Inhalt

VG München, Urteil v. 17.09.2019 – M 18 K 17.35790
Titel:

Kein Abschiebungsverbot hinsichtlich Afghanistan für junge Männer ohne besondere Vulnerabilitäten

Normenketten:
AsylG § 3, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
EMRK Art. 3
Leitsätze:
1. Ein innerstaatlicher Konflikt im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ist praktisch im gesamten Staatsgebiet Afghanistans anzunehmen. (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für junge Männer ohne besondere Vulnerabilitäten ist davon auszugehen, dass diese in einem urbanen Zentrum ein Existenzminimum verdienen können. (Rn. 51) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asyl Afghanistan, Verzicht auf mündliche Verhandlung, Tötung der Eltern durch Onkel/Taliban/IS, Verfolgung durch Taliban als Bauarbeiter, Anpassungsstörung, V.a. PTBS, Steigerung, Afghanistan, Abschiebungsverbot, Abschiebungshindernis, Widersprüche, depressive Episode, posttraumatische Belastungsstörung, Taliban, Existenzminimum
Fundstelle:
BeckRS 2019, 41601

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt die Verpflichtung der Beklagten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen, weiter hilfsweise festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG besteht.
2
Nach eigenen Angaben verließ der Kläger, der afghanischer Staatsangehöriger ist, im Oktober 2014 seine Heimatstadt und reiste über einen Landweg am … … … in Deutschland ein. Er stellte am … … … einen Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland.
3
In der Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am … … … erklärte der Kläger, dass er im Sommer 2013 aus dem Dorf …, Distrikt … …, Provinz … ausgereist sei. Dort habe er mit seiner Frau und zwei Stiefkindern gelebt. Er habe noch fünf Onkel väterlicherseits in Afghanistan. Der Kläger sei teilweise ein Jahr lang zur Schule gegangen und sein Vater habe viel Vieh gehabt. Er habe als Tagelöhner gearbeitet und seine wirtschaftliche Situation sei gut gewesen. Die Eltern des Klägers hätten viel Vieh gehabt, sodass seine Onkel neidisch auf den Vater gewesen seien. Sie hätten die Eltern des Klägers getötet, um sich das Vieh zu nehmen. Der Großvater habe ihn dann zu einem Freund des Großvaters nach … gebracht. Den Großvater habe der Kläger seitdem nicht mehr gesehen. Der Kläger sei zu diesem Zeitpunkt acht Jahre alt gewesen. Als er 14 oder 15 Jahre alt gewesen sei, habe es häufig Besuche der Onkel gegeben. Der Kläger habe sich versteckt. Als er 15 Jahre alt gewesen sei, hätten die Onkel über die Nachbarn herausgefunden, dass er beim Freund des Großvaters lebe. Sie hätten ihn gefunden und geschlagen. Sein Darm sei aus seinem Bauch herausgekommen und er habe im Krankenhaus in … einen künstlichen Darm bekommen. Der Freund des Großvaters habe eine Ziegelbrennerei besessen und für die Amerikaner Ziegel transportiert. Der Sohn des Freundes des Großvaters sei deshalb von den Taliban umgebracht worden. Daraufhin habe der Kläger die Frau des Sohnes geheiratet, die bereits zwei Söhne hatte. Ca. zwei Monate vor seiner Ausreise habe er bei einer Baufirma als Tagelöhner beim Straßenbau gearbeitet und 50 USD pro Tag verdient. Er sei wegen seiner Arbeit dort bedroht worden, indem die Taliban einen Drohbrief an die Haustür des Freundes des Großvaters gehängt hätten. Einige Mitarbeiter der Firma seien getötet worden, andere seien entkommen. Kurz vor seiner Ausreise seien drei weitere Personen getötet worden. Der Kläger gab weiter an, dass seine fünf Onkel in verschiedenen Provinzen (…, …, …, …) leben und er an Hepatitis B erkrankt sei. Er bekomme dagegen verschiedene Medikamente.
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Mit Schreiben vom 14. Januar 2017 bestellte sich die Klägerbevollmächtigte im Verwaltungsverfahren.
5
Mit Bescheid des Bundesamtes vom … … 2017 erfolgte die Ablehnung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziff. 1), der Anerkennung als Asylsuchende (Ziff. 2) und der Gewährung subsidiären Schutzes (Ziff. 3). Es wurde festgestellt, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vorliegen (Ziff. 4). Der Kläger wurde deshalb aufgefordert, die BRD innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen; für den Fall des Nichteinhaltens der Ausreisefrist wird der Kläger nach Afghanistan abgeschoben (Ziff. 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wird auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziff. 6). Auf die Bescheidsbegründung wird verwiesen. Nach einem Aktenvermerk der Beklagten sei der Bescheid am 14. März 2017 als Einschreiben zur Post gegeben worden.
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Die Klägerbevollmächtigte erhob am 24. März 2017 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München mit den Anträgen, den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom … … 2017 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen und ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise den Kläger subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen, hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
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Zur Klagebegründung wird im Wesentlichen vorgetragen, dass sich die Beklagte im Bescheid wegen der Ablehnung der Zuerkennung des subsidiären Schutzes auf dem Bericht des Auswärtigen Amtes vom … … 2015 beziehe, der überholt sei. Laut dem UNHCR-Bericht vom Dezember 2016 sei im gesamten Staatsgebiet Afghanistans von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt auszugehen. Der Konflikt habe sich seit 2016 verschärft, sodass nicht zwischen sicheren und unsicheren Gebieten in Afghanistan mehr unterschieden werden könne. Es wird weiter auf Pro Asyl, den UNAMA-Jahresbericht und weitere Erkenntnismittel verwiesen.
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Die Beklagte legte am 8. Mai 2017 die Akten vor. Mit Beschluss vom … … 2017 wurde der Rechtsstreit auf den Einzelrichter übertragen.
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Mit Schriftsatz der Bevollmächtigten vom … … 2018 wurden ein Schreiben des Klägers vom … … 2018, eine Epikrise vom … … 2017 sowie ein Arztbrief zum … … 2016 vorgelegt.
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Im Schreiben des Klägers vom … … 2018 ergänzte dieser seinen Sachvortrag. Er erklärte, dass seine Onkel zu den Taliban gehören. Der Sohn des Freundes, bei dem er gelebt habe, habe für die Amerikaner Lebensmittel usw. transportiert. Dabei habe er geholfen. Die Baufirma habe im Auftrag der Amerikaner eine Straße gebaut. Da die Taliban gegen den Ausbau der Straße gewesen seien, seien seine Kollegen getötet worden. Einige habe fliehen können. Er habe seine getöteten Kollegen gesehen und einem Kollegen sei der Kopf abgeschnitten worden. Deshalb könne er nach wie vor nicht schlafen, sehe diese schrecklichen Bilder immer wieder und müsse deshalb immer wieder zu einem Arzt. Er werde versuchen, eine Kopie des Drohbriefes der Taliban zu erhalten.
