Titel:
Widerruf eines Ehegattentestaments
Normenkette:
BGB § 2255, § 2247, § 2265
Leitsätze:
1. Der Widerruf wechselbezüglicher Verfügungen in einem Ehegattentestament durch Vernichtung der Urkunde setzt voraus, dass beide Ehegatten mit Testier- und Widerrufswillen an der Vernichtung der Urkunde mitgewirkt haben. (Rn. 27)
2. An den diesbezüglichen Nachweis sind hohe Anforderungen zu stellen. Er setzt insbesondere voraus, dass die Möglichkeit, dass ein Ehegatte die Urkunde ohne Kenntnis und Mitwirkung des anderen vernichtet hat, ausgeschlossen werden kann. (Rn. 28)
Schlagworte:
Ehegattentestament, wechselbezügliche Verfügung, gemeinschaftlicher Widerruf, Beweislast, gesetzliche Erbfolge, Urkunde, Unauffindbarkeit, einseitige Aufhebung
Vorinstanz:
AG Rosenheim, Beschluss vom 01.09.2017 – VI 1442/16
Weiterführende Hinweise:
Übergabe an Geschäftsstelle: 31.10.2019
Fundstellen:
FamRZ 2020, 466
BWNotZ 2019, 262
ErbR 2020, 109
FGPrax 2019, 279
BeckRS 2019, 26556
NZFam 2020, 37
NJW-RR 2020, 390
ZEV 2020, 162
LSK 2019, 26556
Tenor
1. Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Amtsgerichts Rosenheim - Nachlassgericht - vom 01.09.2017 aufgehoben.
2. Das Nachlassgericht wird angewiesen, dem Beschwerdeführer einen Erbschein zu erteilen, der den am 3.5.2016 verstorbenen Beteiligten zu 1 als Alleinerben der am 29.4.2016 verstorbenen Erblasserin …, … … ausweist.
Gründe
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Die Ehegatten sind im Abstand von 4 Tagen verstorben. Das Verfahren der vorverstorbenen Ehefrau wird unter dem Az. 31 Wx 398/17 beim Senat geführt, das Verfahren des nachverstorbenen Ehemanns unter dem Az. 31 Wx 397/17.
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Die Ehe war kinderlos. Aus der ersten Ehe des Ehemanns sind zwei Töchter hervorgegangen, die Beteiligten zu 9 und 10.
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Es liegt ein Testament der Ehegatten vom 20.3.2015 in Fotokopie vor, in dem es auszugsweise heißt:
„Wir [setzen] uns gegenseitig zu unseren alleinigen und beschränkten Erben ein.
Schlusserben des Letztversterbenden sind die zwei Töchter (aus 1. Ehe) des Ehemanns zu je ¼ … und
… … (Beteiligter zu 5), …, der Neffe der Ehefrau, zur Hälfte.
Soweit es gesetzlich vorgeschrieben ist, sollen alle unsere gemeinsamen Verfügungen wechselseitig sein, damit sind sie nach dem Tode des zuerst versterbenden für den anderen verbindlich.“
eigenhändige Unterschriften beider Ehegatten Bei dem Beteiligten zu 5 handelt es sich um den Beschwerdeführer.
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Im Verfahren nach dem Tod der Ehefrau beantragte der Beschwerdeführer mit notarieller Urkunde vom 17.1.2017 einen Erbschein, der den nachverstorbenen Ehemann als Alleinerben aufgrund Testaments ausweist.
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Das Nachlassgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 1.9.2017 zurückgewiesen. Es ist der Ansicht, es sei gesetzliche Erbfolge eingetreten. Das Testament vom 20.3.2015 sei in Widerrufsabsicht vernichtet worden und deswegen für die Erbfolge nicht maßgeblich.
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Dagegen richtet sich die Beschwerde.
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Wegen des Ergebnisses der vom Nachlassgericht angestellten Ermittlungen nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug auf den angefochtenen Beschluss.
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Die zulässige Beschwerde ist im Ergebnis erfolgreich.
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Im Gegensatz zum Nachlassgericht ist der Senat nicht davon überzeugt, dass die Ehegatten das Testament aus dem Jahre 2015 in Widerrufsabsicht vernichtet haben. Folglich richtet sich die Erbrechtslage nach diesem Testament.
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1. Zutreffend ist das Nachlassgericht zunächst davon ausgegangen, dass das verfahrensgegenständliche Testament wirksam errichtet wurde.
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Dass dieses Testament lediglich in Fotokopie vorliegt, hindert - wovon das Nachlassgericht zutreffend ausgegangen ist - den Nachweis der formgerechten Errichtung grundsätzlich nicht. Zwar ist zum Nachweis eines testamentarischen Erbrechts grundsätzlich die Urschrift der Urkunde vorzulegen, auf die das Erbrecht gestützt wird (§ 352 Abs. 3 FamFG). Ist diese Urkunde jedoch nicht auffindbar, können die formgerechte Errichtung und Inhalt mit allen zulässigen Beweismitteln bewiesen werden, wobei an den Nachweis strenge Anforderungen zu stellen sind (BayObLG FamRZ 1990, 1162; OLG München NJW-RR 2009, 305; OLG Köln FamRZ 2017, 1164; OLG Hamburg BeckRS 2019, 1406; Krätzschel in: Firsching/Graf, Nachlassrecht, 11. Auflage <2019> § 8 Rn. 29).
