Inhalt

VG München, Urteil v. 24.09.2019 – M 2 K 17.5482
Titel:

Räum- und Streupflicht für angrenzenden Fußweg

Normenketten:
BayStrWG Art. 51 Abs. 4, Abs. 5, 53 Nr. 2
VwGO § 43
Leitsätze:
1. Art. 51 V BayStrWG enthält keine Ermächtigung, auf die in Art. 51 IV BayStrWG bezeichneten Personen Sicherungspflichten in Bezug auf Gefahren durch Schnee und Glatteis abzuwälzen, soweit es selbstständige Gehwege betrifft. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2. Unter einer Straße, an der kein Gehweg oder gemeinsamer Geh- und Radweg besteht, kann ein selbstständiger Gehweg nicht subsumiert werden. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die fehlende gesetzliche Grundlage für eine Abwälzung von Streu- und Räumpflichten führt dazu, dass die betreffenden Sicherungspflichten bei der Gemeinde verbleiben. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Feststellungsklage, Fehlende Ermächtigungsgrundlage für Räum- und Streupflicht von Anliegern selbstständiger Gehwege, Sicherungspflicht, Schnee, Glatteis, Fußweg, beschränkt öffentlich
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 17.02.2020 – 8 ZB 19.2200
Fundstelle:
BeckRS 2019, 23942

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass für die Klägerin hinsichtlich des beschränkt öffentlichen „Weg an der …grube“ (Fl.Nr. … und … jeweils Gemarkung …*) keine Sicherungspflicht nach § 9 der Reinigungs- und Sicherungsverordnung der Beklagten besteht.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist in der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Die Beteiligten streiten über das Bestehen einer Räum- und Streupflicht der Klägerin für einen am Grundstück der Klägerin entlanglaufenden Fußweg.
2
Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks FlNr. … der Gemarkung … Das Grundstück der Klägerin liegt zwischen dem …weg und der …straße. Die beiden Straßen werden im Südwesten des Grundstücks der Klägerin durch den Fußweg „Weg an der …grube“ (FlNr. … und …*) verbunden. Laut Eintragungsverfügung für das Bestandsverzeichnis der Beklagten vom 6. November 1961 ist der Weg als beschränkt öffentlicher Weg mit der Beschränkung „Nur für Fußgänger“ gewidmet. An dem Weg hatte die Beklagte zunächst Schilder aufgestellt, wonach der Weg im Winter weder geräumt noch gestreut werde.
3
Mit Schreiben vom 2. Februar 2017 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass der Weg künftig als Schulweg ausgewiesen sei. Die die Klägerin von der Räum- und Streupflicht befreienden Schilder müssten nun entfernt werden, so dass die Klägerin nach § 9 der Reinigungs- und Sicherungsverordnung (RSV) als Vorder- und Hinterlieger die Abschnitte der Gehbahnen der an ihr Grundstück angrenzenden oder ihr Grundstück mittelbar erschließenden öffentlichen Straßen auf eigene Kosten in sicherem Zustand zu halten habe.
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Die Klägerin nahm zu dem Schreiben durch ihren Prozessbevollmächtigten Stellung und trat den Ausführungen der Beklagten entgegen. Eine Sicherungspflicht der Klägerin bestehe gerade nicht, jedenfalls sei der Klägerin eine Befreiung nach § 12 RSV zu erteilen, die mit dem Schreiben beantragt wurde.
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Mit Bescheid vom 13. Oktober 2017 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Befreiung von der Sicherungspflicht ab.
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Zur Begründung verwies die Beklagte darauf, dass bei der Klägerin keine Sonderbelastung gegenüber dem örtlichen Umkreis erkennbar sei. Die Winterdienstpflicht sei für die Klägerin zumutbar und sozialadäquat.
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Mit bei Gericht per Fax am 20. November 2017 eingegangenem Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten hat die Klägerin Klage erhoben.
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Zur Begründung führte die Klägerin aus, dass ihr für den Weg schon keine Verpflichtung zur Wintersicherung auferlegt werden könne. Aus der Formulierung in Art. 51 Abs. 5 BayStrWG „Gehwege (…) der öffentlichen Straßen“ folge, dass die unselbständigen Gehwege im Sinne des Art. 2 Nr. 1b BayStrWG gemeint seien. Vorliegend handle es sich aber um einen selbstständigen Gehweg.
