Inhalt

LSG München, Urteil v. 27.06.2019 – L 4 KR 66/18
Titel:

Beitragsrecht: Versicherungspflicht einer Casting-Direktorin nach dem KSVG

Normenketten:
KSVG § 1, § 2 S. 1
SGB IV § 8
Leitsätze:
1. Bei der Frage, ob eine Casting-Direktorin in der Filmbranche unter die Versicherungspflicht nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz fällt, kommt es nicht auf eine abstrakt-generelle Anerkennung dieses Berufs als künstlerischen Beruf im Sinne des KSVG an, sondern es ist auf die konkrete Tätigkeit abzustellen. (Rn. 35)
2. Nicht entscheidend ist, dass die Tätigkeit des Casting-Direktors nicht im Künstlerbericht von 1975 erwähnt ist. (Rn. 30)
3. Zur vorliegend gegebenen Versicherungspflicht einer Casting-Direktorin nach dem KSVG.
Die Tätigkeit einer Casting-Direktorin ist als künstlerisch zu qualifizieren, wenn sie durch die Komposition des Darstellerensembles in entscheidender Weise Einfluss auf die personelle Bildgebung der Geschichte des jeweiligen Films nimmt, sie sich bei der Auswahl der Schauspieler ihrer eigenen Eindrücke, Erfahrungen und Erlebnisse bedient und die bislang nur abstrakt existierenden Charaktere eines Drehbuchs „durch das Medium der realen Bildgebung“ zur unmittelbaren Anschauung bringt und somit unmittelbar gestaltend auf das Filmwerk einwirkt. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Casting-Direktor, Kunst, Künstler, Regisseur, Versicherungspflicht, Künstlersozialversicherung, Rollenbesetzung, Letztentscheidungsrecht, individuelle Ausgestaltung, Beruf
Vorinstanz:
SG München, Urteil vom 07.12.2017 – S 15 KR 1563/15
Fundstelle:
BeckRS 2019, 29825

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 7. Dezember 2017 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte trägt auch die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Berufungsverfahren.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1
Streitig ist die Versicherungspflicht der Klägerin in ihrem Beruf als Casting-Direktorin nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG).
2
Die Klägerin ist bei der ... freiwillig krankenversichert.
3
Am 12.05.2015 beantragte sie die Aufnahme in die Künstlersozialkasse wegen ihrer Tätigkeit als selbstständige Casting-Direktorin in der Filmbranche. Sie sei in diesem Beruf seit 1996 tätig und beschäftige in diesem Zusammenhang keinen Arbeitnehmer. Im laufenden Kalenderjahr werde sie ein voraussichtliches Jahreseinkommen von 90.000 € erzielen. Sie legte eine Filmographie und Casting-Verträge mit Filmproduzenten vor.
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Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 12.06.2015 fest, dass die Klägerin nicht der Versicherungspflicht nach dem KSVG unterliege. Voraussetzung hierfür sei die selbstständige Ausübung einer künstlerischen oder publizistischen Erwerbstätigkeit. Künstler oder Publizist sei, wer selbstständig erwerbstätig Musik, darstellende oder bildende Kunst schaffe, ausübe oder lehre oder als Schriftsteller, Journalist oder auf andere Weise publizistisch tätig sei oder Publizistik lehre. Die Klägerin wähle Schauspieler für die Besetzung von Filmrollen aus. Dies könne nicht unter das Tatbestandsmerkmal „darstellende Kunst schaffen, ausüben oder lehren“ subsumiert werden.
