Inhalt

VG München, Urteil v. 26.02.2019 – M 3 K 19.251
Titel:

Nachteilsausgleich bei eingeschränkter Leistungsfähigkeit des Prüflings aufgrund körperlicher Bedingungen

Normenketten:
RaPO § 5 Abs. 1
RDGEG § 3, § 5
Leitsätze:
1. Ein beantragter Nachteilsausgleich hat sich auch nach Ablauf einer ggf. bestandenen Prüfung nicht erledigt (Art. 19 Abs. 4 GG). Sofern ein Nachteil iSd § 5 RaPO besteht, kann verlangt werden, dass die Prüfungen unter den zustehenden Nachteilsausgleichbedingungen wiederholt wird.  (Rn. 22 – 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf den beantragten, über die bereits bewilligte Prüfungszeitverlängerung um 25% hinausgehenden Nachteilsausgleich. Vor dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Chancengleichheit, haben sich die Maßnahmen des Nachteilsausgleichs an der konkreten Behinderung und der jeweiligen Prüfung zu orientieren. Dabei hat sich der Ausgleich der Behinderung auf die Leistungsanforderungen zu beschränken, die nicht prüfungsrelevant sind (VGH München BeckRS 2012, 54425).  (Rn. 24 – 25 und 30) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine krankhafte Leistungsschwäche und Beeinträchtigung der Konzentrationsfähigkeit stellt keine Behinderung im Sinne von § 5 Abs. 1 RaPO dar, die einen Anspruch auf Nachteilsausgleich begründen kann(hM VG Regensburg BeckRS 2013, 53729). Daher liegt kein Anspruch auf Nachteilsausgleich vor, bei Einschränkungen die aus Nebenwirkungen durch Medikamente resultieren und welche die intellektuelle Leistungsfähigkeit beeinträchtigen (VG Arnsberg BeckRS 2015, 40931). (Rn. 26 – 29) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachteilsausgleich, Beeinträchtigung der Konzentrationsfähigkeit als Nebenwirkung der zur Behandlung der Epilepsie erforderlichen Medikamente, Differenzierung zwischen der Beeinträchtigung der technischen Darstellung der Prüfungsleistung und der Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit selbst, Hochschule, Grundsatz der Chancengleichheit, Studiengang, Epilepsie, Medikamente
Fundstelle:
BeckRS 2019, 28965

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die am … Februar 1997 geborene Klägerin erwarb im Juli 2016 die Fachhochschulreife, im Juli 2017 die allgemeine Hochschulreife mit einer Abitur-Durchschnittsnote von 2.0. Nach Ableistung eines Bundesfreiwilligendienstes nahm sie im Wintersemester 2018/19 an der beklagten Hochschule …-Triesdorf das Studium im Studiengang Ernährung und Versorgungsmanagement auf.
2
Mit Datum vom … August 2018 beantragte sie bei der Beklagten einen Nachteilsausgleich für schriftliche, mündliche, allgemeine praktische Prüfungen und Prüfungen am PC für das Wintersemester 2018/19 durch Verlängerung der Bearbeitungszeit um 50%. Als Art der Behinderung gab sie auf dem formularmäßigen Antrag an: Epilepsie, als Auswirkungen: Verlangsamung der kognitiven-mnestischen, intellektuellen Fähigkeiten. Mit Schreiben vom … Oktober 2018 präzisierte sie, für welche Prüfungen des 1. Semesters sie den Nachteilsausgleich beantrage. Danach bezog sich ihr Antrag auf alle sechs im 1. Fachsemester abzulegenden Prüfungen; es handelt sich nach der Studien- und Prüfungsordnung für den Bachelorstudiengang Ernährung und Versorgungsmanagement vom … Juni 2016 (StPO) bei allen sechs Prüfungen um schriftliche Prüfungen von je 90 Minuten Dauer.
