Inhalt

VG München, Urteil v. 02.09.2019 – M 27 K 17.40338
Titel:

Unbegründeter Asylantrag eines nigerianischen Asylbewerbers

Normenketten:
AsylG § 3, § 3e, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
EMRK Art. 3
Leitsätze:
1. Unter Heranziehung der Grundsätze des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG BeckRS 2009, 34648) kann eine Gruppenverfolgung von Christen in Nigeria mangels hinreichender Verfolgungsdichte nicht angenommen werden. Da im Vielvölkerstaat Nigeria mit einer überwiegend muslimischen Bevölkerung im Norden und einem überwiegend christlich geprägten Süden die Religionsfreiheit einen Grundpfeiler des Staatswesens bildet, liegen staatliche Repressalien gegen Christen - auch soweit sich sich aktiv im Glauben betätigen - nicht vor. (Rn. 20 – 21) (red. LS Clemens Kurzidem)
2. Der nigerianische Staat erweist sich hinsichtlich religiöser Streitigkeiten grundsätzlich als schutzwillig und schutzfähig, sodass die Zurechnungskriterien nach § 3c Nr. 3 AsylG, hinsichtlich eines Antrags auf subsidiären Schutz in Verbindung mit § 4 Abs. 3 S. 1 AsylG, nicht erfüllt sind. (Rn. 22) (red. LS Clemens Kurzidem)
3. Einem nigerianischen Asylbewerber ist es grundsätzlich möglich, in anderen Regionen außerhalb seiner Herkunftsregion, namentlich in nigerianischen Großstädten Lagos und Benin City, internen Schutz i.S.v. § 3e AsylG zu finden und sich dort ein Existenzminimum zu sichern. Dass in den genannten Städten andere Volksgruppen als in der jeweiligen Heimatregion leben, steht dem nicht entgegen. (Rn. 25) (red. LS Clemens Kurzidem)
4. Im Hinblick auf eine ungewöhnlich schlechte humanitäre Situation bestehen in Nigeria keine Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK. (Rn. 27) (red. LS Clemens Kurzidem)
5. Bei einer Erkrankung an Tuberkolose handelt es sich nicht um eine derart schwere Erkrankung i.S.v. § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG, die einer Abschiebung nach Nigeria entgegensteht. (Rn. 31) (red. LS Clemens Kurzidem)
Schlagworte:
Unbegründete Anträge auf internationalen Schutz, Nichtstaatlicher Akteur, nigerianischer Asylbewerber, Christ, Gruppenverfolgung, Schutzfähigkeit des Staates, interner Schutz, subsidiärer Schutz, nationale Abschiebungsverbote, Erkrankung, Tuberkulose, Behandlungsmöglichkeiten, Extremgefahr
Fundstelle:
BeckRS 2019, 21954

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen. 
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger ist nigerianischer Staatsangehöriger, christlichen Glaubens und dem Volk der … zugehörig. Er reiste nach eigenen Angaben am … … … über Italien und Österreich kommend in das Bundesgebiet ein und stellte dort am … … 2016 einen Asylantrag.
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Anlässlich einer persönlichen Anhörung am … … 2016 trug der Kläger gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden Bundesamt) im Wesentlichen vor, dass er Nigeria wegen religiöser Probleme und kämpfender Gruppen verlassen habe. Er habe Nigeria wegen seiner und der Religion seiner Mutter verlassen. Er sei Katholik. Die Moslems hätten Bomben in eine Kirche geworfen und Menschen getötet. Auch habe es Probleme mit … gegeben. Von den Angriffen in der Kirche sei er nicht persönlich betroffen gewesen. Es gebe aber Gruppen, die kämpfen würden. Dort habe er mitmachen sollen, er habe dies jedoch nicht gewollt. Auf Nachfrage, was passieren würde, wenn er nach Nigeria zurück müsste antwortete der Kläger, dass Gott alles unter Kontrolle habe.
