Inhalt

VerfGH München, Entscheidung v. 07.11.2019 – Vf. 47-VI-18
Titel:

Unbegründete Besorgnis wegen Befangenheit - Richter nicht vom Verfahren ausgeschlossen

Normenketten:
VfGHG Art. 3 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, Art. 9
StPO § 24 Abs. 2, § 30
Leitsätze:
1. Sind die Umstände von vornherein nicht geeignet, einen Mitwirkungsausschluss zu begründen, und ist das Ablehnungsgesuch offensichtlich unzulässig,kann unter Mitwirkung der betroffenen Richter über den Mitwirkungsausschluss entschieden werden. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Umstand, dass ein Verfassungsrichter einen Beschwerdeführer in einem früheren Verfahren als Rechtsanwalt vor Gericht vertreten hat, führt nicht generell zur Annahme der Besorgnis der Befangenheit. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei einem aus den Umständen des Einzelfalles ersichtlichen Zusammenhang zwischen dem früheren Verfahren, in dem der Beschwerdeführer durch den betroffenen Richter vertreten wurde, und dem maßgeblichen Verfassungsbeschwerdeverfahren, besteht bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ablehnung, Rechtsbeugung, Verpflichtung, Besorgnis der Befangenheit, Selbstanzeige, Anwalt
Vorinstanz:
OLG München, Beschluss vom 13.11.2018 – 2 Ws 834/18 KL-2 Ws 842/18 KL. 2 Abl 8/18
Fundstelle:
BeckRS 2019, 28509

Tenor

1. Die Richter des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs Dr. M. und Dr. W. sind von der Entscheidung im vorliegenden Verfahren nicht kraft Gesetzes ausgeschlossen.
2. Der Antrag auf Ablehnung der Richter des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs Dr. M. und Dr. W. wird als unzulässig verworfen.
3. Die Selbstanzeige des Mitglieds des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs W. wird für begründet erklärt.

