Inhalt

VG Würzburg, Urteil v. 22.08.2019 – W 1 K 19.31072
Titel:

Kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft

Normenketten:
AsylG § 3
AsylG § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, § 60 Abs. 7 Satz 1
Schlagworte:
Provinz Kunduz, Unzureichendes ärztliches Attest, Tätowierungen, afghanischer Staatsangehöriger, Asylbewerber, Afghanistan, Taliban, Flüchtlingseigenschaft, subsidiärer Schutz, Abschiebungsandrohung, Furcht vor Verfolgung, Verfolgungsgefahr, unmenschliche Behandlung, Bedrohung, Abschiebungsverbot
Fundstelle:
BeckRS 2019, 20322

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben. 

Tatbestand

1
Der Kläger wurde eigenen Angaben zufolge am … … … in Parwan geboren. Gelebt habe er jedoch in dem Dorf Khan Abad in der Provinz Kunduz. Er sei afghanischer Staatsangehöriger tadschikischer Volks- und sunnitischer Glaubenszugehörigkeit. Sein Heimatland habe er Mitte September 2015 verlassen und sei am 11. Oktober 2015 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist, wo er am 11. Dezember 2015 einen Asylantrag stellte.
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Im Rahmen seiner Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am 4. Juli 2016 gab der Kläger im Wesentlichen an, dass er in Afghanistan die Schule bis zur achten Klasse besucht habe. Einen Beruf habe er nicht erlernt und auch nicht gearbeitet. Er habe Kontakt zu seinen Eltern, welche jetzt in Kabul leben würden. Zudem habe er zwei Schwestern und vier Brüder. Er sei alleine her gekommen, da sein Vater krank sei. Der Vater könne nicht gut laufen und sei gelähmt. Außerdem habe das Geld nicht für alle gereicht. Im Heimatland würden noch vier Onkel väterlicherseits, ein Onkel mütterlicherseits, eine Tante väterlicherseits und vier Tanten mütterlicherseits leben. Sie würden in Kabul, Takhar und Parwan leben. Ein Onkel väterlicherseits würde in Russland leben und eine Tante mütterlicherseits im Iran. Ein Onkel würde in Schweinfurt leben. Dies schon seit 28 Jahren; er habe hier ein Geschäft für Lebensmittel und Gemüse. Er wisse nicht was die Flucht gekostet habe, sein Onkel habe alles bezahlt und organisiert.
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Zu seinen Fluchtgründen führte der Kläger im Wesentlichen aus, dass in seinem Dorf die Mehrheit der Bewohner den Taliban zugehörig seien. Wenn er in die Moschee gegangen sei, habe der Mullah immer dazu aufgerufen, die Jihadisten zu unterstützen und mit den Taliban in den Krieg zu ziehen, um gegen die Ungläubigen zu kämpfen. Aus diesem Grund habe sein Onkel Angst gehabt, dass er mit den Taliban zusammenkomme, um zu kämpfen. Der Onkel habe gedacht, dass er sich von den Leuten in der Moschee beeinflussen lassen würde, da er noch jung gewesen sei. Sein Onkel habe mit seinem Vater geredet und entschieden, dass er das Dorf verlassen solle. Sie hätten Angst um sein Leben gehabt. Entweder sei er getötet worden von den Taliban oder, wenn er mit den Taliban zusammenkommen wäre, genauso in Gefahr gewesen. Auch junge Leute aus der Nachbarschaft seien schon von den Taliban überredet worden bei Ihnen mit zu machen. Er habe Angst vor den Taliban und davor, dass sie ihm den Kopf abschneiden würden. Deshalb habe seine Mutter sich Sorgen gemacht. Besonders hätten die Taliban die Leute bedroht, die bei der Polizei gearbeitet oder amtliche Arbeit geleistet hätten. Die Taliban hätten einmal pro Monat Polizeistationen attackiert und viermal pro Woche in der Nacht hätten sie die Straßen blockiert, um den Leuten Geld abzunehmen. Seinem Vater sei dies auch passiert. Sie hätten ihn geschlagen und das ganze Geld weggenommen und die Schuhe. Vor sieben Monaten, als der Krieg in Kunduz angefangen habe und die Stadt an die Taliban verloren worden sei, sei die Familie erst nach Takhar zu dem Onkel gezogen. Dort seien sie vier Monate geblieben. Dann sei seine Familie mithilfe des anderen Onkels, der in Russland lebe, ohne ihn nach Kabul gezogen. Seit drei Monaten seien sie in Kabul. Letztlich habe sein Onkel väterlicherseits organisiert, dass er fliehen könne. Als sein Vater krank gewesen sei, habe immer sein Onkel auf die Familie aufgepasst. Er sei Arzt, wohne in Takhar und sei für seine Familie zuständig. Sein Vater sei vor 7 Monaten, als er bereits in Deutschland gewesen sei, bei den Kämpfen in Kunduz durch eine explodierende Rakete in der Nachbarschaft verletzt worden. Er selbst sei vor drei oder vier Jahren zu Besuch bei seinem Onkel in Takhar gewesen und sei dort ebenfalls verletzt worden von einer Bombe, als er mit anderen Jungs Fußball gespielt habe. Der Anschlag habe eigentlich einem Kommandeur aus Kunduz gegolten, der in der Moschee in der Nähe gewesen sei. Bei einer Rückkehr habe er Angst um sein Leben. Die Lage sei überall in Afghanistan gefährlich, besonders in Kabul und Kunduz. Er habe Angst, bei einem Selbstmordanschlag getötet zu werden.
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Mit Bescheid des Bundesamtes vom 3. April 2017 wurde das klägerische Begehren vollumfänglich abgelehnt. Der Bescheid war mit einer Rechtsbehelfsbelehrung:versehen.
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Mit Schreiben vom 19. April 2017 ließ der Kläger Klage erheben. In der mündlichen Verhandlung am 20. August 2019 nahm der Kläger die Klage im Hinblick auf die Aufhebung der Ziffer 2 und die Anerkennung als Asylberechtigter zurück. Dahingehend wurde die Klage abgetrennt und unter dem Az. W 1 K 19.31568 eingestellt.
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Der Kläger beantragt,
Die Beklagten unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes vom 3. April 2017 zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,
hilfsweise, dem Kläger subsidiären Schutz zuzuerkennen,
weiter hilfsweise, Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen.
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Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Mit Beschluss vom 5. Juni 2019 hat die Kammer den Rechtsstreit der Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen.
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Zum Gegenstand des Verfahrens wurde die Erkenntnismittelliste zu Afghanistan, Stand: August 2019, gemacht.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, insbesondere das Protokoll über die mündliche Verhandlung am 20. August 2019, sowie der beigezogenen Behördenakte verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet. Dem Kläger stehen die geltend gemachten Ansprüche nicht zu. Der Bescheid des Bundesamtes vom 3. April 2017 ist einschließlich der darin enthaltenen Abschiebungsandrohung rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO).
I.
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Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG, weil ihm im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan keine landesweite asylrelevante Verfolgung i.S.d. § 3 Abs. 1 i.V.m. §§ 3a ff. AsylG droht.
