Inhalt

LG Nürnberg-Fürth, Endurteil v. 16.01.2019 – 8 S 3262/18
Titel:

Berücksichtigung von Großkundenrabatten bei fiktiver Schadensabrechnung

Normenkette:
BGB § 249 Abs. 2 S. 1
Leitsatz:
Im Rahmen der fiktiven Schadensabrechnung auf Gutachtenbasis sind erzielbare (Großkunden-) Rabatte nicht schadensmindernd zu berücksichtigen (entgegen LG Karlsruhe BeckRS 2017, 117813). (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Schadensersatz, Autovermieter, Verkehrsunfall, fiktive Reparaturkosten, UPE-Aufschläge, Rechtsanwaltskosten, Großkundenrabatt
Vorinstanz:
AG Nürnberg, Urteil vom 15.05.2018 – 239 C 5769/17
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Urteil vom 29.10.2019 – VI ZR 45/19
Fundstelle:
BeckRS 2019, 30179

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 15.05.2018 (Aktenzeichen: 239 C 5769/17) wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 des Tenors genannte Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten bleibt vorbehalten, die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Beschluss:
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 125,67 EUR festgesetzt.

Entscheidungsgründe

1
Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt sowie ordnungsgemäß begründet (§§ 517, 519 f. ZPO). Das Amtsgericht hat die Berufung im Endurteil vom 15.05.2018 zugelassen; § 511 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
2
In der Sache ist das Rechtsmittel aber nicht begründet.
A.
3
In tatsächlicher Hinsicht wird auf den Tatbestand des Ersturteils Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 S. 1 ZPO).
4
Die klagende Autovermieterin macht restliche Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend, für den die beklagte Kfz-Haftpflichtversicherung des Unfallgegners unstreitig dem Grunde nach zu 100 % haftet. Die Klägerin hat ihren Kfz-Schaden gegenüber der Beklagten auf der Basis fiktiver Netto-Reparaturkosten abgerechnet und insoweit UPE-Aufschläge, einen Kleinteilaufschlag und Lackmaterialkosten in Gesamthöhe von 125,76 EUR eingestellt, die die Beklagte insgesamt nicht reguliert hat.
5
Das Amtsgericht hat der Klage auf Zahlung von 125,76 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 20.05.2017 und außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 281,30 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 20.05.2017 sowie Entziehungszinsen in Höhe von 4 % aus 200,00 EUR vom 04.02.2017 bis 12.04.2017 in der Hauptsache und hinsichtlich der Rechtsverfolgungskosten stattgegeben, die begehrten Zinsen jedoch erst seit 22.09.2017 zugesprochen und die Entziehungszinsen mit 1,47 EUR bemessen.
6
Die Beklagte verfolgt mit der Berufung weiter ihren Klageabweisungsantrag. Sie behauptet im Wesentlichen, dass die Klägerin als große Autovermieterin Großkundenrabatte erhalte, die sie sich auch bei fiktiver Abrechnung mindernd anrechnen lassen müsse und zu denen sie konkret vorzutragen habe. Zu ihren Großkundenrabatten habe die Klägerin jedoch geschwiegen. Das Gericht sei dem Beweisangebot der Beklagten auf Parteivernehmung des Geschäftsführers ... gemäß § 445 ZPO hierzu nicht nachgekommen. Die Klägerin müsse allerdings weder UPE-Aufschläge, noch Verbringungskosten bezahlen, weshalb sie diese bei Schadensabrechnung auf der Basis der fiktiven Reparaturkosten nicht geltend machen könne. Die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten der Klägerin seien ebenfalls nicht von der Beklagten zu erstatten. Aus Sicht der Klägerin sei es weder erforderlich, noch zweckmäßig gewesen, einen Rechtsanwalt mit der außergerichtlichen Geltendmachung der Ansprüche zu beauftragen. Es habe sich um einen einfach gelagerten Schadensfall gehandelt und die Klägerin sei hinreichend geschäftlich gewandt, die Ansprüche selbst geltend zu machen. Allenfalls schulde sie außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten aus dem Klagestreitwert, da der Schadensumfang im Übrigen zwischen den Parteien unstreitig gewesen sei.
