Inhalt

VGH München, Beschluss v. 12.03.2019 – 11 CS 18.2476
Titel:

Erlass einer Fahrtenbuchauflage nach Veräußerung des Tatfahrzeugs

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
StVZO § 31a
Leitsatz:
Die Veräußerung des Tatfahrzeugs schließt den Erlass einer Fahrtenbuchauflage nicht aus (Anschluss BVerwG BeckRS 9998, 37851), da die Fahrtenbuchauflage an den Umstand anknüpft, dass der Fahrzeughalter im Zeitpunkt des Verkehrsverstoßes die Verfügungsbefugnis und die Kontrollmöglichkeit über das Fahrzeug hatte, aber nicht aufgeklärt werden konnte, wer mit dem von ihm gehaltenen Fahrzeug den Verkehrsverstoß begangen hat. Diese Gefahr kann auch bei einem anderen Fahrzeug weiterhin bestehen. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Erlass einer Fahrtenbuchauflage nach Veräußerung des Tatfahrzeugs, Haltereigenschaft im Zeitpunkt des Verkehrsverstoßes maßgeblich, vorläufiger Rechtsschutz
Vorinstanz:
VG Ansbach, Beschluss vom 29.10.2018 – AN 10 S 18.1530
Fundstelle:
BeckRS 2019, 3410

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 1.200,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin wendet sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine für sofort vollziehbar erklärte Anordnung, ein Fahrtenbuch zu führen, und die hierzu ergangenen Nebenverfügungen.
2
Am 3. April 2018 wurde mit einem zu diesem Zeitpunkt auf die Antragstellerin zugelassenen Kraftfahrzeug mit dem Kennzeichen GUN-* … bei einer Geschwindigkeit von 156 km/h der erforderliche Mindestabstand von 78 m zum vorausfahrenden Fahrzeug nicht eingehalten und damit eine nach dem Bußgeldkatalog mit einer Regelbuße von 180,- EUR und einem Punkt belegte Ordnungswidrigkeit begangen. Der Abstand betrug lediglich 27 m. Auf dem mit Schreiben des Polizeiverwaltungsamts vom 9. April 2018 übersandten Anhörungsbogen teilte die Antragstellerin mit, sie gebe die Ordnungswidrigkeit nicht zu und verweigere die Aussage. Der nachfolgend angehörte Ehemann und Bevollmächtigte der Antragstellerin gab an, er sei an diesem Tag mit einem anderen Fahrzeug in Sachsen unterwegs gewesen. Sie hätten zwei Söhne, einen Schwiegersohn und zwei Brüder.
3
Der verantwortliche Fahrzeugführer konnte nicht festgestellt werden, da das Gesicht des auf dem Foto gezeigten Fahrzeugführers durch eine Sonnenblende verdeckt war. Verfolgungsverjährung trat am 3. Juli 2018 ein.
4
Im Rahmen der Anhörung zum Erlass einer Fahrtenbuchauflage teilte die Antragstellerin mit, der verantwortliche Fahrzeugführer sei ihr sehr wohl bekannt. Da es sich um einen Blutsverwandten ersten Grades handle, mache sie von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch. Das Fahrzeug stehe nur dem engsten Familienkreis zur Verfügung und werde nicht von irgendwelchen Fremden benutzt.
5
Nach nochmaliger Anhörung verpflichtete das Landratsamt Weißenburg-Gunzenhausen die Antragstellerin gestützt auf § 31a StVZO durch Bescheid vom 25. Juli 2018, für die Dauer von neun Monaten ab Zustellung des Bescheids ein Fahrtenbuch für das Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen GUN-* … und jedes etwaige Ersatzfahrzeuge zu führen. Weiter gab es ihr auf, das Fahrtenbuch mindestens sechs Monate nach Ablauf der Zeit, für die es geführt werden muss, aufzubewahren, auf Verlangen zur Überprüfung auszuhändigen und - unter Androhung eines Zwangsgelds - ohne weitere Aufforderung vierteljährlich zur Prüfung vorzulegen. Für jede dieser Verfügungen wurde die sofortige Vollziehung angeordnet.