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1. Rechtsgrundlage der begehrten Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist vorliegend § 3 Abs. 4 und Abs. 1 AsylG (BT-Drs. 16/5065 S. 213; vgl. auch § 60 Abs. 1 Satz 3 AufenthG). Danach wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, soweit er keinen Ausschlusstatbestand nach § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG erfüllt. Ein Ausländer ist Flüchtling i.S.d. Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Konvention - GK), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Gemäß § 77 Abs. 1 AsylG ist vorliegend das Asylgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl I S. 1798), das zuletzt durch Art. 1 des Gesetzes vom 4. Dezember 2018 (BGBl I S. 2250) geändert worden ist (AsylG), anzuwenden. Dieses Gesetz setzt in §§ 3 bis 3e AsylG - wie die Vorgängerregelungen in §§ 3 ff. AsylVfG - die Vorschriften der Art. 6 bis 10 der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Amtsblatt Nr. L 337, S. 9) - Qualifikationsrichtlinie (QRL) im deutschen Recht um. Nach § 3a Abs. 1 AsylG gelten als Verfolgung i.S.d. § 3 Abs. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 - EMRK (BGBl 1952 II, S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Nach § 3c AsylG kann eine solche Verfolgung nicht nur vom Staat, sondern auch von nicht-staatlichen Akteuren ausgehen.
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Vorliegend hat der Kläger nicht glaubhaft und überzeugend darlegen können, dass er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung außerhalb seines Herkunftslandes aufhält. Er hat bereits nicht zur Überzeugung des Gerichts eine Vorverfolgung nachvollziehbar dargelegt. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung bezüglich seiner Fluchtgründe ausgeführt, dass in seinem Heimatort die Taliban herrschen würden. Sie würden zu den Wohnungen kommen und die jungen Leute mitnehmen. Er sei persönlich nicht von den Taliban angesprochen worden, aber ein Nachbarsjunge sei mitgenommen worden. Die Familie habe dann beschlossen, dass er weg müsse. Er habe in Afghanistan zudem gesehen, wie die Taliban auf seine Tante mütterlicherseits geschossen hätten. Der Vortrag des Klägers war nicht glaubwürdig. Die Ausführungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung waren sehr vage, oberflächlich und nicht detailreich. Zudem führte der Kläger wesentliche Teile seines Vorbringens bei der Anhörung des Bundesamtes in der mündlichen Verhandlung nicht aus. Dort gab der Kläger an, dass er in die Moschee gegangen sei und der dortige Mullah dazu aufgerufen habe, die Jihadisten zu unterstützen. Sein Onkel habe daraufhin Angst gehabt, dass er sich von dem Mullah beeinflussen lassen könnte. Daher habe der Onkel mit dem Vater des Klägers gesprochen und beschlossen, dass er das Land verlassen solle. In der mündlichen Verhandlung erwähnte der Kläger hingegen das Verhalten des Mullahs in der Moschee nicht. Selbst wenn man jedoch den Vortrag des Klägers in der mündlichen Verhandlung als wahr unterstellen würde, ergebe sich hieraus keine Vorverfolgung des Klägers. Der Kläger gab in der mündlichen Verhandlung selbst an, dass er von den Taliban bisher nicht persönlich angesprochen worden sei. Seine Furcht von den Taliban mitgenommen zu werden, gründet daher scheinbar lediglich darauf, dass auch bereits ein Nachbarsjunge von diesen mitgenommen worden sein soll. Der Kläger selbst kam bisher jedoch noch nicht mit den Taliban in dieser Weise in Kontakt. Auch der Umstand, dass der Kläger im Jahr 2014 Opfer eines Bombenanschlags der Taliban geworden ist, rechtfertigt keine andere Annahme. Insofern gab der Kläger selbst an, dass der Anschlag einem Kommandeur gegolten habe und nicht ihm selbst. Insofern handelte es sich bei dem Bombenanschlag nicht um eine individuelle Bedrohung des Klägers. Der Kläger ist daher nicht bereits vorverfolgt ausgereist.
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Auch ist nicht zu erwarten, dass der Kläger aufgrund seiner Tätowierungen in Afghanistan verfolgt werden würde. Tätowierungen können zwar einen Anlass für Übergriffe durch Aufständische oder auch die Bevölkerung, insbesondere in ländlichen Gegenden bieten. Tattoos können zwar als unislamisch betrachtet werden und zu Repressalien führen, weshalb diese verborgen würden (VG Lüneburg, U.v. 13.6.2017 - 3 A 136/16 -, Rn. 35, juris). Die Tätowierungen des Klägers knüpfen jedoch nicht an flüchtlingsrelevante Merkmale im Sinne des § 3 AsylG an. Tätowierungen sind zwar Ausdruck einer modernen Lebensweise, beziehen sich aber nicht auf eine bestimmte soziale Gruppe (VG Regensburg, U. v. 6.3.2014 - RN 8 K 13.30533 - Juris). Die Tätowierungen des Klägers sind insbesondere nicht religiös motiviert. Eine generelle Bedrohungssituation aufgrund von Tätowierungen aus modischen Gründen ist in Afghanistan nicht gegeben (BayVGH, B.v. 11.6.2013 - 13a ZB 13.30144 - juris; VG Regensburg, U. v. 6.3.2014 - RN 8 K 13.30533 - juris). Zudem kann zumindest die Tätowierung auf dem Unterarm des Klägers durch entsprechende Kleidung verdeckt werden.
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2. Unabhängig von diesen Ausführungen droht dem Kläger im Herkunftsland Afghanistan jedenfalls keine landesweite Verfolgung. Für den Fall, dass ihm in seiner Heimatdorf Khan Abad in der Provinz Kunduz, in welchem er aufgewachsen ist, tatsächlich Verfolgung droht, gegen die ihm wegen der politischen Mehrheitsverhältnisse in diesem Landesteil kein wirksamer staatlicher Schutz i.S.v. § 3d AsylG gewährt wird, steht ihm im Herkunftsland eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative (interner Schutz) i.S.d. § 3e AsylG zur Verfügung.
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Nach § 3e Abs. 1 AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zum Schutz vor solcher Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftiger Weise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Beim internen Schutz sind nach § 3e Abs. 2 Satz 1 AsylG die im sicheren Teil des Herkunftslandes vorhandenen allgemeinen Gegebenheiten sowie die persönlichen Umstände des Antragstellers gemäß Art. 4 QRL zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts zu berücksichtigen. Dieser Zumutbarkeitsmaßstab geht über das Fehlen einer im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 2 AufenthG beachtlichen existenziellen Notlage hinaus (BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - juris Rn. 20) und erfordert eine Einzelfallprüfung (ständige Rechtsprechung, z.B. BayVGH, B.v. 23.9.2013 - 13a ZB 13.30252 - juris Rn. 4; B.v. 11.12.2013 - 13a ZB 13.30185 - juris Rn. 5). Dabei sind die individuellen Besonderheiten wie Sprache, Bildung, persönliche Fähigkeiten, vorangegangene Aufenthalte in dem in Betracht kommenden Landesteil, örtliche und familiäre Bindungen, Geschlecht, Alter, ziviler Status, Lebenserfahrung, soziale Einrichtungen, gesundheitliche Versorgung und verfügbares Vermögen zu berücksichtigen (vgl. Marx, AsylVfG, 8. Aufl. 2014, § 3e Rn. 24 ff., insbesondere 31, 32).