Entscheidungsgründe

I.
1
1. Die Verfassungsbeschwerde richtet sich zuletzt gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 13. November 2018 Az. 2 Ws 834/18 KL - 2 Ws 842/18 KL. 2 Abl 8/18, mit dem u. a. der Antrag des Beschwerdeführers auf Verpflichtung der Staatsanwaltschaft zur förmlichen Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen mehrere angezeigte Richter des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs wegen gemeinschaftlicher Rechtsbeugung als unzulässig verworfen wurde. Dem liegt zugrunde eine Strafanzeige des Beschwerdeführers vom 2. November 2017 gegen mehrere Richter des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs „in Hinblick auf ihre Entscheidung vom 22.9.2015, Vf. 8-VI-15, wegen gemeinschaftlicher Rechtsbeugung (§§ 339, 25 II StGB)".
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2. In seiner Verfassungsbeschwerdeschrift vom 17. Juli 2018 erklärte der Beschwerdeführer u. a. die Ablehnung der „Richter des BayVerfGH wegen Besorgnis der Befangenheit“, die „sich durch ihre Mitwirkung an den drei Entscheidungen
1) vom 22.9.2015, Vf. 8-VI-15
2) vom 17.11.2015, Vf. 12-VI-15 und 3) vom 17.11.2015, Vf. 32-VI-15 jeweils einer gemeinschaftlichen Rechtsbeugung gem. §§ 339, 25 II StGB strafbar gemacht“ hätten.
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3. Mit Schreiben vom 9. September 2019 teilte der Richter des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs W. mit, der Beschwerdeführer sei ein früherer Mandant von ihm. Er habe ihn in einem umfangreichen Verfahren über mehrere Instanzen vertreten. Dabei sei ein „professionelles Vertrauensverhältnis“ entstanden. In der „aktuellen Sache hat er mich gebeten, ihn anwaltlich vor dem VerfGH zu vertreten, was ich unter Hinweis auf meine richterliche Tätigkeit abgelehnt habe“. Ergänzend teilte der Richter am 16. September 2019 mit, dass es sich bei dem von ihm genannten „umfangreichen Verfahren“ um das Verfahren handelt, welches in den Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 31. Mai 2017 (Az. 5 OLG 13 Ss 81/17 - juris) mündete.
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Der Beschwerdeführer und das Bayerische Staatsministerium der Justiz erhielten mit Schreiben des Verfassungsgerichtshofs vom 16. September 2019 Gelegenheit zur Stellungnahme.
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II. Die Richter des Verfassungsgerichtshofs Dr. M1. und Dr. W. sind von der Entscheidung im vorliegenden Verfahren nicht kraft Gesetzes ausge schlossen. Der Antrag auf Ablehnung der Richter des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, die an Entscheidungen vom 22. September und/oder 17. November 2015 in den Verfahren Vf. 8-VI-15, Vf. 12-VI-15 und Vf. 32-VI-15 mitgewirkt haben, ist offensichtlich unzulässig. Die Selbstanzeige des Mitglieds des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs W. ist begründet.
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In den drei genannten Verfahren wurde jeweils am selben Tag neben der verfahrensabschließenden Entscheidung auch eine Entscheidung über ein bzw. mehrere Ablehnungsgesuche im jeweiligen Verfahren getroffen. Die Ablehnungsgesuche des Beschwerdeführers wurden (jeweils in derselben Besetzung, die auch in der Hauptsache entschied) sämtlich als unzulässig verworfen. Von den unterzeichnenden Richtern haben der Präsident des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs Küspert an allen genannten Entscheidungen, die Richter des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs Dr. M1., Sch. und Dr. W. an den Entscheidungen vom 22. September 2015 Vf. 8-VI-15 mitgewirkt.
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Die anstehende Entscheidung über die Selbstanzeige des Richters des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs W. ist vom Verfassungsgerichtshof in der Besetzung nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VfGHG zu treffen, wobei an die Stelle des Richters des Verfassungsgerichtshofs W. seine Vertreterin Prof. Dr. P1. tritt. In dieser Besetzung entscheidet der Verfassungsgerichtshof auch über den Ausschluss von der Entscheidung kraft Gesetzes sowie das Ablehnungsgesuch, soweit über beides im Hinblick auf den Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs Küspert und den Richter des Verfassungsgerichtshofs Sch. nicht bereits durch Beschluss des Verfassungsgerichtshofs vom 20. März 2019 in der kleinen Besetzung (vgl. Art. 3 Abs. 5 VfGHG) entschieden wurde. Dies kann vorliegend unter Mitwirkung der betroffenen Richter Dr. M1. und Dr. W. geschehen, da die Umstände von vornherein nicht geeignet sind, einen Mitwirkungsausschluss zu begründen (vgl. zur Mitwirkung in diesen Fällen: BVerfG vom 3.6.2019 - 2 BvR 910/19 - juris Rn. 8), und das Ablehnungsgesuch offensichtlich unzulässig ist (vgl. VerfGH vom 22.10.2018 - Vf. 74-VI-17 - juris Rn. 9; BVerfG vom 18.11.2017 - 1 BvR 2116/17 - juris Rn. 4 m. w. N.).