11
Nach der Epikrise der … … vom … … 2017 habe sich der Kläger am … … 2017 in ambulanter Behandlung befunden. Es seien eine mittelgradige depressive Episode (F …) und ein Verdacht auf eine posttraumatische Belastungsstörung (F …) diagnostiziert worden. Der Patient habe berichtet, seit acht bis neun Monaten unter Schlafstörungen, Albträumen und unruhigen Schlaf zu leiben. Die Stimmung sei niedergestimmt, es besteht Grübelneigung, Antriebsstörung. Seine Eltern seien vor seinen Augen von den Taliban getötet worden, als er 13 Jahre alt gewesen sei. Seine Frau sei vor vier Jahren gestorben, seine Schwiegereltern lebten noch in Afghanistan. Letzte Woche habe er im Asylverfahren eine Absage bekommen, nun klage eher dagegen. Es seien 15 mg Mirtazapin täglich verschrieben und eine Wiedervorstellung am 21. April 2017 vereinbart worden.
12
Laut dem Arztbrief des Kreisklinikums … vom … … 2016 sei der Patient am selben Tag mit der Rettung und Notarzt eingeliefert worden. Auf dem Weg zur Arbeit habe er ein allgemeines Krankheitsgefühl verspürt. Daher habe er sich auf die Straße gelegt. Die Rettung sei verständigt worden. Diagnostiziert wurden ein nicht näher bezeichneter Virusinfekt sowie Kopfschmerzen. Der Kläger wurde an den Hausarzt verwiesen.
13
Mit Schriftsatz vom 4. September 2018 legte die Klägerbevollmächtigte ein ärztliches Attest des … …s vom … … 2018 vor. Bei den Patienten bestünde eine mittelgradige depressive Episode (…) mit gedrückter Stimmung, Interessenverlust, Freudlosigkeit, Verminderung des Antriebs, erhöhte Ermüdung, verminderte Konzentration und Schlafstörungen. Zudem bestehe der Verdacht auf eine posttraumatische Belastungsstörung (F …). Auslösendes Ereignis sei, dass der Patient mit 13 Jahren miterlebt habe, wie Vater und Mutter getötet worden seien. Nachdem das traumatische Erlebnis mehr als sechs Monate zurück liege, bestehe die wahrscheinliche (anstatt gesicherter) Diagnose eines PTBS. Am … … 2017 sei eine antidepressive Medikation mit Mirtazapin begonnen worden. Dies sei vom Patienten nicht vertragen worden und am … April 2017 auf Quetiapin umgestellt worden. Am … … 2017 sei der Patient zum Folgetermin nicht erschienen. Am … … 2017 sei der Patient erneut erschienen. Die Symptomatik habe sich unverändert gezeigt. Ein erneutes Rezept über Quetiapin in verdoppelte Dosierung sei ausgestellt worden. Der Patient habe über einen Alkoholkonsum (eine Flasche Wodka in drei Tagen) berichtet. Er arbeitete in einer Bäckerei sechs Tage die Woche, berichte von Schlafstörungen, er schlafe nachts nur einige Stunden. Aufgrund der mangelnden Deutschkenntnisse sei eine entsprechende psychotherapeutische Behandlung gegenwärtig nicht möglich. Bei Abschiebung ins Heimatland drohe eine Verschlechterung. Eine Retraumatisierung könne bei Rückführung - auch bei Vorhandensein einer psychiatrischen Behandlung im Heimatland - zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes führen. Eine weitere psychiatrische Behandlung sei dringend anzuraten.
14
Mit Schriftsatz vom 6. September 2018 übersandte die Klägerbevollmächtigte ein ärztliches Kurzattest des … …s vom … … 2018. Darin wird bestätigt, dass sich der Kläger seit dem … … 2017 in einer ambulant-psychiatrischen Behandlung befinde. Es bestünden eine mittelgradige depressive Episode sowie der Verdacht auf posttraumatische Belastungsstörung. Bei einer Abschiebung ins Heimatland bestehe die Gefahr einer deutlichen Verschlechterung der Depression bis hin zu Suizidalität.
15
Die Hauptsache wurde am … … 2018 mündlich verhandelt. Der Kläger erklärte, dass sein Schwiegervater immer noch mit den beiden Stiefkindern in …/Afghanistan lebe. Seine Frau sei verstorben. Als die Eltern des Klägers verstorben seien, sei er acht Jahre alt gewesen. Seine fünf Onkel würden alle beim … arbeiten. Die Tötung der Eltern habe der Kläger nicht gesehen, es sei ihm erzählt worden. Als er ca. 14 oder 15 Jahre alt gewesen sei, sei ein Cousin zu ihm nach … gekommen. Der Kläger habe sich geweigert, für den … zu arbeiten. Der Cousin habe ihm dann mit dem Messer in den Bauch gestochen. Der Kläger gab an, er habe bei den Amerikanern über einen Freund eine Arbeit als Fahrer bekommen. Die Taliban hätten dann jedoch gewarnt, dass er nicht für die Amerikaner arbeiten solle. Die Kläger habe insgesamt drei Briefe von den Taliban bekommen. Der erste Brief seit 2013 gekommen, ca. ein Jahr vor seiner Ausreise. 2014 seien die beiden anderen Briefe gekommen. Der Kläger erklärte, dass es ihm seit seiner Ausreise schlecht gehe. Er bekomme Schlaftabletten von einem Arzt in der Klinik. Auf Nachfrage des Gerichts, ob der Kläger zwischen Juli 2017 und Juli 2018 Medikamente genommen habe erklärte der Kläger, dass er auch Medikamente genommen habe. Auf das letzte Rezept der Klinik habe er Medikamente mehrfach geholt. Das Rezept sei so datiert gewesen, dass die Apotheke dem Kläger nach bestimmten Zeiträumen die Medikamente habe geben müssen.
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Mit Beweisbeschluss vom 12. Oktober 2018 wurde Beweis erhoben über die Tatsache, 1. ob der Kläger an einer posttraumatischen Belastungsstörung ICD 10: F …), und /oder einer mittelgradigen depressiven Episode (ICD 10:F …) und/oder einer anderweitigen psychischen Erkrankung leidet, 2. ob der Kläger weiterhin fachärztlicher und/oder psychotherapeutischer Behandlung bedarf, 3. ob der Kläger aufgrund der unter 1. diagnostizierten Erkrankungen auch zukünftig Medikamente einnehmen muss, 4. ob dem Kläger eine wesentliche oder sogar lebensbedrohliche Verschlechterung seines Gesundheitszustandes bei Rückführung nach Afghanistan droht, a) mit Behandlungsabbruch, b) ohne Behandlungsabbruch. Der Sachverständige L. wurde gebeten im Rahmen der Untersuchung anzufragen, ob der Kläger das verschriebene Medikament (Mirtazapin) auch regelmäßig einnehme und welche fachärztlichen Termine er wegen seiner Erkrankung zwischen der mündlichen Verhandlung (… … 2018) und der Begutachtung wahrgenommen habe.
