Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 12.03.2019 – 1 AR 10/19
Titel:

Gerichtsstand der streitgenössischen Drittwiderklage

Normenketten:
ZPO § 29a Abs. 1, § 33, § 36 Abs. 1 Nr. 3, § 59, § 60
EGZPO § 9
Leitsätze:
1. Erhebt der Beklagte eine mit der Klage im rechtlichen Zusammenhang stehende Widerklage sowohl gegen den Kläger als auch gegen einen bisher am Rechtsstreit nicht beteiligten Dritten als Streitgenossen im Sinne der §§ 59, 60 ZPO, ist diese streitgenössische Drittwiderklage unter den Voraussetzungen der als Klageänderung behandelten Parteierweiterung zulässig (so auch BGH BeckRS 2010, 27628). (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei einer streitgenössischen Drittwiderklage folgt der Gerichtsstand aus § 33 ZPO analog, ohne dass es zur Herbeiführung der gerichtlichen Zuständigkeit einer Entscheidung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO bedarf. (Rn. 6 und 9 – 10) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
streitgenössische Drittwiderklage, Zuständigkeitsbestimmung, Gerichtsstand, analoge Anwendung
Fundstelle:
BeckRS 2019, 3268

Tenor

Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 ZPO liegen nicht vor.

Gründe

I.
1
Gegen den Antragsteller hat die Antragsgegnerin zu 1) vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth Klage auf Herausgabe einer Bürgschaftsurkunde erhoben. Die Parteien streiten über Ansprüche aus einem beendeten Rewerberaummietverhältnis über ein in N. belegenes Mietobjekt.
2
Mit Schriftsatz vom 27. Dezember 2018 hat der Antragsteller vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth Widerklage gegen die Antragsgegnerin zu 1) und Drittwiderklage gegen die Antragsgegnerin zu 2) erhoben. Er hat ferner nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO beantragt, das Landgericht Nürnberg-Fürth als zuständiges Gericht für Widerklage und Drittwiderklage zu bestimmen. Beide Antragsgegnerinnen haben ihren Sitz im Bezirk des Landgerichts Augsburg. Gegenstand der Widerklageforderung sind offene Mietzinsforderungen in Höhe von 24.165,38 €. Die Antragsgegnerin zu 2) wird als Mietbürgin in Anspruch genommen.
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Die Antragsgegnerinnen sind der Auffassung, die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Nürnberg-Fürth ergebe sich aus § 33 ZPO, sollte das Gericht anderer Auffassung sein, werde keine Rüge der örtlichen Zuständigkeit erhoben werden.
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Auf den Hinweis, dass hinsichtlich der Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO Bedenken bestehen, führte der Antragsteller aus, für die Widerklage bestehe der ausschließliche Gerichtsstand des § 29a Abs. 1 ZPO am Belegenheitsort der Mietsache, so dass er die beiden Antragsgegnerinnen nicht am gemeinsamen allgemeinen Gerichtsstand in Augsburg hätte in Anspruch nehmen können. Die Frage, ob die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur entsprechenden Anwendbarkeit des § 3 ZPO auf die Drittwiderklage (BGH, Beschluss vom 30. September 2010, Xa ARZ 191/10, BGHZ 187, 112) auf die hier in Rede stehende Konstellation einer Widerklage gegen den Mieter und einer Drittwiderklage gegen den Bürgen übertragbar sei, sei noch nicht geklärt. Ein gemeinsamer besonderer Gerichtsstand sei daher nicht ohne weiteres zuverlässig feststellbar.
II.
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1. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist zur Entscheidung über den Antrag auf Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 36 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 9 EGZPO berufen, weil der Gerichtsstand der (Wider-)Klage im Bezirk des Oberlandesgerichts Nürnberg liegt, während der allgemeine Gerichtsstand der Antragsgegnerin zu 2) zum Bezirk des Oberlandesgerichts München gehört.
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2. Die Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO liegen nicht vor, da beide Antragsgegnerinnen einen gemeinsamen Gerichtsstand beim Gericht der Klage haben (§ 33 ZPO). Sowohl für die Widerklage als auch für die Drittwiderklage ist das Landgericht Nürnberg-Fürth örtlich zuständig, ohne dass es zur Herbeiführung der Zuständigkeit einer gerichtlichen Entscheidung bedarf.
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Die Antragsgegnerinnen sind nach dem im Bestimmungsverfahren maßgeblichen (Schultzky in Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 36 Rn. 28), insoweit auch schlüssigen Vortrag des Antragstellers hinsichtlich des geltend gemachten Anspruchs Streitgenossinnen (§§ 59, 60 ZPO). Denn Hauptschuldner und Bürge stehen in Ansehung des Streitgegenstandes in Rechtsgemeinschaft und sind daher Streitgenossen (vgl. Althammer in Zöller, ZPO, § 60 ZPO Rn. 5 m. w. N.).