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Dagegen erhob die Klägerin Widerspruch und verwies insbesondere auf das Urteil des Finanzgerichts A-Stadt vom 23.09.2011 (Az. 1 K …), welches in einem Verfahren der Klägerin gegen das Finanzamt A-Stadt ergangen war. In dieser Entscheidung wird zur Tätigkeit der Klägerin u. a. folgendes ausgeführt:
„Nach Art der Tätigkeit der Klägerin als Casterin, die sich aus deren Beschreibung, der Beschreibung der Regisseure und dem beispielhaft vorgelegten Vertrag konkretisiert, ist es Sache der Klägerin zu dem jeweils im Drehbuch beschriebenen Rollencharakter den/die bestgeeignete/n Schauspieler/in auszuwählen. Durch die Auswahl der in Betracht kommenden Künstler/innen gibt die Klägerin den Charakteren eines Drehbuchs reales Aussehen und bestimmt dadurch die Bildgebung des jeweiligen Films im Hinblick auf die handelnden Personen in entscheidender Weise. Ihre individuelle Anschauungsweise kommt dadurch zum Ausdruck, dass sie aus dem übergroßen Angebot an Schauspielern denjenigen oder eine Gruppe von Personen auswählt, die sich für den im Drehbuch beschriebenen Charakter in der tatsächlichen Darstellung am besten eignen. Wie aus dem Vertrag hervorgeht ist ihre Leistung erst dann erbracht, wenn die letzte Rolle besetzt ist. Damit ist klargestellt, dass es letztlich allein Sache der Klägerin ist den abstrakten Charakteren des Drehbuchs ein reales Bild in Form des auszuwählenden Darstellers/in zu verleihen, denn die Auswahl der in Betracht kommenden Schauspieler ist Ergebnis allein ihrer Leistung. Im speziellen kommt bei der Klägerin hinzu, dass ihr, ausweislich der Stellungnahmen der Regisseure, besondere Fähigkeiten bei der Auswahl geeigneter Schauspieler zuerkannt werden und die Regisseure im Falle der Zusammenarbeit mit ihr ihrem Urteil vertrauen und dieses akzeptieren. So gelingt es ihr auch gegen die Bedenken eines Regisseurs unbekannte Darsteller/innen durchzusetzen und dergestalt ihre eigenen Ideen bei der Komposition eines Darstellerensembles zu verwirklichen. Dergestalt liegt der maßgebliche Einfluss auf die Rollenbesetzungen bei der Klägerin. Durch die Komposition des Schauspielerensembles erreicht ihre Tätigkeit künstlerische Gestaltungshöhe, da sie damit die dem Film Bild gebenden Akteure bestimmt und auf einen der primären künstlerischen Wirkungsgrade des Films - die personelle Bildgebung einer Geschichte - in entscheidender Weise Einfluss nimmt. Der jeweilige Film erhält durch ihre spezielle Komposition des Ensembles ihre persönliche Prägung. Die freie schöpferische Gestaltung kommt dadurch zum Ausdruck, dass sie sich bei der Auswahl der Charaktere ihrer eigenen Eindrücke, Erfahrungen und Erlebnisse bedient und diese durch das Medium der realen Bildgebung bislang nur abstrakt existierenden Charaktere eines Drehbuchs zur unmittelbaren Anschauung bringt.“
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Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 21.10.2015 zurück. Die Tätigkeit der Klägerin sei keine künstlerische im Sinne des KSVG. Ausschlaggebend für das Vorliegen einer Künstlereigenschaft im Bereich der darstellenden Kunst sei, dass die erstellten Werke veröffentlicht, d.h. der Öffentlichkeit zugänglich gemacht würden. Dies sei bei der Tätigkeit als Casting-Direktorin nicht der Fall. Der Zweck eines Castings im Bereich der Film- und Fernsehproduktion sei die Vorauswahl der späteren Besetzung mit Darstellern. Die Klägerin möge zwar im Rahmen ihrer Tätigkeit im weitesten Sinne an der Realisierung eines Kunstobjektes mitwirken, sie sei jedoch nicht Urheber oder Schöpfer eines Kunstwerkes.
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Dagegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht München (SG) erhoben und vorgetragen, dass sie über 140 veröffentlichte Film- und Fernsehwerke vorweisen könne und damit an einer außerordentlich hohen Zahl veröffentlichter Werke mitgewirkt habe. Nach § 72 UrhG sei ausübender Künstler, wer „ein Werk oder eine Ausdrucksform der Volkskunst aufführt, singt, spielt oder auf eine andere Weise darbietet oder an einer solchen Darbietung künstlerisch mitwirkt“. Demnach unterfielen unstreitig Schauspieler dem Künstlerbegriff, aber auch andere Mitwirkende an einem Werk der Filmkunst, obwohl sie nicht Urheber (wie der Regisseur), sondern Mitwirkende an einem Gesamtkunstwerk seien, wie zum Beispiel Kameraleute, Szenenbildner, Kostümbildner, Maskenbildner, Cutter und neuerdings Stuntleute. Diese maßgeblich künstlerisch Mitwirkenden würden im Vorspann genannt und nicht im Abspann, wo Requisiteure, Aufnahmeleiter, Beleuchter genannt würden. Bereits seit vielen Jahren würde auch „Besetzung“ oder „Casting“ im Vorspann eines Kino- oder Fernsehfilms genannt.