7
Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Berufung und hält an ihrer schon in erster Instanz vertretenen Rechtsmeinung fest, wonach auch sie im Rahmen fiktiver Schadensabrechnung den Ersatz insb. von UPE-Aufschlägen verlangen könne, weil diese Kosten im Falle einer Reparatur in der Region des Geschäftssitzes der Klägerin (also im Raum München) bei markengebundenen Audi-Fachwerkstätten typischerweise anfielen. Weder habe sie eine eigene Rechtsabteilung, noch betreffe ihr Kerngeschäft die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen, sodass sie die Beauftragung ihres Prozessbevollmächtigten zur außergerichtlichen Geltendmachung der Ansprüche durchaus für erforderlich und zweckmäßig habe halten dürfen.
8
Die Parteien haben im Rahmen des Berufungsverfahrens einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren zugestimmt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen, das Sitzungsprotokoll erster Instanz vom 16.04.2018 (Blatt 80 ff. d.A.) und das Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 15.05.2018 (Blatt 85 ff. d.A.) verwiesen.
B.
9
Die Berufung ist nicht begründet.
10
Das angefochtene Urteil beruht weder auf einer Rechtsverletzung (§§ 513 Abs. 1, 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2, 546 ZPO), noch rechtfertigen die im Berufungsverfahren zugrunde zu legenden Tatsachen (§§ 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3, 529 ZPO) eine andere Entscheidung.
I.
11
Das Amtsgericht ist in seiner Entscheidung davon ausgegangen, dass am Geschäftssitz der Klägerin üblicherweise UPE-Aufschläge in Höhe von 19 % in markengebundenen Audi-Fachwerkstätten anfallen. Etwaige Bedenken gegen die Verfahrensweise der Verwertung dieser Erkenntnisse aus einem Parallelverfahren, in dem der Sachverständige ... hierzu offenbar befragt wurde (weder hat das Amtsgericht einen Beschluss nach § 411 a ZPO erlassen, noch das besagte Gutachten in den hiesigen Akten dokumentiert), können zurückstehen. Denn die korrespondierende Behauptung der Klagepartei war bei genauer Würdigung des Sachvortrags der Parteien zu keinem Zeitpunkt streitig. Die Klägerin hat schon in erster Instanz vortragen lassen, dass die Audi-Vertragswerkstätten am Ort des Geschäftssitzes der Klägerin bei Reparaturen üblicherweise UPE-Aufschläge berechnen. Hiergegen hat sich die Beklagte nur insofern gewendet, als sie behauptet hat, dass die Klägerin keine UPE-Aufschläge zahlen müsse, da sie Großkundenrabatte erhalte und UPE-Aufschläge insofern „nicht anfielen“. Mit keinem Wort hat sie in erster Instanz bestritten, dass die Verrechnung von UPE-Aufschlägen in den besagten Reparaturwerkstätten allgemein üblich ist. Dies wäre für sich genommen auch nicht ausreichend. Hat der die Reparaturkosten fiktiv abrechnende Geschädigte durch Vorlage des von ihm eingeholten Sachverständigengutachtens substantiiert dargelegt, dass bei einer Reparatur UPE-Aufschläge anfallen, so genügt ein bloßes Bestreiten durch die Schädigerseite, dass diese Kosten bei regionalen Fachwerkstätten üblicherweise anfallen, nicht. Vielmehr ist - wie hier nicht - detailliert auszuführen, warum die Annahme des Sachverständigen nicht stimmt (Amtsgericht Fürstenfeldbruck, Urteil vom 19.12.2014, Az: 7 C 1337/14).
