Inhalt

VG Würzburg, Urteil v. 22.01.2019 – W 4 K 17.987
Titel:

Nachträgliche Einschränkung der Betriebszeiten einer Windenergieanlage durch Naturschutzbehörde

Normenketten:
BNatSchG § 3 Abs. 2, § 44
BImSchG § 21
Leitsätze:
1. Die Befugnisse der Fachbehörden enden dort, wo die nachträgliche Anordnung eine (teilweise) Aufhebung oder Abänderung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung voraussetzen würde; die Befugnis hierzu steht allein der Immissionsschutzbehörde zu. (Rn. 19 – 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Kommt ein Gericht zu dem Ergebnis, dass ein Bescheid zu Unrecht auf eine nicht tragfähige Rechtsgrundlage gestützt wird, ist es gemäß § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO verpflichtet, zu prüfen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Bescheid mit Blick auf sonstige Rechtsgrundlagen aufrechterhalten werden kann. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Abschaltzeiten für Windenergieanlagen, Artenschutz, nachträgliche Abschaltanordnung, Fachbehörde, Immissionsschutzbehörde, Naturschutzbehörde, Legalisierungswirkung, Rechtsgrundlage, nachträgliches Monitoring, Teilwiderruf
Fundstellen:
NuR 2019, 575
BeckRS 2019, 2973
LSK 2019, 2973

Tenor

I. Der Bescheid des Landratsamts... vom 28. Juli 2017 wird aufgehoben.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand

1
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer vom Beklagten für sofort vollziehbar erklärten Anordnung, die die Betriebszeiten einer Windenergieanlage der Klägerin nachträglich einschränkt, sowie ein im Zusammenhang damit angeordnetes Monitoring.
2
Die Klägerin ist Inhaberin einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung vom 17. November 2014, mit der ihr zunächst durch das Landratsamt ... die Errichtung und der Betrieb einer Windkraftanlage (WEA 1) auf dem Grundstück Fl.Nr. …3 der Gemarkung J … des Typs Nordex N-115 genehmigt wurde.
3
Unter dem 27. Juli 2017 genehmigte der Beklagte die Änderung des Anlagentyps auf den Typ ENERCON E-115.
4
Unter dem 28. Februar 2017 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass es nach der Genehmigung im Jahr 2014 im Untersuchungsgebiet neue Erkenntnisse zu kollisionsgefährdeten Vogelarten bezüglich konkreter Brutplätze des Schwarzstorchs, des Wespenbussards und des Rotmilans sowie ergänzende Erkenntnisse bezüglich der großräumigen Raumnutzung bei der Vogelart Rotmilan gebe. Diese neuen Erkenntnisse führten dazu, dass ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko und somit ein Verstoß gegen das Tötungsverbot des § 44 BNatSchG vorliege, sofern die Anlagen unter den Auflagen der erteilten Genehmigung in Betrieb gingen. Es sei deshalb beabsichtigt, die Abschaltzeiten der WEA 1 aus artenschutzrechtlichen Gründen, d.h. zum Schutz des Rotmilans, des Schwarzstorches und des Wespenbussards zu beschränken.
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Mit Bescheid vom 28. Juli 2017 traf der Beklagte daraufhin folgende Anordnung:
„1 Zur Vermeidung eines Verstoßes gegen das Tötungsverbot nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG werden zum Schutz des Schwarzstorchs folgende Auflagen festgesetzt:
1.1 Die Anlagen WEA 1 … sind jedes Jahr vom 01. Mai bis 31. Juli beginnend eine Stunde vor Sonnenaufgang bis eine Stunde nach Sonnenuntergang abzuschalten.
1.2 Ziffer 1.1 dieses Bescheides gilt solange der bekannte H. … durch Schwarzstörche genutzt wird.
1.3 Monitoring:
1.3.1 Durch die Betreiberin ist jährlich ein Monitoring für die Erfassung der Flugbewegungen des Schwarzstorchs gem. der Hinweise zur Planung und Genehmigung von Windenergieanlagen (BayWEE) in der jeweils gültigen Fassung (derzeit Anlage 5) und für die Erfassung des Brutgeschehens am bekannten Horst … … durchzuführen.