3
Mit Bescheid vom 8. Mai 2017, dem Kläger zugestellt am 12. Mai 2017, lehnte das Bundesamt dessen Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Anerkennung als Asylberechtigter und auf Zuerkennung subsidiären Schutzes ab (Ziff. 1 bis 3), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziff. 4) und forderte den Kläger auf, das Bundesgebiet innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen; andernfalls würde er nach Nigeria abgeschoben (Nr. 5). Zudem wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6). Zur Begründung führt das Bundesamt im Wesentlichen aus, der Kläger hätte eine begründete Verfolgungsfurcht oder eine Furcht vor einem ernsthaften Schaden bei einer Rückkehr nach Nigeria nicht glaubhaft machen können. Auch die Voraussetzungen für die Anerkennung als Asylberechtigter lägen nicht vor. Die von dem Kläger vorgetragene Bedrohung erreiche keine flüchtlingsrechtlich relevante Intensität. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus lägen nicht vor. Ferner gebe es keine Hinweise auf das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Auf die Begründung des Bescheids wird Bezug genommen.
4
Der Kläger hat gegen den Bescheid am 16. Mai 2017 Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht München durch seine Bevollmächtigte erhoben und beantragt sinngemäß,
unter Aufhebung des Bescheids des Bundesamtes vom 10. Mai 2017 die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass er asylberechtigt ist und bei ihm die Flüchtlingseigenschaft, der subsidiäre Schutzstatus sowie Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG vorliegen.
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Zur Begründung bezieht er sich im Wesentlichen auf seine bisherigen Angaben gegenüber dem Bundesamt und führt ergänzend aus, dass er als Christ Verfolgungshandlungen ausgesetzt gewesen sei. Wegen der ständigen terroristischen Angriffe habe er das Land verlassen.
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Die Beklagte legte am 6. Juli 2017 die Behördenakten vor, stellte jedoch keinen Antrag.
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Mit Beschluss vom 1. August 2019 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen.
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In der mündlichen Verhandlung am 30. August 2019 erklärte der Kläger, dass der Grund für das Verlassen Nigerias ein Konflikt zwischen den „…“ und seinen Leuten (…) gewesen sei. Man habe auch ihn versucht zu überreden, mitzumachen. Als er sich geweigert habe, an den Konflikten teilzunehmen, weil er kein Blut sehen könne, habe man ihn gefesselt und geschlagen. Wegen der Schläge habe er letztendlich akzeptiert, mitzumachen. Bevor er jedoch tatsächlich an den Auseinandersetzungen habe teilnehmen können, sei er geflohen. Der Konflikt, über den er in der Anhörung vor dem Bundesamt sprach, sei derselbe gewesen, von dem er heute zwischen den „…“ und den …-Leuten gesprochen habe. Die Leute aus … seien allesamt Christen. Das eigentliche Problem sei insofern ein religiöser Konflikt. Es habe einen Konflikt mit Muslimen gegeben, welche Bomben in Kirchen versteckt und mit Gewehren geschossen hätten. Noch in Nigeria habe er einen Kontakt zu einer Person in Libyen knüpfen können, die Wände verputze. In der Folge sei er zunächst nach Libyen und sodann nach Europa geflohen. Auf Nachfrage des Gerichts, warum er in keinen anderen Landesteil Nigerias habe fliehen können, entgegnete der Kläger, dass zwei der drei ethnischen Gruppen in Nigeria muslimischen Glaubens seien und lediglich seine Gruppe christlichen Glaubens sei. Er könne und wolle jedoch nicht konvertieren. Statt innerhalb Nigerias zu flüchten habe er sich zunächst entschieden, in andere afrikanische Staaten zu gehen. Die religiösen Probleme, welche er auch in Nigeria hatte, habe er nun jedoch auch in Deutschland, da er hier mit vielen Nigerianern zusammenwohne. Auf Nachfrage des Gerichts, ob er von den Angriffen der Muslime persönlich betroffen gewesen sei antwortete der Kläger, dass er nicht persönlich betroffen gewesen sei. Dies hätte jedoch zu den Konflikten zwischen den Ethnien geführt. Auf Nachfrage des Gerichts, ob sich seit der Verbescheidung etwas geändert habe, entgegnete der Kläger, dass er drei Monate in einem Krankenhaus gewesen sei. Grund sei ein Vorfall in der Aufnahmeeinrichtung gewesen, wo er an gehustet worden sei. In der mündlichen Verhandlung legte der Kläger diverse Fotografieren und einen Entlassungsbrief des „… … …“ vor. Die Unterlagen wurden zu den Akten genommen. Ausweislich eigener Angaben und des Entlassungsbriefes litt der Kläger an einer aktiven Tuberkulose. Auf Nachfrage des Gerichts, ob es ihm mittlerweile wieder gut gehe, antwortet der Kläger, dass der Arzt gesagt habe, dass er wieder gesund sei. Es müsse lediglich noch eine Nachuntersuchung erfolgen. Auf weitere Nachfrage gab der Kläger an, nicht in die Hocke gehen zu können und gelegentlich Rückenschmerzen zu haben. In Nigeria habe er nur noch Kontakt zu seiner Schwester.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakte sowie die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 30. August 2019 verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.
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Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 30. August 2019 trotz Ausbleibens der Beklagtenseite entschieden werden. Diese wurde ausweislich des Ladungsschreibens und des Generalsverzichts auf förmliche Ladung ordnungsgemäß geladen. In dem Ladungsschreiben hat das Verwaltungsgericht darauf hingewiesen, dass bei Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne diesen verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
II.
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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1. Der angegriffene Bescheid ist auch zu dem maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG) rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 und 5 VwGO). Der Kläger hat, auch unter Einbeziehung dessen, was er in der mündlichen Verhandlung zur Begründung seiner Klage ergänzend vorgetragen hat, weder Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter noch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß §§ 3 ff. AsylG oder des subsidiären Schutzstatus gemäß § 4 AsylG. Schließlich besteht auch kein Anspruch auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Die Ablehnung der Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG) sowie der Anträge auf subsidiären Schutz (§ 4 AsylG) als unbegründet und die Verneinung des Vorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG begegnen keinen rechtlichen Bedenken. Dem Vortrag des Klägers beim Bundesamt lassen sich keine Gründe für eine Vorverfolgung in Nigeria in Anknüpfung an eines der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Merkmale entnehmen. Erhebliche konkrete Gefahren im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, denen die Bevölkerung allgemein ausgesetzt ist, sind allenfalls bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG (Vorübergehende Aussetzung der Abschiebung) zu berücksichtigen (§ 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG), regelmäßig aber nicht im asylrechtlichen Verfahren.
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Das Gericht folgt zunächst der Begründung des angefochtenen Bundesamtsbescheids vom 23. Mai 2017 und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (vgl. § 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend ist Folgendes auszuführen:
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Auch die von dem Kläger im gerichtlichen Verfahren ergänzend vorgetragenen Gründe ändern an der Rechtmäßigkeit der Ablehnung der Anträge der Kläger nichts.
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a) Auf Art. 16a Abs. 1 GG kann sich der Kläger bereits deshalb nicht berufen, da er nach seinem eigenen Vortrag aus Italien über Österreich kommend in das Bundesgebiet eingereist ist (Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG).
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b) Dem Kläger kann auch die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt werden.
