartei hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Augsburg und dieser Beschluss sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 72.054,29 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Parteien streiten um Ansprüche nach dem Kauf eines Audi A6 Avant 3.0 TDI.
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Der Kläger erwarb am 12.03.2015 bei einem Autohaus in L. den streitgegenständlichen gebrauchten Audi A6 Avant 3.0 TDI, Erstzulassung 18.11.2014, mit einem Kilometerstand von 10.000 km zu einem Kaufpreis von 69.000 €. Das Fahrzeug verfügt über eine EG-Typgnehmigung der Abgasnorm EU 5. Der Kläger, der das Fahrzeug bei der Audi-Bank finanziert und sämtliche Raten mit Ausnahme der Schlussrate bezahlt hat, hat zwischenzeitlich nach Finanzierungsende von seinem Rückgaberecht Gebrauch gemacht. Im Termin der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht Augsburg am 05.09.2018 betrug der Kilometerstand 95.821 km.
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Der Kläger ist der Auffassung, dass der Motor des streitgegenständlichen Fahrzeugs auch vom sog. Dieselskandal betroffen sei, wonach durch die Beklagte bestimmte Dieselmotoren mit einer unzulässigen Abschaltvorrichtung versehen wurden, hinsichtlich derer durch das Kraftfahrtbundesamt eine nachträgliche technische Überarbeitung angeordnet wurde.
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Der Kläger behauptet, in dem PKW sei ein Motor der Baureihe EA 897 eingebaut, der mit einer ähnlichen illegalen Abschaltvorrichtung versehen sei wie der Motor EA 189 - allerdings ergänzt um ein sog. AECD-Steuergerät, das über die Minderung der Stickstoffdioxidwerte auf dem Prüfstand hinaus eine zusätzliche Leistungsreduzierung zur Senkung des Verbrauchs und der CO2 Werte im Prüfstandsmodus herbeiführe. Gemäß Berichts der Untersuchungskommission „Volkswagen“ des Bundesministeriums für Verkehr sowie eines bereits in einem Parallelverfahren des LG Braunschweig eingeholten Gutachtens des EKI-Instituts überschreite derselbe Motor die gesetzlichen Grenzwerte um bis zum 5,5fachen. Während der Kläger anfangs unter Hinweis auf einen Wikipedia-Eintrag vortragen ließ, die Motoren würden im Volkswagenwerk in Salzgitter hergestellt, wird nunmehr eingeräumt, dass diese zwar in Salzgitter gegossen, in Györ (Ungarn) jedoch endgefertigt würden. Bei dem Motor EA 897 handele es sich um eine Dieselmotorenreihe der VW AG, die federführend von der Audi AG entwickelt worden sei. Die Abschaltvorrichtung sei gemeinsam mit der R.-B. GmbH entwickelt worden, der Zentraleinkauf hierfür sei über die Beklagte abgewickelt worden. Ferner sei der Audi A6 eine Gemeinschaftsentwicklung der Beklagten mit der Audi AG.
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Der Kläger beantragte in 1. Instanz,
die Beklagte zur Zahlung von 72.054,29 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.01.2017, Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs, unter Anrechnung von Nutzungsentschädigung in Höhe von 7.898,63 € zu verurteilen, den Annahmeverzug der Beklagten festzustellen und diese zur Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten zu verurteilen.
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Die Beklagte beantragte
Klageabweisung.
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Die Beklagte trägt vor, dass es sich vorliegend richtigerweise um den Motor EA 896 handele, der vom Abgasskandal nicht betroffen sei. Der Kläger sei bereits schon nicht aktivlegitimiert, da das Fahrzeug finanziert und zu diesem Zweck auf die Darlehensgeberin sicherungsübereignet worden sei. Keinesfalls sei die Beklagte aber passivlegitimiert, weil sie das Fahrzeug weder hergestellt, noch sonst in den Verkehr gebracht oder beworben, noch den Motor entwickelt oder hergestellt habe. Im Übrigen verfüge das gegenständliche Fahrzeug über eine wirksame EG-Typengenehmigung, deren Verlust auch nicht drohe.