1.3.2 Das jährliche Monitoring ist solange durchzuführen, bis feststeht, dass der Horst 3 Jahre in Folge nicht durch einen Schwarzstorch benutzt wird.
1.3.3 Das jährliche Monitoring nach Ziffer 1.3.1 dieses Bescheides ist spätestens in dem Kalenderjahr zu beginnen, in dem die Inbetriebnahme des Windparks geplant ist, frühestens jedoch mit der Brutsaison 2018.
1.4 Die Ziffer 1.1 gilt nicht, sofern durch die Betreiberin durch Vorlage der Ergebnisse des Monitorings nach Ziffer 1.3.1 nachgewiesen wird, dass bei dem oben genannten Horststandort keine Brut stattfindet oder, sofern eine Brut stattfindet, dass die Anlagen WEA 1 … durch den Schwarzstorch gemieden, umflogen oder selten überflogen werden. Der Nachweis gilt nur als erbracht, wenn die Ergebnisse des Monitorings durch die Untere Naturschutzbehörde bestätigt werden.
2. Zur Vermeidung eines Verstoßes gegen das Tötungsverbot nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG werden zum Schutz des Rotmilans folgende Auflagen festgesetzt:
2.1 Die Anlage WEA 1 ist in der Zeit vom 10. Mai bis 15. Juli beginnend eine Stunde vor Sonnenaufgang bis eine Stunde nach Sonnenuntergang abzuschalten.
2.2 Ziffer 2.1 dieses Bescheides gilt, solange die bekannte Horststandorte „…“ und „…“ und „…“ bzw. in räumlicher Nähe gelegene Wechselhorste regelmäßig durch Rotmilane benutzt werden.
2.3 Monitoring
2.3.1 Durch die Betreiberin ist jährlich ein Monitoring für die Erfassung der Flugbewegungen der Rotmilane gemäß der Hinweise zur Planung und Genehmigung von Windenergieanlagen (BayWEE) in der jeweils gültigen Fassung (derzeit Anlage 5) und für die Erfassung des Brutgeschehens an den unter Ziffer 2.2 genannten Horststandorten durchzuführen.
2.3.2 Das jährliche Monitoring ist solange durchzuführen, bis feststeht, dass die Horste drei Jahre in Folge nicht durch einen Rotmilan benutzt werden.
2.3.3 Das jährliche Monitoring nach Ziffer 2.3.1 dieses Bescheides ist spätestens in dem Kalenderjahr zu beginnen, in dem die Inbetriebnahme des Windparks geplant ist; frühestens jedoch mit der Brutsaison 2018.
2.4 Die Ziffer 2.1 gilt nicht, sofern durch die Betreiberin durch Vorlage der Ergebnisse des Monitorings nach Ziffer 2.3.1 nachgewiesen wird, dass bei den o.g. Horststandorten keine Brut stattfindet, oder sofern eine Brut stattfindet, dass die Anlage WEA 1 durch den Rotmilan gemieden, umflogen oder selten überflogen werden. Der Nachweis gilt nur als erbracht, wenn die Ergebnisse des Monitorings durch die Untere Naturschutzbehörde bestätigt werden.
3. Zur Vermeidung eines Verstoßes gegen das Tötungsverbot nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG werden zum Schutz des Wespenbussards folgende Auflagen festgesetzt:
3.1 Die Anlagen WEA 1 … sind vom 01. Juli bis 15. August beginnend eine Stunde vor Sonnenaufgang bis eine Stunde nach Sonnenuntergang abzuschalten.
3.2 Monitoring:
3.2.1 Durch die Betreiberin ist ein jährliches Monitoring zur Lokalisierung der Revierzentren gem. der Hinweise zur Planung und Genehmigung von Windenergieanlagen (BayWEE) in der jeweils gültigen Fassung (derzeit Anlage 5) und zur Erfassung des Brutgeschehens durchzuführen.
3.2.2 Das jährliche Monitoring nach Ziffer 3.2.1 dieses Bescheides ist spätestens in dem Kalenderjahr zu beginnen, in dem die Inbetriebnahme des Windparks geplant ist; frühestens jedoch mit der Brutsaison 2018.