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aa) Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ein Ausländer ist - unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben - Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl, 1953 II S.559, 560-Genfer Flüchtlingskonvention), wenn seine Furcht begründet ist, dass er in seinem Herkunftsland wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung Verfolgungshandlungen im Sinne von § 3a AsylG ausgesetzt ist (vgl. BVerwG, U. v. 20.2.2013 - 10 C 23.12 - juris). Von einer Verfolgung kann nur dann ausgegangen werden, wenn dem Einzelnen in Anknüpfung an die genannten Merkmale gezielt Rechtsverletzungen zugefügt werden, die wegen ihrer Intensität den Betroffenen dazu zwingen, in begründeter Furcht vor einer ausweglosen Lage sein Heimatland zu verlassen und im Ausland Schutz zu suchen. An einer gezielten Rechtsverletzung fehlt es regelmäßig bei Nachteilen, die jemand aufgrund der allgemeinen Zustände in seinem Herkunftsland zu erleiden hat, etwa infolge von Naturkatastrophen, Arbeitslosigkeit, einer schlechten wirtschaftlichen Lage oder infolge allgemeiner Auswirkungen von Unruhen, Revolution und Kriegen (vgl. OVG NRW, U. v. 28.3.2014 - 13 A 1305/13.A - juris). Auch eine kriminelle Verfolgung muss an ein in § 3 AsylG genanntes Merkmal anknüpfen, um als politische Verfolgung gelten zu können.
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bb) Eine Verfolgung kann dabei gem. § 3c AsylG ausgehen von einem Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die zuvor genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Weiter darf für den Ausländer keine innerstaatliche Fluchtalternative bestehen, § 3e AsylG.
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cc) Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung weder substantiiert und noch nachvollziehbar das Vorliegen einer Verfolgung oder das Drohen eines Schadens im Sinne von § 3 ff. AsylG bei einer Rückkehr nach Nigeria darlegen können. Zu einer individuellen Verfolgung während dieser Zeit trug der Kläger nichts vor. Eine konkrete eigene Betroffenheit konnte der Kläger insofern nicht glaubhaft machen. Vielmehr hat er ausgeführt, dass er vor einer Beteiligung an den Konflikten aus Nigeria geflohen und mehrfach betont, dass er persönlich von einer Verfolgung durch Muslime nicht betroffen gewesen sei.
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dd) Es bleibt daher das allenfalls unter dem Gesichtspunkt der Gruppenverfolgung nach §§ 3 Abs. 1 Nr. 1 (letzte Alt.), 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG zu würdigende allgemeine Risiko, Opfer eines Terroranschlags zu werden. Hierfür fehlt es vorliegend jedoch an der nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erforderlichen Verfolgungsdichte, welche wiederum die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter voraussetzt, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die akute und gegenwärtige Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Voraussetzung für die Annahme einer Gruppenverfolgung ist ferner, dass die festgestellten Verfolgungsmaßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale treffen. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin „wegen“ eines der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Merkmale erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (BVerwG, U.v. 21.4.2009 - 10 C 11.08 - juris Rn.13).
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Unter Heranziehung dieser Grundsätze kann eine Gruppenverfolgung des Klägers als Christ in Nigeria mangels hinreichender Verfolgungsdichte nicht angenommen werden. Zudem scheidet eine staatliche Verfolgung aus religiösen Gründen nach Maßgabe der einschlägigen Erkenntnisquellen eindeutig aus. Die Verfassung Nigerias garantiert die Religionsfreiheit und verbietet, eine bestimmte Religion zur Staatsreligion zu erheben. Im Vielvölkerstaat Nigeria mit einer überwiegend muslimischen Bevölkerung im Norden und einem überwiegend christlichen bzw. „christlich-animistischen“ Süden ist die Religionsfreiheit ein Grundpfeiler des Staatswesens (vgl. Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria - Lagebericht AA - v. 21.1.2018, S. 13.). Staatliche Repressalien gegenüber Christen - auch soweit sie sich aktiv im Glauben betätigen - sind damit nicht gegeben. Soweit es zwischen Christen und Muslimen im nördlichen sowie im mittleren Teil Nigerias (etwa in und um Jos) immer wieder zu lokalen Gewaltausbrüchen kommt, handelt es sich hierbei nicht um eine Fallkonstellation, die mit einer Gruppenverfolgung aus religiösen Gründen gem. §§ 3 Abs. 1 Nr. 1 (letzte Alt.), 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG gleichzusetzen ist.