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Im Einzelnen wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen, § 540 ZPO.
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Das Landgericht Augsburg hat mit Urteil vom 31.10.2018 die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die Voraussetzungen weder einer vertraglichen noch einer deliktischen Haftung der Beklagten vorlägen. Zum einen fehle es bereits am substantiierten Vortag zu einem konkreten Schaden, zum anderen habe der Kläger die Voraussetzungen für eine Zurechnung deliktischen Verhaltens von Organen bzw. Verrichtungsgehilfen der Beklagten nicht hinreichend dargetan.
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Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, der seine erstinstanzlich geltend gemachten Ansprüche unter Wiederholung und Vertiefung des erstinstanzlichen Vorbringens vollumfänglich weiter verfolgt.
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Er beantragt, unter Abänderung des am 31.10.2018 verkündeten und am 07.11.2018 zugestellten klageabweisenden Urteils des Landgerichts Augsburg, Az: 093 O 1092/18:
1.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerpartei EUR 72.054,29 zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.01.2017 Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs Audi A6 Avant 3.0 TDI mit der Fahrgestellnummer ... 97 zu zahlen.
2.
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte spätestens seit dem 20.03.2018 mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1. bezeichneten Gegenstands in Annahmeverzug befindet.
3.
Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von EUR 3.196,34 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.01.2017 zu zahlen.
Hilfsweise beantragt er die Urteilsaufhebung und die Zurückverweisung an das Landgericht.
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Im Berufungsverfahren wird von der Beklagten beantragt:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
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Mit Beschluss vom 12.11.2019 hat der Senat darauf hingewiesen, dass er beabsichtige, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 31.10.2018, Aktenzeichen 093 O 1092/18, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
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Gegen die gerichtlichen Hinweise wendet der Berufungskläger durch Schriftsatz vom 04.12.2019 u.a. ein, dass aufgrund der Organisationsstruktur das VW-Konzerns die Beklagte und deren Vorstände über die Frage des Einbaus des gegenständlichen Motors in verschiedene Marken entschieden hätten, weshalb diese auch für den gegenständlichen Motor verantwortlich gewesen sei. Selbst wenn man davon ausgehe, dass der Motor nicht von der Beklagten hergestellt sei, sei dies unbeachtlich, denn für die Passivlegitimation sei die Frage maßgeblich, ob Abschaltvorrichtungen verbaut wurden und ob diese unzulässig seien. So habe die Beklagte ihre Tochterunternehmen angewiesen, Produkte zu entwickeln und konzernübergreifenden Einbau angeordnet.
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Ferner werde - allerdings ohne Angabe einer Fundstelle - von der Beklagten unwidersprochen seit Jahren auf Wikipedia veröffentlicht, dass der VW EA 897 eine Dieselmotorenbaureihe der Volkswagen AG sei. Darüber hinaus seien eine Vielzahl von weiteren Rückrufen durch das Kraftfahrt-Bundesamt erfolgt. Da alle übrigen Voraussetzungen vorliegen, sei dementsprechend dem Kläger der begehrte Anspruch zuzusprechen.
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Im Hinblick darauf, dass es sich bei den verletzten Normen nach Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007, sowie § 27 EG-FGV und § 6 EG-FGV und Schutzgesetze handele, wird zuletzt beantragt, diese Frage, gemäß Art. 267 AEUV dem europäischen Gerichtshof im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens zur Entscheidung vorzulegen.
17
Im Übrigen wird insoweit auf den Schriftsatz der Klagepartei vom 04.12.2019 Bezug genommen.
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Ergänzend wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
II.