3
Laut dem ärztlichen Attest einer Facharztpraxis für Neurologie und Psychiatrie vom … April 2018 bringt die Erkrankung eine Verlangsamung der kognitiv-mnestischen, intellektuellen Fähigkeiten mit sich, die Medikation gegen Anfälle verstärke dieses Defizit zusätzlich. Im Rahmen der ständig notwendigen Umstellungs- und/oder Dosisanpassungsversuche komme es zu weiteren zusätzlichen Phasen mit erheblich verminderter Leistungsfähigkeit. Die kognitiv-mnestische Arbeitsgeschwindigkeit genüge nicht für mündliche und schriftliche Prüfungsanteile. Für diese sowie auch für Haus- und Seminararbeiten werde ein Zeitzuschlag von 50% nötig.
4
Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom … November 2018 gab die Beklagte dem Antrag der Klägerin insoweit statt, als ihr für den Prüfungszeitraum eine Prüfungszeitverlängerung von 25% gewährt wurde. Sollte die Klägerin in einem künftigen Semester wieder eine Prüfungszeitverlängerung wünschen, solle sie diese spätestens im Anmeldezeitraum für die Pflichtmodule beantragen.
5
Mit Schreiben vom … November 2018 erhob die Klägerin gegen den Bescheid vom … November 2018 Widerspruch. Sie benötige die beantragte Prüfungszeitverlängerung von 50%. Die Epilepsie und die benötigten Medikamente verursachten eine dauerhafte starke Verlangsamung, die sich nicht verändern werde. Bereits in ihrer Schulzeit habe sie eine Prüfungszeitverlängerung von 50% und zusätzliche Pausen bekommen. Mit dieser Verlängerung sei sie in den Prüfungen meist gerade fertig geworden.
6
Mit dem mit Rechtsbehelfsbelehrung:versehenen Bescheid vom … Dezember 2018 mit dem Betreff: „Antrag auf Nachteilsausgleich: Widerspruch vom …11.2018“ bestätigte die Beklagte die bewilligte Prüfungszeitverlängerung um 25%. Der Prüfungsausschuss habe auf Grund des Widerspruchs der Klägerin deren Antrag vom … Oktober 2018 nochmals geprüft und seinen Beschluss vom … November 2018 dahingehend bestätigt, dass für den aktuellen Prüfungszeitraum ein Nachteilsausgleich in Form einer Prüfungszeitverlängerung um 25% gewährt werde.
7
Mit Schriftsatz vom ... Januar 2019, eingegangen am … Januar 2019, erhob die Klägerin durch ihre Bevollmächtigten Klage zum Verwaltungsgericht München mit dem Antrag:
8
Unter Aufhebung des Bescheids vom … November 2018 in Form des Widerspruchsbescheids vom … Dezember 2018 wird die Beklagte verpflichtet, zum Ausgleich der bestehenden Prüfungsnachteile entsprechend dem fachärztlichen Attest vom … April 2018 gemäß § 5 Abs. 1 RaPO folgenden Nachteilsausgleich zu gewähren:
9
Die Klägerin erhält für alle mündlichen und schriftlichen Leistungserhebungen sowie für Haus- und Seminararbeiten einen Zeitzuschlag von 50%.
10
Der Prüfungsausschuss sei von der fachärztlichen Empfehlung ohne Begründung abgewichen. Die Medikamente führten zu einer verlangsamten Aufnahmefähigkeit. Die Klägerin lasse beim Erfassen und Wiedergeben von Texten immer wieder Wörter und Zahlen plötzlich im Satz aus und müsse daher alle Texte am Ende nochmals intensiv durchlesen und verbessern. Außerdem müsse die Klägerin Texte und Aufgaben mehrmals lesen, bis sie den Inhalt erfasst habe. Bei mündlichen Prüfungen müsse die Klägerin öfters nachfragen, was gesagt worden sei, um den Inhalt zu erfassen und eine richtige Antwort geben zu können. Der parallele Arbeitsvorgang, die Aufgabe im Kopf zu behalten und gleichzeitig die Antwort zu formulieren, falle der Klägerin sehr schwer, da sie das entsprechend Andere immer wieder teilweise vergesse. Sie müsse ständig die Formulierung der Antwort mit der Frage abgleichen. Die Reduzierung des Nachteilsausgleichs in Form einer Prüfungszeitverlängerung um 25% sei eine ermessensfehlerhafte und in keiner Weise nachvollziehbare Abweichung vom Attest der Fachärzte.