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Die Besetzungstätigkeit gehöre zu den wesentlichen Aufgaben, die ein Filmregisseur zu erbringen habe. Die Auswahl der Schauspieler sei wesentlich für den künstlerischen und wirtschaftlichen Erfolg eines Films. Der Casting-Direktor konkretisiere die im Drehbuch angelegten Charaktere der Geschichte zu einem Ganzen und gebe den einzelnen Figuren ein Gesicht. Schon mit der Auswahl des Casting-Direktors werde einem Filmvorhaben eine Richtung bzw. eine Handschrift gegeben.
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Der Casting-Direktor wirke von der ersten Minute des Filmentstehungsprozesses bis hin zum Abschluss des Entscheidungsprozesses über die Frage der Besetzung - und damit an einer wesentlichen künstlerischen Frage - mit. Speziell die Klägerin habe als Casting-Direktorin tatsächlich deutsche Filmgeschichte mitgeschrieben, indem sie viele der heute namhaften Schauspieler entdeckt habe. Für ihre herausragenden kreativen Besetzungsleistungen habe sie diverse Auszeichnungen erhalten.
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Die Klägerin hat mehrere Schreiben von Filmregisseuren vorgelegt, darunter ein Schreiben des Regisseurs M. R. vom 02.06.2011, in dem dieser ausführt, dass die Klägerin immer wieder mit Besetzungsvorschlägen überrascht habe, die erst die richtige Würze in seinen Filmen ausmachten. Ohne die Kreativität, aus der Masse der Schauspieler die stimmigen Darsteller herauszufischen, wäre es ihm nicht möglich, ein Drehbuch anständig umsetzen zu können. Der Regisseur E. H. teilte mit Schreiben vom 12.11.2016 mit, dass die Klägerin ihn in vier Kinofilmproduktionen begleitet habe und für ihn ein wichtiger künstlerischer Partner in der Umsetzung von Filmstoffen sei.
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Die Beklagte verwies auf den Wikipedia-Eintrag zur Tätigkeit des Castings und führte aus, dass anhand der dortigen Darlegungen nicht davon ausgegangen werden könne, dass ein Casting-Direktor das Profil der handelnden Figuren schaffe und maßgeblich an der künstlerischen Gestaltung eines Filmwerkes mitwirke. Tatsächlich hielten die Regisseure alle Fäden in der Hand, koordinierten die Arbeit aller Beteiligten und träfen die endgültigen künstlerischen Entscheidungen. Gerade die Besetzungstätigkeit zähle zu den wesentlichen Aufgaben eines Regisseurs. Dass sich Filmregisseure oder Produzenten diese Aufgabe vom Casting-Direktor abnehmen ließen, sei nicht ersichtlich.
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Das Sozialgericht hat die Beklagte mit Urteil vom 07.12.2017 unter Aufhebung der angegriffenen Bescheide verurteilt festzustellen, dass für die Tätigkeit der Klägerin als Casting-Direktorin ab dem 12.05.2015 Versicherungspflicht nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz bestehe. Die Klägerin sei Künstlerin im Sinne von § 2 KSVG und unterliege daher der Versicherungspflicht nach § 1 KSVG.
13
Der Begriff der Kunst sei gemäß dem Regelungszweck des KSVG, der allgemeinen Verkehrsauffassung und der historischen Entwicklung zu erschließen. Zwar werde die Tätigkeit der Klägerin nicht im Künstlerbericht von 1975 erwähnt und die Tätigkeit der Besetzung sei bereits zu diesem Zeitpunkt vorhanden gewesen, jedoch habe sich nach Auffassung der erkennenden Kammer die Verkehrsauffassung geändert. Die Kammer schließe sich insoweit vollumfänglich der Entscheidung des Finanzgerichts A-Stadt vom 23.09.2011 (Az. 1 K …) an.