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8 1. Die Richter des Verfassungsgerichtshofs Dr. M1. und Dr. W. sind von der Entscheidung im vorliegenden Verfahren nicht kraft Gesetzes ausgeschlossen. Zur Begründung wird auf II. 2. der Gründe des Beschlusses vom 20. März 2019 Bezug genommen; die Ausführungen gelten im Hinblick auf die im Tenor unter 1. genannten Richter entsprechend.
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2. Der Antrag auf Ablehnung der Richter des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, die an Entscheidungen vom 22. September und/oder 17. November 2015 in den Verfahren Vf. 8-VI-15, Vf. 12-VI-15 und Vf. 32-VI-15 mitgewirkt haben, ist offensichtlich unzulässig. Zur Begründung wird auf II. 3. der Gründe des Beschlusses vom 20. März 2019 Bezug genommen; die Ausführungen gelten im Hinblick auf die im Tenor unter 2. genannten Richter entsprechend.
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3. Der vom Richter des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs W. in seiner Erklärung vom 9. September 2019 mitgeteilte Sachverhalt begründet die Besorgnis der Befangenheit gemäß Art. 9 VfGHG i.V. m. §§ 30, 24 Abs. 2 StPO.
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a) Ein Ausschluss kraft Gesetzes ist vorliegend nicht gegeben.
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Zwar ist gemäß Art. 9 VfGHG i.V. m. § 22 Nr. 4 StPO ein Richter von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen, wenn er in der Sache als Anwalt des Verletzten oder als Verteidiger tätig gewesen ist. Ein solcher Fall liegt aber schon deshalb nicht vor, weil der Richter des Verfassungsgerichtshofs W. den Beschwerdeführer nicht im vorliegenden Ausgangsverfahren, sondern in einem anderen Verfahren vertreten hat.
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b) Es besteht jedoch die Besorgnis der Befangenheit gemäß Art. 9 VfGHG i.V. m.§§ 30, 24 Abs. 2 StPO.
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Die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit findet gemäß § 24 Abs. 2 StPO statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Nach § 30 StPO hat der Verfassungsgerichts 14 hof auch ohne ein Ablehnungsgesuch Beteiligter über die Mitwirkung eines Richters zu entscheiden, wenn dieser einen Sachverhalt anzeigt, der seine Ablehnung rechtfertigen könnte. Entscheidend ist, ob nach Auffassung des Gerichts bei vernünftiger Würdigung aller Umstände für einen am Verfahren Beteiligten Anlass besteht, an der Unvoreingenommenheit und an der objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln; ob der Richter tatsächlich befangen ist, spielt keine Rolle (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 7.7.1997 VerfGHE 50, 147/149; vom 29.2.2008 VerfGHE 61, 44/46; vom 20.4.2009 - Vf. 8-VII-05 - juris Rn. 12).
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Zwar führt der Umstand, dass ein Verfassungsrichter einen Beschwerdeführer in einem früheren Verfahren als Rechtsanwalt vor Gericht vertreten hat, nicht generell zur Annahme der Besorgnis der Befangenheit. Auch eine persönliche Bekanntschaft ist hierfür nicht in jedem Fall ausreichend; ebenso wenig allein die Bitte des Beschwerdeführers an einen Verfassungsrichter, ihn in einem Verfassungsbeschwerdeverfahren zu vertreten.
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Gleichwohl kann die frühere Tätigkeit eines Verfassungsrichters als Prozessbevollmächtigter je nach den Umständen des Einzelfalls zur Besorgnis der Befangenheit führen. Das hat das Bundesverfassungsgericht z. B. angenommen, wenn der Richter Äußerungen zu verfassungsrechtlichen Fragen als Bevollmächtigter eines an einem früheren Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht Beteiligten abgegeben hat und der in dem früheren Verfahren verfolgte Rechtsstandpunkt auch im anhängigen Verfahren von wesentlicher Bedeutung ist (BVerfG vom 5.2.1997 BVerfGE 95, 189/191 f.). Zwar geht es vorliegend nicht um konkrete Äußerungen des Verfassungsrichters W. in einem früheren Verfahren. Trotzdem führt die Prozessvertretung in dem früheren Verfahren, welches in den Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 31. Mai 2017 Az. 5 OLG 13 Ss 81/17 mündete, zur Besorgnis der Befangenheit.