3.3 Die Ziffer 3.1 gilt nicht für solche Anlagen für die die Betreiberin durch Vorlage der Ergebnisse des Monitorings nach Ziffer 3.2.1 nachweisen kann, dass keine Brut stattfindet oder, sofern ein Revierzentrum weniger als 1000 m von einer Anlage entfernt liegt, dass diese Anlagen durch den Wespenbussard gemieden, umflogen oder selten überflogen wird. Der Nachweis gilt nur als erbracht, wenn die Ergebnisse des Monitorings durch die Untere Naturschutzbehörde bestätigt werden.“
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Zur Begründung verwies das Landratsamt ... auf die §§ 3 Abs. 2, 44 Abs. 1 BNatSchG. Die Voraussetzungen dieser Vorschriften seien erfüllt. Durch das Bekanntwerden des exakten Standorts des Schwarzstorchbrutplatzes im Mai 2015 sei es möglich, für alle Anlagenstandorte eine versierte Prüfung des Kollisionsrisikos für diese Vogelart durchzuführen. Die Windkraftanlagen lägen im 3.000 m - Prüfradius des festgestellten Schwarzstorchhorstes. Vom Fachreferenten der Unteren Naturschutzbehörde werde das Vorliegen eines signifikant erhöhten Tötungsrisikos bejaht. Durch das Monitoring werde der Klägerin die Möglichkeit eingeräumt, durch fachlich fundierte Daten das Vorliegen dieses Tötungsrisikos zu widerlegen. Im Bereich des Windparks befänden sich zudem bereits bei der Genehmigung 2014 zwei bekannte Rotmilanhorste. Nunmehr gebe es wieder einen Brutverdacht. Die WEA 1 befinde sich in einem Abstand von 1.000 m bis 1.500 m zum R.platz … Durch die bisherigen Verhaltensweisen des Wespenbussards sei auch davon auszugehen, dass in Zukunft bei neuen Brutplätzen im Bereich des Windparks von einer vergleichbaren Raumnutzung des Wespenbussards bezogen auf den Gesamtraum auszugehen sei und dass ein WEA-Standort im Umkreis von 1.000 m eines Horststandortes bzw. Revierzentrums auch künftig nicht von dem Wespenbussard gemieden werde. Aus diesem Grund werde von einem signifikant erhöhten Tötungsrisiko ausgegangen. Auch insoweit werde der Betreiberin durch das angeordnete Monitoring die Möglichkeit eingeräumt, durch fachlich fundierte Daten das Vorliegen des Tötungsrisikos zu widerlegen.
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Unter dem 31. August 2017, beim Verwaltungsgericht eingegangen am 1. September 2017, ließ die Klägerin Klage erheben und beantragte,
den Bescheid des Landratsamts ... über Auflagen zur Genehmigung nach § 4 BImSchG vom 28. Juli 2017 aufzuheben.
8
Zur Begründung wurde darauf hingewiesen, dass es an einer Rechtsgrundlage für die naturschutzrechtlichen Anordnungen fehle. Die Anordnungen stellten einen verkappten Widerruf dar. Sie hätten nämlich erdrosselnde Wirkung. Es liege auch kein Verstoß gegen die artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände des § 44 BNatSchG vor. Die getroffenen Anordnungen verstießen zudem gegen den Bestimmtheitsgrundsatz. Außerdem werde gegen den Grundsatz der Amtsermittlung verstoßen, weil die Klägerin mit dem Entlastungsbeweis belastet werde. Schließlich seien die naturschutzrechtlichen Anordnungen unverhältnismäßig und ermessensfehlerhaft.
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Das Landratsamt R... beantragte mit Schreiben vom 21. Dezember 2017,
die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung wurde ausgeführt, § 3 Abs. 2 BNatSchG stelle eine ausreichende Rechtsgrundlage für die getroffenen Anordnungen dar. Die Anordnungen hätten nicht die inhaltlichen und zeitlichen Wirkungen, dass sie einem Widerruf gleichkämen. Der Einstufung der Wirkung als Widerruf der Genehmigung stehe schon entgegen, dass durch die Ziffern 1.4, 2.4 und 3.3 des Bescheids vom 27. Juli 2017 gewährleistet sei, dass es sich eben nicht um den dauerhaften unbedingten Entzug einer Rechtsposition handele. Vielmehr werde sichergestellt, dass einzelne Anlagen nur bedingt abgeschaltet werden müssten, sofern das signifikant erhöhte Tötungsrisiko nachweislich für diesen Standort in der aktuellen Saison vorliege. Zudem sei durch die Lokalisierung des Schwarzstorchhorstes eine neue Sachlage entstanden. Bei den Anordnungen bezüglich des Wespenbussards handele es sich um eine Konkretisierung der bereits in den immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbescheiden festgesetzten Maßnahmen.