17
Mit gerichtlichem Schreiben vom 12. Oktober 2018 wurde der behandelnde Facharzt der … … aufgefordert, Auskünfte über die ausgestellten Rezepte am … … 2017 sowie über bei ihm wahrgenommene fachärztliche Termine des Klägers nach dem … … 2018 zu geben.
18
Der behandelnde Facharzt der kbo-Klinik erklärte mit Schreiben vom … … 2018, dass zwischen dem … … 2018 und dem … … 2018 ein weiterer Termin vereinbart worden sei. Eine Wiedervorstellung sei bei Bedarf vorgesehen gewesen. Dem Kläger seien sowohl am … … 2017 als auch am … … 2018 jeweils 50 Stück Quetiapin 25mg verschrieben worden.
19
Auf Grundlage der Behörden und Gerichtsakte sowie eine Untersuchung des Klägers am … … 2019 erstattete der Gutachter das psychiatrische Sachverständigengutachten vom … … 2019. Die Kläger leide aus gutachterlicher psychiatrischer Sicht am ehesten unter eine Anpassungsstörung mit längerer depressiver Reaktion (F 43.21). Das Vorliegen einer zuvor extern diagnostizierten mittelgradigen depressiven Episode (…) sei aus Sicht des Gutachters aufgrund der vielen widersprüchlichen Angaben zu seiner psychischen Situation und dem Krankheitsverlauf sowie der Ausprägung des zeitlichen Auftretens der Symptomatik nicht gegeben. Zudem liege der dringende Verdacht auf eine posttraumatische Belastungsstörung (F …) vor. Der Kläger bedürfe weiterhin fachärztlicher psychiatrischer und psychotherapeutischer Behandlung zu psychischen Stabilisierung und zur eindeutigen Diagnosesicherung mit der entsprechenden therapeutischen Konsequenzen. Der Kläger nehme gegenwärtig das Antidepressivum Mirtazapin in der Tagesdosis von 15 mg ein. Die Medikation sollte aus gutachterlicher Sicht beibehalten werden und die Einnahmedosis auf mindestens 30-60 mg pro Tag erhöht werden. Im Falle einer Rückführung des Patienten nach Afghanistan drohe aus psychiatrisch gutachterlicher Sicht eine deutliche Verschlechterung seines psychischen Zustandes. Eine lebensbedrohliche Verschlechterung der psychischen Symptomatik bis hin zu Suizidalität bei einer Rückführung des Probanden nach Afghanistan sei aus psychiatrisch-gutachterlicher Sicht nicht gänzlich auszuschließen. Sicherlich wäre eine solche Verschlechterung mit Behandlungsabbruch in einem stärkeren Ausmaß zu erwarten als ohne Behandlungsabbruch. Der Kläger behauptete, das verschriebene Medikament Mirtazapin regelmäßig einzunehmen. Der letzte fachärztliche Termin des Klägers habe am … … 2018 im … … stattgefunden. Eine engmaschigere ambulante oder stationäre psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung habe zwischen dem … … 2018 und dem Begutachtungstermin an … … 2019 nach dem Kenntnisstand des Gutachters nicht stattgefunden.
20
Mit Schriftsatz vom 15. März 2019 wurde von der Klägerbevollmächtigten auf weitere mündliche Verhandlung verzichtet.
21
Die Beklagte verzichtete mit Schriftsatz vom 8. August 2019 auf weitere mündliche Verhandlung und beantragte,
die Klage abzuweisen.
22
Zur Begründung trug die Beklagte vor, dass nach eingehender Prüfung des Sachverständigengutachtens aus Beklagtensicht kein Abschiebungsverbot festzustellen sei. Der Verdacht auf eine Erkrankung könne kein Abschiebungshindernis begründen. Es werde zunächst maßgeblich auf die im Gutachten herausgearbeiteten Widersprüche des Klägervortrags verwiesen. Der Gutachter habe ausgeführt, dass der Kläger nach eigenen Angaben nach den abgelehnten Asylbescheid zunehmend Symptome gezeigt habe. Es sei eine lange Zeit zwischen der Einreise in die Bundesrepublik und der erstmaligen Vorstellung bei einem Arzt vergangen. Träten die befürchteten negativen Auswirkungen allein durch die Abschiebung als solche und nicht wegen der spezifischen Verhältnisse im Zielstaat der Abschiebung ein, so handele es sich um ein sogenanntes inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis, das durch die Ausländerbehörde, nicht durch die Beklagte zu berücksichtigen sei (BVerwG, U.v. 21.9.1999, 9 C 12/99). Die Gutachter habe eine Behandlungsbedürftigkeit aufgrund inlandsbezogener Faktoren festgestellt. Im Umkehrschluss könne es gar nicht möglich sein, dass sich die Krankheit aufgrund zu zielstaatsbezogene Umstände verschlimmernde. Auch der Gutachter führe aus, dass ein Verdacht darauf bestehe, dass der Kläger seine depressive Grunderkrankung und die PTBS als Diagnosen dringlich benötige, um eine Abschiebung in sein Heimatland abzuwenden und einen Aufenthalt in Deutschland zu erzwingen. Diesen Eindruck habe auch die Beklagte gewonnen und dränge sich auf. Die Behandlungsbedürftigkeit könne im Übrigen auch unter Berücksichtigung der Häufigkeit der Behandlungen als nicht gravierend angesehen werden. Der Kläger sei arbeitsfähig, da das Gutachten deutlich mache, dass der Kläger regelmäßig einer Beschäftigung nachgehe.
23
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die vorgelegte Behördensowie die Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

24
Die zulässige Klage ist unbegründet.
25
Das Gericht konnte gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Die Klägerbevollmächtigte verzichtete mit Schriftsatz vom 15. März 2019, die Beklagte mit Schriftsatz vom 8. August 2019 auf die Durchführung einer weiteren mündlichen Verhandlung.
26
Der Klageantrag in Ziffer 2 wird dahingehend ausgelegt, dass die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft beantragt wurde, § 88 VwGO.
27
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG. Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
28
Der Kläger konnte das Gericht nicht von einer begründeten Furcht vor Verfolgung bei einer Rückkehr nach Afghanistan überzeugen. Nach Maßgabe von Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU ist die Tatsache, dass der Antragsteller bereits vorverfolgt wurde, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass der Antragsteller bei einer Rückkehr weiterverfolgt werde; es sei denn stichhaltige Gründe sprechen dagegen. Diese Regelung privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab, wie er in der deutschen asylrechtlichen Rechtsprechung entwickelt worden ist. Die Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare Vermutung dafür, dass sie erneut von einer solchen Verfolgung bedroht sind. Die Aussagen des Antragstellers zur Vorverfolgung bedürfen nach Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 2011/95/EU keines Nachweises, wenn a) der Antragsteller sich offenkundig bemüht hat, seinen Antrag zu begründen; b) alle dem Antragsteller verfügbaren Anhaltspunkte vorliegen und eine hinreichende Erklärung für das Fehlen anderer relevanter Anhaltspunkte gegeben wurde; c) festgestellt wurde, dass die Aussagen des Antragstellers kohärent und plausibel sind und zu den für seinen Fall relevanten, verfügbaren besonderen und allgemeinen Informationen nicht in Widerspruch stehen; d) der Antragsteller internationalen Schutz zum frühestmöglichen Zeitpunkt beantragt hat, es sei denn, er kann gute Gründe dafür vorbringen, dass dies nicht möglich war; und e) die generelle Glaubwürdigkeit des Antragstellers festgestellt worden ist.