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Das Gericht geht - auch unter Berücksichtigung des Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie - davon aus, dass der Kläger in Mazar-e Sharif und Herat internen Schutz erlangen kann und dort keine Verfolgungsgefahr zu befürchten hat. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass der Kläger andernorts, insbesondere in den genannten Großstädten, ausfindig gemachen werden könnte, zumal in Afghanistan kein funktionierendes Meldewesen existiert. Bei dem Kläger handelt es sich nämlich in keiner Weise um ein hochrangiges Verfolgungsziel, das allein ein aktuell noch fortbestehendes Interesse der Taliban oder anderer Gruppen an dessen Ergreifung auch in Mazar-e Sharif oder Herat nahelegen könnte. So hat sich der Kläger weder zu irgendeinem Zeitpunkt aktiv gegen die Taliban engagiert noch weist er besondere Kenntnisse oder Fähigkeiten auf, die ein besonderes Augenmerk der Taliban auf den Kläger nahelegen könnten. Darüber hinaus würde der Kläger seinen Aufenthaltsort über Provinzgrenzen hinweg in Großstädte wechseln, was seine Sicherheit nochmals signifikant erhöhen würde.
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Der Kläger könnte darüber hinaus über die dortigen Flughäfen sicher und legal nach Mazar-e Sharif und Herat reisen. Schließlich kann von ihm vernünftigerweise erwartet werden, dass er sich dort niederlässt. Erforderlich ist hierfür, dass am Ort des internen Schutzes die entsprechende Person durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem angemessenen Lebensunterhalt Erforderliche erlangen kann. Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise in der Landwirtschaft oder im Bausektor ausgeübt werden können. Nicht zumutbar ist hingegen jedenfalls die entgeltliche Erwerbstätigkeit für eine kriminelle Organisation, die in der fortgesetzten Begehung von oder Teilnahme an Verbrechen besteht. Der Zumutbarkeitsmaßstab geht im Rahmen des internen Schutzes über das Fehlen einer im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beachtlichen existenziellen Notlage hinaus (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - juris; OVG Nordrhein-Westfalen, B.v. 6.6.2016 - 13 A 18182/15.A - juris).
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Die diesbezügliche aktuelle Lage in Afghanistan stellt sich wie folgt dar:
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Das Auswärtige Amt führt in seinem Lagebericht vom 31. Mai 2018 aus, dass Afghanistan trotz der Verbesserung der Lebensbedingungen für viele Afghanen in den letzten 15 Jahren weiterhin eines der ärmsten Länder der Welt sei und trotz Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, erheblicher Anstrengungen der Regierung und kontinuierlicher Fortschritte im Jahr 2016 lediglich Rang 169 von 188 im Human Development Index belegt habe. Die wirtschaftliche Entwicklung bleibe geprägt von den Nachwirkungen des Abzugs bis 2014 in größerer Zahl präsenter internationaler Truppen, die schwierige Sicherheitslage sowie schwacher Investitionstätigkeit. Zugleich gebe es erhebliche Bemühungen internationaler Partner zur Wirtschaftsbelebung. In 2017 habe das Wirtschaftswachstum 2,6% betragen. Ein selbsttragendes Wirtschaftswachstum scheine kurzfristig nicht in Sicht. Rund 39% der Bevölkerung lebe unterhalb der Armutsgrenze. Die Grundversorgung sei für große Teile der Bevölkerung eine tägliche Herausforderung, was für Rückkehrer naturgemäß verstärkt gelte. Dabei bestehe ein eklatantes Gefälle zwischen urbanen Zentren wie z.B. Kabul und ländlichen Gebieten Afghanistans. Das rapide Bevölkerungswachstum von rund 2,4% im Jahr (d.h. Verdopplung der Bevölkerung innerhalb einer Generation) sowie die große Zahl der Binnenvertriebenen und Rückkehrer aus den Nachbarländern stelle eine weitere Herausforderung für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung des Landes dar. Die Schaffung von Arbeitsplätzen bleibe eine zentrale Herausforderung. Nach Angaben der Weltbank sei die Arbeitslosenquote zwischen 2008 und 2014 von 25% auf 39% gestiegen. Die internationale Gemeinschaft unterstütze die afghanische Regierung maßgeblich in ihren Bemühungen, die Lebensbedingungen der Menschen in Afghanistan zu verbessern. Aufgrund kultureller Bedingungen seien die Aufnahme und die Chancen außerhalb des eigenen Familien- bzw. Stammesverbandes vor allem in größeren Städten realistisch (vgl. diesbezüglich: Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 19.10.2016, S. 22). Die Ausweichmöglichkeiten würden maßgeblich vom Grad der sozialen Verwurzelung, der Ethnie und der finanziellen Lage abhängen. Die sozialen Netzwerke vor Ort und deren Auffangmöglichkeiten spielten eine zentrale Rolle für den Aufbau einer Existenz (so auch BFA Österreich, Fact Finding Mission Report Afghanistan, April 2018). Die afghanische Regierung habe 2017 mit der Umsetzung eines Aktionsplans für Flüchtlinge und Binnenflüchtlinge begonnen. IOM biete Unterstützung bei der Ankunft in Kabul mit bis zu zweiwöchiger Unterkunft und Begleitung der Reintegration einschließlich Unterstützung bei der Suche nach einer Beschäftigung oder Gewährung eines Anstoßkredits. Auch die Bundesrepublik Deutschland fördere Reintegrationsprojekte.
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Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (Afghanistan: Gefährdungsprofile vom 12.9.2018, S. 14 ff.) führt aus, dass die Armutsrate in Afghanistan weiter angestiegen sei und inzwischen 54,5% betrage; 8,7 Millionen Menschen lebten in chronischer Not. Die Lebensmittelunsicherheit sei von 30% auf 45% (2016/17) angestiegen, 1,9 Millionen Menschen lebten in gravierender Lebensmittelunsicherheit. Sämtliche Provinzen seien betroffen, insbesondere umkämpfte Gebiete sowie Städte. 76% der afghanischen Bevölkerung lebten in ländlichen Gebieten und seien von der wenig produktiven Landwirtschaft abhängig. 2018 habe eine Dürre im ganzen Land zu einer Verschärfung der Situation beigetragen. Rund 24% aller potentiell Erwerbstätigen seien arbeitslos; zudem herrschten Unterbeschäftigung, Jobunsicherheit und schlechte Arbeitsbedingungen. Auch liege die Armutsrate der Erwerbstätigen in Vollzeit kaum tiefer als die der Arbeitslosen. Unterkunftsmöglichkeiten seien äußerst dünn gesät und die Mietpreise insbesondere in Kabul nach einem zwischenzeitlichen Rückgang wieder stark angestiegen. 72% der städtischen Bewohner lebten in Slums oder nicht adäquaten Unterkünften. 68% der afghanischen Bevölkerung hätten keinen Zugang zu adäquaten Sanitärinstallationen und fast 45% keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. 10 Millionen Afghanen hätten einen nur eingeschränkten oder gar keinen Zugang zur gesundheitlichen Grundversorgung. Zudem fehle es im Gesundheitssystem an Infrastruktur und qualifiziertem Personal. Die interne Vertreibung sowie Rückkehrerströme und die Arbeitsmigration verschärften die ohnehin schwierige Lage im Land. Im Jahr 2017 seien rund 550.000 Menschen aus Pakistan und dem Iran nach Afghanistan zurückgekehrt und der Druck zur Rückkehr durch die Gastländer bleibe auch aktuell bestehen. Die Rückkehrer ließen sich hauptsächlich in Städten nieder, was einen zusätzlichen Wettbewerb um die ohnehin wenigen Jobmöglichkeiten schaffe und zu sinkenden Löhnen führe. Die Rückkehrer seien häufig gezwungen, in informellen Siedlungen mit nur behelfsmäßigen Bauten zu leben, die meist nur einen schlechten oder keinen Zugang zu Elektrizität, Trinkwasser, Nahrungsmitteln, Gesundheitseinrichtungen etc. hätten. Daher seien 84% dieses Personenkreises von Lebensmittelknappheit betroffen. Ob es Rückkehrende schafften, sich wieder zu integrieren, hänge nicht zuletzt von den verschiedenen Netzwerken ab, über die sie verfügten. Wenn diese Personen nicht in ihre Heimatregion zurückkehren könnten, würden sie oft zu intern Vertriebenen, deren Zahl sich in weniger als fünf Jahren bis Ende 2016 auf 1,5 Millionen verdreifacht habe und deren Lebenssituation sich ähnlich wie die der anderweitigen Rückkehrer darstelle. Der rasante Anstieg der Bevölkerung speziell in Kabul habe rasch zu einer Überforderung der dortigen Infrastruktur sowie der Kapazitäten für Grunddienstleistungen geführt. Etwa 70% der Bevölkerung Kabuls lebten in informellen Siedlungen, auch die Armut sei angestiegen. Auch andere Städte wie Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar wirkten wie Magnete für vertriebene Menschen, weshalb sich die humanitäre Lage auch dort zuspitze. Afghanistan kämpfe damit, die enormen und noch steigenden Rückkehrströme zu absorbieren. Die Aufnahmekapazität insbesondere in den größeren Städten sei bereits stark in Anspruch genommen und äußerst eingeschränkt.