11
Mit vorgelegtem Schreiben vom … Oktober 2016 hatte der Ministerialbeauftragte für die Berufliche Schule in Nordbayern der Klägerin einen Nachteilsausgleich in Form eines Zeitzuschlags von 50% gewährt.
12
Mit Schriftsatz vom … Februar 2019 beantragte die Beklagte,
die Klage abzuweisen.
13
Ein zu Prüfender, dessen Unvermögen nicht in der geistigen Leistungsfähigkeit, sondern in körperlichen Bedingungen begründet sei, habe grundsätzlich Anspruch auf Nachteilsausgleich. Behinderungen der Darstellungsfähigkeit, die dem zu Prüfenden den Nachweis der möglicherweise durchaus vorhandenen Befähigungen erschwerten und deren Auswirkungen auch später im Berufsleben ausgeglichen werden könnten, mithin Behinderungen bei der Umsetzung der Darstellung der Leistungsfähigkeit, sollten ausgeglichen werden. Der Grundsatz der Chancengleichheit gebiete es, nur den Nachteil der Darstellungsfähigkeit auszugleichen, so dass die Prüfungsbedingungen des behinderten Prüflings denen nicht behinderter Prüflinge entsprächen.
14
Bei der Epilepsieerkrankung handele es sich um ein Dauerleiden, also eine erhebliche Einschränkung des Gesundheitszustandes, die die Einschränkung der Leistungsfähigkeit trotz ärztlicher Hilfe prognostisch dauerhaft ohne sichere Heilungschance bedinge. Derartige Dauerleiden seien inhaltlich prüfungsrelevant, wenn sie eine in der Person des zu Prüfenden auf unbestimmte Zeit generelle Einschränkung seiner durch die Prüfung festzustellenden Leistungsfähigkeit darstellten. Denn durch die Mitberücksichtigung des Dauerleidens werde der Aussagewert des Ergebnisses der Prüfung nicht verfälscht, sondern der Sache nach bekräftigt, weil das Dauerleiden als generelle Einschränkung der Leistungsfähigkeit das normale und reguläre Leistungsbild des zu Prüfenden bestimme. Die Klägerin sei infolge ihrer chronischen Erkrankung dauerhaft in ihrer kognitiv-mnestischen Arbeitsgeschwindigkeit und damit dauerhaft in ihrer Leistungsfähigkeit beeinträchtigt, weshalb der Grundsatz der Chancengleichheit die Rücksichtnahme auf die persönlichen Belastungen der Klägerin nicht rechtfertige.
15
Mit Schreiben vom ... Februar 2019 verwiesen die Bevollmächtigten darauf, es fehle der Klägerin nicht an der notwendigen Leistungsfähigkeit. Sie habe das Abitur mit einer Gesamtnote von 2,0 abgelegt, damit sei ihre geistige Leistungsfähigkeit unter Beweis gestellt. Wenn die Medikation die intellektuellen Fähigkeiten der Klägerin verlangsame, handele es sich um eine Beeinträchtigung, eine vorhandene geistige Fähigkeit technisch umzusetzen, und nicht um eine Beeinträchtigung der geistigen Leistungsfähigkeit.
16
Laut ergänzendem Attest der Fachärzte für Neurologie und Psychiatrie Dres. Sch. und Koll. vom … Februar 2019 befindet sich das „neu diagnostizierte Anfallsleiden erst in der Einstellungsphase“, mit zurzeit häufiger Umstellung der Medikation. Langfristig sei davon auszugehen, dass Anfallsfreiheit bei stabiler und nebenwirkungsarmer Medikation erreicht werden könne. Dann seien die betroffenen Patienten im Alltag vollständig integriert und im Arbeitsleben gut leistungsfähig. Bei der Klägerin könne man in der derzeitigen Ausbildungsphase nicht darauf warten, bis dieser Zustand, evtl. erst in drei und mehr Jahren, erreicht sei.
17
In der mündlichen Verhandlung am … Februar 2019 beschrieb die Klägerin den Verlauf ihrer Erkrankung und deren Behandlung, deren Auswirkungen auf ihre schulischen mündlichen und schriftlichen Prüfungen und die insoweit als Nachteilsausgleich bewilligten Maßnahmen.
18
Die Parteien wiederholten die schriftsätzlich vorbereiteten Anträge.