12
Gemäß § 249 Abs. 2 S. 1 BGB kann der Gläubiger, wenn wegen Verletzung einer Person oder wegen Beschädigung einer Sache Schadenersatz zu leisten ist, statt der Herstellung (§ 249 Abs. 1 BGB, den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Der erforderliche Geldbetrag ist derjenige, den ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten darf (BGH, Urteil vom 20.12.2016, Az.: VI ZR 612/15 m. zahlr. Nachw.). Es ist ein feststehender Grundsatz des Schadensrechts, dass insofern auch ein Anspruch des Geschädigten dahingehend besteht, den erforderlichen Aufwand auch fiktiv bzw. „abstrakt“ auf der Basis eines Sachverständigengutachtens abzurechnen. Im Gegenzug ist es dem Geschädigten untersagt, wenn er fiktiv abrechnet, konkret entstandene Positionen geltend zu machen (BGH, Urteil vom 13.09.2016, Az.: VI ZR 654/15).
13
Ziel des Schadensersatzes ist stets die Totalreparation. Der Geschädigte ist nach schadensrechtlichen Grundsätzen auch bei der fiktiven Abrechnung sowohl in der Wahl der Mittel zur Schadensbehebung, als auch in der Verwendung des vom Schädiger zu leistenden Schadensersatzes frei ist (BGH, Urteil vom 29.04.2003, Az.: VI ZR 398/02 m. w. Nachw.). Der Geschädigte ist zwar unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen, sofern er die Höhe der für die Schadensbeseitigung aufzuwendenden Kosten beeinflussen kann. Doch es genügt im Allgemeinen, dass er den Schaden auf der Grundlage eines von ihm eingeholten Sachverständigengutachtens berechnet, sofern das Gutachten hinreichend ausführlich ist und das Bemühen erkennen lässt, dem konkreten Schadensfall vom Standpunkt eines wirtschaftlich denkenden Betrachters gerecht zu werden (BGH a.a.O.). Grundanliegen des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB ist es, dass dem Geschädigten bei voller Haftung des Schädigers ein möglichst vollständiger Schadensausgleich zukommen soll (BGH a.a.O.). Deshalb ist bei der Prüfung, ob sich der Aufwand zur Schadensbeseitigung in vernünftigen Grenzen hält, eine subjektbezogene Schadensbetrachtung anzustellen, das heißt Rücksicht auf die spezielle Situation des Geschädigten, insbesondere auf seine individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie auf die möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten zu nehmen (BGH a.a.O.; vgl. auch Urteil vom 15.10.1991, Az.: VI ZR 314/90; Urteil vom 07.05.1996, Az.: VI ZR 138/95).
14
Bei einem - wie hier - im Unfallzeitpunkt weniger als 3 Jahre alten Pkw darf der Geschädigte ohne Weiteres im Rahmen der fiktiven Abrechnung grundsätzlich die Kosten einer markengebundenen Fachwerkstatt geltend machen, und zwar vollkommen unabhängig davon, ob die Geschädigte im Anschluss den Wagen tatsächlich voll, minderwertig oder überhaupt nicht reparieren lässt (vgl. beispielsweise BGH, Urteil vom 03.12.2013, Az: VI ZR 24/13; Urteil vom 07.02.2017, Az: VI ZR 182/16). Soweit der Geschädigte die Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt ausführen kann, zählen nach überwiegender Ansicht in der Rechtsprechung auch Ersatzteilzuschläge (UPE-Aufschläge) zu den vom Schädiger zu ersetzenden fiktiven Reparaturkosten, sofern diese bei den Fachwerkstätten in der relevanten Region üblicherweise anfallen (vgl. hierzu die äußerst umfangreichen Rechtsprechungsnachweise bei Münchener Kommentar zum BGB-Oetker, 7. Auflage 2016, § 249, Rn. 372; so auch bspw. OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 21.04.2016, Az.: 7 U 34/15; OLG München, Urteil vom 28.02.2014, Az.: 10 U 3878/13; OLG Düsseldorf, Urteil vom 16.06.2008, Az.: 1 U 246/07).