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Darüber hinaus ist der nigerianische Staat hinsichtlich der von religiösen Streitigkeiten ausgehenden Gefahren grundsätzlich schutzwillig und schutzfähig, sodass die Zurechnungskriterien nach § 3c Nr. 3 AsylG, hinsichtlich des Antrags auf subsidiären Schutz in Verbindung mit § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG, nicht erfüllt sind. Nach aktueller Erkenntnislage nimmt der nigerianische Staat die Attentate etwa islamistischer Gruppen auf die Zivilbevölkerung, die sich im Übrigen nicht mehr nur gegen Christen bzw. christliche Einrichtungen, sondern zunehmend gegen die Sicherheitskräfte, Moscheen und traditionelle muslimische Führer richten, nicht einfach hin, sondern bekämpft diese mit den ihm zur Verfügung stehenden polizeilichen und militärischen Mitteln (Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria v. 10.12.2018, S. 9). Ein lückenloser Schutz wird insoweit nicht vorausgesetzt.
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ee) Doch selbst bei Annahme des Vorliegens einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung des Klägers durch die sog. „…“ oder muslimische Gruppierungen als sogenannten nichtstaatlichen Akteuren (vgl. § 3a i.V. m. § 3c Nr. 3 AsylG) bestehen für den Kläger Fluchtalternativen innerhalb Nigerias (sog. Interner Schutz).
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Nach § 3e Abs. 1 AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft bzw. der subsidiäre Schutz dann nicht zuerkannt, wenn er (1.) in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und (2.) sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Gemäß § 3e Abs. 2 Satz 1 AsylG sind bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Abs. 1 erfüllt, die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Art. 4 der Richtlinie 2011/95/EU zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen. Gemessen hieran kann der Kläger die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht beanspruchen, weil ihm aus den nachfolgenden Gründen eine innerstaatliche Fluchtalternative bzw. ein interner Schutz zur Verfügung steht:
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Entgegen seinem Vorbringen ist es ihm durchaus möglich, in anderen Gegenden Nigerias internen Schutz gemäß § 3e Abs. 1 AsylG zu finden und sich in nigerianischen Großstädten wie Lagos oder Benin City ein Existenzminimum zu sichern. Dass in diesen Städten andere Volksgruppen (etwa Yoruba) als diejenige leben, von denen er in Nigeria stammt (***), steht dem nicht entgegen. Die internen Fluchtalternativen ermöglichen es dem Kläger auch, etwaige aufgrund eines …-Konflikts gefährliche Regionen Nigerias zu meiden. Dieser Konflikt ist regional beschränkt auf den Südosten des Landes. Auch den Schwerpunkt der Besiedelung der „…“ bildet der Südosten und Nordwesten Nigerias, so dass es dem Kläger freisteht, in anderen Landesteilen, etwa mit überwiegend christlicher Population, Schutz zu suchen.
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c) Die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG liegen ebenfalls nicht vor. Die Zuerkennung subsidiärer Schutzes nach § 4 AsylG scheidet vorliegend in rechtlicher Hinsicht jedenfalls auch deshalb aus, weil - wie eben dargelegt - eine interne Schutzmöglichkeit im Sinne des § 3e AsylG (vgl. zur entsprechenden Anwendbarkeit § 4 Abs. 3 AsylG) besteht.
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d) Dem Kläger droht in Nigeria in Hinblick auf § 60 Abs. 5 AufenthG und Art. 3 EMRK auch keine auf Grund eines ganz außergewöhnlichen Falles ungewöhnlich schlechte humanitäre Situation. Ferner führt in Hinblick auf § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG eine Rückkehr des Klägers nach Nigeria für ihn zu keiner extremen Gefahrenlage in Form des sicheren Todes oder schwerster Verletzungen. Der Kläger ist volljährig, gesund und erwerbsfähig. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass die Bedingungen der Rückführung und der Re-Integration abgefedert werden können. Das Verwaltungsgericht verweist in diesem Zusammenhang auf die Möglichkeit von Rückkehr- und Starthilfen. Der Kläger ist in Nigeria im Fall der Rückkehr nicht auf sich allein gestellt, da er nach eigenem Vortrag auch noch Kontakt zu seiner dort lebenden Schwester hat. Er hat bereits vor seiner Flucht aus Nigeria gearbeitet, so dass davon auszugehen ist, dass er dort selbst für seine Existenzsicherung sorgen kann.