11
Mit Beschluss vom 5. März 2018 stellte die Kammer die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Landratsamts ... vom 28. Juli 2017 im einstweiligen Rechtsschutzverfahren W 4 S 17.1000 wieder her.
12
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die vom Verwaltungsgericht hinzugezogenen Behördenakten sowie auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

13
Die zulässige Klage, mit der die Klägerin die Anordnung der nachträglichen Einschränkung der Betriebszeiten der WEA sowie ein im Zusammenhang damit angeordnetes Monitoring anficht, ist zulässig und begründet.
14
Der Bescheid des Beklagten vom 28. Juli 2017 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Wie bereits im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ausgeführt, ist die von der Klägerin erhobene Klage zulässig. Dabei geht die Kammer davon aus, dass die vom Beklagten verfügten Anordnungen von Abschaltzeiten samt Monitoring belastende Nebenbestimmungen zu dem Genehmigungsbescheid vom 27. Juli 2017 darstellen und keine Inhaltsbestimmungen der Genehmigung in Gestalt einer zeitlichen Beschränkung des Anlagenbetriebs. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird insofern auf die Ausführungen im einstweiligen Rechtsschutzverfahren Bezug genommen.
16
Die erhobene Anfechtungsklage ist aber auch begründet.
17
Ausweislich der Begründung der streitgegenständlichen Verfügung hat der Beklagte seine Anordnungen als Untere Naturschutzbehörde erlassen und auf § 3 Abs. 2, § 44 Abs. 1 BNatSchG gestützt.
18
Nach § 3 Abs. 2 BNatSchG überwacht die für Naturschutz und Landschaftspflege zuständige Behörde die Einhaltung der Vorschriften des BNatSchG und der aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Vorschriften und trifft nach pflichtgemäßem Ermessen die im Einzelfall erforderlichen Maßnahmen, um deren Einhaltung sicherzustellen, soweit nichts anderes bestimmt ist.
19
Bei nachträglichen Anordnungen darf die Fachbehörde und damit auch der Beklagte als Untere Naturschutzbehörde (vgl. § 1 Abs. 1 und Abs. 4 Satz 1 der Verordnung über die Zuständigkeiten im Artenschutz) allerdings nicht außer Acht lassen, dass die Anlage durch die immissionsschutzrechtliche Genehmigung, hier durch die Genehmigungen vom 17. November 2014 und vom 27. Juli 2017, legalisiert ist. Der Gedanke des Anlagenschutzes kraft einer solchen Legalisierungswirkung wurde in einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 1977 (BVerwG, B.v. 2.12.1977 - 4 C 75.75 - BVerwGE 55, 118, 120 ff.) zur Lösung des Konkurrenzproblems zwischen parallelen Eingriffstatbeständen, nämlich zwischen Bundesimmissionsschutzgesetz und Ordnungsbehördengesetz (OBGNW) entwickelt. Die entscheidende Frage, die sich das Bundesverwaltungsgericht in diesem Zusammenhang stellte, war, ob die §§ 17 ff. BImSchG nach dem Spezialitätsgrundsatz die sicherheitsrechtlichen Untersagungstatbestände verdrängen. Das Bundesverwaltungsgericht lehnte eine Spezialität des BImSchG zwar ab, führte dafür aber den Begriff der „Legalisierungswirkung“ der erteilten Genehmigung ein. Dadurch werde das Einschreiten auf Grundlage der ordnungsbehördlichen Generalklausel beschränkt. Die Legalisierungswirkung einer Genehmigung schließe es aus, die in der Generalklausel bezeichneten Voraussetzungen für die Zulässigkeit eines Einschreitens für gegeben zu halten.