15
Dass dies für den vorliegenden Fall grundsätzlich zu gelten hat, also auch die Klägerin prinzipiell fiktiv auf Gutachtenbasis abrechnen darf, stellt die Beklagte auch nicht in Abrede. Sofern sie allerdings, ebenso wie einige Landgerichte, aus den oben zitierten Ausführungen zur subjektbezogenen Schadensbetrachtung die rechtliche Schlussfolgerung zieht, dass sich die Klägerin von ihr erzielbare (Großkunden-) Rabatte gegenüber dem jeweiligen Reparaturbetrieb stets anrechnen lassen müsse und insbesondere dazu gehalten sei, substantiiert dazu vorzutragen, ob und von wem sie welche Nachlässe (auf UPE-Aufschläge und auch sonst) erhalte, so kann dem nicht gefolgt werden. Im Rahmen der fiktiven Schadensabrechnung auf Gutachtenbasis sind erzielbare (Großkunden-) Rabatte nicht schadensmindernd zu berücksichtigen. Das Landgericht Karlsruhe vertritt die Ansicht, dass auch im Rahmen der fiktiven Schadensabrechnung nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB vom Geschädigten regelmäßig erzielte Rabatte zu berücksichtigten seien und der Geschädigte hierzu vortragen müsse, um seinen Schaden schlüssig darzulegen (Landgericht Karlsruhe, Urteil vom 28.06.2017, Az: 19 S 33/16). Der Grundsatz der subjektbezogenen Schadensbetrachtung erfordere es, bei der Feststellung des nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB ersatzfähigen Schadens nicht auf einen „objektiven Durchschnittsaufwand“ abzustellen, sondern auf die Aufwendungen, die ein „verständiger und wirtschaftlich denkender Eigentümer in der besonderen Lage des Geschädigten für eine zumutbare Instandsetzung zu machen habe.“ Der Geschädigte trage die Beweislast für den entstandenen Schaden auch insofern, dass ihm gerade keine Rabatte gewährt würden.
16
Diese Betrachtungsweise stellt jedoch im Ergebnis die grundsätzlich anzuerkennende Möglichkeit der fiktiven Schadensabrechnung in Frage, indem sie den fiktiven (also üblichen bzw. durchschnittlichen) Aufwand zur Schadensbehebung zu stark von den konkreten Fallumständen abhängig machen will und zu diesem Zweck sogar die Grundsätze der Darlegungs- und Beweislast auf den Kopf stellt. Sinn und Zweck des Postulats der subjektbezogenen Schadensbetrachtung ist es jedoch weder, fiktive und konkrete Schadensabrechnung miteinander zu vermengen, noch die Ausschaltung des Grundsatzes, wonach zur schlüssigen Darlegung des Umfangs eines erstattungsfähigen Reparaturschadens im Wege fiktiver Abrechnung die Vorlage eines Sachverständigengutachtens ausreichend ist (vgl. hierzu BGH a.a.O.). Die Kammer versteht die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in der Entscheidung vom 29.04.2003 (Az.: VI ZR 398/02) so, dass durch die subjektbezogene Schadensbetrachtung den Grundsätzen der Totalreparation und der Dispositionsbefugnis des Geschädigten nur insoweit ein Korrektiv vorgesetzt werden soll, als die Erstattung wirtschaftlich regelrecht unvernünftiger Reparaturkosten verlangt werden soll. Ausdrücklich hat der Bundesgerichtshof in der vorzitierten Entscheidung betont, dass es im Rahmen der fiktiven Abrechnung im Allgemeinen genügen soll, ein hinreichend ausführliches und begründetes Sachverständigengutachten vorzulegen. Die Kammer versteht das Postulat der subjektbezogenen Schadensbetrachtung aber nicht in erster Linie als beschränkendes Korrektiv, sondern hält dieses - dies ist der zitierten Entscheidung klar zu entnehmen - nur in Zusammenschau mit und unter alleroberster Berücksichtigung des Grundsatzes der Totalreparation für verständlich. Wenn dort ausgeführt wird, es müsse „Rücksicht“ auf die Situation des Geschädigten genommen werden, kann dies schon nach dem Wortlaut nicht nur als Begrenzung oder kürzendes Korrektiv verstanden werden, sondern vielmehr als einen den Geschädigtenschutz bezweckenden Grundsatz, der in Ergänzung zu Totalreparations- und Dispositionsgrundsatz steht.