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Trotz dieser geschilderten schwierigen Bedingungen ist von dem Kläger vernünftigerweise zu erwarten, dass er sich in Mazar-e Sharif oder Herat niederlässt. Aufgrund seiner in Europa erworbenen Erfahrungen befindet er sich in einer vergleichsweise guten Position. Mit diesen Erfahrungen und Kenntnissen ist davon auszugehen, dass der Kläger auch ohne nennenswertes Vermögen und ohne familiären Rückhalt im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan in der Lage wäre, zumindest durch Gelegenheitsarbeiten wenigstens ein kleines ausreichendes Einkommen zu erzielen. Das entspricht auch der Auffassung des UNHCR, wonach bei alleinstehenden leistungsfähigen Männern - wie dem 20-jährigen Kläger - in urbanen und semiurbanen Gebieten eine Ausnahme vom Erfordernis der externen Unterstützung in Betracht kommt (vgl. UNHCR-Richtlinien vom 30.8.2018, S. 110; so auch: EASO, Country Guidance: Afghanistan, Juni 2018, S. 106 f.), wobei der UNHCR - unter Zugrundelegung seiner eigenen Maßstäbe - eine interne Schutzmöglichkeit speziell in Kabul nicht für gegeben erachtet (a.a.O., S. 114). Der UNHCR weist in seinen Richtlinien darauf hin, dass die Sicherheitslage in Afghanistan volatil bleibe. Es sei eine kontinuierliche Verschlechterung der Sicherheitssituation und eine Intensivierung des bewaffneten Konflikts in den Jahren nach dem Rückzug der internationalen Truppen in 2014 zu verzeichnen gewesen. Die Taliban setzten ihre Offensive zur Erreichung der Kontrolle über eine größere Zahl von Distrikten fort, während sich die Regierung auf die Verteidigung der Bevölkerungszentren und strategischen ländlichen Gebiete beschränke. Die zivilen Opferzahlen lägen trotz der Tatsache, dass die Zahl der zivilen Opfer in Afghanistan im Jahre 2017 gegenüber dem Vorjahr um 9% gesunken sei, auf einem hohen Niveau. Die Zahl der konfliktbedingt intern Vertriebenen habe am Ende des Jahres 2017 bei geschätzt über 1,8 Millionen gelegen, 2017 sei hierbei ein Rückgang gegenüber dem Vorjahr bei den neu Vertriebenen zu verzeichnen gewesen. Zusätzlich seien im Jahr 2016 über 1 Million Afghanen aus den Nachbarländern Iran und Pakistan zurückgekehrt und weitere 620.000 im Jahre 2017. Die wirtschaftliche Situation habe sich seit 2013/2014 aufgrund der Unsicherheit und dem hohen Bevölkerungswachstum verschlechtert. Zwar habe sich das Wirtschaftswachstum in 2017 gegenüber dem Vorjahr leicht erhöht, allerdings leide der Landwirtschaftssektor unter einer schweren anhaltenden Trockenzeit, vor allem in den nördlichen und westlichen Regionen des Landes. Der Anteil der Bevölkerung, der unterhalb der nationalen Armutsgrenze leben müsse, habe sich von 38,3% in 2011/2012 auf 55% in 2016/2017 erhöht. Die Arbeitslosenrate habe sich von 22 auf 24% erhöht. 3,3 Millionen Afghanen würden 2018 einen akuten humanitären Bedarf aufweisen, 1,9 Millionen müssten mit ernsthafter Nahrungsunsicherheit leben. 4,5 Millionen Menschen hätten keinen Zugang zu primären essenziellen Gesundheitsdienstleistungen. Afghanistan bleibe eines der ärmsten Länder der Welt und liege daher auf Rang 169 von 188 Ländern im Human Development Index. In den größeren Städten sei zudem zu berücksichtigen, dass sich dort eine sehr hohe Zahl von Rückkehrern und intern Vertriebenen ansiedle, was zu einer extremen Belastung der ohnehin bereits überstrapazierten Aufnahmekapazitäten geführt habe. Dies gelte insbesondere für die Stadt Kabul, wo zusätzlich die Gefahr von Anschlägen mit hohen Opferzahlen zu berücksichtigen sei. Dort übersteige das Bevölkerungswachstum die Kapazitäten der erforderlichen Infrastruktur, Hilfs und Arbeitsmöglichkeiten, so dass geschätzte 70% der Bevölkerung in informellen Siedlungen leben müssten. Trotz dieser Einschätzung, für die der UNHCR seine eigenen Maßstäbe zugrunde legt, hält dieser daran fest, dass bei alleinstehenden leistungsfähigen Männern eine Ausnahme vom Erfordernis der externen Unterstützung in Betracht kommt, wovon das Gericht bei dem hiesigen Kläger ausgeht.
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Auch durch die tatsächlichen Feststellungen von EASO (vgl. Afghanistan - Key socio-economic indicators - Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif an Herat City vom April 2019) wird vorstehende Einschätzung gestützt.
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Individuell ist bei dem Kläger positiv zu berücksichtigten, dass er bereits in Afghanistan die Schule bis zur achten Klasse besucht hat sowie in Deutschland weitere anderthalb Jahre zur Schule gegangen ist. Zudem hat der Kläger in Deutschland bereits zwei Jahre in der Gastronomie eines Hotels gearbeitet und somit Berufserfahrung sammeln können. Der Kläger verfügt damit über einen hohen Bildungsstand, mit dem er gegenüber den vielen Analphabeten und gering qualifizierten jungen Männern in Afghanistan deutlich überlegen und auch in der Lage ist, ein breiteres Spektrum an Tätigkeiten auszuüben. Zudem hat er bis zur Ausreise nach Deutschland sein gesamtes Leben in Afghanistan verbracht und somit die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse seines Heimatlandes in ausreichender Weise kennengelernt, um sich auch nach einer Rückkehr dort zurecht zu finden.