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Es könne dahinstehen, ob ein Casting-Direktor, der weniger Einfluss auf das Endprodukt (den fertigen Film) habe, ebenfalls als Künstler im Sinne des KSVG anzusehen sei. Jedenfalls sei dies bei der Klägerin der Fall. Das Argument der Beklagten, dass alleine der Regisseur die künstlerische Komponente der Besetzung verantworte, trage bei der Klägerin nicht.
15
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung erhoben.
16
Zur Begründung hat sie Auszüge aus Wikipedia zum Casting bei Film und Fernsehen wiedergegeben und die Berufsinformationen der Bundesagentur für Arbeit unter „berufenet“ zu den Aufgaben und Tätigkeiten von Casting-Direktoren und von Regisseuren und Produzenten zitiert. Daraus ergebe sich, dass die Aufgaben des Casting-Direktors - mit Regisseuren die Besetzung der Rollen zu beraten, Schauspieler der Produktionsfirma vorzuschlagen, Castings zu organisieren und daran beratend teilzunehmen - nicht überwiegend künstlerisch seien und sich nur zum Teil auf die Gestaltung der Filmwerke auswirkten. Der Casting-Direktor berate die entscheidenden Akteure bei der Filmproduktion im Vorfeld und nehme ihnen planerische, organisatorische und verwaltende Tätigkeiten für die Auswahl der Schauspieler ab. Er sei es aber nicht, der maßgeblichen Einfluss auf die künstlerische Gestaltung eines Filmwerks habe.
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Casting-Direktoren gehörten auch nicht zu den ausübenden Künstlern im Sinne von § 73 Urhebergesetz. So heiße es im Kommentar zum Urheberrecht von Fromm/ Nordemann, eine künstlerische Mitwirkung liege nicht vor, „wenn lediglich Vorbereitungshandlungen geleistet werden, die nicht unmittelbar in Vortrag und Ausführung gestaltend durchschlagen, oder wenn die Leistungen lediglich im technischen oder organisatorischen Bereich liegen“.
18
Der Bevollmächtigte der Klägerin ist der Berufung entgegengetreten. Der Wikipedia-Eintrag wie auch die Berufsinformationen unter „berufenet“, auf welche die Beklagte Bezug nehme, seien zum Teil fehlerhaft. Falsch sei auch die Annahme der Beklagten, dass der Casting-Direktor dem Filmproduzenten planerische, organisatorische und verwaltende Tätigkeiten abnehme. Diese Aufgaben würden vom Aufnahmeleiter und Produktionskoordinator wahrgenommen.
19
Bezüglich des Hinweises zu § 73 Urhebergesetz sei festzustellen, dass die Vorauswahl in der Besetzung durch den Casting-Direktor schon deshalb entscheidend durchschlage, weil in aller Regel einer von mehreren Vorschlägen des Casting-Direktors am Ende zum Zuge komme und tausende von Schauspielern, die nicht bereits in der Vorauswahl des Casting-Direktors enthalten waren, gar nicht mehr in Betracht kämen.
20
Wenn die Beklagte in der künstlerischen Beratung des Regisseurs durch den Casting-Direktor keine künstlerische Mitwirkung erkennen könne, dann dürfe künftig auch kein Kameramann, Kostümbildner oder Cutter mehr als Künstler im Sinne des KSVG gelten. Bei all diesen Personen handele es sich um künstlerische Mitwirkende, denen in ihrem jeweiligen Bereich kein Letztentscheidungsrecht zukomme.
21
Die Klägerin habe als Casting-Direktorin einen Preis für die beste Besetzung bekommen. Hätte die Besetzung eines Films keine künstlerische Wirkung, sondern lediglich einen organisatorischen und verwaltenden Charakter, würde es dafür kaum einen Preis geben.
22
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 07.12.2017 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 12.06.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.10.2015 abzuweisen.