19
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 31.10.2018, Aktenzeichen 093 O 1092/18, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
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Zur Begründung wird zunächst auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats vom 12.11.2019 Bezug genommen, § 522 Abs. 2 Satz 3 ZPO, an dem auch nach erneuter Überprüfung im Hinblick auf die Ausführungen der Klägerin im Schriftsatz vom 04.09.2019 festgehalten wird.
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Das weitere Vorbringen des Klägers enthält in der Sache keine neuen Gesichtspunkte, die eine andere Entscheidung rechtfertigen könnten. Ergänzend hierzu ist lediglich folgendes auszuführen:
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1. Soweit der Kläger nunmehr behauptet, die Beklagte habe den konzernübergreifenden Einbau der Abschaltvorrichtung angeordnet, handelt es sich lediglich um eine Behauptung ins Blaue hinein. Die „unwidersprochene“ Bezeichnung des Motors auf einer Wikipedia-Seite als „VW EA 897“ kann jedenfalls kein hinreichender Beleg hierfür sein. Im Übrigen zeigt die Einsichtnahme in die Autorenschaft des gezeichneten Wikipedia-Eintrags, dass diese in keiner Weise auf den VW-Konzern zurückgeht. Ein entsprechender Rückschluss, dass das fehlende Vorgehen das VW-Konzerns gegen den Eintrag die Vermutung seiner Richtigkeit beinhalte, ist angesichts der Vielzahl der Wikipedia Einträge jedenfalls nicht möglich.
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2. Auch die Tatsache, dass nunmehr einzelne Motoren der Reihen EA 896/897 EURO 5 bzw. EA 896 2,7 TDI bzw. zurückgerufen worden seien, rechtfertigt keine andere Betrachtungsweise. Abgesehen davon, dass es sich selbst nach klägerischem Vortrag im vorliegenden Fall nicht um einen vom Rückruf betroffenen Motor handelt, würde auch dies nicht belegen, dass die Beklagte den Motor gebaut, entwickelt oder in den Verkehr gebracht hat.
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3. Dass das Oberlandesgericht Karlsruhe in seiner Entscheidung vom 22.08.2019 (17 U 257/18) die Frage der Passivlegitimation anderweitig beurteilt und aufgrund dessen einen Beweisbeschluss erlassen hat, steht dem ebenfalls nicht entgegen. Wie sich aus der zitierten Entscheidung ergibt, hat der Kläger im dortigen Fall den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 826 BGB schlüssig behauptet, ohne dass die Beklagte dem erheblich entgegengetreten wäre. Wie bereits im Hinweisbeschluss vom 12.11.2019 ausführlich dargelegt, genügt der Vortrag des Klägers in der Berufungsbegründung vom 07.02.2019 und der Replik vom 29.07.2019 diesen Anforderungen nicht.
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Auch der neuerliche Vortrag im Schriftsatz vom 04.12.2019 enthält keine schlüssige Darlegung, dass die Beklagte - wie von dieser bestritten - die Audi AG angewiesen oder zumindest aufgefordert hätte, bei der Programmierung der Software des von dieser hergestellten Motors die vom Kläger behaupteten Manipulationen durchzuführen Soweit dies nunmehr dem richterlichen Hinweis entsprechend pauschal behauptet wird, stellt dies aus vorstehenden Gründen lediglich eine Behauptung ins Blaue hinein dar.
26
Eine Entscheidung darüber, ob der Senat der vom OLG Karlsruhe vertretenen Rechtsauffassung folgt, ist vorliegend daher nicht veranlasst.
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4. Mangels fehlender Passivlegitimation kommt es somit auf die übrigen Voraussetzungen der geltend gemachten schadensbegründenden Tatbestände nicht an.
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5. Ebenso wenig kommt aus diesem Grund somit eine Vorlage an den europäischen Gerichtshof in Frage.
III.
29
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
30
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß § 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
31
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47 Abs. 1 S. 1, 48 Abs. 1 S. 1 GKG i.V.m. § 3 ZPO bestimmt.