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Unabhängig von vorstehenden Ausführungen ist das Gericht davon überzeugt, dass der Kläger unter Berücksichtigung seiner o.g. individuellen Fähigkeiten und Erfahrungen in den Großstädten Mazar-e Sharif und Herat, die ein Sammelbecken für Menschen verschiedenster Herkunft aus Afghanistan sind, in der Lage sein wird, anknüpfend an ethnische, religiöse, lokale bzw. Stammes- und Clan-Verbindungen an diesbezüglich bestehende Netzwerke anzuknüpfen bzw. solche für sich weiter aufzubauen, um seine individuelle Lage in Afghanistan nach seiner Rückkehr zu verbessern. Auf derartigen Netzwerken beruht im Kern das Zusammenleben in Afghanistan. Afghanen sind in der Regel gut darin, sich in derartige Netzwerke einzufinden bzw. diese weiterzuentwickeln und es ist nichts dafür ersichtlich, dass dies bei dem Kläger anders wäre (vgl. insoweit EASO, Country of Origin Information Report, Afghanistan Networks, Januar 2018, S. 10 f.).
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Nach obergerichtlicher Rechtsprechung (vgl. etwa BayVGH, B.v. 11.1.2019 - 13a ZB 17.31521; U.v. 8.11.2018 - 13a B 17.31960; B.v. 12.4.2018 - 13a ZB 18.30135 - juris; B.v. 4.1.2017 - 13a ZB 16.30600 - juris; VGH Baden-Württemberg, U.v. 11.4.2018 - A 11 S 924/17 - juris; U.v. 17.1.2018 - A 11 S 241/17 - juris; U.v. 5.12.2017 - A 11 S 1144/17 - juris), der sich das Gericht anschließt, scheitert eine Rückkehr nach Afghanistan grundsätzlich nicht an einem langjährigen Aufenthalt in Europa oder Drittländern. Aufgrund seiner in Europa erworbenen Erfahrungen befindet sich der Kläger vielmehr in einer vergleichsweise guten Position. Maßgeblich ist vielmehr, dass der Betroffene den größten Teil seines Lebens in einer islamisch geprägten Umgebung verbracht hat und eine der beiden Landessprachen spricht. Dies ist vorliegend der Fall.
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Darüber hinaus kann der Kläger seine finanzielle Situation zusätzlich auch dadurch verbessern, dass er Start- und Reintegrationshilfen in Anspruch nimmt. So können afghanische ausreisewillige Personen Leistungen aus dem REAG-Programm sowie aus dem GARP-Programm erhalten, die Reisebeihilfen im Wert von 200,00 EUR und eine Starthilfe im Umfang von 1.000,00 EUR beinhalten; eine zweite Starthilfe in Höhe von 1.000,00 EUR wird sechs bis acht Monate nach der Rückkehr im Heimatland persönlich ausgezahlt. Darüber hinaus besteht das Reintegrationsprogramm ERRIN. Die Hilfen aus diesem Programm umfassen Beratung nach der Ankunft, berufliche Qualifizierungsmaßnahmen, Hilfe bei der Arbeitsplatzsuche, Unterstützung bei einer Existenzgründung, Grundausstattung für die Wohnung sowie die Beratung und Begleitung zu behördlichen, medizinischen und caritativen Einrichtungen. Die Unterstützung wird als Sachleistung gewährt. Der Leistungsrahmen für rückgeführte Einzelpersonen beträgt dabei bis zu 2.000,00 EUR (http://files.returningfromgermany.de/files/REAGGARP%20Infoblatt_2019%20mit%20Reintegration.pdf; https://www.returningfromgermany.de/de/programmes/erin). Aus dem Bayerischen Rückkehrprogramm können zusätzlich eine Reintegrationshilfe in Höhe von 500,00 EUR sowie ein Wohnkostenzuschuss für maximal zwölf Monate in Anspruch genommen werden. Der Kläger könnte sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die genannten Start- und Reintegrationshilfen ganz oder teilweise nur für freiwillige Rückkehrer gewährt werden, also teilweise nicht bei einer zwangsweisen Rückführung. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann ein Asylbewerber, der durch eigenes zumutbares Verhalten - wie insbesondere durch freiwillige Rückkehr - im Zielstaat drohende Gefahren abwenden kann, nicht vom Bundesamt die Feststellung eines Abschiebungsverbots verlangen (vgl. BVerwG, U.v. 15.4.1997 - 9 C 38.96 - juris; VGH BW, U.v. 26.2.2014 - A 11 S 2519/12 - juris). Dementsprechend ist es dem Kläger möglich und zumutbar, gerade zur Überbrückung der ersten Zeit nach einer Rückkehr nach Afghanistan freiwillig Zurückkehrenden gewährte Reisehilfen sowie Reintegrationsleistungen in Anspruch zu nehmen.
29
Vor diesem Hintergrund folgt das Gericht auch nicht der Einschätzung von Frau Friederike Stahlmann und Amnesty International, wonach die Annahme, dass alleinstehende junge Männer und kinderlose Paare ihr Überleben aus eigener Kraft sichern könnten, durch die derzeitige humanitäre Lage inzwischen grundlegend infrage gestellt bzw. überholt sei (vgl. Friederike Stahlmann, Gutachten zu Afghanistan an das VG Wiesbaden vom 28.3.2018, Überleben in Afghanistan, Asylmagazin 3/2017, S. 73 ff.; Amnesty International, Auskunft an das VG Leipzig vom 8.1.2018 und an das VG Wiesbaden vom 5.2.2018). Denn Erfahrungsberichte oder Schilderungen dahingehend, dass gerade auch leistungsfähige erwachsene männliche Rückkehrer ohne Unterhaltsverpflichtungen in großer Zahl oder sogar typischerweise von Obdachlosigkeit, Hunger und Krankheit betroffen oder infolge solcher Umstände gar verstorben wären, liegen nicht vor. Zwar lassen sich auch schwerwiegende Nachteile bei Unterkunfts- und Arbeitssuche in Afghanistan durchaus nicht ausschließen, eine tatsächliche Gefahr, dass sie eintreten werden, besteht indes nicht (vgl. BayVGH, B.v. 12.4.2018 - 13a ZB 18.30135 - juris; VGH Baden-Württemberg, U.v. 11.4.2018 - A 11 S 924/17 - juris). Nach Überzeugung des Gerichts bieten die vorliegend geschilderten persönlichen Verhältnisse und Ressourcen ausreichende und realistische Möglichkeiten dafür, zumindest für den hiesigen Kläger ein Leben in Afghanistan zumutbar erscheinen zu lassen.
30
Nach alledem kann der Kläger in Mazar-e Sharif oder Herat internen Schutz in Anspruch nehmen, sodass die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG ausscheidet.
II.
31
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes gem. § 4 AsylG.
32
1. Dem Kläger droht nach Überzeugung des Gerichts weder die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG noch droht ihm ein ernsthafter Schaden durch unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG. Der Begriff der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG ist im Gesetz nicht näher definiert. Da die zuletzt genannte Vorschrift der Umsetzung der QRL dient, ist dieser Begriff jedoch in Übereinstimmung mit dem entsprechenden Begriff in Art. 15b QRL auszulegen. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) legt Art. 15b QRL wiederum in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 3 EMRK aus (z.B. EuGH, U.v. 17.2.2009 - Elgafaji, C-465/07 - juris Rn. 28; ebenso BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C 15/12 - juris Rn. 22 ff. m.w.N.). Danach ist eine unmenschliche Behandlung die absichtliche, d.h. vorsätzliche Zufügung schwerer körperlicher oder seelischer Leiden (EGMR, U.v. 21.1.2011 - 30696/09 - ZAR 2011, 395, Rn. 220 m.w.N.; Jarass, Charta der Grundrechte, Art. 4 Rn. 9; Hailbronner, Ausländerrecht, § 4 AsylVfG Rn. 22 ff.), die im Hinblick auf Intensität und Dauer eine hinreichende Schwere aufweisen (EGMR, U.v. 11.7.2006 - Jalloh, 54810/00 - NJW 2006, 3117/3119 Rn. 67; Jarass a.a.O.; Hailbronner a.a.O.). Es muss zumindest eine erniedrigende Behandlung in der Form einer einen bestimmten Schweregrad erreichenden Demütigung oder Herabsetzung vorliegen. Diese ist dann gegeben, wenn bei dem Opfer Gefühle von Furcht, Todesangst und Minderwertigkeit verursacht werden, die geeignet sind, diese Person zu erniedrigen oder zu entwürdigen und möglicherweise ihren psychischen oder moralischen Widerstand zu brechen (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, § 4 AsylVfG Rn. 22 ff.). Eine Bestrafung oder Behandlung ist nur dann als unmenschlich oder erniedrigend anzusehen, wenn die mit ihr verbundenen Leiden oder Erniedrigungen über das in der Bestrafungsmethode enthaltene, unausweichliche Leidens- oder Erniedrigungselement hinausgehen, wie z.B. bei bestimmten Strafarten wie Prügelstrafe oder besonders harten Haftbedingungen (Hailbronner, a.a.O., Rn. 24, 25).
33
2. Dem Kläger droht nach Überzeugung des Gericht auch keine individuelle und konkrete Gefahr eines ernsthaften Schadens im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG aufgrund der Sicherheitslage in seiner Herkunftsregion, der Provinz Kunduz, sowie in Herat und Mazar-e Sharif. Denn in Afghanistan wurden im Jahre 2018 insgesamt 10.993 Zivilpersonen getötet (3.804) oder verletzt (7.189). Dies entspricht einem Anstieg gegenüber dem Vorjahr um 5%, jedoch gleichzeitig einem Rückgang gegenüber 2016 um 4% (vgl. zum Ganzen UNAMA, Annual Report 2018 Afghanistan, Februar 2019). Ausgehend von einer konservativ geschätzten Einwohnerzahl Afghanistans von 27 Millionen (vielfach wird eine höhere Bevölkerungszahl angenommen, vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 31.5.2018, S. 18 f.) lag das konfliktbedingte Schädigungsrisiko landesweit bei 1:2.456. Selbst wenn man die Provinz Nangarhar zu Grunde legt, für die UNAMA das höchste Schädigungsrisiko für Zivilpersonen ausweist (1815 zivile Opfer; 681 Tote und 1134 Verletzte) ergibt sich bei einer geschätzten Bevölkerungszahl der Provinz von 1.573.973 Menschen (vgl. BFA, Länderinformationsblatt Afghanistan, Gesamtaktualisierung vom 29.6.2018, S. 150) ein Schädigungsrisiko von 1:867. Damit lag die Gefahrendichte im Jahr 2018 landesweit erheblich und in der Provinz mit dem höchsten Schädigungsrisiko immer noch merklich unter 0,12% oder 1:800. Selbst dieses Risiko wäre weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt, dass praktisch jede Zivilperson schon allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betreffenden Gebiet einer ernsthaften Bedrohung für Leib und Leben infolge militärischer Gewalt ausgesetzt wäre (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris; BayVGH, U.v. 8.11.2018 - 13a B 17.31960 - juris). Diese Einschätzung gilt insbesondere auch für die Herkunftsregion des Klägers, die Provinz Kunduz, sowie die Städte Herat (Provinz Herat) und Mazar-e Sharif (Provinz Balkh) als Orten des internen Schutzes entsprechend obiger Ausführungen. Denn in der Provinz Kunduz wurden im Jahr 2018 337 Zivilpersonen getötet oder verletzt (bei 1.010.000 Einwohnern), in der Provinz Herat 259 (bei 1.890.200 Einwohnern) sowie in der Provinz Balkh 227 Zivilpersonen (bei 1.325.700 Einwohnern) (vgl. UNAMA, Annual Report 2018 Afghanistan, Februar 2019, S. 68; Einwohnerzahlen jeweils aus: https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Provinzen_Afghanistans). Auch nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes (vgl. Lagebericht vom 31.5.2018) hat sich die Bedrohungslage für Zivilisten in jüngster Zeit nicht wesentlich verändert. Das Risiko, als Angehöriger der Zivilbevölkerung verletzt oder getötet zu werden, liegt immer noch im Promillebereich. Gefahrerhöhende Umstände in der Person des Klägers sind darüber hinaus nicht erkennbar. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.
34
Eine andere Einschätzung ergibt sich auch nicht aus den Abhandlungen von Frau Friederike Stahlmann (vgl.: Zur aktuellen Bedrohungslage der afghanischen Zivilbevölkerung im innerstaatlichen Konflikt, in: ZAR 5-6/2017, S. 189 ff.; Gutachten zu Afghanistan an das VG Wiesbaden vom 28.3.2018). Soweit diese darauf hinweist, dass in den UNAMA-Berichten eine Untererfassung der zivilen Opfer zu besorgen sei (vgl. in diesem Zusammenhang auch Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 31.5.2018, S. 18: Dunkelziffer in für die Berichterstattung wenig zugänglichen Gebieten), so ist darauf hinzuweisen, dass anderes geeignetes Zahlenmaterial nicht zur Verfügung steht und zum anderen auf die von Frau Stahlmann alternativ genannte Zahl der kriegsbedingt Binnenvertriebenen angesichts der klaren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (a.a.O.) nicht abgestellt werden kann. Insoweit weist Frau Stahlmann eingangs ihrer Abhandlung auch selbst darauf hin, dass ihre Diskussion nicht den Anspruch habe, die Kriterien einer juristischen Prüfung zu erfüllen (vgl. Fußnote 1). Aber selbst unter Einrechnung eines gewissen „Sicherheitszuschlages“ wird die kritische Gefahrendichte noch nicht erreicht. Soweit Frau Stahlmann in ihrem Gutachten vom 28. März 2018 (vgl. S. 9) ausführt, es bestehe allein aufgrund der Anwesenheit in Afghanistan im gesamten Staatsgebiet die Gefahr, einen ernsthaften Schaden hinsichtlich des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit zu erleiden, so handelt es sich hierbei um eine allein dem erkennenden Gericht vorbehaltene rechtliche Würdigung, der auch keine Indizwirkung zukommen kann. Die von ihr darüber hinaus geschilderten Tatsachen betreffen weit überwiegend Umstände, die allein bei der qualitativen Gesamtbetrachtung zu würdigen sind, die sich hier jedoch aufgrund der - gemessen an der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts - verhältnismäßig niedrigen Opferzahlen unter keinen Umständen auswirken können (vgl. VGH Baden-Württemberg, U.v. 11.4.2018 - A 11 S 924/17 - juris).