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Bei nachträglichen Anordnungen stellt die dem Bundesverwaltungsgericht folgende obergerichtliche Rechtsprechung (vgl. beispielsweise OVG Sachsen-Anhalt, B.v. 9.11.2016 - Az. 2 L 112/14 - juris Rn. 63) darauf ab, ob die erforderlichen Anordnungen die immissionsschutzrechtliche Genehmigung „einschränken“ oder ohne Tangierung der Genehmigung - quasi an der Genehmigung vorbei - getroffen werden können. Soweit nachträglich Anordnungen als Einschränkungen der Genehmigung zu beurteilen sind, könne die Vornahme solcher Regelungen nur von der Genehmigungsbehörde selbst wahrgenommen werden (vgl. zum Ganzen: Seibert in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, § 13 BImSchG, Rn. 119; Wasielewski in Koch/Pache/Scheuing, GK-BImSchG, § 13 Rn. 63 ff.).
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Mit anderen Worten: Die Befugnisse der Fachbehörde enden dort, wo die nachträgliche Anordnung eine (teilweise) Aufhebung oder Abänderung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung voraussetzen würde (Seibert, a.a.O., Rn. 122), denn diese Befugnis steht allein der Immissionsschutzbehörde zu. Diese Auffassung ist nach Überzeugung der Kammer auch sachgerecht, denn der im Rahmen der erteilten Genehmigung handelnde Anlagenbetreiber trägt das Risiko spezialgesetzlich geregelter Eingriffe, hier also der §§ 17 ff. BImSchG. Folglich muss die immissionsschutzrechtliche Genehmigungsbehörde bereits bei der Entscheidung über die Anlagengenehmigung die Beschränkung späterer Eingriffsmöglichkeiten und die damit verbundene Risikobelastung der Allgemeinheit einkalkulieren.
22
Unter Berücksichtigung dieser allgemeinen Ausführungen stellen die vorliegend streitgegenständlichen nachträglichen Anordnungen im Bescheid vom 28. Juli 2017 zweifellos wesentliche Einschränkungen in Form einer teilweisen Aufhebung bzw. Abänderung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung vom 27. Juli 2017 dar, denn laut der streitgegenständlichen Anordnungen ist die Windkraftanlage jedes Jahr 3½ Monate, d.h. vom 1. Mai bis 15. August, beginnend eine Stunde vor Sonnenaufgang bis eine Stunde nach Sonnenuntergang abzuschalten (vgl. zu einem ähnlichen Fall OVG Sachsen-Anhalt, U.v. 9.11.2016 - 2 L 112/14 - juris, wonach eine nachträgliche Anordnung der Abschaltung von Windenergieanlagen für die Dauer von insgesamt drei Monaten im Jahr jeweils zur Nachtzeit einer Teilaufhebung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung gleichkomme).
23
Soweit der Beklagte demgegenüber vorträgt, es handele sich vorliegend gerade nicht um einen dauerhaften Entzug einer Rechtsposition, da die einzelnen Anlagen nur bedingt abgeschaltet werden müssten, sofern sich durch das ebenso angeordnete Monitoring ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko nachweislich für diesen Standort ergebe, vermag das an dem oben gefundenen Ergebnis nichts zu ändern. Insoweit verkennt das Landratsamt offensichtlich die Tragweite seiner Anordnungen. Nach den streitgegenständlichen Anordnungen ist in den Monaten Mai bis Mitte August grundsätzlich tagsüber kein Betrieb der Anlage zulässig. Für eine Außerkraftsetzung ist nicht nur ein verstrichener Zeitraum von mindestens 3 Jahren erforderlich (vgl. Ziffern 1.3.2 und 2.3.2 des streitgegenständlichen Bescheids; vgl. auch 3.2.1, wonach ein unbefristetes Monitoring durchzuführen ist), sondern die Klägerin trägt bei verbleibender Einschätzungsprärogative der Unteren Naturschutzbehörde auch die Beweislast für die Voraussetzungen einer Außerkraftsetzung. Damit greift der Beklagte aber eindeutig in die Substanz der ursprünglichen Genehmigung ein und damit in deren Kernbereich. Von einer Anordnung quasi an der Genehmigung vorbei kann daher nicht die Rede sein.