6
Am 7. August 2018 erhob die Antragstellerin Klage (AN 10 K 18.01531) beim Verwaltungsgericht Ansbach, über die noch nicht entschieden ist, und beantragte gleichzeitig, die sofortige Vollziehbarkeit des Bescheids im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes aufzuheben. Zur Begründung wurde ausgeführt, das Fahrzeug sei bereits am 26. Juni 2018 veräußert und am 2. Juli 2018 auf den neuen Eigentümer zugelassen worden. Somit greife die Ersatzfahrzeugklausel nicht.
7
Mit Beschluss vom 29. Oktober 2018 gab das Verwaltungsgericht dem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz insoweit statt, als eine Fahrtenbuchauflage von mehr als sechs Monaten angeordnet wurde. In den Gründen wird ausgeführt, die Verhängung der Fahrtenbuchauflage sei grundsätzlich rechtmäßig. Die Fahrerermittlung sei unmöglich gewesen, weil die Antragstellerin von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht habe, was eine Fahrtenbuchauflage nicht ausschließe. Der Bescheid sei auch nicht deshalb rechtswidrig, weil die Antragstellerin das Fahrzeug während des Anhörungsverfahrens ihrem Ehemann übereignet habe. Die Fahrtenbuchauflage erstrecke sich auf jedes Ersatzfahrzeug und gehe somit keinesfalls ins Leere. Sie sei auch verhältnismäßig und ermessenfehlerfrei ergangen, denn der mit einem Punkt bewertete Verkehrsverstoß sei von einigem Gewicht. Allerdings sei kein Ermessen hinsichtlich ihrer Dauer ausgeübt worden. Hinsichtlich einer Mindestdauer von sechs Monaten sei das Ermessen jedoch intendiert, so dass insoweit Ermessenserwägungen entbehrlich seien.
8
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin mit dem Antrag, den angegriffenen Bescheid aufzuheben. Zur Begründung wird ausgeführt, Gegenstand des Klage- und Beschwerdeverfahrens sei nicht die abstrakte Rechtmäßigkeit der Fahrtenbuchauflage, sondern, dass sie für ein vormals im Eigentum der Antragstellerin stehendes Fahrzeug angeordnet worden sei, obwohl sich dieses bereits zwei Wochen vor Erlass des Bescheids nicht mehr in ihrem Eigentum befunden habe. Die Erstreckung auf ein Ersatzfahrzeug trete gegenüber der direkten Fahrtenbuchauflage für ein bestimmtes Fahrzeug in Umfang und Wirkung vollkommen zurück. Durch den Bescheid sei der Antragstellerin eine unmögliche Verpflichtung auferlegt worden. Es sei nicht nachvollziehbar, dass das Verwaltungsgericht die Erstreckungsregelung genauso hoch, ja sogar vorrangig gegenüber der eigentlichen konkreten Fahrtenbuchauflage gewichte. Die Hilfsauflage werde somit „zur einzigen Legaldefinition für den an sich rechtswidrigen Bescheid hochstilisiert“. Die Prüfung, ob das Fahrzeug noch auf die Antragstellerin zugelassen gewesen sei, wäre der Behörde bei Erlass des Bescheids ohne weiteres möglich gewesen. Fahrtenbuchauflagen dürften nur gegen den aktuellen Fahrzeughalter ergehen und gingen ins Leere, wenn dies nicht mehr der Fall sei. Habe die Behörde die Halterprüfung versäumt, sei der Bescheid rechtswidrig, was auch für die zugehörige Gebührenrechnung gelte. Es sei grob ermessensfehlerhaft, wenn das Gericht der Behörde zwei Wochen zubillige, während der sie den Halterwechsel nicht zu beachten habe. Außerdem sei der Bescheid zu unbestimmt. Sei der Bescheid in einem wesentlichen Bestandteil rechtswidrig, sei er nach herrschender Meinung insgesamt als rechtswidrig und damit als nichtig zu betrachten. Eine Heilung für den Teilbereich komme nicht in Frage.
9
Der Antragsgegner tritt der Beschwerde entgegen und führt dazu aus, die Fahrtenbuchauflage sei jedenfalls für die Dauer von sechs Monaten rechtmäßig. Die Regelung in § 31a Abs. 1 Satz 2 StVZO ziele darauf ab, Umgehungsversuche durch Veräußerung des Fahrzeugs - wie vorliegend - auszuschließen.