35
Die Gefahr eines diesbezüglichen ernsthaften Schadens ist bereits nicht glaubhaft dargelegt worden, jedenfalls besteht jedoch eine interne Schutzmöglichkeit in Mazar-e Sharif oder Herat. Diesbezüglich kann vollumfänglich auf die obigen Ausführungen zu § 3 AsylG verwiesen werden.
36
Auch besteht für den Kläger keine Gefahr eines ernsthaften Schadens aufgrund seiner Tätowierung. Insofern wird vollumfänglich auf die Ausführungen unter I.1. verwiesen.
III.
37
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
38
1. Ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG kommt nicht in Betracht, da dem Kläger keine gegen Art. 3 EMRK oder ein anderes Grundrecht nach der EMRK verstoßende Behandlung droht. Auch in diesem Zusammenhang wird auf die obigen Ausführungen zu den §§ 3, 4 AsylG vollinhaltlich verwiesen. Die allgemeine Versorgungslage in Afghanistan stellt darüber hinaus ebenfalls keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK dar. Zwar können schlechte humanitäre Bedingungen im Abschiebezielstaat in besonderen Ausnahmefällen in Bezug auf Art. 3 EMRK ein Abschiebungsverbot begründen. In Afghanistan ist die Lage für alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige jedoch nicht so ernst, dass eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde (BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - NVwZ 2013, 1167; BayVGH, U.v. 12.2.2015 - 13a B 14.30309 - juris; BayVGH, B.v. 4.1.2018 - 13a ZB 17.31652 - juris; VGH Baden-Württemberg, U.v. 5.12.2017 - A 11 S 1144/17 - juris). Es ist hierbei in Bezug auf den Gefährdungsgrad das Vorliegen eines sehr hohen Niveaus erforderlich, denn nur dann liegt ein außergewöhnlicher Fall vor, in dem die humanitären Gründe gegen eine Ausweisung „zwingend“ sind. Wenn das Bundesverwaltungsgericht (a.a.O.) die allgemeine Lage in Afghanistan nicht als so ernsthaft einstuft, dass ohne weiteres eine Verletzung des Art. 3 EMRK angenommen werden kann, weist dies ebenfalls auf die Notwendigkeit einer besonderen Ausnahmesituation hin (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2014 - 13a B 14.30285 - juris). Eine solche ist bei dem Kläger vorliegend nicht gegeben; besondere Umstände, die hier eine andere Beurteilung gebieten würden, sind nicht ersichtlich. Über die Ausführungen unter I. 2. hinaus ist zu berücksichtigen, dass der Kläger - auch nach eigenen Angaben - zumindest noch über familiäre Anknüpfungspunkte in Afghanistan verfügt. So leben in Afghanistan noch seine Mutter sowie seine Schwestern.
39
Die vorstehende Einschätzung, dass der Kläger sich vorliegend nicht in einer ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG rechtfertigenden Ausnahmesituation befindet, stehen insbesondere auch keine erheblichen Erkrankungen entgegen. Eine Einschränkung der Erwerbsfähigkeit ergibt sich aus den vorgelegten Attesten nicht. Die Atteste sind schon nicht geeignet die befundeten Diagnosen zu begründen, insofern wird auf die Ausführungen unter III.2. verwiesen. Eine etwaige Erwerbsunfähigkeit wird in keinem der Atteste angesprochen. Zudem arbeitet der Kläger in Deutschland bereits seit zwei Jahren in der Gastronomie eines Hotels. Zwar gab der Kläger an, dass ihn seine Erkrankung dahingehend einschränke, dass er manchmal die Kontrolle über sich verliere. Allerdings scheint dies keinen so gravierenden Umfang anzunehmen, als dass er in der Ausübung seiner Tätigkeit gestört wird. Insoweit arbeitet der Kläger bereits seit zwei Jahren in der Gastronomie.
40
2. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt ebenfalls nicht vor. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG sind die Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde anordnen, dass die Abschiebung für längstens sechs Monate ausgesetzt wird. Eine Abschiebestopp-Anordnung besteht jedoch für die Personengruppe, der der Kläger angehört, nicht.
41
Dem Kläger droht auch aufgrund der unzureichenden Versorgungslage in Afghanistan keine extreme Gefahr infolge einer Verdichtung der allgemeinen Gefahrenlage, die zu einem Abschiebungsverbot im Sinne der verfassungskonformen Auslegung des § 60 Abs. 7 AufenthG führen könnte. Wann allgemeine Gefahren von Verfassungswegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den betroffenen Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Die Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Das Erfordernis des unmittelbaren - zeitlichen - Zusammenhangs zwischen Abschiebung und drohender Rechtsgutverletzung setzt zudem für die Annahme einer extremen Gefahrensituation wegen der allgemeinen Versorgungslage voraus, dass der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann (BayVGH, U.v. 12.2.2015 - 13a B 14.30309 - juris Rn. 16; Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. A. 2016, § 60 AufenthG Rn. 54). Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssten. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert würde (vgl. BVerwG, U.v. 29.6.2010 - 10 C 10.09 - BVerwGE 137, 226).
42
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs sowie weiterer Oberverwaltungsgerichte, der sich das erkennende Gericht anschließt, ergibt sich aus den Erkenntnismitteln zu Afghanistan derzeit nicht, dass ein alleinstehender arbeitsfähiger männlicher Rückkehrer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach einer Rückkehr in eine derartige extreme Gefahrenlage geraten würde, die eine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich als unzumutbar erscheinen ließe. Zwar ist die Versorgungslage in Afghanistan schlecht, jedoch ist im Wege einer Gesamtgefahrenschau nicht anzunehmen, dass bei einer Rückführung nach Afghanistan alsbald der sichere Tod drohen würde oder alsbald schwere Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten wären. Der Betroffene wäre selbst ohne nennenswertes Vermögen und ohne familiären Rückhalt in der Lage, durch Gelegenheitsarbeiten wenigstens ein kleines Einkommen zu erzielen und sich damit zumindest ein Leben am Rand des Existenzminimums zu finanzieren (st.Rspr., z.B. BayVGH, .v. 11.1.2019 - 13a ZB 17.31521; U.v. 8.11.2018 - 13a B 17.31960; B.v. 12.4.2018 - 13a ZB 18.30135 - juris; B.v. 4.1.2018 - 13a ZB 17.31652; B.v. 21.8.17 - 13a ZB 17.30529; B.v. 4.8.2017 - 13a ZB 17.30791; B.v. 19.6.2017 - 13a ZB 17.30400; B.v. 6.4.2017 - 13a ZB 17.30254; BayVGH, B.v. 23.1.2017 - 13a ZB 17.30044; B.v. 27.7.2016 - 13a ZB 16.30051; B.v. 15.6.2016 - 13a ZB 16.30083; U.v. 12.2.2015 - 13a B 14.30309.; B.v. 30.9.2015 - 13a ZB 15.30063; OVG Baden-Württemberg, U.v. 5.12.2017 - A 11 S 1144/17; OVG NW, U.v. 3.3.2016 - 13 A 1828/09.A; SächsOVG, B.v. 21.10.2015 - 1 A 144/15.A; NdsOVG, U.v. 20.7.2015 - 9 LB 320/14 - jeweils juris).
43
Auch aus den aktuellsten Erkenntnismitteln ergibt sich nichts anderes. Insoweit kann auf die Ausführungen unter I.2. verwiesen werden. Nachdem das Gericht davon ausgeht, dass für den Kläger eine interne Schutzmöglichkeit in Mazar-e Sharif und Herat besteht und deren Voraussetzungen über diejenigen im Rahmen des Vorliegens einer extremen Notlage nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinausgehen, ist auch ein Anspruch auf ein Abschiebungsverbot nach dieser Vorschrift aufgrund der Sicherheitslage abzulehnen.