24
Etwas anderes ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung des Vortrags des Beklagtenvertreters in der mündlichen Verhandlung, die Untere Naturschutzbehörde sei jedenfalls unabhängig von der unter den Ziffern 1.1, 2.1 und 3.1 normierten Abschaltanordnung befugt gewesen, das in den Ziffern 1.3, 2.3 und 3.2 geregelte Monitoring anzuordnen. Offenbar will der Beklagte damit zum Ausdruck bringen, dass die Anordnung des Monitorings im streitgegenständlichen Bescheid eine unabhängige Regelung darstellt, die nicht im Zusammenhang mit der Abschaltanordnung steht.
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Ohne dass die Frage beantwortet werden muss, ob die Untere Naturschutzbehörde tatsächlich befugt wäre, gestützt auf § 3 Abs. 2, § 44 Abs. 1 BNatSchG ein nachträgliches Monitoring anzuordnen, würde die vom Beklagten offenbar ins Auge gefasste Teilaufhebung jedenfalls voraussetzen, dass die angefochtenen Regelungen teilbar sind. Voraussetzung dafür ist, dass der aufzuhebende Teil nicht mit den übrigen Teilen des angefochtenen Verwaltungsakts in einem untrennbaren Zusammenhang steht, diese vielmehr selbstständig bestehen können und durch die Teilaufhebung auch nicht eine andere Bedeutung erlangen, als ihnen ursprünglich zukam (vgl. BVerwG, U.v. 20.8.1992 - 4 C 13/91 - juris).
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Vorliegend wurde die Klägerin unter den Ziffern 1.3 und 2.3 des streitgegenständlichen Bescheids zu einem jährlichen Monitoring verpflichtet, bis feststehe, dass der Horst des Schwarzstorchs bzw. des Rotmilans drei Jahre in Folge nicht mehr benutzt werde. Des Weiteren wurde zum Schutz des Wespenbussards ein unbefristetes Monitoring angeordnet zur Lokalisierung der Revierzentren und zur Erfassung des Brutgeschehens.
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Diese Anordnungen des Monitorings stehen allerdings in einem untrennbaren Zusammenhang mit den unter Ziffern 1.1, 2.1 und 3.1 angeordneten Abschaltmaßnahmen, denn nur mit Hilfe des Monitorings wäre es der Klägerin möglich, diese Abschaltanordnungen außer Kraft zu setzen. Auch der eindeutige Wortlaut der Ziffern 1.4, 2.4 und 3.3, die jeweils auf die Ziffern 1.1, 2.1 und 3.1 verweisen, zeigt den untrennbaren Zusammenhang der Abschaltanordnung mit dem Monitoring auf. Schließlich ergibt sich auch aus der Begründung des streitgegenständlichen Bescheids, dass der Beklagte selbst von der Unselbständigkeit der Monitoringregelungen ausgegangen ist, denn er führt in diesem Zusammenhang aus, dass nur infolge des Nachweises eines Brutgeschehens bzw. des nicht vorhandenen Brutgeschehens durch das Monitoring eine Abschaltung überhaupt möglich sei.
28
Nach alldem durfte die Vornahme der teilweisen Abschaltung samt Anordnung des Monitorings nicht vom Beklagten als Unterer Naturschutzbehörde auf der Grundlage des § 3 Abs. 2 BNatSchG angeordnet werden.
29
Kommt ein Gericht - wie hier - zu dem Ergebnis, dass ein Bescheid zu Unrecht auf eine nicht tragfähige Rechtsgrundlage gestützt wird, ist es gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO verpflichtet, zu prüfen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Bescheid mit Blick auf sonstige Rechtsgrundlagen aufrechterhalten werden kann (vgl. rechtsgrundsätzlich BVerwG, U.v. 19.8.1988 - 8 C 29/27 - juris LS; aktuell: U.v. 31.3.2010 - 8 C 12/09 - juris Rn. 16; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 18. Aufl. 2017, § 47 Rn. 7a). Denn die Frage, ob ein angefochtener Bescheid materiell rechtmäßig oder rechtswidrig ist, richtet sich nach dem Recht, das geeignet ist, die getroffene Regelung zu rechtfertigen. Erweist sie sich aus anderen als in dem Bescheid angegebenen Gründen als rechtmäßig, ohne dass sie durch den Austausch der Begründung in ihrem Wesen geändert wird, dann ist der Verwaltungsakt im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht rechtswidrig. Bei einer solchen Konstellation bedarf es keiner richterlichen Umdeutung, so dass die Aufrechterhaltung des Bescheides auch nicht davon abhängt, ob die Voraussetzungen für eine Umdeutung nach Art. 47 BayVwVfG erfüllt sind.
