Inhalt

VGH München, Urteil v. 10.10.2019 – 20 BV 18.2231
Titel:

Verkehrsverbot für Tabakerzeugnisse

Normenketten:
TabakerzG § 11
RL 2014/40/EU Art. 2 Nr. 8, Art. 27 Abs. 1 S. 1
BayGDVG Art. 1 Abs. 2 Nr. 4, Art. 4 Abs. 1 S. 1, Art. 21 Abs. 2 Nr. 2
Leitsätze:
1. Ein Tabakerzeugnis ist nur dann zum Kauen bestimmt i.S.d. Art. 2 Nr. 8 der RL 2014/40/EU, wenn es an sich nur gekaut konsumiert werden kann, d.h. wenn die wesentlichen Inhaltsstoffe im Mund nur durch Kauen freigesetzt werden können. Dies ist nicht der Fall, wenn das Tabakerzeugnis, obwohl es auch gekaut werden kann, nur im Mund gehalten werden muss, damit seine wesentlichen Inhaltsstoffe freigesetzt werden (lt. EuGH, U.v. 17.10.2018 - C-425/17, Rn 32 und 33). (Rn. 33 – 39)
2. Ob dies der Fall ist, hat das nationale Gericht anhand aller relevanten objektiven Merkmale des Tabakerzeugnisses wie ihrer Zusammensetzung, ihrer Konsistenz, ihrer Darreichungsform und ggf. ihrer tatsächlichen Verwendung durch die Verbraucher festzustellen (lt. EuGH, U.v. 17.10.2018 - C-425/17, Rn. 35). (Rn. 33)
3. Es ist im Rahmen von § 11 TabakerzG, Art. 17 der RL 2014/40/EU irrelevant, ob ein Tabakerzeugnis „herkömmlich“ als Kautabak bezeichnet wird, also seit vielen Jahren unter der Bezeichnung „Kautabak“ hergestellt und benutzt wird. Maßgeblich sind allein die Auslegungskriterien gemäß dem Urteil des EuGH vom 17. Oktober 2018 (C-425/17). (Rn. 43)
4. Dem Urteil des EuGH vom 17. Oktober 2018 (C-425/17) lässt sich eine Aussage, dass es für die „Bestimmung zum Kauen“ auf die Quantität oder den Anteil der extrahierbaren Menge der wesentlichen Inhaltsstoffe des Tabakerzeugnisses, die bzw. der nur durch Kauen freigesetzt werden kann, ankomme, nicht entnehmen. (Rn. 40)
Schlagworte:
Tabakerzeugnis zum oralen Gebrauch, Zum Kauen bestimmtes Tabakerzeugnis (verneint), Kautabak, Aufhebung, Berufung, Binnenmarkt, Gesellschaft, Gutachten, Konsum, Verbot, Verbraucher, Verfahren, Verkauf, Tabakerzeugnis, Gebrauch, Verkehrsverbot, Chewing Bags
Vorinstanz:
VG Augsburg, Urteil vom 28.07.2015 – Au 1 K 14.1563
Rechtsmittelinstanz:
BVerwG Leipzig, Beschluss vom 12.05.2020 – 3 B 5.20
Fundstellen:
ZLR 2020, 535
BeckRS 2019, 31409
PharmR 2020, 68
LSK 2019, 31409

Tenor

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1
Die Klägerin wendet sich gegen ein Vertriebsverbot für das Tabakerzeugnis „… … Chewing Bags“, das von der Beigeladenen in Dänemark hergestellt wird. Die Klägerin ist eine im Zuständigkeitsbereich der Beklagten ansässige Gesellschaft, die u.a. dieses Tabakerzeugnis nach Deutschland einführt und auf dem deutschen Markt vertreibt.
2
Mit Gutachten vom 18. September 2014 begutachtete das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) eine Probe des Tabakerzeugnisses „… … Chewing Bags“. In diesem Gutachten kam das LGL zu dem Ergebnis, dass es sich bei der Probe aufgrund der Struktur, Konsistenz und Verwendungsart um ein verbotenes Tabakprodukt handele, da es zum anderweitigen oralen Gebrauch als Rauchen oder Kauen bestimmt sei. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollten neuartige Produkte zum oralen Gebrauch mit Ausnahme des herkömmlichen Kautabaks untersagt werden. In der Literatur würden Tabakprodukte, die für den oralen Gebrauch bestimmt seien, in zwei Gruppen aufgeteilt, nämlich Produkte zum Saugen und Lutschen sowie Produkte zum Kauen. Erzeugnisse zum Kauen würden als zu Riegeln gepresste Produkte und gerollte Tabakblätter beschrieben. Traditionelle Kautabake bestünden aus Tabakblättern, die beispielsweise zu Stängeln aufgerollt seien. Eine gesetzliche Definition von Kautabak existiere nicht. Bei dem vorliegenden Tabakprodukt handele es sich um fein geschnittenen Tabak, der in kleine, poröse Zellulosebeutelchen verpackt sei und damit von traditionellem Kautabak deutlich abweiche. Das Produkt sei optisch nahezu identisch mit Snus und werde auch wie dieser verwendet, indem man es zwischen Lippen und Zahnfleisch oder in der Wangenfalte positioniere. Die Frage, ob ein Produkt zum Kauen bestimmt sei, sei aus der Sicht des Verbrauchers zu beurteilen. Hier habe eine Internetrecherche ergeben, dass das Produkt von vielen Nutzern als Snus-Ersatz angesehen werde.