44
Bei dem Kläger besteht darüber hinaus auch keine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen. Er leidet nicht an einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, § 60 Abs. 7 Satz 1, 2 AufenthG und ein Abschiebungsverbot begründen würden. Das vom Kläger vorgelegte fachärztliche Attest vermag ein solches nicht zu begründen.
45
Bei der Prognose, ob dem Ausländer bei einer Rückkehr in den Zielstaat dort eine erhebliche konkrete Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wegen der Verschlimmerung einer individuellen Erkrankung droht, sind alle zielstaatsbezogenen Umstände zu berücksichtigen, die zu einer Verschlimmerung der Erkrankung führen (BVerwG, U.v. 17.10.2006 - 1 C 18/05 - BVerwGE 127, 33). Danach ist der Begriff der Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich des Entstehungsgrundes nicht einschränkend auszulegen und eine Gefahr für die Rechtsgüter Leib und Leben kann auch dann vorliegen, wenn sie durch die bereits vorhandene Krankheit konstitutionell mitbedingt ist. Erforderlich, aber auch ausreichend für das Vorliegen der Voraussetzungen dieser Vorschrift ist danach, dass sich die vorhandene Erkrankung des Ausländers aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib und Leben führt, d.h. eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht. Dies kann etwa der Fall sein, wenn sich die Krankheit im Heimatstaat aufgrund unzureichender Behandlungsmöglichkeiten verschlimmert oder wenn der betroffene Ausländer die medizinische Versorgung aus sonstigen Umständen tatsächlich nicht erlangen kann (BVerwG, B.v. 17.8.2011 - 10 B 13/11 u.a. - juris; BayVGH, U.v. 3.7.2012 - 13a B 11.30064 - juris Rn. 34).
46
Eine Gefahr ist „erheblich“, wenn eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität zu erwarten ist. Das wäre der Fall, wenn sich der Gesundheitszustand des Ausländers wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde. Eine wesentliche Verschlechterung ist nicht schon bei einer befürchteten ungünstigen Entwicklung des Gesundheitszustandes anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden. Außerdem muss die Gefahr konkret sein, was voraussetzt, dass die Verschlechterung des Gesundheitszustands alsbald nach der Rückkehr des Betroffenen in sein Herkunftsland eintreten wird, weil er auf die dort unzureichenden Möglichkeiten zur Behandlung seiner Leiden angewiesen wäre und anderswo wirksame Hilfe nicht in Anspruch nehmen könnte (vgl. BVerwG, U.v. 29.7.1999 - 9 C 2/99 - juris Rn. 8). Der Abschiebungsschutz aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG dient hingegen nicht dazu, eine bestehende Erkrankung optimal zu behandeln oder ihre Heilungschancen zu verbessern.
47
Nach § 60a Abs. 2c AufenthG wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen (zur Anwendung des § 60a Abs. 2c AufenthG im Rahmen des zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisses vgl. OVG Hamburg, B.v. 23.9.2016 - 1 Bs 100/16 - n.v.; VG München, 10.1.2017 - M 21 K 15.31612 - juris; VG Augsburg, B.v. 6.6.2016 - Au 6 S 16.30662 - juris; VG Gelsenkirchen, U.v. 10.5.2016 - 6a K 3120/15.A - juris Rn. 27; VG Gera, U.v. 24.8.2016, 2 K 20436/16 Ge - juris). Der Ausländer muss danach eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten.
48
Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) oder andere schwerwiegende psychische Erkrankungen - wie sie der Kläger vorliegend geltend machen - können daher nur in Ausnahmefällen bei unzureichenden Behandlungsmöglichkeiten im Heimatland dann zu einem Abschiebungsverbot führen, wenn die konkrete erhebliche Gefahr besteht, dass sich die Krankheit des ausreisepflichtigen Ausländers alsbald nach seiner Rückkehr in seinen Heimatstaat wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern wird (vgl. hierzu: Hailbronner, AuslR, Stand: März 2017, § 60 AufenthG Rn. 90; OVG NW B.v. 6.9.2004 - 18 B 2661/03 - NVwZ-RR 2005, 359). Schlaf- und Konzentrationsstörungen oder Beeinträchtigungen der allgemeinen Befindlichkeit als Folge depressiver Schübe reichen daher im Allgemeinen nicht mehr aus, um ein Abschiebungshindernis zu begründen. Die Gesetzesbegründung geht davon aus, dass eine hinreichend schwerwiegende Erkrankung in Fällen von PTBS regelmäßig nicht angenommen werden kann (BT-Drs. 18/7538, S. 18). In Fällen einer PTBS ist daher die Abschiebung regelmäßig möglich, es sei denn, sie führt zu einer wesentlichen Gesundheitsgefährdung bis hin zu einer Selbstgefährdung. Zur Substantiierung eines Vorbringens einer Erkrankung an PTBS gehört angesichts der Unschärfen des Krankheitsbildes sowie seiner vielfältigen Symptomatik regelmäßig die Vorlage eines gewissen Mindestanforderungen genügenden fachärztlichen Attests. Aus diesem muss sich nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren sollte das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben.
49
Das vom Kläger vorgelegte Attest vermag diese Mindestanforderungen nicht zu erfüllen. Das Attest von Frau Dipl.-Psych. B. nennt als Diagnose eine Posttraumatische Belastungsstörung (F 43.1G). Das Attest ist jedoch oberflächlicher Natur und führt insbesondere nicht die Methode der Tatsachenerhebung noch den Schweregrad der Erkrankung sowie die konkreten Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, auf. Dem Attest liegen offensichtlich bei der Darstellung des psychischen Befundes lediglich die Angaben des Klägers zugrunde. Ohne nähere Ausführungen wird seitens der Dipl.-Psych. B. angegeben, dass nicht davon auszugehen sei, dass eine adäquate Behandlung in Afghanistan stattfinden könne und es im Falle einer Rückführung zu einer massiven Verschlechterung des Gesundheitszustandes kommen werde. Worauf sich diese Erkenntnis der Dipl.-Psych. B. stützt, ist dem Attest nicht zu entnehmen. Auch enthält das Attest keine Ausführungen zu dem bisherigen Behandlungsverlauf. Dem Attest ist nicht zu entnehmen, seit wann und wie häufig der Kläger bereits bei Dipl.-Psych. B. vorstellig wurde und welche Therapie erfolgt. In der mündlichen Verhandlung gab der Kläger zudem selbst an, keine Medikamente für seine Depressionen verschrieben bekommen zu haben. Nach alledem genügt das vorgelegte Attest daher nicht den geforderten Mindestanforderungen, um eine PTBS glaubhaft zu attestieren.
50
Der Kläger ist auch nicht aufgrund seiner Tätowierungen einer erheblichen und konkreten landesweiten Gefahr ausgesetzt (VG Regensburg, U.v. 27.9.2018 - RN 14 K 17.31619 - juris). Insoweit wird vollumfänglich auf die Ausführungen unter I. 1. verwiesen.
51
Gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung einschließlich der Zielstaatsbestimmung bestehen im Hinblick auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG ebenfalls keine Bedenken.
52
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des §§ 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei, § 83b AsylG.