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Vorliegend hat der Senat keinen Zweifel, dass das Testament vom 20.3.2015 tatsächlich von den Ehegatten formgerecht errichtet wurde, auch die Beteiligten wenden sich nicht dagegen. Soweit das OLG Köln (a.a.O.) die Einholung eines graphologischen Sachverständigengutachtens verlangt, betraf dies nur den Fall, dass die Echtheit der Unterschriften zweifelhaft war. So lag der Fall hier aber gerade nicht, so dass das Testament ursprünglich wirksam in der Form der §§ 2247 Abs. 1, 2265 BGB errichtet worden war.
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2. Der Senat ist jedoch nicht davon überzeugt, dass das Testament von den Ehegatten in Widerrufsabsicht vernichtet wurde.
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a) Zutreffend ist das Nachlassgericht davon ausgegangen, dass derjenige, der aus dem Widerruf eines Testaments Rechte herleiten will, diesen Widerruf zu beweisen hat (Palandt/Weidlich BGB 78. Auflage <2019> § 2255 Rn. 11; Krätzschel in: Firsching/Graf, Nachlassrecht, 11. Auflage <2019> § 14 Rn. 8). Dieselben Grundsätze gelten dann, wenn - wie vorliegend - die Vernichtung der Urkunde selbst nicht feststeht, diese vielmehr lediglich unauffindbar ist.
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Es besteht im Falle der Unauffindbarkeit eines Testamentes insbesondere keine Vermutung dafür, dass es vom Erblasser vernichtet worden und deshalb gemäß § 2255 BGB als widerrufen anzusehen ist (OLG Köln a.a.O.). Die Vermutung, dass mit der Vernichtung eines Testaments dessen Aufhebung beabsichtigt ist (§ 2255 S. 2 BGB), setzt ihrerseits voraus, dass eine Vernichtung des Testaments festgestellt ist. Die bloße Tatsache der Unauffindbarkeit der Urkunde besagt für sich allein noch nichts; sie begründet insbesondere keine tatsächliche Vermutung oder einen Erfahrungssatz, dass das Testament durch den Erblasser vernichtet worden ist (OLG Hamburg a.a.O.)
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Auch beim gemeinschaftlichen Testament steht den Testatoren für den Widerruf ihres Testaments die Form des § 2255 zur Verfügung, so dass ein gemeinschaftliches Testament grundsätzlich auch durch Vernichtung aufgehoben werden kann. Aus § 2271 Abs. 1 S. 2 BGB folgt aber, dass die einseitige Aufhebung wechselbezüglicher Verfügungen auch in der Form des § 2255 nicht möglich ist (BeckOGK/Braun, <1.8.2019>, BGB § 2271 Rn. 27 Krätzschel in: Firsching/Graf, Nachlassrecht, 11. Auflage <2019> § 11 Rn. 21).
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Mithin muss das Gericht positiv davon überzeugt sein, dass das Testament in Widerrufsabsicht durch die Ehegatten vernichtet wurde. Für diesen Beweis genügt grundsätzlich, da eine absolute Gewissheit nicht zu erreichen und jede Möglichkeit des Gegenteils nicht auszuschließen ist, ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit (BGH NJW 1993, 935), der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (BGH NJW 2014, 71; Thomas/Putzo/Reichold ZPO 39. Auflage <2018> § 286 Rn. 2). Diese für § 286 ZPO entwickelten Grundsätze gelten grundsätzlich auch im Verfahren mit Amtsermittlungsgrundsatz (BGH NJW 1994, 1348).
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b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist der Senat nicht mit der erforderlichen Sicherheit davon überzeugt, dass die Erblasser ihr Testament (gemeinschaftlich) in Widerrufsabsicht vernichtet haben.
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Beweismittel, mit denen sich der Widerruf direkt beweisen ließe, insbesondere etwa die zerstörte Urkunde, sind weder beim Verfahren vor dem Nachlassgericht noch durch die Ermittlungen des Senats zu Tage getreten, so dass Schlüsse letztlich nur anhand von Indizien gezogen werden können.
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Soweit das Nachlassgericht im Wesentlichen darauf abgestellt hat, dass andere Unterlagen der Eheleute geordnet vorhanden waren und diese gegenüber Dritten erklärt hätten, an der Schlusserbensetzung zugunsten des Beschwerdeführers nicht festhalten zu wollen und eine andere Verfügung, deren Entwurf sie bereits beauftragt hatten, errichten zu wollen, reicht dies nach Ansicht des Senats nicht aus, um mit der nötigen Sicherheit einen Widerruf der Verfügung annehmen zu können.