17
Wenn aber, wie das Landgericht Karlsruhe meint, ein Geschädigter sich „regelmäßig erzielte oder erzielbare Rabatte“ auch im Rahmen fiktiver Abrechnung anrechnen lassen muss, so wird damit nichts anderes bewirkt, als dem Geschädigten gegen eines fiktiven, durch Sachverständigengutachten schlüssig dargelegten Instandsetzungsaufwands einen konkreten Abrechnungseinwand zuzugestehen. Denn bei genauer Betrachtung muss auffallen, dass sich die Frage - diese Befürchtung formuliert das Landgericht Karlsruhe zur maßgeblichen Begründung seiner Rechtsansicht - nach einer „Besserstellung“ oder „Bereicherung“ des Geschädigten durch die Abrechnung auf Gutachtenbasis überhaupt erst dann entscheidet, wenn tatsächlich repariert wird. Hierzu führt das Landgericht Münster in seinem Urteil vom 08.05.2018 (Az.: 03 S 139/17) vollkommen zutreffend aus, dass ein angeblicher Rabattvorteil natürlich so lange nicht realisiert werden kann, als keine konkrete Reparatur in Anspruch genommen wird. Solange also nicht feststeht, ob - und hierüber ist der Geschädigte dem Schädiger bei der fiktiven Abrechnung gerade nicht rechenschaftspflichtig! - überhaupt repariert wird, und falls ja in welchem Umfang, oder ob der Geschädigte sein Fahrzeug bspw. un- oder teilrepariert veräußert, lässt sich auch nicht feststellen, ob eine wie auch immer geartete Besserstellung des Geschädigten überhaupt droht. Erst recht nicht erschließt sich der Kammer, wie überhaupt in tatsächlicher Hinsicht festgestellt werden soll, ob ein Rabatt „regelmäßig“ erzielt wird. Müsste sich der Geschädigte einen Großkundenrabatt auch bei fiktiver Abrechnung anrechnen lassen, würde seine Dispositionsfreiheit zwischen fiktiver und konkreter Abrechnung dahingehend eingeschränkt, dass er stets die für den Schädiger günstigere Alternative der Reparatur wählen müsste, um keinen Vermögensverlust zu erleiden (LG Münster a.a.O.). Das wird Sinn und Zweck des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB nicht gerecht.
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Selbst wenn die Klägerin als Geschädigte, wie die Beklagte meint, aufgrund von Kooperationen bzw. Vereinbarungen mit anderen Unternehmen, Werkstätten o. ä. dergestalt Rabatte erhalten sollte, dass sie im Rahmen eines Reparaturauftrages tatsächlich keine UPE-Aufschläge an diese zahlen muss, gäbe es aber auch schon deswegen keinen Grund, dies dem jeweiligen Schädiger zugute kommen zu lassen, weil üblicherweise davon auszugehen sein wird, dass diesem Entgegenkommen in Form von Rabatten gewisse Gegenleistungen der Klägerin gegenüber ihren Geschäftspartnern entsprechen. Wenn es der Klägerin aufgrund ihrer Größe, ihres Verhandlungsgeschicks oder ihres unternehmerischen Netzwerks tatsächlich möglich sein sollte, günstige Reparaturkonditionen für sich und ihre Tochter- und Schwesterunternehmen herauszuhandeln, wäre das kein Grund, der Beklagtenseite diese Wohltat ebenso angedeihen zu lassen - zumal sie, im Gegensatz zur Klägerin, keinerlei Gegenleistung erbringt. Zwar hat der Bundesgerichtshof bereits entschieden, dass derjenige Geschädigte, der im Wege der konkreten Schadensabrechnung Ersatz der tatsächlich angefallenen Reparaturkosten verlangt, sich einen Werksangehörigenrabatt anrechnen lassen muss, den er auf Grund einer Betriebsvereinbarung auf die Werkstattrechnung erhält (BGH, Urteil vom 18.10.2011, Az.: VI ZR 17/11). Weder handelt es sich vorliegend aber um einen Fall der konkreten Schadensabrechnung, noch liegen die Dinge erkennbar so, wie im dort entschiedenen Fall, in dem der Geschädigte aufgrund einer bereits vor dem Schadensfall bestehenden Betriebsvereinbarung einen regelrechten Anspruch auf Inanspruchnahme der kostengünstigen Reparaturmöglichkeit mit Werksangehörigenrabatt hatte. Insbesondere stand infolge der dort konkret erfolgten Reparatur aber positiv fest, dass der Rabatt in Anspruch genommen worden war. Die Kammer hält es im Übrigen auch unter dem Gesichtspunkt der verfassungsrechtlich garantierten Berufsfreiheit (Art. 12 GG) für ausgesprochen problematisch (und marktwirtschaftlich für schlichtweg verfehlt), über den Umweg des Schadensersatzrechts die unternehmerischen Wahlmöglichkeiten gerade von großen und marktstarken Akteuren wie der Klägerin dahingehend beschneiden zu wollen, dass man ihnen die Möglichkeit der freien (!) fiktiven Schadensabrechnung unter Hinweis auf bereits bestehende Geschäftsbeziehungen nimmt.
19
Wenn der Geschädigte also nicht konkret abrechnet (und in diesem Rahmen natürlich substantiiert darlegen und beweisen muss, wie und zu welchen Konditionen dies geschehen ist) oder der Schädiger den fiktiv abrechnenden Geschädigten nicht zulässig auf eine konkrete, günstigere Reparaturmöglichkeit verweisen kann (wofür natürlich der Schädiger konkret darlegungs- und beweisbelastet ist), kann der Schädiger mit dem Einwand von (Großkunden-) Rabatten, die der Geschädigte bei Reparatur erzielen kann oder könnte, nicht gehört werden. Insofern ist dem Amtsgericht in seiner Entscheidung auch kein Rechtsfehler unterlaufen und die Berufung war diesbezüglich zurückzuweisen.
II.
20
Ebenso wenig dringt die Beklagte mit ihrem Einwand durch, der Klägerin hätte kein Ersatzanspruch für ihre vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten zugesprochen werden dürfen. Die Ersatzpflicht des Schädigers (und insofern auch seines Haftpflichtversicherers) erstreckt sich auch auf die durch Geltendmachung und Durchsetzung des jeweiligen Schadensersatzanspruches verursachten Kosten, namentlich auch die Kosten der (vorgerichtlichen) Rechtsverfolgungskosten durch einen beauftragten Rechtsanwalt, soweit die Inanspruchnahme erforderlich und zweckmäßig war; dann umfassen die Kosten der Rechtsverfolgung den „erforderlichen Geldbetrag“ im Sinne des § 249 Abs. 2 S. 1. BGB (BGH, Urteil vom 19.04.2018, Az: IX ZR 187/17; Urteil vom 18.07.2017, Az: VI ZR 465/16, Urteil vom 13.12.2011, Az: VI ZR 274/10, Urteil vom 23.10.2003, Az: IX ZR 249/02, jeweils mit weiteren Nachweisen). Grundsätzlich kann ein entsprechender Anspruch nur bis zur Höhe der gesetzlichen Gebühren verlangt werden, auch bei Vereinbarung eines Zeithonorars (BGH Urteil vom 16.07.2015, Az: XI ZR 197/14). Hierbei bildet die Höhe der berechtigten Schadensersatzforderung den zugrunde zu legenden Gegenstandswert (BGH, Urteil vom 09.01.2018, Az: VI ZR 82/17). In einfach gelagerten Fällen ist die Einschaltung eines Rechtsanwalts nur erforderlich, wenn der Geschädigte geschäftlich ungewandt ist oder die Schadensregulierung verzögert wird (BGH, Urteil vom 16.07.2015, Az: IX ZR 197/14; Urteil vom 06.10.2010, Az: VII ZR 271/09;. Urteil vom 10.01.2006, Az: VI ZR 43/05) Hierbei muss sich die Notwendigkeit der anwaltlichen Vertretung schon beim infrage stehenden Erstkontakt mit der jeweiligen Gegenseite begründen lassen, wobei insbesondere zu fragen ist, ob Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Leistungspflicht in Abrede gestellt werden würde (BGH, Urteil vom 08.05.2012, Az: VI ZR 196/11; Urteil vom 11.07.2017, Az: VI ZR 90/17). Ob und inwiefern die Klägerin und Berufungsbeklagte als einer der größten gewerblichen Autovermieter als „geschäftlich (un-)gewandt“ hinsichtlich der Geltendmachung und Prüfung von Unfallschäden anzusehen ist, kann aus Sicht der Kammer offen bleiben, ebenso, inwiefern im Rahmen der „Unternehmensgruppe ...“ Schadensachbearbeiter beschäftigt werden, da der vorliegende Schadensfall jedenfalls nicht „einfach gelagert“ im Sinne der Rechtsprechung war. Zum einen kann wohl schon ganz grundsätzlich nicht länger davon ausgegangen werden, dass es (jedenfalls bei der Beteiligung von zwei Fahrzeugen bei einem Verkehrsunfall) überhaupt so etwas wie einen „einfach gelagerten Verkehrsunfall“ gibt, weil selbst dann, wenn die Haftung dem Grunde nach ausnahmsweise einmal vergleichsweise einfach erscheint, jedenfalls die sich daraus ergebenden Folgediskussionen zur Schadenshöhe (insb. Nutzungsausfall, Mietwagenkosten, Sachverständigenkosten, etc.) derart vielschichtig und komplex sind, dass ganz grundsätzlich die Einschaltung eines Rechtsanwalts regelmäßig erforderlich ist. Es kann von keiner noch so geschäftsgewandten Partei erwartet oder vorausgesetzt werden, dass sie einen Überblick über die namenlose Fülle von Rechtsprechungsansichten, die quer durch die Bundesrepublik Deutschland hinweg vertreten werden, besitzt und diese auf den jeweiligen Fall zutreffend anwenden kann. Wie der Beklagtenseite bekannt ist, werden mitunter in ein und demselben Landgerichtsbezirk von den verschiedenen dort ansässigen Amtsgerichten vollkommen unterschiedliche Rechtsmeinungen beispielsweise zur Frage der Höhe der Erstattungsfähigkeit von Mietwagenkosten vertreten. Ebenso wenig einheitlich ist die Rechtsprechung zur Frage der Ersatzfähigkeit von Sachverständigenkosten, die infolge der Schadensbegutachtung der jeweils verunfallten Fahrzeuge anfallen. Sofern nicht ersichtlich ist, dass bei dem jeweiligen Geschädigen zumindest die gleichen Kenntnisse wie bei einem Fachanwalt für Verkehrsrecht vorliegen, erscheint die Beauftragung eines Rechtsanwalts demnach grundsätzlich als erforderlich. Dieses Ausmaß an geschäftlicher Gewandtheit wird man bei der Klägerin, auch unter Berücksichtigung des Beklagtenvortrags, aber nicht annehmen können. Selbst wenn irgendwelche Tochter- oder Schwesterfirmen der Klägerin hierzu eigene Sachbearbeiter einstellen, so wird doch die Qualifikation eines Schadenssachbearbeiters (ganz ungeachtet des Umstands, dass dieser dann gerade nicht für die Klägerin arbeitet) in der Regel nicht im Ansatz den Qualifikationen entsprechen, die an einen Volljuristen und hierbei noch Fachanwalt für Verkehrsrecht zu stellen sind. Insofern besteht auch keinerlei Vergleichbarkeit mit dem Fall, den der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 08.11.1994, Az: VI ZR 3/94 entschieden hat. Hier war ein Pkw mit einer Autobahneinrichtung kollidiert (so auch AG Hamburg, Urteil vom 31.01.2018, Az: 20 a C 451/17; AG München, Urteil vom 27.04.2016, Az: 334 C 26180/15; AG Flensburg, Urteil vom 11.07.2011, Az: 62 C 69/11, Landgericht Krefeld, Urteil vom 07.04.2011, Az: 3 S 39/10; AG Münster, Urteil vom 09.02.2011, Az: 60 C 4389/10; AG Kassel, Urteil vom 30.06.2009, Az: 415 C 6203/08). Auch der gewerbliche Autovermieter gilt somit grundsätzlich als Rechtsunkundiger (AG Kassel, a.a.O.).