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In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist das Institut der - hier vorliegenden - parteierweiternden Widerklage anerkannt. Erhebt der Beklagte eine mit der Klage im rechtlichen Zusammenhang stehende Widerklage sowohl gegen den Kläger als auch gegen einen bisher am Rechtsstreit nicht beteiligten Dritten als Streitgenossen im Sinne der §§ 59, 60 ZPO, ist diese streitgenössische Drittwiderklage unter den Voraussetzungen der als Klageänderung behandelten Parteierweiterung zulässig. Hierdurch sollen die Vervielfältigung und Zersplitterung von Prozessen vermieden sowie zusammengehörige Ansprüche einheitlich verhandelt und entschieden werden (BGH, Beschluss vom 30. September 2010, Xa ARZ 191/10, BRHZ 187, 112 ff. Rn. 5 - 6).
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Nach der früheren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschluss vom 24. Juni 2008, X ARZ 69/08, NJW-RR 2008, 1516) begründete die den besonderen Gerichtsstand für die Widerklage regelnde Vorschrift des § 33 ZPO für den bisher am Verfahren nicht beteiligten Drittwiderbeklagten keinen Gerichtsstand am Gericht der Klage. Diese Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof jedoch mit seiner Entscheidung vom 30. September 2010 (BGHZ 187, 112 ff) „jedenfalls“ für die Drittwiderklage gegen den bisher nicht am Verfahren beteiligten Zedenten der Klageforderung aufgegeben und zur Begründung insbesondere ausgeführt, der besondere Gerichtsstand des § 33 ZPO habe seinen Grund darin, dass bei Bestehen eines Sachzusammenhangs die Verfahrenskonzentration gefördert und zugleich ein prozessuales Gleichgewicht hergestellt werden solle. Das Bedürfnis, zusammenhängende Ansprüche einheitlich zu verhandeln und zu entscheiden, um eine Vervielfältigung und Zersplitterung von Prozessen über einen einheitlichen Lebenssachverhalt und die damit einhergehende Gefahr sich widersprechender Entscheidungen zu vermeiden, bestehe auch und gleichermaßen in den Fällen, in denen der Bundesgerichtshof schon bisher eine Drittwiderklage für zulässig gehalten habe. Die Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO führte indes dazu, dass regelmäßig eine gerichtliche Bestimmung des zuständigen Gerichts erforderlich wäre, obwohl nur die Bestimmung des Gerichts der Klage als zuständiges Gericht auch für die Drittwiderklage in Betracht komme. Die Zuständigkeit eines anderen Gerichts für Klage und Widerklage könne nicht bestimmt werden, weil § 36 ZPO keine Handhabe dafür biete, dem Kläger auf den Antrag des Beklagten den von ihm gewählten Gerichtsstand zu entziehen.
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Diese Überlegungen sind auf die hiesige Fallkonstellation übertragbar. Da bei einer streitgenössischen Drittwiderklage auch nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO nur das Gericht bestimmt werden könnte, bei dem die Klage bereits anhängig ist, ist nicht ersichtlich, wie durch eine analoge Anwendung des § 33 ZPO auf diesen Fall die Interessen des Drittwiderbeklagten beeinträchtigt werden könnten. Soweit im Schrifttum eine generelle Anwendung des § 33 ZPO auf am Rechtsstreit unbeteiligte Dritte - wegen möglicher anderer Interessenlagen - zurückhaltend beurteilt wird (Vossler, NJW 2011, 662, 463; Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 39. Aufl. 2018, § 33, Rn. 13; a. A. Schultzky in Zöller, ZPO, § 33 Rn. 28 m. w. N.), werden jedenfalls im Hinblick auf die streitgenössische Drittwiderklage - soweit ersichtlich - keine grundlegenden Bedenken geäußert.
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Ohne Erfolg beruft sich der Antragsteller darauf, ein gemeinsamer Gerichtsstand könne nicht zuverlässig festgestellt werden. Anerkannt ist in der Rechtsprechung allerdings, dass es für eine Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO genügt, wenn sich ein gemeinsamer Gerichtsstand aufgrund des insoweit maßgeblichen tatsächlichen Vorbringens nicht zuverlässig feststellen lässt (BGH, Beschluss vom 27. November 2018, X ARZ 321/18, juris Rn. 17; BGH, Beschluss vom 20. Mai 2008, X ARZ 98/08, WM 2008, 1425 Rn. 11). Dies ist hier aber aus den oben genannten Gründen nicht der Fall. Eine Zuständigkeitsbestimmung ist auch nicht ausnahmsweise aus prozessökonomischen Gründen veranlasst. Dies kann der Fall sein, wenn das nach Ansicht des Senats zuständige Gericht erhebliche Zweifel an seiner Zuständigkeit geäußert hat (BayObLG, Beschluss vom 10. November 2003, 1Z AR 114/03, BayObLGR 2004, 85) oder derartige Zweifel bereits jetzt gegeben sind und durch eine Bestimmung des zuständigen Gerichts zum jetzigen Zeitpunkt Zuständigkeitsstreitigkeiten für das weitere Verfahren vermieden werden können (OLG Stuttgart, Beschluss vom 16. November 2015, 14 AR 2/15, MDR 2016, 179/180). Hier gehen jedoch auch die Antragsgegnerinnen von der Zuständigkeit des Gerichts der Klage aus.