10
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und auf die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
11
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
12
Offen bleiben kann, ob die Beschwerde wegen Fehlens eines Rechtsschutzbedürfnisses infolge Erledigung der Hauptsache bereits unzulässig ist, weil die Antragstellerin das an ihren Ehemann veräußerte Fahrzeug nicht mehr hält, dieses auch nicht als Ersatzfahrzeug dient (vgl. Laws/Lohmeyer/Vinke in jurisPK-Straßenverkehrsrecht, Stand 22.8.2018, § 7 StVG Rn. 131 zur Haltereigenschaft bei Ehegatten; BayVGH, B.v. 27.1.2004 - 11 CS 03.2940 - BayVGBl 2004, 633 = juris Rn. 11 f.: Eigenschaft als Ersatzfahrzeug setzt nicht voraus, dass der Adressat der Fahrtenbuchauflage Halter im Sinne des § 7 StVG ist), ein sonstiges Ersatzfahrzeug nicht angeschafft worden ist und sie während der Dauer der Fahrtenbuchauflage auch kein Ersatzfahrzeug mehr anschaffen wird (vgl. OVG NW, U.v. 30.9.1996 - 25 A 6279/95 - juris Rn. 38, 43, 45).
13
Denn aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 1 bis 6 VwGO), ergibt sich jedenfalls nicht, dass die erstinstanzliche Entscheidung abzuändern oder aufzuheben wäre.
14
Nach § 31a Abs. 1 Satz 1 der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) vom 26. April 2012 (BGBl I S. 679), im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt geändert durch die am 20. Mai 2018 in Kraft getretene Verordnung vom 23. März 2017 (BGBl I S. 522), kann die nach Landesrecht zuständige Behörde gegenüber einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere auf ihn zugelassene oder künftig zuzulassende Fahrzeuge die Führung eines Fahrtenbuchs anordnen, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war.
15
Die Veräußerung des Tatfahrzeugs schließt den Erlass einer Fahrtenbuchauflage nicht aus (vgl. BVerwG, B.v. 3.2.1989 - 7 B 18.89 - NJW 1989, 1624 = juris Rn. 5; NdsOVG, B.v. 30.4.2015 - 12 LA 156/4 - ZfSch 2015, 415 = juris Rn. 5; VGH BW, U.v. 24.5.1984 - 10 S 393/84 - juris 2. Ls). Für die Frage, wem als Halter die Führung eines Fahrtenbuchs auferlegt werden kann, kommt es auf die Haltereigenschaft im Zeitpunkt des Verkehrsverstoßes an (König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl. 2019, § 31a StVZO Rn. 47; OVG NW, B.v. 17.9.2012 - 8 B 979/12 - juris Rn. 10; B.v. 19.1.2012 - 8 A 2641/11 - juris Rn. 10). Denn die Fahrtenbuchauflage knüpft an den Umstand an, dass der Fahrzeughalter im Zeitpunkt des Verkehrsverstoßes die Verfügungsbefugnis und die Kontrollmöglichkeit über das Fahrzeug hatte, aber nicht aufgeklärt werden konnte, wer mit dem von ihm gehaltenen Fahrzeug den Verkehrsverstoß begangen hat. Um die Wiederholung einer vergleichbaren Situation in der Zukunft während eines überschaubaren Zeitraums zu vermeiden, kann der verantwortliche Fahrzeughalter durch das Führen eines Fahrtenbuchs zu einer nachprüfbaren Überwachung der Fahrzeugbenutzung angehalten werden. Unerheblich ist insoweit, ob der Fahrzeughalter nach dem Verkehrsverstoß sein Fahrzeug veräußert hat und ein anderes Fahrzeug hält (OVG NW, a.a.O.). Ferner ist der eindeutig an die Antragstellerin gerichtete Bescheid, der sich auf ein bestimmtes Fahrzeug und jedes Ersatzfahrzeug bezieht, auch nicht zu unbestimmt im Sinne von Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG.
16
Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1, 2 GKG und den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1 und Nr. 46.11 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Da im Beschwerdeverfahren nurmehr eine Fahrtenbuchauflage mit der Dauer von sechs Monaten streitbefangen war, war der Streitwert gegenüber dem erstinstanzlichen Verfahren um 600,- EUR zu ermäßigen.
17
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).