21
Sollte die Klägerin, wie die Beklagte meint, die Gebührennote ihres Prozessbevollmächtigten für die außergerichtliche Tätigkeit tatsächlich noch nicht ausgeglichen haben, so wäre dies unschädlich. Dem Rechtsgedanken des § 251 BGB folgend wäre zwischenzeitlich jedenfalls durch die endgültige Weigerung der Kostenübernahme durch die Beklagte ein Zahlungsanspruch entstanden, bestünde also nicht nur ein Freistellungsanspruch. Auch die Anspruchshöhe hat das Amtsgericht zutreffend ermittelt.
22
Die Berufung war darum insgesamt als unbegründet zurückzuweisen.
III.
23
Die Revision war zuzulassen.
24
Gemäß § 543 Abs. 2 ZPO ist die Revision zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1) oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (Nr. 2).
25
Vorliegend ist der Zulassungsgrund des § 543 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO gegeben. Zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung ist eine Entscheidung des Revisionsgerichts erforderlich, wenn nur so zu vermeiden ist, dass schwer erträgliche Unterschiede in der Rechtsprechung entstehen oder fortbestehen, wobei es darauf ankommt, welche Bedeutung die angefochtene Entscheidung für die Rechtsprechung im Ganzen hat. Vorliegend verorten das Landgericht Münster (a.a.O.) und die erkennende 8. Zivilkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth die Berücksichtigung von erzielbaren Rabatten im Rahmen der fiktiven Schadensabrechnung als unbeachtlich, während die 2. Zivilkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth (die „Schwesternkammer“ mit einer Spezialzuständigkeit ebenfalls für Verkehrsunfallsachen) und das Landgericht Karlsruhe (a.a.O.) die Rechtsmeinung vertreten, solche seien auch im Rahmen fiktiver Schadensabrechnung zu berücksichtigen. Eine klarstellende Entscheidung des Revisionsgerichts ist dringend notwendig, da ansonsten eine unerträgliche Rechtszersplitterung - nicht nur gerichtsintern, sondern bundesweit - droht, die eine unermessliche Vielzahl von Verkehrsunfallverfahren, aber auch sonstigen Schadensersatzverfahren betreffen kann. Die oben zitierte Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 18.10.2011 (VI ZR 17/11, „Werksangehörigenrabatt“) genügt zur Klärung erkennbar nicht, da dort nur eine Aussage über die Anrechnungsfrage im Falle konkreter, nicht aber fiktiver Schadensabrechnung getroffen wurde. Insbesondere die - nach den vorstehenden landgerichtlichen Entscheidungen und Rechtsmeinungen ganz unterschiedlich zu beantwortende - Frage, wo gegebenenfalls die entsprechende Darlegungs- und Beweislast zu verorten ist, kann zu völlig unterschiedlichen Prozessverläufen und Entscheidungen der Gerichte führen. Falls der Bundesgerichtshof die Rechtsmeinung des Landgerichts Karlsruhe in der Sache bestätigen sollte, wird sich auch die Frage stellen, ob die Instanzgerichte den klagenden Geschädigten künftig im Rahmen ihrer Hinweispflicht nach § 139 ZPO gegebenenfalls auch ungefragt werden aufgeben müssen, dazu vorzutragen, ob - und falls ja, wo und wie - sie Rabatte erzielen können.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 91, 97, 708 Nr. 10, 711 ZPO.