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aa) Ein Anspruch auf Feststellung des Vorliegens eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1, 2 AufenthG aus gesundheitlichen Gründen besteht ebenfalls nicht.
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Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Dies wäre dann der Fall, wenn der Ausländer im Falle seiner Abschiebung mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre, so dass die Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint, weil er gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde, wobei sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren müssten (BVerwG, U.v. 17.10.1995 - 9 C 9.95 - juris Rn. 14; B.v. 14.11.2007 - 10 B 47.07 - juris Rn. 3; U.v. 29.9.2011 - 10 C 23.10 - juris Rn. 20). Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Dabei ist es gemäß § 60 Abs. 7 Sätze 3 und 4 AufenthG nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch dann vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist.
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Gemessen an diesen rechtlichen Vorgaben kann unter Zugrundelegung des Vorbringens des Klägers auch im gerichtlichen Verfahren nicht vom Vorliegen einer individuellen erheblichen konkreten Gefahr u.a. für Leib und Leben im Sinne dieser Bestimmung bei einer Rückkehr des Klägers nach Nigeria ausgegangen werden. Nach § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG, welcher auf § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG anwendbar ist (BayVGH, B.v. 24.1.2018 - 10 ZB 18.30105 - juris Rn. 7), wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen (§ 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG), welche insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung u. a. sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten soll (§ 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG).
31
Der Kläger hat bereits keine qualifizierte ärztliche Bescheinigung oder sonstigen Dokumente, welche den Anforderungen des § 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG genügen, vorgelegt. Er hat mithin die ihm obliegende Darlegungslast nicht erfüllt, so dass vermutet wird, dass die Gründe einer Abschiebung nicht entgegenstehen. Im Übrigen würde es sich bei der Tuberkulose nicht um eine derart schwere Erkrankung in dem Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG handeln, welche einer Abschiebung entgegenstünde (s. o.). Die Tuberkulose war lediglich während des Aufenthaltes im Krankenhaus aktiv. Seit dem 3. Januar 2019 befindet sich der Kläger in einer antituberkulösen Therapie, welche nach eigenem Vortrag des Klägers gegenwärtig dergestalt angeschlagen hat, dass nur noch gelegentliche Nachuntersuchungen notwendig sind. Der Kläger selbst hat in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass der Arzt gesagt habe, dass es ihm wieder gut gehe. Es finden sich auch unter den in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Dokumenten keine Hinweise für eine erneute Aktivität der früher behandlungsbedürftigen Tuberkuloseerkrankung, so dass hieraus kein Abschiebungsverbot hergeleitet werden kann. Auch der Vortrag hinsichtlich der Rückenschmerzen und dass er nicht „in die Hocke gehen“ könne, ist offensichtlich nicht geeignet, zu einem Abschiebungsverbot auf der Grundlage vorbezeichneter Maßstäbe zu führen.
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e) Auch die vom Bundesamt nach Maßgabe der § 34, § 38 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V. m. § 59 AufenthG erlassene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sind rechtlich nicht zu beanstanden. Die im Bescheid gem. § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ausgesprochene Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 30 Monate ist nach Maßgabe des § 114 VwGO nicht zu beanstanden. Über die Länge der Frist wird gem. § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nach Ermessen entschieden, wobei die Befristung im Regelfall fünf Jahre nicht überschreiten darf. Die von der Beklagten festgesetzte Frist hält sich im o. g. Rahmen. Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Ermessensausübung sind nicht erkennbar.
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2. Im Übrigen folgt das Gericht den Feststellungen und der Begründung des angefochtenen Verwaltungsakts und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG).
III.
34
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 1 VwGO. Gemäß § 83b AsylG ist das Verfahren gerichtskostenfrei.
IV.
35
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V. m. §§ 708 ff. ZPO.