Inhalt

VG Bayreuth, Gerichtsbescheid v. 12.09.2019 – B 1 K 17.850
Titel:

Ausgestaltung der polizeilichen Generalklausel in Bezug auf die Gefährderansprache

Normenketten:
PAG Art. 2 Abs. 1, Art. 4, Art. 5, Art. 11 Abs. 2 S. 1
VwGO § 43
Leitsätze:
1. Eine Gefährderansprache enthält im Allgemeinen keine über Mahnungen und Hinweise hinausgehende Regelungswirkung und ist als schlicht-hoheitliches Handeln zu qualifizieren. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Mit der Gefährderansprache soll einem zukünftig zu besorgenden Verhalten einer Person begegnet werden. In diesem Bereich der Gefahrenabwehr müssen aber konkrete Erkenntnisse vorliegen, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit von der betreffenden Person ausgeht. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
3. Findet eine Ermessensauswahl hinsichtlich der Wahl des Mittels (statt der Gefährderansprache etwa ein Telefonat oder ein Gefährderanschreiben) nicht statt, ist von einem Ermessensausfall auszugehen. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Gefahrenabwehr, Gefährderansprache, Befragung, "Gewalttäter Sport", polizeiliche Generalklausel, Wiederholungsgefahr, Feststellungsklage
Fundstelle:
BeckRS 2019, 35337

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass die polizeiliche Maßnahme vom 15. April 2016 (Aufsuchung und Befragung des Klägers an dessen Wohnanwesen (s. Rubrum) durch einen Beamten der Polizeiinspektion … rechtswidrig war.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt mit seiner Klage die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer polizeilichen Maßnahme vom 15. April 2016.
2
Mit Schreiben vom 25. Oktober 2017, eingegangen beim Verwaltungsgericht Bayreuth am 26. Oktober 2017, ließ der Kläger durch seine Bevollmächtigten Klage erheben mit dem Antrag:
3
Es wird festgestellt, dass die polizeiliche Maßnahme vom 15. April 2016 (Aufsuchung und Befragung des Klägers an dessen Wohnanwesen (s. Rubrum) durch Beamte der Polizeiinspektion … rechtswidrig war.
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Mit Schreiben vom 14. November 2017 beantragte das Polizeipräsidium … für den Beklagten,
die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung ist ausgeführt, dass vom 10. Juni 2016 bis zum 10. Juli 2016 in Frankreich die Spiele der UEFA EURO 2016 unter Beteiligung der deutschen Fußballnationalmannschaft stattgefunden hätten. Es seien auf Grund der geographischen Nähe zu Frankreich und der Feindschaft zu französischen Hooligans Informationen zur Erstellung eines Lagebildes unabdingbar gewesen, insbesondere um Ausschreitungen rechtzeitig zu erkennen und präventive Maßnahmen einzuleiten. Der Kläger sei deshalb am 15. April 2016 gegen 14.30 durch PHK Sch. an seiner Wohnadresse aufgesucht und angesprochen worden. Man habe ihn gefragt, ob er die Spiele der deutschen Nationalmannschaft besuchen werde. Er habe ungehalten reagiert und sei nicht bereit gewesen, Angaben zu machen. Der Kläger werde in der Datei „Gewalttäter Sport“ (wegen Landfriedensbruch und einhergehendem Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte anlässlich eines Fußballspiels in München am … geführt. Zu einer Gefährderansprache sei es nicht gekommen, da der Kläger angekündigt habe, seinen Rechtsanwalt zu kontaktieren und in die Wohnung zurückgegangen sei. Am 28. April 2016 habe der Kläger über seinen Rechtsanwalt Akteneinsicht beantragt. Da hinsichtlich der Gefährderansprache kein Vorgang angelegt worden sei, hätte dem nicht nachgekommen werden können. Eine Dienstaufsichtsbeschwerde sei zurückgewiesen worden. Eine Akte sei nachträglich erstellt worden. Der Kläger habe sich an Ausschreitungen gegenüber Polizeibeamten am 11. Mai 2013 beteiligt und sei am … mit Fußballfans in der U-Bahn in … gewesen, wobei aus dieser Gruppe ein Feuerlöscher gegen einen entgegenkommenden U-Bahn-Zug geworfen worden sei.