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Jedenfalls lägen bei der Klägerin die Voraussetzungen für die Erteilung einer Befreiung nach § 12 RSV vor.
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Die Klägerin beantragt zuletzt,
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Es wird festgestellt, dass für die Klägerin hinsichtlich des beschränkt öffentlichen Weges „An der …grube“ (Fl.Nr. … und … jeweils Gemarkung …*) keine Sicherungspflicht nach § 9 der Reinigungs- und Sicherungsverordnung der Beklagten besteht.
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Hilfsweise: Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 13. Oktober 2017 verpflichtet, der Klägerin eine Befreiung von der Sicherungspflicht für den „Weg an der …grube“ zu erteilen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage in Haupt- und Hilfsantrag abzuweisen.
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Mit der von der Klageseite zitierten Formulierung in Art. 51 Abs. 5 BayStrWG seien nicht nur die unselbstständigen Gehwege gemeint. Die Beklagte habe mit ihrer Verordnung von der Verordnungsermächtigung in Art. 51 Abs. 4 und 5 BayStrWG Gebrauch gemacht. In § 2 Abs. 2 Buchst. a RSV würden ausdrücklich auch die selbstständigen Gehwege geregelt. Öffentliche Straßen seien zudem alle öffentlichen Wege, damit auch die sonstigen öffentlichen Straßen im Sinne des Art. 53 BayStrWG und demnach auch die selbstständigen Geh- und Radwege, bei denen kein seitlich abgegrenzter Gehweg vorhanden sei.
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Hinsichtlich der hilfsweise beantragten Befreiung vertiefte die Beklagte nochmals ihre Ausführungen im Bescheid vom 13. Oktober 2017.
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In der mündlichen Verhandlung vom 26. März 2019 haben die Beteiligten auf weitere mündliche Verhandlung verzichtet. Mit in der Verhandlung verkündeten Beschluss wurde ins schriftliche Verfahren übergegangen.
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Die Beklagte und die Klägerin haben mit Schreiben vom 21. Mai 2019 bzw. vom 27. Mai 2019 nochmals Stellung genommen und ihre jeweiligen Ausführungen vertieft.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtssowie die Behördenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Entscheidung konnte ohne weitere mündliche Verhandlung ergehen, nachdem die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vom 26. März 2019 auf weitere mündliche Verhandlung verzichtet haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).
I.
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Die Klage ist im Hauptantrag zulässig und begründet.
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Für die Klägerin besteht hinsichtlich des beschränkt öffentlichen Weges „An der …grube“ (Fl.Nr. … und … jeweils Gemarkung …*) keine Sicherungspflicht nach § 9 der Reinigungs- und Sicherungsverordnung der Beklagten.
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Eine solche Sicherungspflicht der Klägerin folgt nicht aus § 9 i.V.m. § 2 Abs. 2 Buchst. a RSV der Beklagten. Zwar können die Gemeinden grundsätzlich anliegende Grundeigentümer zur Sicherung öffentlicher Straßen verpflichten (1.), dies gilt mangels gesetzlicher Ermächtigung jedoch nicht für selbstständige Gehwege (2.).
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1. Nach Art. 51 Abs. 1 Satz 1 BayStrWG liegt die Sicherungspflicht für die öffentlichen Straßen innerhalb der geschlossenen Ortslage grundsätzlich bei den Gemeinden. Sie sind nach ihrer Leistungsfähigkeit dazu verpflichtet, die öffentlichen Straßen zu beleuchten, zu reinigen, von Schnee zu räumen und alle gefährlichen Fahrbahnstellen, die Fußgängerüberwege und die Gehbahnen bei Glätte zu streuen, wenn das dringend erforderlich ist und nicht andere auf Grund sonstiger Rechtsvorschriften hierzu verpflichtet sind.