29
Der Sachvortrag des Klägers ist unglaubhaft. Die vom Kläger gemachten Angaben sind nicht kohärent. Angesichts zweier aktenkundig widerlegter Falschangaben des Klägers (Zeitpunkt der Kenntnis des Todes der Ehefrau und Medikation von Juli 2017 bis Juli 2018) ist die generelle Glaubwürdigkeit des Antragstellers anzuzweifeln. Es ergeben sich auch unter Berücksichtigung, dass der Kläger Analphabet ist und Kalenderdaten in der afghanischen Kultur weniger Beachtung finden als in Europa, zahlreiche Widersprüche in wichtigen Punkten sowie in Detailfragen. Die Angaben des Klägers bei der Anhörung im Bundesamt vom … … 2017, in seinem dem Gericht vorgelegten Schreiben vom … … 2018, in den ärztlichen Attesten vom … … 2016, … … 2017 und … … 2018, in der mündlichen Verhandlung vom … … 2018 sowie gegenüber dem Gutachter am … … 2019 weichen erheblich voneinander ab und weisen gravierende Steigerungen auf.
30
In der Anhörung beim Bundesamt erklärte der Kläger, dass seine Onkel seine Eltern töteten, als er acht Jahre alt gewesen sei, um das Vieh der Eltern (ca. 450 Schafe und 350 Ziegen) untereinander aufzuteilen. Dieses Alter bestätigte der Kläger in seinem Schreiben vom … … 2018, im Rahmen der mündlichen Verhandlung und bei der psychiatrischen Begutachtung, wobei er bei der Begutachtung angab, nicht genau zu wissen, wann er geboren sei. Im Rahmen der Arztberichte vom … … 2017 und … … 2018 erklärte der Kläger, dass er bei der Tötung seiner Eltern 13 Jahre alt gewesen sei.
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Der Kläger erläuterte bei seiner Anhörung beim Bundesamt, dass seine Onkel das Vieh der Eltern stehlen wollten. Erstmals mit Schreiben vom … … 2018 trug der Kläger vor, dass seine Onkel zu den Taliban gehören. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor Gericht führte der Kläger aus, dass sie alle beim … arbeiten. Nach Kenntnis des Gerichts handelt es sich dabei um die afghanische Bezeichnung für den ISKP (Islamischen Staat in der Provinz …) (siehe auch https://de.wikipedia.org/wiki/Islamischer_Staat_(Organisation)#Afghanistan). Dort erklärte er auch, dass es sich um viel weniger Vieh gehandelt habe, als beim Bundesamt angegeben. Bei der Begutachtung erklärte er, dass seine Onkel dem IS nahe gestanden seien.
32
Nach der Anhörung seien die Eltern von den Onkeln getötet worden und zwei bis drei Tage später hätten sie sich entschieden auch den Kläger zu töten. Sie hätten ihn dann am Leben gelassen, um Ihnen bei dem Vieh helfen zu können. Der Großvater habe mitbekommen, dass die Onkel über seinen Tod nachgedacht hätten und habe ihn deswegen zu einem Freund gebracht. Laut den ärztlichen Attesten vom … … 2017 und … … 2018 seien die Eltern des Klägers vor seinen Augen von den Taliban getötet worden, als er 13 Jahre alt gewesen sei. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung erklärt der Kläger, dass er die Tötung der Eltern nicht gesehen habe, sonderte es ihm später erzählt worden sei. Während der Tötung seiner Eltern habe er draußen gespielt. Ein Freund habe ihn dann zum Großvater gebracht. Diese habe ihm nichts vom Tod seiner Eltern erzählt, sondern nur gesagt, dass er von dort weg solle. Im Rahmen der Begutachtung erklärte er, dass er sich während der Tötung seiner Eltern in der näheren Umgebung befunden habe, die Onkel anschließend darüber beraten hätten, was mit ihm zu tun sei. Sein Großvater habe mitbekommen, dass ein Onkel dafür gewesen sei, ihn zu töten und habe den Kläger dann zu sich geholt und persönlich zu seinem Freund nach … gebracht.
33
In der Anhörung beim Bundesamt erklärt der Kläger, dass er, als er 15 Jahre alt geworden war, von seinen Onkel gefunden wurde und sie ihm so stark in den Bauch geschlagen hätten, dass er im Krankenhaus einen künstlichen Darm bekommen habe. In der mündlichen Verhandlung trug er vor, dass ein Cousin gekommen sei und ihn mit dem Messer in den Bauch gestochen habe. Im Rahmen der Begutachtung erklärte der Kläger, dass er kurz nach seiner Hochzeit von einem Unbekannten angegriffen worden sei und mit einem Messerstich in den Unterbauch verletzt worden sei.
34
Der Freund des Großvaters habe nach den Angaben des Klägers in seiner Anhörung eine Ziegelbrennerei besessen und für die Amerikaner Ziegel transportiert. Dessen Sohn sei deshalb von den Taliban umgebracht wurden. Der Kläger, der dem Sohn als Beifahrer mit der Arbeit geholfen habe sei im Krankenhaus gewesen, als die Taliban den Sohn umgebracht haben. In seinem Schreiben vom … … 2018 erklärte der Kläger, dass der Sohn des Freundes für die Amerikaner Lebensmittel usw. transportiert habe und deshalb getötet worden sei. Der Kläger habe ihm beim Transport geholfen. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung erzählte der Kläger, dass er bei den Amerikanern über einen Freund eine Arbeit als Fahrer bekommen habe. Die Taliban hätten dann sein Auto mit einer Rakete beschossen und der Sohn des Freundes seines Großvaters sei dabei umgekommen. Von den drei Autos im Konvoi sei eines explodierten und eines kaputtgegangen. Bei der Begutachtung erklärte der Kläger dahingegen, dass er mit 13 Jahren angefangen habe, bei der Ziegelbrennerei des Freundes zu arbeiten, dort nur wenige Monate gearbeitet habe, bis er in den Straßenbau gewechselt habe. Während der Zeit bei der Ziegelbrennerei und im Straßenbau habe er zwei Drohbriefe der Taliban erhalten. Im Jahr 2013 sei der Sohn des Freundes von den Taliban ermordet worden. Bis zuletzt habe er weiter im Straßenbau gearbeitet.
35
Ca. zwei Monate vor seiner Ausreise habe der Kläger laut der Anhörung bei einer Baufirma im Straßenbau gearbeitet. Einige Mitarbeiter der Firma seien getötet worden. Vielen Mitarbeitern sei der Kopf abgeschnitten worden. Er sei wegen der Arbeit dort und beim Freund des Großvaters mit dem Tode bedroht worden. Die Taliban hätten einen Drohbrief mit Todesdrohungen an die Haustür gehängt. Kurz vor seiner Ausreise seien drei Personen getötet worden. Im Schreiben vom … … 2018 erklärte der Kläger, dass er von den Taliban wegen seiner Arbeit für die Baufirma bedroht worden sei. Sein Schwiegervater habe diesen Drohbrief noch zu Hause. In der mündlichen Verhandlung trug der Kläger vor, dass er zwei Monate bei der Baufirma gearbeitet habe und es in diesem Zeitraum viele Angriffe der Taliban auf das Lager gegeben habe. Es seien immer wieder Menschen gestorben, aber bei einem Angriff sein 15-16 Mitarbeiter geköpft worden. Nach diesem Vorfall habe er aufgehört, dort zu arbeiten. Er habe dann noch zwei Monate bis zu seiner Ausreise in Afghanistan verbracht. Er sei sehr oft, auch zu Hause, von den Taliban aufgesucht worden. Sie haben gewollt, dass er für sie arbeite. Er habe insgesamt drei Briefe von den Taliban bekommen. Der Erste sei im Jahr 2013 gekommen, ca. ein Jahr vor seiner Ausreise. 2014 seien der zweite und der dritte Brief gekommen. Der eine sei fünf oder sechs Monate vor seiner Ausreise gekommen und der letzte zwei oder drei Monate nach seiner Ausreise. Auf Vorhalt des Gerichts bezüglich der Anzahl der Drohbriefe erklärt der Kläger, dass er bis vor der mündlichen Verhandlung nur von dem zweiten Brief erfahren habe. Der Taliban und … habe ihn auch gesucht, was man am zweiten Brief ersehen könne. In der Begutachtung erklärte der Kläger, er habe eine Panne mit dem Moped auf dem Arbeitsweg gehabt. Als er den platten Reifen habe reparieren wollen, sei ihm mitgeteilt worden, dass ein Überfall der Taliban auf das Arbeitercamp stattgefunden habe und viele Mitarbeiter dabei getötet worden seien, teils durch Schüsse, teils durch Enthauptungen. Nach dem Anschlag auf das Camp habe der Freund seines Großvaters ihm mitgeteilt, dass ein weiterer Drohbrief angekommen sei und ihm geraten, Afghanistan zu verlassen.
36
Während der Asylantragstellerin gab der Kläger an, verwitwet zu sein (Blatt * der Akte). In seiner Anhörung beim Bundesamt erklärte er eine Frau und zwei Stiefkinder in Afghanistan zu haben. Laut der Epikrise vom … … 2017 erklärt der Kläger, dass seine Frau vor vier Jahren gestorben sei. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung erklärt der Kläger, dass er erst vom Tod seiner Frau erfahren habe, als er per E-Mail die Schreiben der Taliban zugesandt bekommen habe. Dies sei vor ca. vier Monaten gewesen. Nach den Angaben des Klägers bei der Begutachtung habe der Kläger erst von der Tötung seiner Frau durch die Taliban erfahren, als er auf Aufforderung der Anwältin hin die Drohbriefe der Taliban bei Verwandten angefordert habe.
37
Der Kläger gab im Rahmen der Anhörung an, an Hepatitis B zu leiden und verschiedene Medikamente in Deutschland zu bekommen. Im Schreiben vom … … 2018 erklärte er, wegen der Köpfung seiner Kollegen nach wie vor nicht schlafen zu können. Er sehe diese schrecklichen Bilder immer wieder, müsse deshalb immer wieder zu einem Arzt gehen. In den Arztberichten vom … … 2017 und … … 2018 wird jedoch lediglich auf die Tötung der Eltern als traumatisierendes Ereignis Bezug genommen. Der Kläger gab in der mündlichen Verhandlung und beim Begutachtungstermin an, täglich die verschriebenen Medikamente einzunehmen und auf das ausgestellte Rezept von Juli 2017 ein Jahr lang Medikamente bezogen zu haben. Diese Angabe wird durch die Rezeptvorlage des … vom … … 2018, wonach er im Juli 2017 noch einmalig 50 Tabletten verschrieben bekommen habe, widerlegt. Nach der Angabe des Klägers nehme er aktuell wieder Mirtazapin.
38
Angesichts der Vielzahl der in den Gegenüberstellungen offensichtlichen Steigerungen und Widersprüche geht das Gericht auch unter Berücksichtigung von Art. 4 Abs. 4 und 5 der Richtlinie 2011/95/EG nicht von einem kohärenten, glaubhaften Sachvortrag des Klägers aus und die generelle Glaubwürdigkeit des Klägers steht in Frage.
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Ein Anspruch auf Zuerkennung eines subsidiären Schutzes steht dem Kläger nicht zu. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Der Kläger hat das Gericht vom Vorliegen von stichhaltigen Gründen, dass ihm eine individuelle Gefahr nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2. AsylG droht, nicht überzeugt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird insoweit auf die Ausführungen zu § 3 AsylG verwiesen.
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Auch eine ernsthafte Gefahr auf Grundlage des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ist bei einer Rückführung des Klägers nicht zu erwarten. Demnach gilt als Drohen eines ernsthaften Schadens auch eine ersthafte individuelle Bedrohung des Lebens und der Unversehrtheit des Klägers infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen einer internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.
41
Ein innerstaatlicher Konflikt im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ist praktisch im gesamten Staatsgebiet Afghanistans anzunehmen.
42
Für die Ermittlung einer individuellen, ernsthaften Bedrohungslage im Sinne des § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG stellt das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 - juris Rn. 32 ff. folgende Maßstäbe auf:
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„(…) Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in seinem Urteil vom 17. Februar 2009 - Rs. C-465/07 - (Elgafaji a. a. O.) das Erfordernis einer ernsthaften individuellen Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt im Sinne von Art. 15 Buchst. c der Richtlinie [2004/83/EG] dahingehend ausgelegt, dass es sich auf schädigende Eingriffe beziehe, die sich gegen Zivilpersonen ungeachtet ihrer Identität richteten, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreiche, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestünden, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften Bedrohung im Sinne der Richtlinie ausgesetzt zu sein. Mit Blick auf den 26. Erwägungsgrund und die Systematik des Art. 15 der Richtlinie bleibe dies allerdings einer außergewöhnlichen Situation vorbehalten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet sei, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestünden, dass die fragliche Person dieser Gefahr individuell ausgesetzt wäre. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich; liegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. Zu diesen gefahrerhöhenden Umständen gehören in erster Linie solche persönlichen Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - z.B. als Arzt oder Journalist - gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Dazu können aber nach Auffassung des Senats auch solche persönlichen Umstände gerechnet werden, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist, (…). Auch im Fall gefahrerhöhender persönlicher Umstände muss aber ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt bzw. eine hohe Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet festgestellt werden. Allein das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts und die Feststellung eines gefahrerhöhenden Umstandes in der Person des Antragstellers reichen hierfür nicht aus. Erforderlich ist vielmehr eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung. Insoweit können auch die für die Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts entwickelten Kriterien entsprechend herangezogen werden.“
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Unter Anlegung dieser Maßstäbe erreicht die willkürliche Gewalt gegen Zivilpersonen in der Provinz … noch nicht die Dichte, die vorausgesetzt wird, um einen subsidiären Schutzstatus auszulösen (s. BayVGH, U.v. 25.1.2017, 13a ZB 16.30374, juris - Rn. 11). Gefahrerhöhende Umstände sind in der Person des Klägers nicht ersichtlich.
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Zunächst ist festzustellen, dass die erforderliche Verdichtung der willkürlichen Gewalt bereits in quantitativer Hinsicht bei Weitem nicht anzunehmen ist. Das Bundesverwaltungsgericht beanstandete die Annahme nicht, dass sich die willkürliche Gewalt bei einem Verhältnis von Opfern willkürlicher Gewalt zu Einwohnern von 1:800 noch nicht ausreichend verdichtet hat (BVerwG, Urteil vom 17. 11. 2011 - 10 C 13.10 juris Rn 22). In der Provinz … leben ca. 614.584 Menschen (EASO, COI-Bericht Security Situation vom Juni 2019, S. 180). Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA in der Provinz … insgesamt 175 zivile Opfer von Bürgerkriegsparteien. Dies entspricht einer Abnahme von 3% im Vergleich zum Jahr 2017 (UNAMA, Protection of civilians in armed conflicts, annual report 2018, S. 68). Aktuell liegt bei Annahme o.g. Zahlen aus den verfügbaren Erkenntnismittel ein Verhältnis von 1:3.512 Menschen vor, das weit von einer quantitativ als ausreichender Gefahrverdichtung anzusehenden Schwelle entfernt ist. Eine aufgrund der Methodologie der UNAMA mögliche Untererfassung der Opferzahlen spielt daher aktuell keine ausschlagende Rolle. Aus den Erkenntnismitteln des laufenden Jahres ist ersichtlich, dass die Situation sich - bei anhaltend hohem Niveau - erheblich verbessert hat. So sind im Vergleichszeitraum (Halbjahr) 27% weniger Zivilisten verletzt bzw. getötet worden, als dies im Jahr 2018 der Fall gewesen ist (vgl. UNAMA, Protection of the civilians, midyear report, 1. January to 30. June 2019, S. 1).
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In qualitativer Hinsicht ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei den Opfern fast zur Hälfte um Tote handelt, während die andere Hälfte der Opfer (schwer) verletzt ist. Die medizinische Versorgung Afghanistans, die im Allgemeinen als schlecht einzustufen ist (EASO, COI Report Afghanistan, Key socio-economic indicators, April 2019, S. 44 f.), ist in den Großstädten hinreichend gewährleistet. Ein starkes Stadt-Land-Gefälle in der medizinischen Versorgungslage zugunsten der Städte ist erkennbar. So stehen in urbanen Zentren - auch in … - Krankenhäuser zur Verfügung (EASO, COI Report Afghanistan, Key socio-economic indicators, April 2019, S. 44 ff.).
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Ein weiterer Aspekt der qualitativen Bewertung der Bedrohungslage ist, ob aus den benannten Regionen hohe Flüchtlingszahlen zu vermelden sind. Bezüglich … ist erkennbar, dass im Jahr 2018 4.676 Binnenflüchtlinge innerhalb der Provinz … in Richtung der Provinzhauptstadt registriert wurden, die jedoch nicht aus dem Distrikt des Klägers stammten. In die Provinz … flohen im gleichen Zeitraum aus angrenzenden Provinzen 6.139 registrierte Binnenflüchtlinge (EASO, COI-Bericht, Security Situation, Juni 2019, S. 185). Vom 1. Januar bis zum 28. Februar 2019 sind keine Flüchtlingsbewegungen innerhalb … registriert worden.
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Qualitativ negativ zu bewerten ist, dass in der Provinz … die Opferzahlen größtenteils aus IEDs und gezielten Tötungsaktionen erfolgten, denen die Bevölkerung in ihrem Alltagsleben ausgesetzt sind und denen mit Vorsichtsmaßnahmen oder Vermeidungsverhalten nur bedingt begegnet werden kann (UNAMA, Protection of civilians in armed conflicts, annual report 2018, S. 68; vgl. bezüglich Vermeidbarkeitseinschätzung: UNHCR-Richtlinie vom … … 2018, S. 112 f.).
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Insgesamt ist bei Einbezug sowohl der quantitativen, als auch der qualitativen Fakten der Bedrohungslage und des gefahrerhöhenden Umstands in der Person des Klägers noch nicht von einer ausreichenden Verdichtung der willkürlichen Gewalt in … auszugehen.
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Ein Anspruch auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG steht dem Kläger nicht zu. Eine Verletzung des Art. 3 EMRK bei Rückkehr des Klägers ist nach den hohen Anforderungen der Rechtsprechung nicht gegeben. Insoweit wird zunächst zur Begründung auf den streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen, § 77 Abs. 2 AsylG.
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Neuere Erkenntnismittel ergeben, dass sich die wirtschaftliche Lage landesweit zwar im Laufe des Gerichtsverfahrens weiter verschlechtert hat (ACCORD, Afghanistan - Entwicklung der wirtschaftlichen Situation 2010 bis 2018 vom 7. Dezember 2018, S. 46ff., 77ff., 123ff.), jedoch für junge Männer ohne besondere Vulnerabilitäten davon auszugehen ist, dass diese in einem urbanen Zentrum ein Existenzminimum verdienen können. Hierbei stehen auf dem zivilen Arbeitsmarkt zumindest schlecht entlohnte Tagelöhnerarbeit für niedrig qualifizierte Personen zur Verfügung (vgl. BayVGH, U.v. 8.11.2018 - 13a B 17.31918 Leitsatz; VGH Baden-Württemberg, U.v. 9.11.17 - A 11 S 789/17 - juris Leitsätze; EASO, COI Report Afghanistan, Key socio-economic indicators, August 2017, S. 22ff., 28ff.; UNHCR-Richtlinie vom … … 2018, S. 126ff. für alle Städte außer Kabul).
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Auch unter Einbezug der Tatsachen, dass der Kläger aus dem europäischen Ausland zurückkehrt, gelangt das Gericht nicht zu der Überzeugung, dass die sehr hohen Anforderungen an die Verletzung des Art. 3 EMRK gegeben sind (vgl. auch VGH Ba-Wü., U. v. 12. Oktober 2018 - A 11 S 316/17 -, juris Rn. 392; OVG Lüneburg, U.v. 229.1.2019 - 9 LB 93/18 Leitsatz 3). Demnach sind trotz der widrigen Lebensbedingungen in Afghanistan die Voraussetzungen des Art. 3 EMRK für alleinstehende, gesunde und arbeitsfähige junge Männer auch dann derzeit nicht generell gegeben, wenn sie weder über ein soziales Netzwerk in Afghanistan noch über eine abgeschlossene Berufsausbildung oder nennenswertes Vermögen verfügen. Der Kläger ist dieser Gruppe nicht zuzurechnen, sondern verfügt über ein finanzierfähiges und -williges soziales Netzwerk in seinem Heimatdorf. Dem Kläger wird es nach Überzeugung des Gerichts aufgrund des vorhandenen familiären Netzwerkes, v.a. des Großvaters und des Freundes des Großvaters, der weiterhin im Heimatdorf lebt und sich bereits jahrelang um den Kläger kümmerte, gelingen, ein Existenzminimum zu erwirtschaften. Der Schwiegervater des Klägers (Freund des Großvaters) hatte eine Ziegelbrennerei und ausreichend finanzielle Mittel, um dem Kläger die Flucht nach Europa zu finanzieren. Es ist davon auszugehen, dass der Kläger bei Rückkehr in sein Heimatdorf bzw. durch Vermittlung von Kontakten durch den wohlhabenden Großvater und Schwiegervater trotz der schlechten wirtschaftlichen Lage wenigstens als angestellter Bauer oder Tagelöhner eine Arbeit finden wird. Der Kläger selbst gab in der mündlichen Verhandlung an, dass die finanzielle Situation der Familie in … gut war und dass er bzw. sein Vater viel Vieh besitzt.
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Dem Kläger steht zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung kein Anspruch gegen die Beklagte auf Feststellung eines Abschiebungsverbot nach Maßgabe des § 60 Abs. 7 Sätze 1 und 2 AufenthG zu.
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Soweit die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 8. August 2019 vorträgt, dass vorliegend kein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot zu prüfen sei, da es sich bei der Erkrankung des Klägers um inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse handele, kann das Gericht dem nicht folgen. Zur Abgrenzung zielstaatsbezogener Abschiebungshindernissen zu inlandsbezogener Abschiebungshindernissen bei psychischen Erkrankungen führt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 19. Juni 2019 (19 CE 19.329 - juris Rn. 12) Folgendes aus:
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„Insbesondere im Falle der Geltendmachung einer Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne wegen psychischer Erkrankung bedarf es einer Abgrenzung zur Fallgruppe des sogenannten zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisses gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG, dessen Nichtvorliegen im Asylverfahren vorliegend gemäß § 42 Satz 1 AsylG mit Bindungswirkung für die Ausländerbehörde festgestellt worden ist. Der Sphäre des Abschiebevorgangs sind nur solche Gefahren zuzurechnen, die sich unmittelbar bei Eintreffen im Heimatland realisieren können, beispielsweise wenn eine unmittelbar erforderliche Anschlussbehandlung nicht gewährleistet werden kann bzw. der Ausländer selbst nicht in der Lage ist, eine solche Anschlussbehandlung zu organisieren (vgl. Funke-Kaiser, GK-AufenthG, Stand 4/2017, § 60a AufenthG, Rn. 132). Wird im Falle einer psychischen Erkrankung eine Gesundheitsgefahr infolge des Abbruchs einer im Bundesgebiet stattfindenden Behandlung geltend gemacht, ist von einem inlandsbezogenen Abschiebungshindernis wegen Reiseunfähigkeit nur dann auszugehen, wenn die Gefahr einer wesentlichen Gesundheitsverschlechterung schon während der Abschiebung und der sich unmittelbar daran anschließenden Zeitspanne der Ankunft im Heimatland droht und dieser Gefahr nicht durch mögliche Vorkehrungen wie der Ausstattung mit einem Medikamentenvorrat, einer medizinischen Begleitung im Abschiebevorgang oder der Übergabe an medizinisches Personal im Heimatland begegnet werden kann.“
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Die psychischen Probleme des Klägers verschlimmern sich nach Angabe des Gutachters bei einer Abschiebung nach Afghanistan nicht zielstaatsunabhängig durch den Vorgang der Abschiebung und einer nicht nahtlosen Weiterbehandlung in der unmittelbar an einer Abschiebung anschließenden Zeitspanne bei der Ankunft, sondern wegen der Rückführung in das konkrete Heimatland Afghanistan, wo die Erkrankung im Fall des Klägers voraussichtlich nicht nach den international anerkannten Standard behandelt werden kann und die angstauslösenden/traumatisierenden Faktoren nach Ansicht des Klägers weiter vorherrschen. Daher steht kein rein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis im Raum, sondern wäre bei Vorliegen der Voraussetzungen ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot festzustellen.
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Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wird festgestellt, wenn in einem anderen Staat für den Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Bei Erkrankungen liegt eine erhebliche konkrete Gefahr nach Maßgabe des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, vor. Der Kläger leidet zwar nach dem psychiatrischen Sachverständigengutachten an einer Anpassungsstörung mit längerer depressiver Reaktion (ICD 10 F …). Weiter liegt ein dringender Verdacht einer posttraumatischen Belastungsstörung (ICD 10: F …) vor. Das Gericht ist jedoch unter Berücksichtigung des Akteninhalts, insbesondere des Sachverständigengutachtens, sowie nach dem persönlichen Eindruck des Klägers im Rahmen der mündlichen Verhandlung der Auffassung, dass sich die diagnostizierten Erkrankungen nicht als schwerwiegend im Sinne des § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG darstellen. Es muss sich um „äußerst gravierende“, insbesondere lebensbedrohliche Erkrankungen handeln (s. dazu Gesetzesbegründung in BT_Drs. 18/7538 S. 18), damit sie als schwerwiegend im Sinne des § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG, der lediglich vor existenzielle Gefahren schützt, eingestuft werden kann.
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Zum einen ergibt sich diese Einschätzung daraus, dass der Kläger nicht zeitnah nach seiner Einreise ärztliche/psychiatrische Hilfe in Anspruch nahm, sondern erst nach Erhalt des ablehnenden Asylbescheides. Auch trug er nicht vor, aufgrund des ablehnenden Asylbescheides eine Krise bzw. Verschlimmerung der Symptome erlebt zu haben, sondern erklärte im psychiatrischen Sachverständigengutachten, dass er bereits vor seiner Einreise unter erheblichen Einschlaf- und Durchschlafproblemen mit Albträumen und depressiver Symptomatik gelitten habe. Es besteht eine klare zeitliche Koinzidenz der Behandlungsintensität mit den asylrechtlichen Verfahren. So suchte der Kläger trotz angeblich bereits zuvor bestehender starker Symptome erst im März 2017, d.h. kurz nach Klageerhebung gegen den ablehnenden Asylbescheid einen Facharzt auf. Er nahm nach diesem ersten Termin zweimal im Jahr 2017 und zweimal im Jahr 2018 in kurzen Abständen zueinander kurze ambulante Termine bei der … wahr. Einen Termin ließ er unentschuldigt aus. Die verschriebenen Medikamente nahm der Kläger nach eigenen Angaben regelmäßig ein und wich selbst unter Hinweis auf die fast ein Jahr dauernde Behandlungspause vom … … 2017 bis … … 2018 von seiner Aussage der täglichen Medikation nicht ab. Stattdessen beharrte er darauf, ein Dauerrezept bekommen zu haben, was durch die Angaben der kbO-Klinik vom … … 2018 widerlegt wurde. Der Kläger verzichtete trotz der bestehenden Symptomatik offensichtlich zu großen Teilen auf eine Medikation. Nach den Angaben des Gutachters ist die niedrige Dosierung von Mirtazapin nicht ausreichend wirksam für eine Symptombesserung gewesen, so dass davon ausgegangen werden muss, dass der Kläger bei Vorliegen von derart schwerwiegenden Symptomen, dass eine dringender Leidensdruck besteht (wie in der Begutachtung vorgetragen), bis zu einer Höherdosierung oder der Verschreibung eines anderen Medikaments das Klinik weiterhin aufgesucht hätte. Bei bestehenden schwerwiegenden Erkrankungen ist davon auszugehen, dass eine ärztliche Behandlung fast durchgehend notwendig ist bzw. eine Behandlungsunterbrechung durch eine vorübergehende Verbesserung der Symptome und dann ggfls. eines darauf folgenden Einbruchs zu erklären ist, was hier nicht ersichtlich ist.