3
Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 13. Oktober 2014 verpflichtete die Beklagte die Klägerin, das Tabakerzeugnis „… … Chewing Bags“ der Beigeladenen nicht mehr in den Verkehr zu bringen (Ziff. I). Laut Ziff. II. wurde mit dem Bescheid die bereits am 8. Oktober 2014 mündlich getroffene Anordnung der Beklagten bestätigt und präzisiert. Zur Begründung wurde auf das Gutachten des LGL verwiesen.
4
Die von der Klägerin hiergegen zum Verwaltungsgericht Augsburg erhobene Klage wies dieses mit Urteil vom 28. Juli 2015 ab. Auf die Begründung wird Bezug genommen.
5
Hiergegen richtet sich die Klägerin mit der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung.
6
Der Senat hat am 1. Juni 2017 mündlich über die Streitsache verhandelt und mit Beschluss vom 11. Juli 2017 das Verfahren ausgesetzt und dem Europäischen Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
7
„1. Ist Art. 2 Nr. 8 der Richtlinie 2014/40/EU dahingehend auszulegen, dass unter „Erzeugnissen, die zum Kauen bestimmt sind“, allein Kautabakerzeugnisse im klassischen Sinn zu verstehen sind?
8
2. Ist Art. 2 Nr. 8 der Richtlinie 2014/40/EU dahingehend auszulegen, dass „Erzeugnisse, die zum Kauen bestimmt sind“, gleichbedeutend mit „Kautabak“ i.S.v. Art. 2 Nr. 6 der Richtlinie sind?
9
3. Ist für die Frage, ob ein Tabakerzeugnis i.S.v. Art. 2 Nr. 8 der Richtlinie 2014/40/EU „zum Kauen bestimmt“ ist, auf eine auf das Produkt bezogene objektive Betrachtungsweise und nicht auf die Angaben des Herstellers oder die tatsächliche Verwendung durch Konsumenten abzustellen?
10
4. Ist Art. 2 Nr. 8 der Richtlinie 2014/40/EU dahingehend auszulegen, dass die Bestimmung zum Kauen erfordert, dass das Tabakerzeugnis von seiner Konsistenz und Festigkeit her objektiv geeignet ist, gekaut zu werden und dass das Kauen des Tabakerzeugnisses dazu führt, dass sich die im Erzeugnis enthaltenen Inhaltsstoffe lösen?
11
5. Ist Art. 2 Nr. 8 der Richtlinie 2014/40/EU dahingehend auszulegen, dass es für die Bestimmung eines Tabakerzeugnisses „zum Kauen“ als zusätzliche Bedingung erforderlich, aber auch ausreichend ist, wenn durch eine leichte, wiederkehrende Druckausübung mit den Zähnen oder der Zunge auf das Tabakerzeugnis mehr von den Inhaltsstoffen des Erzeugnisses gelöst werden, als wenn es nur im Mund gehalten wird?
12
6. Oder ist es für eine „Bestimmung zum Kauen“ notwendig, dass ein bloßes im Mund halten oder Lutschen zu keiner Herauslösung von Inhaltsstoffen führt?
13
7. Kann die Eignung eines Tabakerzeugnisses „zum Kauen“ i.S.v. Art. 2 Nr. 8 der Richtlinie 2014/40/EU auch durch die außerhalb des verarbeiteten Tabaks vermittelte Darreichungsform wie z.B. einen Zellulosebeutel vermittelt werden?“
14
Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 17. Oktober 2018 (C-425/17) auf die Vorlage des Senats wie folgt entschieden:
15
„Art. 2 Nr. 8 i.V.m. Art. 2 Nr. 6 der Richtlinie 2014/40/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen und verwandten Erzeugnissen und zur Aufhebung der Richtlinie 2001/37/EG ist dahin auszulegen, dass zum Kauen bestimmte Tabakerzeugnisse im Sinne dieser Bestimmungen nur Tabakerzeugnisse sind, die an sich nur gekaut konsumiert werden können, was vom nationalen Gericht anhand aller relevanten objektiven Merkmale der betreffenden Erzeugnisse wie ihrer Zusammensetzung, ihrer Konsistenz, ihrer Darreichungsform und ggf. ihrer tatsächlichen Verwendung durch die Verbraucher zu beurteilen ist.“
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Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf das Urteil Bezug genommen.
17
Die Landesanwaltschaft Bayern, die sich als Vertreterin des öffentlichen Interesses an dem Verfahren beteiligt hat, ist der Auffassung, dass das Urteil des EuGH ihren Standpunkt im Ergebnis voll bestätigt habe. Wie sich aus dem Schreiben des LGL vom 6. Dezember 2018 ergebe, sei das streitgegenständliche Produkt nicht zum Kauen bestimmt. Das LGL führte in dem genannten Schreiben im Wesentlichen aus, dass das Produkt „… Chewing Bags“ aus feingeschnittenem Tabak bestehe, der mit verschiedenen Zusatzstoffen (u.a. Feuchthaltemitteln, Kochsalz und Aromastoffen) versetzt und in kleine poröse Zellulosebeutelchen verpackt sei. Das Produkt werde zum Konsum in den Mund eingebracht und zwischen Lippen und Zahnfleisch oder in der Wangenfalte positioniert. Der menschliche Speichel sorge für eine Freisetzung von Nikotin, Aroma- und Geschmackstoffen im Mundraum. Die freigesetzten Stoffe (z.B. Nikotin) würden über die Mundschleimhaut aufgenommen. Das Herauslösen der Inhaltsstoffe werde durch den Zerkleinerungsgrad des Produktes erleichtert. Der Kauvorgang sei zum Herauslösen der wesentlichen Inhaltsstoffe somit nicht notwendig, da der natürliche Speichelfluss und das Lutschen des Produkts bzw. das Halten im Mundraum allein für eine Freisetzung ausreichten. Selbst wenn das Produkt im Mund hin und her bewegt würde bzw. mit den Zähnen leicht ausgedrückt werden könnte, ohne dass der Beutel zerreiße, werde das Produkt damit nicht zum Kautabak. Entscheidend sei der tatsächliche Konsumvorgang, insbesondere derjenige, der zwingend für einen sinnvollen Konsum notwendig sei. Das Produkt sei optisch nahezu identisch mit den porösen Zellulosebeutelchen, in denen der sog. „Portions-Snus“ verpackt sei und auch in der Zusammensetzung unterschieden sich die Produkte nicht wesentlich von dem Portions-Snus. Das Erzeugnis werde von den Konsumenten als Snus bzw. Snus-Ersatz angesehen und analog verwendet, d.h. im Mund positioniert und ausgesaugt und nicht gekaut. Die Ergebnisse einer Internetrecherche zur Nutzung der „Chewing Bags“ seien bereits mit Schriftsatz vom 12. Februar 2016 vorgelegt worden. Das Produkt sei zudem erneut von drei lebensmittelchemischen Sachverständigen des LGL sensorisch begutachtet worden. Nach dem Einbringen eines „Chewing Bags“ unter die Oberlippe sei ein Geschmack nach Menthol und Salz sowie nach Tabak festgestellt worden. Zudem sei ein „Brennen“ an der Mundschleimhaut wahrgenommen worden. Dies bestätige die obigen Ausführungen, wonach Kauen nicht nötig sei, um die Inhaltsstoffe zu lösen.
18
Die Beklagte ist der Auffassung, dass das gegenständliche Produkt nicht zum Kauen bestimmt sei. Ein echter mechanischer Kauvorgang zum Herauslösen von Inhaltsstoffen sei nicht möglich und auch nicht nötig. Für die Einordnung als ein zum Kauen bestimmtes Tabakprodukt sei nicht ausreichend, dass es wie bei einem Lutschvorgang leichtem Druck mit den Zähnen standhalte.
19
Die Klägerin führt im Wesentlichen aus, dass, um die Trennlinie zwischen Tabak zum oralen Gebrauch und Tabakerzeugnissen, die zum Kauen bestimmt sind, zu ziehen, die ersten und zweiten Teile der Absätze 32 und 33 des Urteils des EuGH zusammen zu lesen seien. Aus dem Urteil gehe klar hervor, dass der EuGH Erzeugnisse, bei denen der Großteil der extrahierbaren Menge an wesentlichen Inhaltsstoffen nur durch Kauen freigesetzt werde, als „Tabakerzeugnisse, die zum Kauen bestimmt sind“ betrachte, wohingegen Erzeugnisse, bei denen es ausreiche, sie im Mund zu halten, damit der Großteil der extrahierbaren Menge freigesetzt werde, von dieser Definition ausgeschlossen seien. Diese Schlussfolgerung werde durch die Tatsache gestützt, dass, wenn man die zweiten Teile der Absätze 32 und 33 nach ihrem genauen Wortlaut interpretiere, alle Kautabakerzeugnisse, ganz egal, ob sie neuartig oder herkömmlich seien, vom Verbot des Tabaks zum oralen Gebrauch betroffen wären, da es keine Tabakerzeugnisse gebe, die ihre wesentlichen Inhaltsstoffe, weder Nikotin noch Aromen, nur (Hervorhebungen durch den Senat) durch Kauen freisetzten. Tatsächlich setzten alle Tabakerzeugnisse, auch solche, die zum Rauchen bestimmt seien, ihre wesentlichen Inhaltsstoffe in kleinen oder größeren Mengen frei, lediglich, indem sie im Mund gehalten würden, durch den Kontakt mit Speichel, ohne dass auch nur im Geringsten darauf gekaut werde. Dass eine wörtliche Interpretation nicht die Absicht des EuGH gewesen sei, gehe nicht nur klar aus den ersten Teilen der zitierten Absätze hervor, sondern auch aus der Tatsache, dass das ausdrückliche Ziel des Urteils nicht darin bestehe, alle Kautabakerzeugnisse als Tabak zum oralen Gebrauch einzustufen und somit zu verbieten, sondern darin, die Möglichkeit einzuschränken, dass das Verbot von Tabak zum oralen Gebrauch umgangen werde (vgl. Abs. 30 und 31 d. Urteils). Der EuGH weise darauf hin, dass der europäische Gesetzgeber Kautabak ausdrücklich vom Verbot des Tabaks zum oralen Gebrauch ausgenommen habe, was auch in der Folgenabschätzung der EU-Kommission bestätigt werde. Jede andere Auslegung hätte zur Folge, dass alle Kautabakprodukte auf dem Binnenmarkt verboten wären, da die Definition