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Soweit es die Sicherungspflicht gegen Schnee und Glatteis betrifft, können die Gemeinden nach Art. 51 Abs. 5 BayStrWG zur Verhütung von Gefahren für die im Gesetz genannten Individualrechtsgüter die Sicherungspflichten auf den in Art. 51 Abs. 4 genannten Personenkreis durch Rechtsverordnung übertragen. Der Sache nach übertragen können die Gemeinden die Sicherung der Gehwege sowie der gemeinsamen Geh- und Radwege der an ihr Grundstück angrenzenden oder ihr Grundstück erschließenden öffentlichen Straßen oder, wenn kein Gehweg oder gemeinsamer Geh- und Radweg besteht, der öffentlichen Straße selbst in der für den Fußgängerverkehr erforderlichen Breite. Aus dem Gesetzestext unmittelbar folgt demnach, dass durch Rechtsverordnung nach Art. 51 Abs. 5 BayStrWG Sicherungspflichten in Bezug auf unselbstständige gemeinsame Geh- und Radwege und - eingeschränkt - Straßen ohne Gehwege übertragen werden können.
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2. Art. 51 Abs. 5 BayStrWG enthält hingegen keine Ermächtigung, auf die in Art. 51 Abs. 4 BayStrWG bezeichneten Personen Sicherungspflichten in Bezug auf Gefahren durch Schnee und Glatteis abzuwälzen, soweit es selbstständige Gehwege betrifft.
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Art. 51 Abs. 5 Satz 1 BayStrWG bezieht die gemeindliche Übertragungsmöglichkeit auf „die Gehwege sowie die gemeinsamen Geh- und Radwege der an ihr Grundstück angrenzenden oder ihr Grundstück erschließenden öffentlichen Straßen“ bzw. - soweit überhaupt kein Gehweg vorhanden ist - auf die Straße selbst in eingeschränkter Breite.
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Die letztgenannte Formulierung erfasst selbstständige Gehwege ersichtlich nicht, da unter einer Straße, an der kein Gehweg oder gemeinsamer Geh- und Radweg besteht, ein selbstständiger Gehweg eindeutig nicht subsumiert werden kann. Denn das Gesetz geht gerade davon aus, dass kein Gehweg vorhanden ist.
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Aus der Formulierung „die Gehwege (…) der öffentlichen Straßen“ wird wiederum deutlich, dass nach der Vorstellung des Gesetzgebers neben dem Gehweg noch eine Straße vorhanden sein muss. Würde man mit der Ansicht der Beklagten die selbstständigen Geh- und Radwege (Art. 53 Nr. 2 BayStrWG) hierunter fassen, ergäbe die Formulierung in Art. 51 Abs. 5 Satz 1 BayStrWG mit ihrer Genitiv-Konstruktion grammatikalisch keinen Sinn. Denn ein selbstständiger Gehweg ist in Art. 53 Nr. 2 BayStrWG gerade als ein Gehweg definiert, der nicht Bestandteil einer Straße ist. Ein Gehweg der nicht Bestandteil einer Straße ist, kann aber konsequenterweise kein „Gehweg (…) der (…) öffentlichen Straßen“ sein.
30
Die fehlende gesetzliche Grundlage für eine Abwälzung führt dazu, dass die betreffenden Sicherungspflichten bei der Gemeinde verbleiben (BayVGH v. 4.4.2007 - 8 B 05.3195). Ebenso wie bei den kombinierten Geh- und Radwegen, die der zitierten Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zu Grunde lagen, fehlt es im vorliegenden Fall an einer Entscheidung des Gesetzgebers, für selbstständige Gehwege ebenfalls eine Abwälzungsmöglichkeit zu schaffen. Die von der Beklagten angeführten Wertungsgesichtspunkte mögen bei der gesetzgeberischen Entscheidung hierzu relevant sein, sie führen aber für sich genommen nicht auf eine - hier fehlende - Ermächtigung bzw. können eine fehlende ausdrückliche Ermächtigung nicht ersetzen.
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§ 9 i.V.m. § 2 Abs. 2 Buchst. a RSV ist daher mangels Ermächtigungsgrundlage nichtig, soweit die Regelung eine Abwälzung der Sicherungspflichten für selbstständige Gehwege begründet. Die Klägerin ist daher für den „Weg an der …grube“ weder räum- noch streupflichtig.
II.
32
Die Klage war daher im Hauptantrag begründet, so dass es einer Entscheidung über den Hilfsantrag nicht mehr bedurfte. Die Beklagte trägt als Unterlegene die Kosten des Verfahrens (§ 154 Abs. 1 VwGO). Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.