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Das Verhalten des Klägers bezüglich seiner Erkrankung erscheint von Übertreibungen und asyltaktischem Vorgehen gesteuert. So sind die Angaben bezüglich der Tötung seiner Eltern vom Kläger im Rahmen der …-Atteste stark dramatisiert worden („Vater und Mutter vor seinen Augen von den Taliban getötet worden, als er 13 Jahre alt war“). Eine erhebliche Steigerung des Sachvortrags zieht sich durch die Atteste bis zum psychiatrischen Sachverständigengutachten. Auch bezüglich seiner Angaben zum Alkoholkonsum im Attest vom … … 2018 und im Rahmen der psychiatrischen Begutachtung sind Konsummuster erkennbar, die befremdlich wirken (zunächst abstinent, dann in drei Tagen eine Flasche Wodka, dann regelmäßige über Monate eine Flasche Wodka oder Whisky in zwei Tagen, bis Arzt wegen Leberschäden mit ihm geredet habe. Dann wieder plötzliche Abstinenz von einem Tag auf den anderen). Bezüglich der vom Kläger im Rahmen der Begutachtung vorgetragenen Suizidversuche ist nicht von einer Ernsthaftigkeit auszugehen, was auch der Gutachter bezweifelt. Das Gericht verweist hierzu auch auf den Arztbericht vom … … 2016 (auf den Weg zur Arbeit habe sich Kläger krank gefühlt und auf die Straße gelegt bis Rettungswagen ihn ins Krankenhaus gebracht habe. Diagnostiziert wurde eine leichte Viruserkrankung mit Kopfschmerzen). Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wirkte der Kläger generell zurückhaltend und wenig auskunftsfreudig. Die Richterin musste viele Nachfragen stellen, da der Kläger zu kurzen Antworten neigte. Besonders auffällig ist dahingegen, dass der Kläger im Rahmen der mündlichen Verhandlung nach der deutlichen Nachbefragung durch die Vertreterin des Bundesamts der Diskussion der Richterin, der Mitarbeiterin des Bundesamtes und der Klägerbevollmächtigten zunächst ruhig zuhörte, um dann unterbrechend darauf hinzuweisen, dass er bereits versucht habe, sich umzubringen, indem er sich vor dem Zug werfen habe wollen. Dieser Vortrag war bis dahin weder in den ärztlichen Attesten, noch in den Angaben des Klägers aufgetaucht. Als die Richterin dem Kläger daraufhin mitteilte, dass zum Abklären des Vorliegens einer psychiatrischen Erkrankung ein Sachverständigengutachten eingeholt und daher im heutigen Termin nicht entschieden werde, zeigte der Kläger unmittelbar eine starke Freudenreaktion. Auch der Gutachter stellte dieses Verhalten in seiner Begutachtung fest (S. … des Gutachtens „…“); dort im Kontakt mit der Begleitperson.
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Das Sachverständigengutachten ist nach Prüfung durch das Gericht inhaltlich ohne Widersprüche, unter Berücksichtigung der Aktenlage und einer eigenen Begutachtung zu Stande gekommen und neutral formuliert. Gegen eine Verwertung bestehen von Seiten des Gerichts daher keine Bedenken.
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Insgesamt gesehen sind die diagnostizierten Erkrankungen trotz noch weiter bestehende Symptome nach Einschätzung des Gerichts nicht als schwerwiegend im Sinne des § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG anzusehen.
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Selbst bei Bewertung der Erkrankungen als schwerwiegend ist eine konkrete, erhebliche Gefahr für das Leben bzw. den Leib des Klägers bei Abschiebung nach Afghanistan nicht zu erwarten. Für die Bestimmung der „Gefahr“ gilt der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, d.h. die drohende Rechtsgutverletzung darf nicht nur im Bereich des Möglichen liegen, sondern muss mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein (BVerwG, B.v. 2.11.1995 - 9 B 710/94 - juris). Eine Gefahr ist „erheblich“, wenn eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität zu erwarten ist. Das wäre der Fall, wenn sich der Gesundheitszustand des Ausländers wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde. Eine wesentliche Verschlechterung ist nicht schon bei einer befürchteten ungünstigen Entwicklung des Gesundheitszustandes anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden. Außerdem muss die Gefahr konkret sein, was voraussetzt, dass die Verschlechterung des Gesundheitszustands alsbald nach der Rückkehr des Betroffenen in sein Herkunftsland eintreten wird, weil er auf die dort unzureichenden Möglichkeiten zur Behandlung seiner Leiden angewiesen wäre und anderswo wirksame Hilfe nicht in Anspruch nehmen könnte (vgl. BVerwG, U.v. 29.7.1999 - 9 C 2/99 - juris Rn. 8).
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Die Gefahr einer eintretenden erheblichen Gesundheits- bzw. Lebensgefahr ist im Fall des Klägers bei Rückführung nach Afghanistan nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit konkret zu erwarten. Zwar ergibt sich aus dem psychiatrischen Sachverständigengutachten, dass bei Rückführung nach Afghanistan mit einer deutlichen Verschlechterung seines psychischen Zustands zu rechnen sei. Auch ist eine lebensbedrohliche Verschlechterung der psychischen Symptomatik bis hin zur Suizidalität nach gutachterlicher Sicht nicht gänzlich auszuschließen. Diese gutachterliche Einschätzung ist jedoch nicht ausreichend, um die erforderliche überwiegende Wahrscheinlichkeit eines außergewöhnlich schweren psychischen Schadenseintritts alsbald nach der Rückkehr anzunehmen.
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Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung ist abzulehnen. Zur Begründung wird insoweit nach § 77 Abs. 2 AsylG zunächst auf die Bescheidsbegründung Bezug genommen. Auch unter Berücksichtigung der individuellen Lage des Klägers sowie der neuen Erkenntnismittel zur Lage in Afghanistan (s. auch Prüfung unter § 60 Abs. 5 AufenthG) ist kein so extremer Ausnahmefall gegeben, dass das Gericht wegen einer Verletzung grundlegender Menschenrechte § 60 Abs. 7 AufenthG verfassungskonform auslegen müsste.
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Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei nach § 83b AsylG.
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Die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708, 711 ZPO.