23
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
24
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Berufungsakte sowie der beigezogenen Akten des Sozialgerichts und der Beklagtenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

25
Die form- und fristgerecht (§§ 143, 151 SGG) eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig, in der Sache aber unbegründet.
26
Das Sozialgericht hat zu Recht festgestellt, dass die Klägerin ab 12.05.2015 der Versicherungspflicht nach § 1 KSVG unterliegt. Nach dieser Regelung werden selbstständige Künstler und Publizisten in der allgemeinen Rentenversicherung, in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der sozialen Pflegeversicherung versichert, wenn sie die künstlerische oder publizistische Tätigkeit erwerbsmäßig und nicht nur vorübergehend ausüben (§ 1 Nr. 1 KSVG) und im Zusammenhang mit der künstlerischen oder publizistischen Tätigkeit nicht mehr als einen Arbeitnehmer beschäftigen, es sei denn, die Beschäftigung erfolgt zur Berufsausbildung oder ist geringfügig im Sinne des § 8 SGB IV (§ 1 Nr. 2 KSVG).
27
Die Klägerin übt den Beruf der Casting-Direktorin zur Sicherung ihres Lebensunterhalts und damit erwerbsmäßig aus. Sie ist in diesem Beruf seit 1996 - mithin nicht nur vorübergehend - tätig.
28
Der Senat ist auch der Überzeugung, dass die Klägerin aufgrund ihrer Tätigkeit als Casting-Direktorin als Künstlerin im Sinne von § 2 KSVG anzusehen ist.
29
Nach § 2 Satz 1 KSVG ist Künstler im Sinne dieses Gesetzes, wer Musik, darstellende oder bildende Kunst schafft, ausübt oder lehrt. Damit bezeichnet das Gesetz drei Sparten der Kunst, die üblicherweise unterschieden werden (Musik, darstellende und bildende Kunst), jeweils umschrieben in den Varianten des Schaffens, Ausübens und Lehrens. Eine weitergehende Festlegung, was im Einzelnen darunter zu verstehen ist, ist im Hinblick auf die Vielfalt, Komplexität und Dynamik der Erscheinungsformen künstlerischer Betätigungsfelder nicht erfolgt. Auf eine materielle Definition des Kunstbegriffs wurde bewusst verzichtet (vgl. BT-Drucks 8/3172 zu § 2, S. 21). Der Begriff der Kunst ist deshalb aus dem Regelungszweck des KSVG unter Berücksichtigung der allgemeinen Verkehrsauffassung und der historischen Entwicklung zu erschließen. Er soll trotz seiner Unschärfe jedenfalls solche künstlerischen Tätigkeiten umfassen, mit denen sich der „Bericht der Bundesregierung über die wirtschaftliche und soziale Lage der künstlerischen Berufe (Künstlerbericht)“ aus dem Jahr 1975 beschäftigt (ständige Rechtsprechung, vgl. BSGE 83, 160 f.).
30
Die Tätigkeit des Casting-Direktors findet im Künstlerbericht von 1975 zwar keine Erwähnung. Doch selbst wenn es diese Tätigkeit in ähnlicher Form bereits damals gegeben haben sollte - was durchaus zweifelhaft erscheint -, so hat sich nach Überzeugung des Senats doch die allgemeine Verkehrsauffassung dahingehend gewandelt, dass die Besetzung von Filmrollen heute auch als künstlerische Tätigkeit wahrgenommen wird. Dies verdeutlicht nicht zuletzt der Umstand, dass seit einigen Jahren künstlerische Preise für die Tätigkeit des Castings verliehen werden (z.B. Grimme Preis). Auch der Umstand, dass der für die Rollenbesetzung Verantwortliche („Casting“) zusammen mit den anderen künstlerisch Mitwirkenden im Vorspann eines Kino- oder Fernsehfilms genannt wird (und nicht im Abspann, in dessen Rahmen die technisch und organisatorisch Mitwirkenden genannt werden), weist auf eine solche Entwicklung hin.