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Da kein Verwaltungsakt vorliege, komme nur eine Feststellungsklage in Betracht. Ein Feststellungsinteresse bestehe auf Grund Zeitablaufs nicht mehr. Spätestens nach der Zurückweisung der Dienstaufsichtsbeschwerde am 16. September 2016 hätte eine Klage erhoben werden können. Die Klage erscheine daher rechtsmissbräuchlich. Rechtsgrundlage sei Art. 11 PAG. Eine allgemeine Gefährdungslage habe bestanden, da am zweiten Spieltag der Vorrunde das Spiel Deutschland gegen Polen stattfinden sollte. Die Wahrscheinlichkeit für die Konkretheit der Gefahr ergebe sich aus der Speicherung in der Datei „Gewalttäter Sport“. Für die Annahme einer konkreten Gefahr genüge die Zugehörigkeit einer Person zur Hooliganszene (VG Bayreuth, U.v. 27.11.2015 - B 1 K 15.18). Der Kläger habe sich am … bei Ausschreitungen bei einem Bundesligaspiel beteiligt, indem er eine Polizeikette gewaltsam durchbrochen habe. Am 11. Mai 2013 sei es zu Ausschreitungen einer Gruppe Fans, denen auch der Kläger angehört habe, in der D* … Altstadt in der Nachspielphase des Fußballspiels … gekommen. Der Kläger habe sich am … in einer Gruppe Fußballfans in der U-Bahn befunden, aus deren Mitte ein Feuerlöscher auf einen entgegenkommenden Zug geschleudert worden sei. Man habe deshalb von der Annahme einer allgemeinen Gefährderansprache ausgehen können. Im Vergleich zu weiteren Maßnahmen (Meldeauflage, Ausreiseuntersagung, Gewahrsamnahme) stehe die Gefährderansprache auf unterster Stufe. Vorgelegt wurde ein Aktenvermerk des PHK Sch. vom 7. Juli 2016: Man habe auf Grund eines Fernschreibens des PP … zur Erstellung eines Lagebildes Erkenntnisse zu Fußballspielen der deutschen Nationalmannschaft gewinnen wollen. In diesem Zusammenhang habe er beim Kläger am 15. April 2016 vorgesprochen.
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Mit Schreiben vom 27. Dezember 2017 äußerte der Bevollmächtigte des Klägers, dass ein Feststellungsinteresse auf Grund der Wiederholungsgefahr bestehe. Bei der Maßnahme habe es sich um eine Ausforschungsmaßnahme gehandelt. Es werde hilfsweise beantragt,
die Rechtswidrigkeit in Verbindung mit den erteilten Auskünften festzustellen.