des Tabaks zum oralen Gebrauch auf sie zutreffe. Der EuGH sei der Auffassung (Abs. 35 d. Urteils), dass es notwendig sei, alle objektiven Merkmale des Erzeugnisses zu beurteilen, um entscheiden zu können, ob ein Tabakerzeugnis an sich nur durch Kauen konsumiert werden könne. Es müsse in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen werden, dass nach Ansicht des EuGH Tabak zum oralen Gebrauch und Tabak, der zum Kauen bestimmt sei, nicht grundlegend nach seiner Zusammensetzung oder nach seiner Bestimmung zu unterscheiden seien (EuGH, U.v. 14.12.2004 - C-434/02 - Rn. 69). Es könne somit nicht gefordert werden, dass die Produkte beider Gruppen keine ähnlichen objektiven Merkmale aufweisen dürften, sofern sie auf der Grundlage der Gesamtheit aller objektiven Merkmale der Definition ihrer jeweiligen Kategorie entsprächen. Der EuGH weise darauf hin, dass die Zusammensetzung und Konsistenz des betreffenden Erzeugnisses herangezogen werden müssten. Dies bedeute, dass das Erzeugnis zum Kauen geeignet sein müsse. Abweichend von der Argumentation der Beklagten stelle der EuGH klar, dass auch die Darreichungsform mit einbezogen werden müsse. Der Zweck des Beutels sei beim vorliegenden Produkt, dass das Erzeugnis gekaut werden könne, ohne dass lose Tabakstücke sich im Mund verteilten. Wenn sich der geschnittene Kautabak in einem Beutel befinde, müsse er nicht aufbereitet werden, um ihn klebrig zu machen. Dieser Prozess sei bei der Herstellung von losem, geschnittenem Kautabak erforderlich. Dennoch handele es sich in beiden Fällen um geschnittenen Kautabak. Ferner sei zwischen den Beteiligten unstreitig, dass der Begriff „kauen“, wenn es um Kautabakerzeugnisse gehe, nicht mit dem Kauen von Lebensmitteln oder Kaugummi vergleichbar sei. Diese Art des produktspezifischen Kauens gelte auch für „herkömmliche“ Kautabakerzeugnisse. Was die Anwendung auf das streitgegenständliche Produkt angehe, so habe die Entscheidung der dänischen Sicherheitsbehörde vom 19. Januar 2019 deutlich gemacht, dass von einem Mitgliedsstaat das Erzeugnis auf der Grundlage aller objektiven Merkmale als Kautabakerzeugnis beurteilt worden sei. Dieser Entscheidung ist im Wesentlichen zu entnehmen, dass für die dänische Sicherheitsbehörde bei ihrer Entscheidung vom 19. Januar 2017 maßgeblich war, dass „das Produkt mehr künstlichen Speichel abgibt bei Kauen des Produktes als bei Heraussickern allein“. Dies wurde für das streitgegenständliche Produkt auf der Grundlage einer Untersuchung in einem Labor bejaht.
20
Bei dem Produkt, das in den „Chewing Bags“ Verwendung finde, handele es sich um in Streifen geschnittenen Tabak. Im Vergleich zu Snus, der aus gemahlenem Tabak bestehe, sei die Abmessung der einzelnen Partikel deutlich größer. Auch wenn die Partikelgröße identisch wäre, würden sich beide Produkte dennoch unterscheiden, da die Tabakblätter zur Herstellung von Snus gemahlen würden und bei dem geschnittenen Tabak die Tabakblätter in ihrer Struktur grundsätzlich erhalten blieben. Die Partikelgröße und die verbleibende Struktur der Tabakblätter seien entscheidend für die Fähigkeit des Erzeugnisses, gekaut zu werden. Der geschnittene Tabak brauche eine zusätzliche Bearbeitung, um sein volles Potenzial freizugeben, da er seine Inhaltsstoffe nicht so leicht freisetze wie gemahlener Tabak. Der Kautabak sei genauso geschnitten, wie der lose geschnittene Kautabak, der in Dänemark traditionell als Skären skrä verkauft werde. Wenn die „… … Chewing Bags“ nur im Mund gehalten würden, werde ein beträchtlicher Anteil des Nikotins nicht freigegeben. Hierzu wurde auf eine (beigefügte) „Invivo“ Freigabestudie, die einen Vergleich zwischen den „… … Chewing Bags“ und einem herkömmlichen Kautabak gezogen hat, verwiesen. Daneben sei die Kohäsionskraft des geschnittenen Kautabaks deutlich größer als die von Snus. Insoweit wurde auf einen vorgelegten Auflösungstest für Kautabakerzeugnisse verwiesen. Der Herstellungsprozess der „… … Chewing Bags“ dauere fast drei Wochen, während Snus in weniger als einer Woche produziert werde. Insoweit wurde auf eine in der Anlage vorgelegte Darstellung der unterschiedlichen Herstellungsprozesse verwiesen. Der einzige Zweck des Papierbeutels bei den „Chewing Bags“ sei, zu verhindern, dass sich loser Tabak im Mund verteile. Ansonsten werde der Tabak in derselben Weise bearbeitet wie bei losem Kautabak. Das Papier des Beutels unterscheide sich von dem Snus-Portionsbeutel. Es sei speziell für die Verpackung von Kautabak ausgewählt worden. Die Porosität des Materials sei niedrig, die Festigkeit hoch und die Siegelstärke hoch, um den Beutel verschlossen zu halten, wenn das Erzeugnis gekaut werde. Was die tatsächliche Verwendung durch die Verbraucher angehe, so werde darauf hingewiesen, dass dies nach dem Urteil des EuGH nur ggf. zu berücksichtigen sei. Es sei bereits festgestellt worden, dass die „… … Chewing Bags“ nur den Großteil der extrahierbaren Menge ihrer wesentlichen Inhaltsstoffe freisetzen, wenn sie gekaut würden. Es sei daher nicht maßgeblich, dass von einigen Verbrauchern in Internetforen beschrieben werde, dass das Produkt wie Snus verwendet würde.