31
Im vorliegenden Fall stellt sich dem Senat nach Würdigung der vorgelegten Unterlagen - insbesondere der Stellungnahmen verschiedener Regisseure - die Sachlage so dar, dass die Klägerin maßgeblichen Einfluss auf die Rollenbesetzung der jeweiligen Filme hat, für die sie eingesetzt wird. Dabei erschöpft sich ihre Arbeit nicht in Vorschlägen zur Besetzung von Filmrollen. Die Klägerin stellt vielmehr in engem Austausch mit dem Regisseur und im Rahmen eines schöpferischen Prozesses, in den ihre Ideen, Assoziationen und Einschätzungen zur jeweiligen Rollenbesetzung maßgeblich miteinfließen, ein Darstellerensemble für das jeweilige Filmprojekt zusammen. Dabei hat sie einen großen eigenen gestalterischen Spielraum. Dass ihre Stimme in diesem Prozess erhebliches Gewicht hat, zeigt sich auch daran, dass sie immer wieder auch unbekannte Darsteller gegen anfängliche Bedenken eines Regisseurs durchzusetzen vermag. So beschreibt der Regisseur M. R., wie die Klägerin schon bei ihrer ersten Zusammenarbeit auf einem Besetzungsvorschlag mit einer völlig unbekannten Schauspielerin, die „recht nervös“ gewesen sei und von ihm nicht lange angesehen worden wäre, beharrt habe. Mittlerweile gehöre diese Schauspielerin zu den festen Größen im Kino und Fernsehen.
32
Durch die von ihr mitgestaltete Komposition des Darstellerensembles nimmt die Klägerin in entscheidender Weise Einfluss auf die personelle Bildgebung der Geschichte des jeweiligen Films. Dabei kommt ihre freie schöpferische Gestaltungskraft - wie es das Finanzgericht A-Stadt im Urteil vom 23.09.2011, 1 K …, treffend formuliert hat - dadurch zum Ausdruck, dass sie bei der Auswahl der Schauspieler sich ihrer eigenen Eindrücke, Erfahrungen und Erlebnisse bedient und die bislang nur abstrakt existierenden Charaktere eines Drehbuchs „durch das Medium der realen Bildgebung“ zur unmittelbaren Anschauung bringt. Es handelt sich damit um eine Tätigkeit, die unmittelbar gestaltend auf das Filmwerk durchschlägt und daher als künstlerisch zu qualifizieren ist.
33
Die künstlerische Qualität ihrer Arbeit kommt nicht zuletzt auch dadurch zum Ausdruck, dass ihr bereits mehrere Auszeichnungen, darunter den D. im Zusammenhang mit der Filmproduktion „X.“, für ihre Arbeit erhalten hat.
34
Die von der Beklagten dagegen erhobenen Einwände tragen somit im Falle der Klägerin nicht.
35
Mit ihrem Hinweis auf den Wikipedia-Eintrag zum Casting sowie auf die Berufsinformationen der Bundesagentur für Arbeit zu den Aufgaben und Tätigkeiten eines Casting-Direktors verkennt die Beklagte, dass es vorliegend nicht um die abstrakt-generelle Anerkennung des Berufs eines Casting-Direktors als künstlerischen Beruf im Sinne des KSVG geht, sondern um die konkrete Tätigkeit der Klägerin. Damit kommt es allein auf die individuelle Ausgestaltung der Casting-Arbeit in ihrem speziellen Fall an.
36
Soweit die Beklagte wiederholt betont hat, dass das Letztentscheidungsrecht hinsichtlich der Rollenbesetzung beim jeweiligen Regisseur liege, ist dies zwar richtig. Das ändert jedoch nichts daran, dass die Klägerin an der endgültigen Rollenbesetzung wesentlich mitwirkt und auf diese Weise einen künstlerischen Beitrag zu den von ihr mitbetreuten Filmprojekten liefert. Dies bringen die zahlreichen Stellungnahmen der z. T. namhaften Regisseure, mit denen sie zusammengearbeitet hat, mehr als deutlich zum Ausdruck. Die Klägerin wird in den erwähnten Stellungnahmen durchgehend als künstlerisch Mitwirkende angesehen.
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Die Berufung war daher zurückzuweisen.
38
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
39
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.