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Die Mitteilung des Polizeipräsidiums vom 16. September 2016 sei unwahr. Mit Schreiben vom 6. Mai 2016 habe die Polizeiinspektion … mitgeteilt, man habe Erkenntnisse über das bevorstehende Länderspiel gewinnen wollen. Nachdem der Unterzeichner mitgeteilt habe, dass es hierfür keine Rechtsgrundlage gebe (Schreiben vom 2. Juli 2016), sei die Rechtsgrundlage ausgetauscht worden. Im Schreiben vom 16. September 2016 habe man ausgeführt, dass der Dienststellenleiter den Sachverhalt verwechselt habe. Die Schilderung des Anlasses der polizeilichen Maßnahme sei versehentlich erfolgt und als gegenstandslos zu bezeichnen. Aus dem im Klageverfahren vorgelegten Aktenvermerk des PHK Sch. (vom 7. Juli 2016) gehe hervor, dass er sehr wohl zur Erkenntnisgewinnung hinsichtlich Fußballspielen der Nationalmannschaft tätig gewesen sei. Die Gefährderansprache sei nicht rechtmäßig gewesen, da der Beamte keine Gefährderansprache habe vornehmen wollen. Eine Eintragung in der Datei „Gewalttäter Sport“ besage nicht, dass eine Person als Gewalttäter gelte (OVG Münster, B.v. 09.09.2013 - 5 B 417/13). Es habe sich bei diesen Eintragungen nicht um Spiele der Nationalmannschaft gehandelt. Im Hinblick auf den Sachverhalt vom … werde eine Eintragung in dieser Datei zudem bestritten. Es lägen keine vollständigen Akten vor, da nicht ersichtlich sei, woraus die Erkenntnisse vom … gewonnen worden seien. Eine konkrete Gefahr habe nicht vorgelegen, da die Ereignisse im Jahr 2013 schon weit zurücklägen und zwischen 2013 und 2016 zahlreiche Spiele der Nationalmannschaft stattgefunden hätten. Das Auskunftsverlangen nach Art. 12 PAG sei rechtswidrig gewesen, da die Personalien der Polizei bekannt gewesen seien. Beigefügt wurde das Schreiben der PI … vom 6. Mai 2016, in welchem ausgeführt wurde, dass die Befragung am 15. April 2016 auf der Grundlage des Art. 12 PAG erfolgt sei und dass man Erkenntnisse im Hinblick auf bevorstehende Länderspiele in Erfahrung habe bringen wollen, dass aber eine schriftliche Dokumentation hierüber nicht vorliege. Beigefügt ist ebenso das Schreiben des Polizeipräsidiums …vom 16. September 2016, in welchem zur Dienstaufsichtsbeschwerde Stellung genommen wird und ausgeführt wird, dass das Schreiben vom 6. Mai 2016 (hinsichtlich der Schilderungen des Anlasses der polizeilichen Maßnahme) als gegenstandslos zu betrachten sei, im Übrigen eine Gefährderansprache vorgelegen habe, wobei die Rechtsgrundlage Art. 11 PAG sei.
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Mit Schreiben vom 9. Januar 2018 führte der Bevollmächtigte des Klägers aus, dass der Kläger am 11. August 2014 nicht in der U-Bahn gewesen sei. Eine Zuständigkeit der Landespolizei (Art. 3 BayPAG) sei nicht gegeben.
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Mit Schreiben vom 18. Januar 2018 wies der Beklagte darauf hin, dass keine Auswechslung der Polizeimaßnahme im Raume stehe. Im Schreiben vom 16. September 2016 habe man nur einen Fehler hinsichtlich der Sachverhaltsmitteilung korrigiert. Der Polizeibeamte habe zunächst die Personalien nach Art. 12 PAG prüfen müssen, um festzustellen, dass es sich um die richtige Person handele, mit der die Gefährderansprache geführt werde. Es sei nicht erinnerlich, dass der Beamte auch nach der Mobilfunknummer gefragt habe. Es sei auf Grund des Verhaltens des Klägers unmöglich gewesen, ihn zu befragen, ob er die Spiele habe besuchen wollen. Der Kläger habe das Gespräch abgebrochen. Ein erheblicher Grundrechtseingriff könne nicht erkannt werden, ebensowenig ein Widerspruch zum Aktenvermerk. Es sei zutreffend, dass bezüglich des 11. August 2014 kein Eintrag in der Datei vorliege. Weiterer Erkenntnisse zu diesem Sachverhalt ergäben sich aus dem polizeilichen Vorgangsverwaltungsprogramm (IGVP). Verwunderlich sei, dass der Kläger hierauf mit Schreiben vom 16. September 2016 angesprochen worden sei, er aber erst im Schreiben vom 9. Januar 2018 an das Verwaltungsgericht erklärt habe, nicht in der U-Bahn gewesen zu sein. Die allgemeine Sicherheitsbehörde sei nicht in der Lage gewesen, eine Ansprache durchzuführen. Der Kläger habe äußerst gereizt reagiert, weshalb es zu Übergriffen hätte kommen können. Die Polizei sei zudem auf Grund eigener Wahrnehmung tätig geworden. Eine Zuständigkeit nach Art. 2 PAG liege vor.