19
Wegen weiterer Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakte und die von der Beklagten vorgelegte Verfahrensakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

20
Die auf Bewilligung des beantragten Nachteilsausgleichs im Wintersemester 2018/19 gerichtete Klage ist zulässig.
21
Der vom Gericht - in der mündlichen Verhandlung auch thematisierten - Auslegung des Klageantrags dahin, dass in Übereinstimmung mit dem bei der Beklagten gestellten Antrag der geltend gemachte Anspruch auf Nachteilsausgleich (nur) für das Wintersemester 2018/19 gilt, hat die Klägerin nicht widersprochen. Dieses Verständnis ist insoweit sachgerecht, als die Klägerin einen auf die gesamte Studienzeit bezogenen Antrag auf Nachteilsausgleich bei der Beklagten nicht gestellt hat. Die vorherige Antragstellung bei der Behörde ist jedoch eine sog. „Zugangsvoraussetzung“; eine fehlende Antragstellung bei der Behörde könnte - was hier jedoch gar nicht versucht wurde - während des Klageverfahrens ohnehin nicht mehr nachgeholt werden (vgl. z.B. Kopp/Schenke, 14. Aufl., Vorb § 40 Rn 11).
22
Das Klageverfahren hat sich durch den Ablauf des Prüfungszeitraums nach Klageerhebung nicht erledigt. Denn im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG darf einem Rechtsschutzsuchenden allein durch die Dauer eines behördlichen oder gerichtlichen Verfahrens kein Nachteil entstehen. Hier hat die Klägerin noch vor Aufnahme des Studiums den streitgegenständlichen Antrag auf Nachteilsausgleich gestellt. Der Antrag ist auch nicht wegen Ablaufs des Prüfungszeitraums auf eine unmögliche Leistung gerichtet. Denn falls der Klägerin der beantragte Nachteilsausgleich in Gestalt der Prüfungszeitverlängerung von 50% tatsächlich zusteht, kann sie beanspruchen, die ohne diesen Nachteilsausgleich abgelegten Prüfungen unter den ihr zustehenden Bedingungen wiederholen zu dürfen.
23
Dass die Klägerin auch ohne die streitgegenständliche Prüfungszeitverlängerung die Prüfungen bestanden hat, ist für die Frage des Rechtsschutzbedürfnisses an der beantragten Entscheidung für den Prüfungszeitraum des Wintersemesters 2018/19 nicht entscheidungserheblich. Nach ihrem eigenen Vorbringen könnte die Klägerin die Prüfungen nur mit dem beantragten Nachteilsausgleich in Höhe von 50% Prüfungszeitverlängerung bewältigen; es kann daher davon ausgegangen werden, dass sie im Fall einer weiteren Prüfungszeitverlängerung noch bessere Ergebnisse erzielt hätte. Da sich auch die am Studienbeginn abgelegten Prüfungsergebnisse auf die Gesamtnote, mit der das Studium abgeschlossen wird, auswirken, besteht das Rechtsschutzbedürfnis für die beantragte Entscheidung fort.
24
Die Klage ist jedoch nicht begründet. Der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten mit dem der von der Klägerin beantragte Nachteilsausgleich um weitere 25%, somit insgesamt 50%, abgelehnt wurde, ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die geltend gemachte Prüfungszeitverlängerung um weitere 25% (§ 113 Abs. 5 Satz1 VwGO).
25
Gemäß § 5 Abs. 1 der Rahmenprüfungsordnung für die Fachhochschulen (RaPO) vom 17. Oktober 2001 (GVBl S. 686), zuletzt geändert durch Verordnung vom 6. August 2010 (GVBl S. 688) wird Studierenden, die wegen einer Behinderung nicht in der Lage sind, eine Prüfung ganz oder teilweise in der vorgesehenen Form abzulegen, Nachteilsausgleich gewährt, soweit dies zur Herstellung der Chancengleichheit erforderlich ist (Satz 1), wobei der Nachteilsausgleich insbesondere in Form einer angemessenen Verlängerung der Bearbeitungszeit gewährt werden kann (Satz 2).
26
Der verfassungsrechtliche Grundsatz der Chancengleichheit fordert, dass jeder Prüfungsteilnehmer die gleichen Leistungen erbringen und sich den gleichen Bewertungsmaßstäben unterziehen muss; ein zu gewährender Nachteilsausgleich muss sich daher darauf beschränken, dem behinderten Prüfungsteilnehmer die Erbringung der Prüfungsleistungen unter Bedingungen zu ermöglichen, die denen der anderen Prüfungsteilnehmer möglichst nahekommen (BayVGH, B.v. 28.6.2012 - 7 CE 12.1324 - juris Rn 18). Die Maßnahmen des Nachteilsausgleichs haben sich an der konkreten Behinderung und der jeweiligen Prüfung zu orientieren (BayVGH, B.v. 28.6.2012 - a.a.O. - juris Rn 25). Der Ausgleich der Behinderung hat sich außerdem auf die Leistungsanforderungen zu beschränken, die nicht prüfungsrelevant sind. Daher kommt beispielsweise eine Nichtbewertung von Rechtschreibfehlern in einer Prüfung auch bei Legasthenie allenfalls dann in Betracht, wenn die sprachliche Richtigkeit nicht prüfungsrelevant ist; ist jedoch die fremdsprachliche Kompetenz gerade Prüfungsgegenstand, dann würde eine auch nur teilweise Nichtbewertung von Rechtschreibfehlern prüfungsrelevante Fähigkeiten ausklammern, die bei den übrigen Prüfungsteilnehmern in die Bewertung der erbrachten Leistung einfließen BayVGH, B.v. 28.6.2012 - a.a.O. - juris Rn 20). Kommt es in einer schriftlichen Prüfung nicht darauf an, wie schnell eine gefundene Lösung zu Papier gebracht werden kann, berührt der Einsatz einer Schreibhilfe durch eine Diktatperson oder einen Laptop wegen einer vorhandenen Bewegungseinschränkung beim Schreiben nicht den Prüfungsgegenstand. Anders liegt jedoch der Fall dann, wenn - wie die Beklagte zutreffend ausgeführt hat - bei einer vorgegebenen, begrenzten Prüfungszeit Teil der Leistungsanforderung auch die Fähigkeit ist, die gestellten Aufgaben innerhalb der Prüfungszeit zu bearbeiten (vgl. auch VG München, U.v. 24.11.2015 - M 3 K 15.3025). Die Fähigkeit, sich über die Dauer einer schriftlichen Klausur hinweg zu konzentrieren und trotz der prüfungsbedingten Stresssituation die gestellten Aufgaben zu erfassen und in der vorgegebenen Zeit zu bewältigen, ist dann gerade Teil der Prüfungsanforderung (vgl. VG München, B.v. 31.1.2019 - M 3 E 19.157). Nach der ganz herrschenden Rechtsprechung stellt daher eine krankhafte Leistungsschwäche und Beeinträchtigung der Konzentrationsfähigkeit gerade keine Behinderung im Sinne von § 5 Abs. 1 RaPO, die einen Anspruch auf Nachteilsausgleich begründen kann, dar (VG Regensburg, B.v. 16.7.2013 - Rn 1 E 13.1166 zu einer Epilepsieerkrankung; VG Ansbach, B.v. 26.4.2013 - AN 2 E 13.00754 zu einer Leistungseinschränkung durch ein psychisches Dauerleiden; VG Augsburg, B.v. 1.10.2009 - Au 3 E 09.1377 zu Konzentrationsstörungen und abnormer Leistungsschwäche als Symptome einer chronischen Erkrankung).
27
So liegt der Fall hier. Die Klägerin hat für alle Prüfungen des Wintersemesters 2018/19 geltend gemacht, diese wegen der medikamentös bedingten Beeinträchtigung ihrer Konzentrationsfähigkeit und geistigen Leistungsfähigkeit nur mit einer Verlängerung der Prüfungszeit um 50% „gerade eben“ zu schaffen. Da für alle diese Prüfungen in der StPO eine Prüfungszeit von 90 Minuten festgesetzt ist, betrifft die geltend gemachte Beeinträchtigung einen prüfungsrelevanten Gegenstand. Die bei der Klägerin bestehende, auf den Nebenwirkungen der erforderlichen Medikamente beruhende Einschränkung ihrer intellektuellen Leistungsfähigkeit kann daher keinen Anspruch auf einen (weiteren) Nachteilsausgleich durch eine Prüfungszeitverlängerung vermitteln (vgl. VG München, B.v. 31.1.2019 - a.a.O. - unter Bezugnahme auf OVG NRW, B.v. 10.10.2014 - 14 E 680/14 - juris Rn 8, und auf VG Arnsberg, B.v. 19.9.2014 - 9L 899/14 - juris Rn. 34 ff. jeweils zu ADHS).
28
Im Hinblick auf die beschriebene Systematik, dass Behinderungen nur insoweit einem Ausgleich zugänglich sind, als sie nicht einen Prüfungsgegenstand betreffen, ist die Ursache für eine im Prüfungszeitraum attestierte Verlangsamung der intellektuellen Fähigkeiten nicht entscheidungserheblich; es kommt also nicht darauf an, ob die Klägerin vor Beginn der medikamentösen Behandlung die geforderten schulischen Leistungen ohne Inanspruchnahme einer Prüfungszeitverlängerung erbringen konnte oder ob sie diese auch gegenwärtig, müsste sie die Medikamente nicht einnehmen, unter den regulären Bedingungen erbringen könnte. Angeknüpft wird insoweit nur an die Frage, ob eine Prüfungszeitverlängerung gerade den Gegenstand der Prüfung berühren würde; diese Frage ist bei der im Regelfall bestehenden Begrenzung der Prüfungszeit grundsätzlich zu bejahen, da der Prüfling dann in der Prüfung gerade auch seine Fähigkeit, Aufgabenstellungen in einer bestimmten Zeit zu erfassen und zu bearbeiten, zeigen soll.
29
Im Hinblick auf die Orientierung des Nachteilsausgleichs an der Prüfungsrelevanz der geltend gemachten Behinderung kommt es schließlich auch nicht darauf an, ob die geltend gemachte Beeinträchtigung voraussichtlich von Dauer sein wird oder nicht. Die Abgrenzung eines Dauerleidens von einer nur vorübergehenden Beeinträchtigung der Leistungs- und Prüfungsfähigkeit ist zwar von Bedeutung bei der Frage, ob der Rücktritt von einer Prüfung wegen Prüfungsunfähigkeit zu bewilligen ist: Kann ein Prüfling wegen der Nebenwirkungen der Behandlung einer akuten Erkrankung seine vorhandene Leistungsfähigkeit nicht zeigen, hat er Anspruch auf Anerkennung eines wichtigen Grundes für einen Rücktritt von einer Prüfung wegen Prüfungsunfähigkeit. Da eine Prüfungsunfähigkeit grundsätzlich nur vorübergehender Natur ist, besteht dieser Anspruch nicht zeitlich unbeschränkt. Wird daher die Grenze von der - vorübergehenden - Prüfungsunfähigkeit zum Dauerleiden überschritten, wird dem Studierenden dann die weitere Teilnahme an Prüfungen trotz einer fortbestehenden Beeinträchtigung seiner intellektuellen Fähigkeiten infolge der medikamentösen Behandlung zugemutet. Demgegenüber spielt das Kriterium der nur vorübergehenden Beeinträchtigung beim Nachteilsausgleich keine Rolle: So ist eine Einschränkung beim Schreiben infolge einer heilbaren Armverletzung ebenso auszugleichen wie eine Bewegungseinschränkung infolge einer dauerhaften Lähmung des Armes, für die keine Verbesserung oder Heilung in Aussicht steht (missverständlich insoweit VG Regensburg, B.v. 16.7.2013 - Rn 1 E 13.1166).
30
Die Klägerin hat daher keinen Anspruch auf den beantragten, über die bereits bewilligte Prüfungszeitverlängerung um 25% hinausgehenden Nachteilsausgleich durch Erhöhung der Prüfungszeitverlängerung auf insgesamt 50%; die streitgegenständlichen Bescheide der Beklagten stehen im Einklang mit der prüfungsrechtlichen Systematik, insbesondere dem Grundsatz der Chancengleichheit unter den Prüfungsteilnehmern.
31
Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
32
Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff ZPO