21
Die Klägerin beantragt,
22
Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 28. Juli 2015 wird abgeändert und der Bescheid der Beklagten vom 13. April 2014 über das Verkehrsverbot für das Tabakerzeugnis „… Chewing Bags“ aufgehoben.
23
Die Beklagte beantragt,
24
Die Berufung gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 28. Juli 2015 wird zurückgewiesen.
25
Mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 5. November 2019, der am gleichen Tag beim Senat einging, beantragte die Beigeladene ihre Beiladung zum Verfahren und begründete diesen Antrag. Der Senat setzte den Beteiligten eine Frist zur Stellungnahme von zwei Wochen. Mit Beschluss vom 22. November 2019 wurde sie nach § 65 Abs. 1 VwGO zum Verfahren beigeladen.
26
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die Behördenakten, die Akten des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, die im Rahmen des Vorlageverfahrens beim EuGH eingereichten Erklärungen, die gewechselten Schriftsätze im Berufungsverfahren und die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 1. Juni 2017 und vom 10. Oktober 2019 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Berufung der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet.
28
Der Bescheid der Beklagten vom 13. Oktober 2014, mit dem die Klägerin verpflichtet wurde, das Tabakerzeugnis „… … Chewing Bags“ nicht mehr in den Verkehr zu bringen, ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Das Verwaltungsgericht hat die Klage daher zu Recht abgewiesen, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
29
Bei dem im streitgegenständlichen Bescheid angeordneten Verbot handelt es sich um einen Dauerverwaltungsakt, sodass die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts anhand der im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats geltenden Rechtslage zu beurteilen ist (BVerwG, U.v. 29.9.1994 - 3 C 1/93 - BVerwGE 96, 372; Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 113 Rn. 58). Maßgeblich sind damit das Tabakerzeugnisgesetz (TabakerzG) vom 4. Februar 2016 (BGBl. I S. 569), in Kraft seit dem 20. Mai 2016, und die Richtlinie 2014/40/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen und verwandten Erzeugnissen und zur Aufhebung der Richtlinie 2001/37/EG (ABl. L 127/1 v. 29.4.2014), die gemäß ihres Art. 29 bis zum 20. Mai 2016 umzusetzen war.
30
Der Bescheid ist formell rechtmäßig. Die Beklagte war zu seinem Erlass sachlich nach Art. 27 Abs. 1 Satz 1 TabakerzG, Art. 21 Abs. 2 Nr. 2, Art. 1 Abs. 2 Nr. 4, Art. 4 Abs. 1 Satz 1 GDVG und nach Art. 3 Abs. 1 Nr. 2 BayVwVfG örtlich zuständig. Die unterbliebene Anhörung der Klägerin vor Bescheidserlass (Art. 28 BayVwVfG) wurde im gerichtlichen Verfahren geheilt (§ 45 Abs. 1 Nr. 3 BayVwVfG). Darüber hinaus sind keine formellen Fehler vorgetragen oder ersichtlich.
31
Der Bescheid ist auch materiell rechtmäßig. Seine Rechtsgrundlage ist die Befugnisnorm des § 29 Abs. 2 Satz 1, Satz 2 Nr. 4 TabakerzG. Danach treffen die Marktüberwachungsbehörden die erforderlichen Maßnahmen, wenn sie den begründeten Verdacht haben, dass ein Erzeugnis nicht die Anforderungen dieses Gesetzes, der aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen und der unmittelbar geltenden Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft oder der Europäischen Union im Anwendungsbereich dieses Gesetzes erfüllt. Sie sind insbesondere befugt zu verbieten, dass ein Erzeugnis in den Verkehr gebracht wird. § 29 Abs. 2 Satz 1 TabakerzG verpflichtet die zuständige Behörde, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, wenn die dort genannten Voraussetzungen vorliegen. Sie hat dabei kein Entschließungsermessen. Es steht ihr jedoch ein Auswahlermessen zu, welche von verschiedenen zulässigen Maßnahmen sie trifft (Boch, TabakerzG, § 29 Rn. 2).
32
Die Voraussetzungen dieser Befugnisnorm liegen vor. Denn bei dem Tabakerzeugnis „… … Chewing Bags“ handelt es sich um ein Tabakerzeugnis zum oralen Gebrauch, das nicht zum Kauen bestimmt ist i.S.v. Art. 2 Nr. 8 der Richtlinie 2014/40/EU. Nach § 1 Nr. 1 TabakerzG gelten die Begriffsbestimmungen des Art. 2 der RL 2014/40/EU auch im Anwendungsbereich des TabakerzG. Damit ist es nach § 11 TabakerzG, der Art. 17 der Richtlinie 2014/40/EU in deutsches Recht umsetzt, verboten, das streitgegenständliche Tabakerzeugnis in Deutschland in den Verkehr zu bringen.
1.
33
Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 17. Oktober 2018 (C-425/17) auf die Vorlage des Senats entschieden, dass Art. 2 Nr. 8 i.V.m. Art. 2 Nr. 6 der Richtlinie 2014/40/EU dahin auszulegen ist, dass zum Kauen bestimmte Tabakerzeugnisse im Sinne dieser Bestimmungen nur Tabakerzeugnisse sind, die an sich nur gekaut konsumiert werden können, was vom nationalen Gericht anhand aller relevanten objektiven Merkmale der betreffenden Erzeugnisse wie ihrer Zusammensetzung, ihrer Konsistenz, ihrer Darreichungsform und ggf. ihrer tatsächlichen Verwendung durch die Verbraucher zu beurteilen sei (Rn. 37). Dem Urteil lassen sich aber über die genannte unmittelbare Antwort auf die Vorlagefragen auch weitere Rechtssätze, die für die rechtliche Beurteilung eines Tabakerzeugnisses relevant sind, entnehmen:
34
So führt der EuGH zunächst (Rn. 22) aus, dass entgegen der These, die der zweiten Vorlagefrage des Senats zugrunde liege, keine Unterscheidung zwischen dem Begriff „Tabak, der zum Kauen bestimmt ist“ i.S.d. Art. 2 Nr. 8 der Richtlinie 2014/40/EU und dem Begriff „Kautabak“ gem. Art. 2 Nr. 6 dieser Richtlinie getroffen werden könne. Kautabak ist daher gleichbedeutend mit einem Tabakerzeugnis, das zum Kauen bestimmt ist i.S.v. Art. 2 Nr. 8 der Richtlinie 2014/40/EU.
35
Weiter entnimmt der EuGH den gemeinschaftsrechtlichen Regelungen, dass die Neuartigkeit oder „herkömmliche“ Erscheinungsweise eines Produkts ohne Bedeutung für die Einstufung eines Tabakerzeugnisses zum oralen Gebrauch sei (Rn. 27/28 unter Verweis auf die Schlussanträge des Generalanwalts im Verfahren C-434/02). Damit erteilt der EuGH jedem Versuch, eine Einstufung als Tabakerzeugnis zum oralen Gebrauch, das nicht zum Kauen bestimmt ist, mit der Begründung zu verhindern, dass das Tabakerzeugnis doch einem in einem Mitgliedsstaat bereits seit alters her als Kautabak anerkannten Produkt ähnlich sei, eine Absage.
36
In Rn. 29 geht der EuGH dann auf den schwedischen Snus ein, der in der Diskussion quasi als „Leitprodukt“ und Regelbeispiel für ein in der Union (mit Ausnahme Schwedens) nicht verkehrsfähiges Tabakerzeugnis zum oralen Gebrauch herangezogen wird. Er stellt klar, dass Snus unter das Verbot des Tabaks zum oralen Gebrauch fällt, indem er auf das Urteil des EuGH vom 16. Juli 2015 (C-468/14 - Rn. 24/25) verweist. Snus könne als „fein gemahlener oder geschnittener Tabak, der lose oder in kleinen Portionsbeuteln verkauft und zum Konsum zwischen Zahnfleisch und Lippe geschoben wird“ beschrieben werden (EuGH v. 17.10.2018, Rn. 29).
37
In Rn. 30 stellt der EuGH fest, dass sich sowohl aus dem Zusammenhang als auch der Zielsetzung der Richtlinie 2014/40/EU, wie sie den Rn. 19-26 des vorliegenden Urteils zu entnehmen sei, insbesondere aus dem Ausnahmecharakter der Bestimmung des Art. 2 Nr. 8 der Richtlinie ergebe, dass der Begriff „Tabakerzeugnisse, die zum Kauen bestimmt sind“ eng auszulegen sei, sodass er Lutschtabak wie solchen des Typs Snus nicht umfassen könne. Damit stellt der EuGH einen allgemeinen Grundsatz, der von den nationalen Gerichten bei der ihnen obliegenden Anwendung der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmung auf den konkreten Sachverhalt bzw. hier das jeweilige Tabakerzeugnis (Rn. 35 des EuGH-Urteils) zu beachten ist, auf. Dieser entspricht auch allgemeinem juristischen Verständnis, wonach Ausnahmebestimmungen grundsätzlich eng auszulegen sind.
38
Im Weiteren geht der EuGH nun auf den Inhalt dieser Ausnahmebestimmung ein und führt aus, dass Tabakerzeugnisse, die zum Kauen bestimmt sind, nur solche sein können, die an sich nur gekaut konsumiert werden können, d.h. die ihre wesentlichen Inhaltsstoffe im Mund nur durch Kauen freisetzen können (Rn. 32). In Abgrenzung dazu führt er in der folgenden Rn. 33 aus, dass nicht so eingestuft werden könne ein Tabakerzeugnis, das, obwohl es auch gekaut werden könne, im Wesentlichen zum Lutschen bestimmt sei, „d.h. ein Erzeugnis, das nur im Mund gehalten werden muss, damit seine wesentlichen Inhaltsstoffe freigesetzt werden“.
39
Damit sind die wesentlichen Grundsätze für die Auslegung der europarechtlichen Bestimmungen genannt. In Rn. 35 stellt der EuGH ergänzend und abschließend noch fest, dass es die Aufgabe des nationalen Gerichts sei, anhand aller relevanten objektiven Merkmale der in Rede stehenden Erzeugnisse wie ihrer Zusammensetzung, ihrer Konsistenz, ihrer Darreichungsform und ggf. ihrer tatsächlichen Verwendung durch die Verbraucher festzustellen, ob sie an sich nur gekaut konsumiert werden können.
2.
40
Entgegen der Auffassung der Klägerin lässt sich dem Urteil des EuGH, insbesondere dessen Rn. 32 und 33, nach der Überzeugung des Senats nicht entnehmen, dass der EuGH Erzeugnisse, bei denen der Großteil der extrahierbaren Menge an wesentlichen Inhaltsstoffen nur durch Kauen freigesetzt werden könne, als zum Kauen bestimmte Erzeugnisse ansehe. Eine derartige Aussage, dass es auf die Quantität oder den Anteil der extrahierbaren Menge der wesentlichen Inhaltsstoffe, der nur durch Kauen freigesetzt werden könne, ankomme, lässt sich den Rn. 32 und 33, auf die die Klägerseite zur Begründung ihrer Rechtsauffassung Bezug nimmt, nicht entnehmen. Dass der EuGH diesen Standpunkt gerade nicht eingenommen hat, ergibt sich auch in Zusammenschau mit der fünften Vorlagefrage des Senats. Darin hatte der Senat gerade danach gefragt, ob es ausreichend sei, wenn durch eine leichte, wiederkehrende Druckausübung mit den Zähnen oder der Zunge auf das Tabakerzeugnis mehr (Hervorhebung durch den Senat) von den Inhaltsstoffen des Erzeugnisses gelöst werde, als wenn es nur im Mund gehalten werde. Der Senat hat mit dieser Vorlagefrage auf die erkennbar auch der Entscheidung der dänischen Sicherheitsbehörde vom 19. Januar 2017 zu dem streitgegenständlichen Tabakerzeugnis zugrunde liegende Rechtsauffassung (auch) der Klägerin, dass es auf die Menge oder den Anteil der durch Kauen herausgelösten bzw. herauslösbaren wesentlichen Inhaltsstoffe für die Einstufung des Tabakerzeugnisses als „zum Kauen bestimmt“ ankomme, Bezug genommen. Daneben hat auch die Regierung der Tschechischen Republik in ihrem Schriftsatz an den EuGH vom 31. Oktober 2017 (dort Rn. 8) explizit diese Rechtsauffassung vertreten. Dem EuGH war daher aufgrund der Vorlagefrage des Senats und der von einem Beteiligten explizit im Verfahren eingenommenen Position eine derartige Rechtsauffassung bzw. Auslegung bekannt. Dass er in seinem Urteil hierzu schweigt, kann daher nur so verstanden werden, dass er diese Auffassung nicht teilt. Anderenfalls wäre es ihm ein Leichtes gewesen, z.B. in der Rn. 32 des Urteils seine Ausführungen dahingehend zu ergänzen, dass er geschrieben hätte „d.h. die den wesentlichen Anteil (Hervorhebung durch den Senat) ihrer wesentlichen Inhaltsstoffe im Mund nur durch Kauen freisetzen können“. Dies hat der EuGH aber nicht getan.
41
Daher ist hier auch kein Raum für eine erneute Vorlage an den EuGH. Denn die vom EuGH vorgenommene Auslegung ist eindeutig und lässt keine Fragen offen.
42
Aus dem gleichen Grunde konnte auch der in der mündlichen Verhandlung gestellte Beweisantrag abgelehnt werden: Die unter Beweis gestellte Tatsache, dass nämlich das streitgegenständliche Tabakerzeugnis seine wesentlichen Inhaltsstoffe, d.h. den Großteil der extrahierbaren Menge der wesentlichen Inhaltsstoffe, im Mund nur durch Kauen freisetzen könne, konnte als wahr unterstellt werden, da es hierauf nicht entscheidungserheblich ankommt (vgl. Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 86 Rn. 75).
43
Soweit die Klägerin darüber hinaus argumentiert, dass bei einem wortlautgetreuen Verständnis der Entscheidung des EuGH alle „Kautabakerzeugnisse“, egal ob herkömmlich oder neuartig, unter das Verbot des § 11 TabakerzG fielen, da es keine Tabakerzeugnisse gebe, die ihre wesentlichen Inhaltsstoffe nur durch Kauen freisetzten, kann dies nicht zu einem anderen Ergebnis führen. Denn der EuGH hat in seiner Entscheidung ebenfalls klar zu erkennen gegeben, dass es für die Auslegung des Verbots der Richtlinie irrelevant ist, ob ein Tabakerzeugnis „herkömmlich“ ist, also ob es seit vielen Jahren unter der Bezeichnung „Kautabak“ hergestellt und benutzt wird (Rn. 27 d. Urteils). Im Ergebnis hat sich nach der verbindlichen Rechtsauslegung des EuGH jedes rauchlose Tabakerzeugnis zum oralen Gebrauch einer Beurteilung nach den in der Entscheidung vom 17. Oktober 2018 dargestellten Kriterien zu stellen. Dabei gilt nach Rn. 30 des Urteils der Grundsatz, dass die Ausnahme für „zum Kauen bestimmte“ Tabakerzeugnisse zum oralen Gebrauch eng auszulegen ist. Der Senat verkennt nicht und gesteht der Argumentation der Klägerin auch zu, dass dies im Ergebnis durchaus bedeuten könne, dass bisher aufgrund traditioneller Verbreitung als verkehrsfähig angesehene Tabakerzeugnisse zum oralen Gebrauch aufgrund einer Anwendung der vom EuGH in Auslegung der Richtlinie 2014/40/EU gewonnenen Erkenntnis des geltenden Rechts nunmehr dem Verbot unterfallen. Dies ist aber nicht der Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits. Hier geht es vielmehr darum, festzustellen, ob das streitgegenständliche Produkt „… … Chewing Bags“ unter das Verbot des § 11 TabakerzG fällt.
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Soweit die Klägerin mit ihrer Argumentation begründen möchte, dass das Verbot des Tabaks zum oralen Gebrauch in der Auslegung des EuGH nach dem Urteil vom 17. Oktober 2018 rechtswidrig wäre, da es auch „echten Kautabak“ erfasse, kann sie keinen Erfolg haben. Denn die Rechtmäßigkeit des Verbots des Tabaks zum oralen Gebrauch nach Art. 17 der Richtlinie 2014/40/EU hat der EuGH unlängst in seinem Urteil vom 22. November 2018 (C-151/17) bestätigt. Damit bestehen auch keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit des dieses Verbot in deutsches Recht umsetzenden § 11 TabakerzG.
3.
45
Die Bewertung des streitgegenständlichen Produkts nach Zusammensetzung, Konsistenz und Darreichungsform, wie sie der EuGH dem nationalen Gericht zur Aufgabe macht, führt zu dem Ergebnis, dass es sich dabei nicht um ein Tabakerzeugnis zum oralen Gebrauch, das zum Kauen bestimmt ist, handelt. Wie die tatsächliche Verwendung durch die Verbraucher erfolgt, was nach dem Urteil des EuGH (Rn. 35) „gegebenenfalls“ herangezogen werden kann, konnte daher im vorliegenden Fall offen bleiben.
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Betrachtet man die Zusammensetzung des Produkts, so handelt es sich dabei (insoweit zwischen den Beteiligten unstreitig) um fein geschnittenen Tabak in Zellulosebeuteln. Nach den Angaben der Klägerin ist der Tabak in Streifen von etwa 1 mm Breite und zwischen 5 mm und 50 mm Länge geschnitten und wird durch ein Sieb der Größe 4 mm x 4 mm gesiebt (Anl. K29 z. Schriftsatz d. Klägerin v. 4.10.2019). Aufgrund der Tatsache, dass der Tabak sehr klein geschnitten ist, ist die Struktur des Tabakblatts jedenfalls zerstört, was die Freigabe der Inhaltsstoffe erleichtert.
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Was die Konsistenz des Produkts angeht, so ist diese, sieht man von dem Zellulosebeutel, in dem der kleingeschnittene Tabak verpackt ist, ab, vergleichsweise lose. Aufgrund der während des Produktionsprozesses erfolgenden Anfeuchtung ist der Inhalt der Beutel, wie sich aufgrund des Augenscheins in der mündlichen Verhandlung vom 10. Oktober 2019 ergab, in Einzelteile zerklumpt. Würde das Produkt ohne einen Beutel angeboten, so wäre es jedenfalls nur sehr schwer „kaubar“. Entgegen der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, wonach die Darreichungsform im Beutel grundsätzlich nicht zu berücksichtigen sei, hat der EuGH festgestellt, dass die Darreichungsform durchaus als ein Kriterium neben anderen Berücksichtigung finden muss (Rn 35). Diese trägt zu einer Eignung zum Kauen jedenfalls bei. Das Tabakerzeugnis ist damit von seiner Konsistenz her grundsätzlich kaubar.
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Bewertet man das Produkt zusammenfassend, so ist zunächst festzustellen, dass aufgrund seiner Zusammensetzung aus kleingeschnittenem Tabak das Tabakerzeugnis auch ohne Kauen geeignet ist, seine wesentlichen Inhaltsstoffe durch bloßes im Mund halten freizugeben. Dies wird insbesondere auch durch die von der Klägerseite vorgelegten Gutachten bestätigt. Die Darreichungsform in einem Zellulosebeutel führt zwar dazu, dass das Tabakerzeugnis grundsätzlich geeignet ist, gekaut zu werden. Die Eignung zum Kauen ist aber nur eine notwendige, keine hinreichende Bedingung für die Annahme eines „zum Kauen bestimmten“ Erzeugnisses nach der Definition des EuGH (vgl. Rn 35 des U.v. 17.10.2018). Sie führt daher schon deshalb nicht zwingend dazu, dass das Produkt allein durch Kauen verwendet werden kann, da der Beutel auch beim bloßen im Mund halten seinen Zweck, eine Verteilung des Produkts im gesamten Mundraum zu verhindern, erfüllt. Ohne den Beutel hätte das Erzeugnis trotz seiner konkreten Behandlung während des Herstellungsvorgangs (Anfeuchtung etc.) keine Eignung zum Kauen. Die klägerseits vorgelegten Gutachten bestätigen jedoch im Ergebnis, dass das Tabakerzeugnis nur im Mund gehalten werden muss, um seine wesentlichen Inhaltsstoffe (wenn auch in geringerem Umfang, als wenn es auch gekaut wird) freizusetzen. Angesichts der Tatsache, dass der Begriff des Tabakerzeugnisses, das zum Kauen bestimmt ist, eng auszulegen ist, genügt dies für die Feststellung, dass es nicht zum Kauen bestimmt ist i.S.v. Art. 2 Nr. 8 der Richtlinie 2014/40/EU. Es handelt sich damit um ein nicht verkehrsfähiges Tabakerzeugnis i.S.v. § 11 TabakerzG.
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Anhaltspunkte für einen Ermessensfehler bei der Auswahl der Maßnahme durch die Beklagte sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Daher ist der Bescheid rechtmäßig.
50
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
51
Die Revision wird nicht zugelassen, da keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Zulassungsgründe vorliegt. Die Rechtslage ist aufgrund des Urteils des EuGH vom 17. Oktober 2018 geklärt. Bei der vorliegenden Entscheidung ging es allein um die Anwendung der vom EuGH aufgestellten Kriterien auf einen konkreten Sachverhalt. Tatsachenfragen können aber eine Revision zum Bundesverwaltungsgericht nicht rechtfertigen.