11
Hierzu äußerte der Klägerbevollmächtigte mit Schreiben vom 9. Februar 2018, dass bestritten werde, dass die allgemeine Sicherheitsbehörde Sicherheitsbedenken gehabt habe. Die Polizei sei in einem solchen Fall nur zur Unterstützung hinzuzuziehen, die Aufgabe gehe auf diese aber nicht über. Es habe ein Austausch der Polizeimaßnahme stattgefunden, da aus einer Auskunftsmaßnahme eine Gefährderansprache geworden sei und nunmehr erneut eine Auskunftsmaßnahme nach Art. 12 PAG.
12
Die Beteiligten wurden zum Erlass des Gerichtsbescheids gehört und erklärten ihr Einverständnis hierzu mit Schreiben vom 26. August 2019 und 9. September 2019.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO).

Entscheidungsgründe

I.
14
Über den Rechtsstreit kann gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO durch Gerichtsbescheid entschieden werden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten wurden gemäß § 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid gehört.
II.
15
Die Klage hat in der Sache Erfolg.
16
1. Die Klage ist als Feststellungsklage zulässig.
17
a) Statthafte Klageart ist vorliegend die Feststellungsklage gemäß § 43 VwGO. Mit einer Feststellungsklage kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Zwar ist fraglich, ob es sich bei der Maßnahme schon um eine Gefährderansprache gehandelt hat oder von der Intensität der Maßnahme eher eine Art Auskunftsverlangen vorlag. Selbst wenn man aber von einer Gefährderansprache ausgehen würde, würde es sich nicht um eine Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft, und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist, handeln. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat hierzu mit Urteil vom 07. Dezember 2017 (1 S 2526/16 - juris Rn. 32) ausgeführt, dass die polizeiliche Gefährderansprache im Allgemeinen keine über eine Warnung und Hinweise hinausgehende Regelungswirkung enthält. Sie hat zum Ziel, auf die Willensentschließung des Betroffenen einzuwirken. Ein bestimmtes Verhalten gibt sie diesem aber nicht auf und enthält folglich keine verbindliche Regelung. Somit ist die Gefährderansprache als schlicht-hoheitliches Handeln zu qualifizieren. Mit der Gefährderansprache ist zwischen dem Kläger und dem Beklagten eine Rechtsbeziehung entstanden, die ein konkretes und streitiges, mithin feststellungsfähiges Rechtsverhältnis bildet. Zu klären ist, ob der der Gefährderansprache zugrunde liegende Sachverhalt den handelnden Polizeivollzugsdienst ermächtigte, in der geschehenen Art und Weise zu verfahren. Zwar mag die Gefährderansprache faktisch nicht durchführbar gewesen sein, da der Kläger weitere Auskünfte verweigerte. Der Polizeibeamte hat aber nach eigener Einlassung des Beklagten zu einer Gefährderansprache ansetzen wollen, sodass von einem feststellungsfähigen Rechtsverhältnis ausgegangen werden kann.
18
b) Ein Feststellungsinteresse besteht deshalb, weil der Kläger in der Gewalttäterdatei Sport eingetragen ist und somit eine konkrete Wiederholungsgefahr besteht.
19
c) Die Feststellungsklage ist auch nicht verwirkt. Nach dem auch im Verwaltungsrecht geltenden, aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) abgeleiteten Rechtsgedanken der Verwirkung (vgl. BVerwG, B.v. 11.6.2010 - 6 B 86.09 - juris Rn. 11) kann ein Kläger sein Recht zur Erhebung der Klage nicht mehr ausüben, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung eine längere Zeit verstrichen ist (Zeitmoment) und besondere Umstände hinzutreten (Umstandsmoment), die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen (BayVGH, U.v. 9.10.2014 - 8 B 12.1546 - juris Rn. 17 m.w.N.). Das Umstandsmoment ist insbesondere erfüllt, wenn die Behörde infolge eines bestimmten Verhaltens des Adressaten des Verwaltungsaktes darauf vertrauen durfte, dass dieser nach längerer Zeit nicht mehr von seinem Klagerecht Gebrauch machen werde, und wenn sie sich infolge dieses Vertrauens so eingerichtet hat, dass ihr durch die verspätete Durchsetzung des Klagerechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (vgl. BVerwG, U.v. 18.7.2012 - 8 C 4.11 - BeckRS 2012, 57991 Rn. 86). Gemessen an diesen Grundsätzen liegt eine Verwirkung nicht vor.