30
Allerdings kann die Kammer eine solche Rechtsgrundlage vorliegend nicht erkennen. § 20 BImSchG passt als Rechtsgrundlage deshalb nicht, da es im Rahmen dieser Norm um Einschränkungen auf immissionsschutzrechtlicher Grundlage geht. Die Vorschrift ist nur einschlägig, wenn ein Anlagenbetreiber einer immissionsschutzrechtlichen Auflage (vgl. BVerwG, U.v. 9.12.1983 - 7 C 68.82 -, juris Rn. 9), einer vollziehbaren nachträglichen Anordnung nach § 17 BImSchG (Jarass, BImSchG, 12. Aufl. 2017, § 20 Rn. 12) oder einer Pflicht aus einer Rechtsverordnung nach § 7 BImSchG nicht nachkommt.
31
Gegen die Anwendbarkeit von § 21 BImSchG und insbesondere des § 21 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG im vorliegenden Fall spricht bereits, dass ein Austausch der Begründung nicht ohne Wesensänderung der streitbefangenen Regelung vorgenommen werden kann. Der Teilwiderruf hat andere Tatbestandsvoraussetzungen, denn er ist allein dann zulässig und die genannte Norm damit einschlägig, wenn sich die Genehmigungsfähigkeit einer Anlage - bei hypothetischer Betrachtung vor Erteilung der Genehmigung - nicht durch eine Auflage hätte herstellen lassen (vgl. Koch/Roller in Koch/Pache/Scheuing, GK-BImSchG, Stand: 2016, § 21 Rn. 35). Hier hätte die Genehmigung jedoch von vornherein mit einer der Abschaltverfügung entsprechenden Auflage versehen werden können, um dem artenschutzrechtlichen Verbot des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG Rechnung zu tragen. Allein schon vor diesem Hintergrund kommt ein Austausch der Begründung der streitbefangenen Anordnung nicht in Betracht.
32
Im Übrigen steht die Entscheidung über den Widerruf nach § 21 BImSchG im Ermessen der Behörde, so dass eine Nachbesserung oder Heilung grundsätzlich auch aus diesem Grund ausgeschlossen ist (vgl. Schmidt in Eyermann, VwGO Kommentar, 14. Aufl., § 113 Rn. 25, m.w.N.). Zwar handelt es sich sowohl bei § 3 Abs. 2 BNatSchG als auch bei § 21 BImSchG um Ermessensvorschriften. Die im Hinblick auf § 3 Abs. 2 BNatSchG angestellten Ermessenserwägungen des Beklagten können aber nicht ohne Weiteres auf eine Ermessensentscheidung im Rahmen von § 21 BImSchG übertragen werden. Denn beide Vorschriften haben nicht denselben Ermessensrahmen. Die Maßstäbe für die Ermessensausübung unterscheiden sich in den Fällen des § 3 Abs. 2 BNatSchG und des § 21 BImSchG doch erheblich. Insbesondere hat die Behörde bei § 21 BImSchG eine Abwägung aller durch den Widerruf berührten Belange vorzunehmen, wobei die Nachteile für den Genehmigungsinhaber, sein Vertrauen in die Genehmigung, das bisherige Verhalten der Genehmigungs- und Überwachungsbehörde und das öffentliche Interesse an einem materiell rechtmäßigen Zustand gegeneinander abzuwägen sind. Diese für eine Maßnahme nach § 21 BImSchG relevanten Aspekte hat das Landratsamt hier weder angeführt noch sonst erkennbar in Betracht gezogen. Stattdessen hatte der Beklagte im Rahmen der streitbefangenen Anordnung allein das Artenschutzrecht nach § 44 BNatSchG im Blick.
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Der Klage war nach alldem stattzugeben.
34
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
35
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.