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Ausgangspunkt dieses Verfahrens war ein Antrag des Beschwerdeführers auf Klageerzwingung vom 27. Oktober 2014, der vom Oberlandesgericht München abgelehnt wurde (vgl. LG München I vom 16.2.2016 - 22b Ns 235 Js 132863/15 - juris 15 Rn. 15). In einer hiergegen gerichteten Anhörungsrüge äußerte der Beschwerdeführer nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts München (vom 31.5.2017 - 5 OLG 13 Ss 81/17 - juris Rn. 4) in Bezug auf den Senat des Oberlandesgerichts u. a.:
Der Unterschied zwischen Ihnen und R. F. liegt in Folgendem: Während R. F. im Gerichtssaal schrie und tobte und überhaupt keinen Wert darauf legte, das von ihm begangene Unrecht in irgendeiner Weise zu verschleiern, gehen Sie den umgekehrten Weg: Sie haben sich ein Mäntelchen umgehängt, auf dem die Worte „Rechtsstaat“ und „Legitimität“ aufgenäht sind. Sie hüllen sich in einen Anschein von Pseudolegitimität, die Sie aber in Wahrheit in keiner Weise für sich beanspruchen können. Denn in Wahrheit begehen Sie - zumindest in diesem vorliegenden Justizskandal - genauso schlicht Unrecht, wie es auch R. F. getan hat. So betrachtet ist das Unrecht, das Sie begehen noch viel perfider, noch viel abgründiger, noch viel hinterhältiger als das Unrecht, das ein R. F. begangen hat: Bei R. F. kommt das Unrecht sehr offen, sehr direkt, sehr unverblümt daher. Bei Ihnen hingegen kommt das Unrecht als unrechtmäßige Beanspruchung der Begriffe Rechtsstaatlichkeit und Demokratie daher: Sie berufen sich auf die Begriffe Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, handeln dem aber - zumindest in dem vorliegenden Justizskandal - zuwider.
18
Gegenstand des Verfahrens vor dem Amtsgericht München, dem Landgericht München I (Az. 22b bzw. 24 Ns 235 Js 132863/15) und dem Oberlandesgericht München (Az. 5 OLG 13 Ss 244/16 bzw. 5 OLG 13 Ss 81/17), in welchem der Beschwerdeführer durch den jetzigen Richter des Verfassungsgerichtshofs W. vertreten wurde, war die Frage, ob die Äußerung strafbar war oder nicht.
19
In der vorliegenden Verfassungsbeschwerde erwähnt der Beschwerdeführer die genannte Äußerung über R. F. und führt in diesem Zusammenhang u. a. aus (S. 42):
Zweite Idee: Provokation. Ich muss die Justiz dazu bringen, dass sie ihrerseits ein Gerichtsverfahren anzettelt, das die begehrte Öffentlichkeit generiert […]. Aber eigentlich geht es mir gar nicht um den deftigen Nazi-Vergleich an sich, sondern eigentlich geht es mir darum, die Blicke der Öffentlichkeit auf meinen Rechtsfall zu lenken, auf den Rechtsfall hinter dem deftigen Nazi-Vergleich, auf den Rechtsfall mit dem Klageerzwingungsverfahren.
20
Damit stellt der Beschwerdeführer selbst einen Zusammenhang her zwischen dem Verfahren beim Landgericht München I bzw. Oberlandesgericht München, in welchem er vom heutigen Richter des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs W. vertreten wurde, und dem vorliegenden Verfassungsbeschwerdeverfahren. Seine Äußerung über R. F. diente offenbar dem Ziel, seine Auffassungen in Bezug auf das Klageerzwingungsverfahren in die Öffentlichkeit zu bringen. Auch die vorliegende Verfassungsbeschwerde stützt der Beschwerdeführer u. a. auf seine allgemeinen Auffassungen zum Klageerzwingungsverfahren (z. B. dass eine „Anwendung der Vorschriften der VwGO“ geboten sei und daher „die Vorschaltbeschwerde und der Bescheid der GenStA entbehrlich sind“, vgl. Schriftsatz vom 10. Juli 2019). Angesichts eines derartigen Zusammenhangs zwischen dem früheren Verfahren, in dem der Beschwerdeführer durch den heutigen Richter des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs W. vertreten wurde, und dem vorliegenden Verfassungsbeschwerdeverfahren, besteht bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass, an der Unvoreingenommenheit des Richters des Verfassungsgerichtshofs W. im konkreten Verfassungsbeschwerdeverfahren zu zweifeln. Ob er tatsächlich befangen ist, ist dagegen nicht entscheidend.