20
Der Bevollmächtigte des Klägers hat die Behörde um Auskunft hinsichtlich der über den Kläger gespeicherten Daten erbeten und hat im Rahmen dieses Auskunftsverlangens zum Ausdruck gebracht, dass er von der Rechtswidrigkeit der polizeilichen Maßnahme ausgeht und eine weitere Prüfung anstrebt. Die beantragte Auskunft war im Hinblick auf die Prüfung der Voraussetzungen hinsichtlich der Zulässigkeit und der Begründetheit der Klage von Interesse. Die Auskunft hat der Kläger mit Schreiben des Bayerischen Landeskriminalamts vom 27. Februar 2017 erhalten. Die Klage wurde 8 Monate später erhoben und somit noch innerhalb der Frist von einem Jahr, welche mindestens für die Annahme einer Verwirkung heranzuziehen wäre (Rechtsgedanke aus § 58 Abs. 2 VwGO - auch wenn es sich bei der im Streit stehenden Maßnahme um keinen Verwaltungsakt gehandelt hat). Zudem hat der Kläger kein Umstandsmoment gesetzt, wonach er keinen gerichtlichen Rechtsschutz mehr suchen werde.
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2. Die Feststellungsklage ist begründet. Die polizeiliche Maßnahme vom 15. April 2016 war rechtwidrig und verletzt den Kläger deshalb in seinen Rechten.
22
Nach Art. 2 Abs. 1 PAG hat die Polizei die Aufgabe, die allgemein oder im Einzelfall bestehenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren. Die Polizei wird tätig, soweit ihr die Abwehr der Gefahr durch eine andere Behörde nicht oder nicht rechtzeitig möglich erscheint (Art. 3 PAG). Das Handeln der Polizei muss im Zeitpunkt der Maßnahme nach pflichtgemäßer Beurteilung durch den Polizeibeamten notwendig und unaufschiebbar sein. Die Aufgabeneröffnung ergibt sich hier dadurch, dass im Fall der Gefährderansprache eine andere Behörde die Gefahr aus tatsächlichen Gründen nicht abwehren kann, da sie aus faktischen Gründen gehindert ist (Mängel der Ausrüstung, in der Fortbildung und der Sachkenntnis (Nr. 3.2 VollzBek PAG, Holzner, BeckOK PolR Bayern, 10. Auflage, Stand 1.2.2019, Art. 3 PAG Rn. 8)). In der Literatur ist anerkannt, dass die Gefährderansprache zu einer Aufgabeneröffnung im Zusammenhang mit sportlichen Großveranstaltungen führt. So sind etwa im Vorfeld der Fußballweltmeisterschaft in Deutschland im Jahr 2006 Personen, die in der Vergangenheit am Rande von Fußballspielen gewalttätig geworden waren, von der Polizei darauf hingewiesen worden, dass sie im polizeilichen Fokus stünden und gegen sie bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen vorbeugende Maßnahmen ergriffen werden könnten.. Solche Hinweise können zusätzlich damit verbunden sein, dass den betreffenden Personen nahegelegt wird, eine bestimmte Veranstaltungsstätte zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht aufzusuchen (Prof. Dr. T. H., Die Gefährderansprache, NVwZ 2011, 1364).
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Rechtsgrundlage für die Maßnahme ist nicht der am 1. August 2017 neu eingeführte Art. 11 Abs. 3 Satz 1 PAG, sondern die zum Zeitpunkt der Maßnahme geltende polizeiliche Generalklausel des Art. 11 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 oder Nr. 3 PAG (Holzner, BeckOK PolR Bayern, 10. Auflage, Stand 1.2.2019, Art. 11 PAG Rn. 212).
24
Bei einer Gefährderansprache handelt die Behörde „im Frühstadium“ von Gefahren, denn es soll einem zukünftig zu besorgenden Verhalten einer bestimmten Person begegnet werden. Der Bereich der Gefahrenabwehr darf indes nicht verlassen und der Bereich der bloßen Gefahrenvorsorge nicht betreten werden, denn so weitgehend zu Gunsten der Polizeibehörden ist die polizeiliche Generalklausel nicht ausgestaltet. Es müssen daher konkrete Erkenntnisse vorliegen, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit von der betreffenden Person eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht (Prof. Dr. T. H., Die Gefährderansprache, NVwZ 2011, 1364). Das Vorliegen einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit einer Gefahr wurde hier vom Beklagten nicht dargelegt. Der Kläger ist in der Datei „Gewalttäter Sport“ wegen Landfriedensbruchs und einhergehendem Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte anlässlich eines Fußballspiels in … am … eingetragen. Im Raum soll auch noch stehen, dass der Kläger am … mit Fußballfans in der U-Bahn in Nürnberg gewesen sei, wobei aus dieser Gruppe ein Feuerlöscher gegen einen entgegenkommenden U-Bahn-Zug geworfen worden sei. Dies wird vom Kläger allerdings bestritten. Das Lagebild sollte zu den ab 10. Juni 2016 bis zum 10. Juli 2016 in Frankreich stattfindenden Spielen der UEFA EURO 2016 erstellt werden. Da der Kläger aber bereits zwei Jahre nicht mehr in Erscheinung getreten war und in der Zwischenzeit schon vermehrt Bundesligaspiele stattgefunden hatten (zu deren Besuchen der Kläger nicht befragt wurde) und auch ein Auftreten in Zusammenhang mit Spielen der Nationalmannschaft noch nie im Raum stand, kann nicht davon ausgegangen werden, dass bei einem in … wohnenden Kläger konkret die Gefahr bestand, dass er sich die bevorstehenden Fußballspiele vor Ort (in Paris) ansehen werde und auch hier in irgendeiner Form auffällig in Erscheinung treten wird.
25
Selbst wenn man eine konkrete Gefahr bejahen würde, müsste eine ordnungsgemäße Ermessensausübung erfolgen (Art. 5 PAG). Da im vorliegenden Fall nicht einmal ein Aktenvermerk angefertigt wurde, scheint es sich bei der Maßnahme eher um eine Einzelmaßnahme, die willkürlich gegenüber einem Einzelnen getroffen wurde, als um die Erstellung eines allgemeinen Lagebildes gegenüber einer Mehrheit von Personen, die im Hinblick auf die Spiele in Frankreich gefährlich erscheinen könnten, gehandelt zu haben. In den Akten finden sich keine Hinweise, die auf die Erstellung eines Lagebildes hindeuten (also weder ein Anschreiben des Polizeipräsidiums … hierzu wie im später gefertigten Aktenvermerk angedeutet - noch sonstige Anhaltspunkte, die auf die Erstellung eines allgemeinen Lagebildes schließen lassen). Wäre tatsächlich ein Lagebild zu erstellen gewesen, so hätte gerade die Weigerung der Auskunft des Klägers Anlass geboten, weiter zu ermitteln und der anfragenden Stelle Mitteilung zu machen. In jedem Fall hätte dann schon viel früher eine Akte angelegt werden müssen und nicht erst zum Zeitpunkt des Akteneinsichtsgesuchs des Bevollmächtigten des Klägers. Zudem wären hinsichtlich der Wahl des Mittels auch andere Maßnahmen wie ein Telefonat oder ein Gefährderanschreiben denkbar gewesen. Eine Ermessensauswahl hierzu fand nicht statt, sodass von einem Ermessensausfall auszugehen ist. Hinzu kommt, dass die zuletzt genannten Maßnahmen wohl auch weniger einschneidend gewesen wären und nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Art. 4 PAG) vorrangig zu prüfen gewesen wären.
III.
26
Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.