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aa) Zunächst erscheint ein Widerruf ohne gleichzeitige Neuerrichtung einer Verfügung wenig plausibel. Er hätte zur Folge, dass nach dem Tode des Erstversterbenden gesetzliche Erbfolge eingetreten würde, was die Ehegatten nach den vom Nachlassgericht durchgeführten Ermittlungen nicht gewollt hatten und die bei den Ehegatten auch noch zu unterschiedlichen Erbquoten geführt hätte: Bei einem Vorversterben der Ehefrau wäre der überlebende Ehemann Erbe zu ¾ geworden gemäß §§ 1931 Abs. 1, 3, 1371 Abs. 1, 1925 Abs. 1 BGB, da seitens der Ehefrau nur noch Abkömmlinge der Eltern, mithin Erben der 2. Ordnung vorhanden waren. Umgekehrt, bei einem Vorversterben des Ehemannes, wäre die überlebende Ehefrau nur Erbin zu ½ geworden, da der Ehemann Kinder - mithin Erben der 1. Ordnung - hinterlassen hat (§§ 1931 Abs. 1, 1371 Abs. 1, 1924 Abs. 1 BGB).
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Da die Ehegatten naturgemäß nicht wissen konnten, wer von ihnen zuerst stirbt, erscheint es nicht naheliegend, dass sie insoweit den Eintritt der gesetzlichen Erbfolge gewollt hätten, was aber die Folge der Vernichtung des gemeinschaftlichen Testaments gewesen wäre. Dass die Ehegatten in einem ersten Schritt das gemeinschaftliche Testament vernichtet haben sollen, dann aber zum zweiten Schritt, der Neuerrichtung einer Verfügung, nicht mehr gekommen sein sollen, erscheint aus den vorgenannten Gründen ebenfalls nicht plausibel.
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Wäre es den Eheleuten im Wesentlichen darauf angekommen, dass der Beschwerdeführer nicht mehr (Schluss-)Erbe wird, hätte dessen Streichung aus dem Testament jedenfalls deutlich näher gelegen.
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bb) Selbst wenn man dem Nachlassgericht jedoch insoweit folgen wollte, dass das Testament vernichtet worden sein muss, müsste sich bei einem gemeinschaftlichen Testament - soweit wechselbezügliche Verfügungen inmitten stehen - feststellen lassen, dass ein möglicher Widerruf durch Vernichtung der Urkunde von beiden Ehegatten gewollt gewesen und mit Testierwillen umgesetzt worden ist.
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Sofern das Nachlassgericht im angefochtenen Beschluss davon ausgeht, dass es keine Anhaltspunkte für ein versehentliches Abhandenkommen des Testaments gibt und „eine andere Erklärung [als die Vernichtung] für die Nichtauffindbarkeit kaum denkbar [ist]“, lässt diese Argumentation außer acht, dass auch ein Ehegatte allein die Vernichtung herbeigeführt haben könnte. Das wäre, da der Widerruf wechselbezüglicher Verfügungen inmitten steht, indes nicht ausreichend.
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(1) Der Senat ist der Ansicht, dass die Einsetzung des überlebenden Ehegatten wie auch der Schlusserben im Testament vom 20.3.2015 wechselbezüglich erfolgte. Die scheinbare Einschränkung („soweit es gesetzlich vorgeschrieben ist…“) steht dem nicht entgegen, denn der nachfolgende Satz („damit sind sie nach dem Tode des zuerst versterbenden für den anderen verbindlich.“) macht deutlich, dass die Ehegatten wollten, dass die entsprechende Bindungswirkung eintritt.
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(2) Folge des Vorliegens wechselbezüglicher Verfügungen ist, dass ein Widerruf in der Form des § 2255 S. 1 BGB voraussetzt, dass die Ehegatten die Verfügung gemeinsam mit Testierwillen in Widerrufsabsicht vernichtet haben. Selbst eine spätere „Genehmigung“ einer einseitigen Zerstörung wäre daher nicht möglich (BeckOGK/Braun, <1.8.2019> BGB § 2271 Rn. 27.1).
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(3) Vom Vorliegen dieser Voraussetzungen vermag sich der Senat nicht zu überzeugen. Eine jederzeit denkbare, nicht weniger naheliegende Erklärung wäre, dass einer der Ehegatten das Testament allein und ohne Kenntnis des anderen vernichtet hat, ohne dass also zugleich seitens des anderen Testier- und Widerrufswille vorgelegen hätten. Auch dies würde - worauf das Nachlassgericht zentral abgestellt hat - erklären, dass zwar die Testamente unauffindbar waren, nicht aber sonstige, mit dem Erbrecht in Zusammenhang stehende Unterlagen fehlten.
29
Da sich der Senat - auch nach Durchführung eigener Ermittlungen - im Ergebnis also nicht davon überzeugen kann, dass das Testament vom 20.3.2015 in Widerrufsabsicht beider Ehegatten durch beide vernichtet wurde, ist dieses Testament für die Erbrechtslage maßgeblich.
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Nach dem Vorversterben der Ehefrau ist mithin der überlebende Ehemann Alleinerbe geworden. Nachdem der Ehemann seinerseits am 3.5.2015 nachverstorben ist, war dem Antrag dessen Erben, dem Beschwerdeführer, auf Erteilung eines entsprechenden Erbscheins zu entsprechen.
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Kosten fallen für die erfolgreiche Beschwerde nicht an.
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Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor.