Inhalt

VG München, Beschluss v. 17.07.2019 – M 11 S 19.50722, M 11 S 19.50759
Titel:

Syrischer Staatsangehöriger wehrt sich gegen Vollzug des Asylgesetzes

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
RL 2013/32/EU
Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2, UAbs. 3
Leitsätze:
1. Es bestehen Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer Abschiebungsandrohung, wenn nicht von einer Einreise des Ausländers im Rechtssinne ausgegangen werden kann. Die Systematik des deutschen Ausländer- und Asylrechts setzt bei einer „Abschiebung“ nämlich begrifflich eine Einreise voraus. (Rn. 45 – 51) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zur Frage der Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland zur Durchführung eines Asylverfahrens, wenn viel dafür spricht, dass maßgebende Vorschriften in Griechenland nicht beachtet werden. (Rn. 53 – 56) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Abschiebungsanordnung, Asylantragszuständigkeit, Selbsteintrittsrecht
Fundstellen:
BeckRS 2019, 19025
NVwZ-RR 2020, 75
LSK 2019, 19025
NVwZ 2020, 174

Tenor

I. Die Verfahren 11 S 19.50722 und M 11 S 19.50759 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
II. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Abschiebungsanordnung im Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 25. Juni 2019 (...) wird angeordnet.
III. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Bescheid der Bundespolizeiinspektion Passau vom 27. Juni 2019 (...) wird angeordnet.
IV. Die Antragsgegnerin hat die Kosten der Verfahren zu tragen

Gründe

I.
1
Der Antragsteller ist ein im Jahr 1997 geborener syrischer Staatsangehöriger.
2
Am 13. Juni 2019, 01.50 Uhr, unterzog die Bundespolizei an der Kontrollstelle Rottal-Ost einen aus Österreich kommenden Reisebus einer grenzpolizeilichen Kontrolle. Im Bus wurde der Antragsteller angetroffen, der sich zunächst mit einer bulgarischen ID-Karte auswies, die sich nach Überprüfung als gestohlen oder abhandengekommen herausstellte. Der Antragsteller gab daraufhin an, syrischer Staatsangehöriger zu sein und keinen Pass bei sich zu haben. Er wurde zum Bundespolizeirevier Passau verbracht.
3
Am 13. Juni 2019, 08.00 Uhr, wurde der Antragsteller von der Bundespolizei wegen des Verdachts der unerlaubten Einreise und des Missbrauchs von Ausweispapieren vernommen. Der Antragsteller gab im Wesentlichen an: Er stamme aus Damaskus und habe sich vor 5 Jahren in den Libanon begeben, wo er auch gearbeitet habe. Im Jahr 2018 sei er dann in die Türkei geflogen. Von dort sei er mit dem Boot auf die griechische Insel Kos gelangt. Dort sei er 9 Monate im Gefängnis gewesen. Mit einer bulgarischen Karte sei er dann nach Bratislava geflogen. Von Bratislava sei er dann mit dem Zug nach Wien gefahren. Dort habe er sich ein Ticket nach Nürnberg gekauft, das ihm sein in Nürnberg lebender Bruder über das Internet gebucht habe. In Griechenland sei der Antragsteller registriert und sein Asylantrag abgelehnt worden. Er habe nach dem Gefängnis auf der Straße schlafen müssen. In Nürnberg würden seine Eltern und 2 Brüder leben. Er wolle zu seiner Familie. In Syrien hätten sie keine Wohnung mehr, der Antragsteller habe niemanden mehr in Syrien. In Syrien müsse er zum Militär und kämpfen, das könne der Antragsteller nicht.
4
Mit Bescheid vom 13. Juni 2019 - angegebene Uhrzeit: 13.40 Uhr - verweigerte die Bundespolizeiinspektion Passau dem Antragsteller die Einreise. Der Antragsteller habe sich bei der Einreisekontrolle an der Kontrollstelle Rottal-Ost mit einer gefälschten Urkunde ausgewiesen. Als syrischer Staatsangehöriger benötige er für die Einreise einen gültigen Pass und ein gültiges Visum oder einen Aufenthaltstitel. Diese Einreisevoraussetzungen erfülle der Antragsteller nicht. Er habe somit versucht, unerlaubt einzureisen.
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Am 13. Juni 2019, 20.00 Uhr, wurde der Antragsteller in eine Hafteinrichtung gebracht, wohl bereits in diejenige am Flughafen München, in der er sich auch gegenwärtig befindet. Als Grund der Inhaftierung ist in dem entsprechenden Dokument „DÜ-Zurückweisung“ eingetragen.
6
Mit Telefax vom 17. Juni 2019 stellte die Bevollmächtigte des Antragstellers beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) für diesen einen Asylantrag. Die geplante Zurückschiebung des Antragstellers sei zu unterlassen und die Bundespolizei entsprechend anzuweisen.
7
Mit weiterem Telefax vom 17. Juni 2019 legte die Bevollmächtigte des Antragstellers gegen den Bescheid der Bundespolizeiinspektion Passau vom 13. Juni 2019 Widerspruch ein, über den nach Aktenlage noch nicht entschieden ist.
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Am 18. Juni 2019 stellte der Antragsteller auf dem entsprechenden Formblatt förmlich einen Asylantrag.
9
Ebenfalls am 18. Juni 2019 richtete das Bundesamt ein Wiederaufnahmegesuch an die griechische Dublin-Behörde.
10
Am 21. Juni 2019 wurde dem Bundesamt ein EURODAC-Treffer für Griechenland der Kategorie 1 übermittelt, wonach der Antragsteller am 30. August 2018 auf Kos einen Asylantrag gestellt hat.
11
Ebenfalls am 21. Juni 2019 führte das Bundesamt mit dem Antragsteller ein persönliches Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates und zur Klärung der Zulässigkeit des gestellten Asylantrags. Der Antragsteller gab unter anderem an, sein Vater und ein Bruder würden in der Nähe von Nürnberg wohnen, seine Mutter und sein jüngerer Bruder in einer Asylunterkunft bei Nürnberg. Außerdem seien 2 Onkel von ihm in Deutschland. Der Antragsteller schilderte seinen Reiseweg im Wesentlichen so wie in der Vernehmung bei der Bundespolizei. Er habe in Griechenland internationalen Schutz beantragt.
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Dem Antragsteller wurde Gelegenheit gegeben, Tatsachen und Umstände anzugeben, die einer Überstellung nach Griechenland entgegenstünden. Der Antragsteller gab im Wesentlichen an: Der Umgang mit den Menschen in Griechenland sei nicht gut. Das Leben dort sei unmenschlich gewesen, er sei auch mal von der griechischen Polizei geschlagen worden. Er sei 9 Monate im Gefängnis gewesen, weil man ihn für einen Schleuser gehalten habe. Er sei aber durch das Gericht freigesprochen worden. Der Antragsteller und sein Vater seien dort von einem Dolmetscher und einem Rechtsanwalt um insgesamt 6000 EUR betrogen worden, weil sie behauptet hätten, man könne so das Strafverfahren beenden. Sie hätten es aber nicht angezeigt, da dies sowieso nichts bringe. Der Antragsteller habe nicht einmal in einer Asylunterkunft leben dürfen. Der Antragsteller habe ein Magengeschwür, Plattfüße und seine Beine seien leicht krumm. Der Antragsteller wolle bei seiner Familie in Deutschland bleiben. Seine Eltern und seine beiden Brüder würden hier leben.
13
Mit Schreiben vom 24. Juni 2019 gab die griechische Dublin-Behörde dem Wiederaufnahmegesuch des Bundesamts auf der Basis von Art. 18 Abs. 1 b Dublin-III-VO statt. Der Antragsteller sei am 30. August 2018 auf Kos registriert worden und habe einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Der Antrag sei noch anhängig.
14
Mit Bescheid vom 25. Juni 2019 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Nummer 1), verneinte das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG (Nummer 2), ordnete die Abschiebung nach Griechenland an (Nummer 3) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 15 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Nummer 4). Zur Begründung führte das Bundesamt zunächst aus, dass Griechenland aufgrund des dort bereits gestellten Asylantrags für die Behandlung des Asylantrags zuständig sei. Anschließend begründete das Bundesamt näher, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG in Bezug auf Griechenland vorlägen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Bescheid verwiesen.
15
Das Bundesamt übersandte der Bundespolizeiinspektion Passau noch am 25. Juni 2019 eine Kopie des Bescheids.
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Mit Bescheid vom 27. Juni 2019 verweigerte die Bundespolizeiinspektion Passau dem Antragsteller erneut die Einreise. Er solle nach Griechenland zurückgeführt werden. Zur Begründung ist ausgeführt, der Antragsteller habe in der Haft ein Ersuchen um internationalen Schutz gestellt. Ihm sei die Einreise zu verweigern, weil Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass Griechenland aufgrund der Dublin-III-VO zuständig sei, den Antragsteller auf- bzw. wieder aufzunehmen. Ein entsprechendes Auf- oder Wiederaufnahmeverfahren werde eingeleitet (§ 18 Abs. 2 Nummer 2 AsylG).
17
Am 28. Juni 2019 wurde dem Antragsteller der Bescheid des Bundesamts vom 25. Juni 2019 zugestellt.
18
Am 5. Juli 2019 erhob die Bevollmächtigte des Antragstellers für diesen Klage mit dem Antrag, den Bescheid des Bundesamts vom 25. Juni 2019 aufzuheben. Hilfsweise beantragte sie, die Antragsgegnerin zur Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Griechenlands zu verpflichten.
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Gleichzeitig wurde beantragt,
20
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
21
Auf die beigefügte Begründung wird verwiesen.
22
Mit Schriftsatz vom 14. Juli 2019 begründete die Bevollmächtigte des Antragstellers die Klage und den Eilantrag unter Vorlage verschiedener Unterlagen ausführlich näher:
23
Der vom Antragsteller am 30. August 2018 in Griechenland gestellte Asylantrag sei nach einer am 22. Oktober 2018 knapp durchgeführten Anhörung am 12. November 2018 als unzulässig abgelehnt worden, weil Griechenland die Türkei als „Erstes Asylland“ bzw. als „sicheres Drittland“ einschätze, ohne dass der Asylantrag des Antragstellers inhaltlich geprüft worden sei. Die Bevollmächtigte des Antragstellers legte die Entscheidung vom 12. November 2018 (mit Übersetzung) und das Anhörungsprotokoll vom 22. Oktober 2018 vor. Sie wies darauf hin, dass der Antragsteller damals in Asylsachen rechtlich nicht vertreten gewesen sei. Die Entscheidung sei aufgrund der Einlegung eines Rechtsmittels noch nicht rechtskräftig. Es sei allerdings davon auszugehen, dass die Beschwerdeinstanz den Bescheid bestätige und somit die konkrete Gefahr einer Abschiebung in die Türkei bestehe. Beim ersten Aufgriff in Deutschland habe der Dolmetscher das vom Antragsteller geäußerte Asylgesuch nicht übersetzt.
24
Das private Aussetzungsinteresse überwiege das öffentliche Vollzugsinteresse. In Griechenland gebe es systemische Mängel des Asylverfahrens. Eine Überstellung nach Griechenland sei wegen der dem Antragsteller drohenden Abschiebung in die Türkei und ihm einer dort drohenden weiteren Abschiebung nach Syrien mit verschiedenen Vorschriften der EMRK und der europäischen Grundrechtecharta nicht vereinbar. Die Gefahr sei wegen der bereits ergangenen Unzulässigkeitsentscheidung auch konkret. Die Bevollmächtigte des Antragstellers legte näher dar, dass die Bundesrepublik Deutschland für eine etwaige Kettenabschiebung verantwortlich sei. Sie sei an die EMRK gebunden und habe insoweit auszuschließen, dass dem Antragsteller in Griechenland ein tatsächliches Risiko bzw. die ernsthafte Gefahr einer Verletzung der entsprechenden Vorschriften drohe. Die Bundesrepublik Deutschland müsse eine sorgsame, strenge und genaue Überprüfung vornehmen, ob eine solche Kettenabschiebung drohe. In der Folge legte die Bevollmächtigte des Antragstellers näher dar, dass dem Antragsteller eine Kettenabschiebung in die Türkei drohe. Sie schilderte näher, wie der Gang des Asylverfahrens in Griechenland aussehe, dass dem Antragsteller dort sein Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf vorenthalten werde, es an einem erforderlichen automatischen Suspensiveffekt fehle, dem Antragsteller ein überlanges Verfahren und der Ausschluss von Sozialleistungen drohe und eine negative Entscheidung überwiegend wahrscheinlich sei. Durch eine Kettenabschiebung in die Türkei würde dem Antragsteller eine Menschenrechtsverletzung drohen. Die Bevollmächtigte des Antragstellers machte in diesem Zusammenhang Ausführungen zur Menschenrechtslage in der Türkei und zur nach ihrer Ansicht unzureichenden Informationslage. Syrischen Staatsangehörigen würde in der Türkei nur unzureichend Schutz gewährt. Es gebe in der Türkei für syrische Staatsangehörige keinen mit der Genfer Flüchtlingskonvention konformen Schutzstatus. Die Türkei habe einen territorialen Vorbehalt bei der Ratifizierung angebracht. Das Vorliegen der Flüchtlingseigenschaft werde nicht individuell geprüft. Es bestehe die Gefahr des Refoulments. Die Statusrechte nach der Genfer Flüchtlingskonvention würden nicht gewährt. Dem Antragsteller drohe eine Kettenabschiebung nach Syrien. Durch die Lebens- und Haftbedingungen in der Türkei würde Art. 3 EMRK verletzt.
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Es bestehe ein Rücküberstellungsverbot nach Griechenland, weil dort bezüglich syrischer Asylantragsteller, deren Asylanträge in Anwendung des Konzepts des sicheren Drittstaates in Bezug auf die Türkei als unzulässig abgelehnt worden seien, systemische Mängel vorlägen. Jedenfalls sei die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, sich im Wege des Selbsteintrittsrechts für zuständig zu erklären. Das Selbsteintrittsrecht habe drittschützende Wirkung und die Antragsgegnerin habe die Pflicht zur ordnungsgemäßen Ermessensausübung. Im vorliegenden Fall sei das Ermessen auf Null reduziert wegen der konkreten Gefahr einer Verletzung von Art. 3 EMRK, Art. 4 GRC, Art. 13 i.V.m. Art. 3 EMRK, Art. 47 GRC i.V.m. Art. 4 GRC, Art. 18 GRC i.V.m. Art. 78 AEUV. Die Antragsgegnerin habe im Bescheid keinerlei Ermessenserwägungen zum Selbsteintritt nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO angestellt.
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In Griechenland bestünden auch systemische Mängel bezüglich der Aufnahmebedingungen. Der Antragsteller würde voraussichtlich inhaftiert werden und keinen Zugang zu Sozialleistungen haben. Eine Unterkunft sei nicht individuell zugesichert. Das griechische Dublin-Referat habe lediglich eine globale Zusicherung gegeben, dass der Antragsteller nach den Vorgaben untergebracht werde. Die Bevollmächtigte des Antragstellers führt sodann näher aus, welche europarechtlichen und verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen für die Lebensbedingungen von Personen, denen internationaler Schutz gewährt worden sei, gelten würden und wie die Situation anerkannt Schutz berechtigter Personen sei. Dem Antragsteller drohe unter Berücksichtigung dieser Umstände in Griechenland im Fall einer Anerkennung eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 GRC bzw. Art. 3 EMRK. Dem Antragsteller, der sich seit dem 13. Juni 2019 in Abschiebehaft befinde, sei unter Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG das Recht auf effektiven Rechtsschutz wegen der Haftbedingungen und das Verhalten der beteiligten Behörden in nur unzureichendem Maße gewährt worden.
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Mit Schriftsatz vom 11. Juli 2019 erhob die Bevollmächtigte des Antragstellers für diesen Klage gegen den Bescheid der Bundespolizeiinspektion Passau vom 27. Juni 2019 mit den Anträgen, diesen Bescheid aufzuheben, die Antragsgegnerin zu verpflichten, dem Antragsteller die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland zu gestatten, hilfsweise festzustellen, dass die Einreise des Antragstellers bereits erfolgt sei, weiter hilfsweise festzustellen, dass der Bescheid vom 27. Juni 2019 rechtswidrig sei.
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Gleichzeitig wurde beantragt,
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die aufschiebende Wirkung dieser Klage anzuordnen,
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hilfsweise, dem Antragsteller die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland vorläufig zu gestatten.
31
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: der Bescheid sei am 27. Juni 2019 vor Eintritt der Rechtskraft des Bescheids vom 25. Juni 2019, der dem Antragsteller erst am 28. Juni 2019 ausgehändigt worden sei, erlassen worden. Die Rückführung des Antragstellers sei bereits geplant gewesen. Der Bescheid vom 27. Juni 2019 entbehre einer Ermächtigungsgrundlage und sei deshalb rechtswidrig. Der Bescheid verweise auf § 18 Abs. 2 Nummer 2 AsylG. Vorliegend sei jedoch trotz aller Widrigkeiten ein Asylantrag gestellt worden. Die Zuständigkeit des Mitgliedstaats werde im vorrangigen Dublin-Verfahren überprüft. Zudem sei der Antragsteller zum Erlasszeitpunkt des Bescheids vom 27. Juni 2019 bereits eingereist gewesen. Sofern die Antragsgegnerin fälschlicherweise davon ausgehe, dass aufgrund des zuvor ergangenen Bescheids zur Einreiseverweigerung vom 13. Juni 2019 von einer Nichteinreisefiktion ausgegangen werden könne, werde darauf verwiesen, dass die Ausnahmen der Rückführungsrichtlinie bei Binnengrenzkontrollen keine Anwendung fänden. Die Fiktion der Nichteinreise sei demnach bei Binnengrenzkontrollen nicht zulässig.
32
Mit Schriftsatz vom 16. Juli 2019 beantragte das Bundesamt für die Antragsgegnerin,
33
den gegen den Bescheid des Bundesamts vom 25. Juni 2019 gerichteten Eilantrag abzulehnen.
34
Das Bundesamt verwies auf den Bescheid und führte ergänzend aus, dass im Zuge der Zustimmung der griechischen Behörden eine individuelle Übernahmezusicherung ergangen sei. Die Mängel, denen der Antragsteller in Griechenland ausgesetzt gewesen sein wolle, seien offenkundig nicht so gravierend gewesen, als dass er sie hätte in seiner Anhörung konkret benennen können. Er habe eine ihm drohende individuelle Gefahr nicht benannt. Die Antragsgegnerin habe sich auch dagegen entschieden, ein Selbsteintrittsrecht auszuüben, weil keine außergewöhnlichen humanitären Umstände im Sinne von Art. 17 Dublin-III-VO vorlägen. Wenn der Antragsteller meine, die Folge der Entscheidung sei eine Kettenabschiebung in die Türkei, trage die Antragsgegnerin daran keine Verantwortung. Die Abschiebung in die Türkei müsste sich auch aus der Entscheidung der griechischen Behörden ergeben. Der Zustimmung der griechischen Behörden auf Grundlage von Art. 18 Abs. 1 b Dublin-III-VO sei jedoch zu entnehmen, dass es an einer solchen Entscheidung fehle, denn das Asylverfahren in Griechenland sei noch nicht abgeschlossen.
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Mit Schriftsatz vom 16. Juli 2019 beantragte die Bundespolizeidirektion München für die Antragsgegnerin,
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den gegen den Bescheid der Bundespolizei vom 27. Juni 2019 gerichteten Antrag sowie die Hilfsanträge zurückzuweisen.
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Der Antragsteller habe mangels Reisedokument und Aufenthaltstitel die Einreisevoraussetzungen des Art. 6 des Schengener Grenzkodex (SGK) nicht erfüllt. Es bestehe deshalb der Verdacht der versuchten unerlaubten Einreise in das Bundesgebiet. Die in der Beschuldigtenvernehmung getätigten Äußerungen des Antragstellers seien nicht als Antrag auf internationalen Schutz zu werten. Dem Antragsteller sei daraufhin die Einreise zunächst nach § 15 AufenthG i.V.m. Art. 14 (SGK) verweigert worden. Es sei in der Folge Zurückweisungshaft angeordnet worden. Erst aus der Zurückweisungshaft heraus sei ein Asylantrag gestellt worden, weshalb die Verweigerung der Einreise nunmehr auf § 18 Abs. 2 Nummer 2 AsylG unter Beachtung der europarechtlichen Vorschriften gestützt werde. Die zulässigen Anträge seien unbegründet. Haupt- und Hilfsanträge seien darauf gerichtet, die Hauptsache vorwegzunehmen, was dem Gericht im Eilverfahren verwehrt sei. Der Antragsteller habe noch nicht einmal einen Anordnungsgrund dargelegt, geschweige denn glaubhaft gemacht. Der Antragsteller habe auch keinen Anordnungsanspruch. Es existiere kein Rechtssatz, nachdem die Antragsgegnerin verpflichtet sei, dem Antragsteller die Einreise zu gestatten. Insbesondere sei ihm nach § 18 Abs. 2 Nummer 2 AsylG die Einreise zu verweigern, weil Anhaltspunkte bzw. Nachweise vorlägen, dass aufgrund von Rechtsvorschriften der EU ein anderer Mitgliedstaat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig sei. Der Antragsteller sei nicht bereits vollendet in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Dies wurde von der Bundespolizei näher dargelegt. Im vorliegenden Fall sei in rechtlich nicht zu beanstandender Weise das Verfahren in Anlehnung an das Überstellungsverfahren entsprechend der Dublin-III-VO gewählt worden. Dementsprechend verfange auch der Sachvortrag des Antragstellers nicht, wonach ihm durch die Verweigerung der Einreise seine ihm aus der Dublin-III-VO und der Rückführungsrichtlinie zustehenden Rechte und Verfahrensgarantien verloren gegangen seien. Lediglich hilfsweise und ergänzend sei anzumerken, dass selbst dann, wenn man den Antragsteller als vollendet in die Bundesrepublik eingereist betrachten würde, sich seine Rücküberstellung zwar nicht als Zurückweisung, sondern als Zurückschiebung bzw. Abschiebung vollziehen lasse. Der Antragsteller habe weder die Voraussetzungen für einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO dargelegt noch einen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch nach § 123 VwGO glaubhaft gemacht.
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Die Klage und der Eilantrag gegen den Bescheid des Bundesamts werden vom Gericht mit den Aktenzeichen M 11 K 19. 50721 und M 11 S 19.50722 geführt. Die Klage und der Eilantrag gegen den Bescheid des Bundespolizei werden vom Gericht mit den Aktenzeichen M 11 K 19. 50756 und M 11 S 19.50759 geführt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf diese Gerichtsakten, die in elektronischer Form vorliegenden Akten des Bundesamts und die von der Bundespolizei übersandten Akten Bezug genommen.
II.
40
1. Die Verbindung der beiden Streitsachen M 11 S 19.50722 und M 11 S 19.50759 beruht auf § 93 Satz 1 VwGO.
41
2. Der gegen den Bescheid des Bundesamts vom 25. Juni 2019 gerichtete zulässige Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist begründet.
42
a) Der Antrag ist sachgerecht dahingehend auszulegen, dass die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die in dem Bescheid enthaltene Abschiebungsanordnung angeordnet werden soll.
43
b) Das private Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage überwiegt das öffentliche Interesse an der kraft Gesetzes bestehenden sofortigen Vollziehbarkeit der Abschiebungsanordnung, weil die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung ernstlich zweifelhaft ist.
44
Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung des Ausländers in einen sicheren Drittstaat oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an (vgl. § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG), sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
45
aa) Gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung bestehen gewisse Bedenken schon deshalb, weil nach der Systematik des deutschen Ausländer- und Asylrechts eine „Abschiebung“ begrifflich voraussetzt, dass der Ausländer eingereist ist, was im Rechtssinne wohl nicht zutrifft.
46
Die Bundespolizei steht auf dem Standpunkt, der Antragsteller sei im Rechtssinne nicht eingereist. Das Gericht teilt nach vorläufiger Einschätzung diese Ansicht.
47
Die Frage, wann ein Ausländer eingereist ist, ist in § 13 AufenthG geregelt. Das AsylG enthält insoweit keine Spezialregelung, die § 13 AufenthG verdrängen würde. Da der Antragsteller an einer Grenzübergangsstelle kontrolliert wurde, ist zunächst § 13 Abs. 2 Satz 1 AufenthG einschlägig, wonach an einer zugelassenen Grenzübergangsstelle ein Ausländer erst eingereist ist, wenn er die Grenze überschritten und die Grenzübergangsstelle passiert hat. Im vorliegenden Fall hat die Grenzpolizei den Antragsteller lediglich vor der Entscheidung über die Zurückweisung bzw. während der Vorbereitung, Sicherung oder Durchführung dieser Maßnahme vorübergehend in einer Weise „passieren“ lassen, dass eine ständige Kontrolle des Aufenthalts des Antragstellers durch die Grenzpolizei möglich blieb. Für diesen Fall fingiert § 13 Abs. 2 Satz 2 AufenthG das Fortbestehen der Nichteinreise.
48
Im AufenthG sind die Abschiebung und auch die Zurückschiebung als Mittel ausgestaltet, die Ausreisepflicht durchzusetzen und den Aufenthalt zu beenden (vgl. Überschriften des Kapitels 5 des AufenthG und des Abschnitts 2 des Kapitels 5). Für den Fall, dass ein Ausländer noch nicht - vollendet - eingereist ist, sieht das AufenthG dagegen das Instrument der Zurückweisung vor (§ 15 AufenthG). Das AsylG sieht Abschiebungsandrohung und Abschiebungsanordnung als zwangsvollstreckungsrechtliche Annexentscheidungen vor, deren Rechtsgrundlagen (§§ 34, 34a und 35 AsylG) sich im Unterabschnitt 2 („Aufenthaltsbeendigung“) des Abschnitts 4 des AsylG befinden. In Unterabschnitt 2 finden sich Regelungen über die Einreiseverweigerung und die Zurückschiebung (§ 18 AsylG). Dass das AsylG eine Abschiebung als Mittel ansieht, den Aufenthalt eines bereits eingereisten Ausländers zu beenden, ergibt sich im Umkehrschluss auch aus der Regelung über das Flughafenverfahren in § 18a AsylG. Dort ist ausdrücklich normiert, dass bei Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet keine Abschiebungsanordnung ergeht, sondern dem Ausländer lediglich die Einreise verweigert wird (§ 18a Abs. 3 Satz 1 AsylG). Zusätzlich wird eine Abschiebungsandrohung erlassen, nach dem klaren Gesetzeswortlaut allerdings nur „vorsorglich für den Fall der Einreise“ (§ 18a Abs. 2 AsylG). Aus diesen beiden Regelungen wird ohne weiteres deutlich, dass der Gesetzgeber jedenfalls bei Einführung des Flughafenverfahrens an der Unterscheidung zwischen dem der Durchsetzung der Ausreisepflicht dienenden Instrument der Abschiebung und dem der Verhinderung einer unerlaubten Einreise dienenden Instrument der Einreiseverweigerung bzw. Zurückweisung festhalten wollte.
49
Im vorliegenden Fall steht auch die Bundespolizei in ihrer Antragserwiderung vom 16. Juli 2019 (S. 8) auf dem Standpunkt, dass eine Abschiebung der Beendigung des Aufenthalts eines bereits eingereisten Ausländers dient („Bliebe die Fiktion der Nichteinreise nicht aufrechterhalten und betrachtete man den Antragsteller als vollendet in die Bundesrepublik Deutschland eingereist, so hätte sich seine Rücküberstellung im Dublin-Verfahren nach Griechenland nicht mehr als Zurückweisung, sondern als Zurückschiebung bzw. Abschiebung vollziehen lassen“).
50
Eine Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG wäre daher in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem sie gegen einen noch nicht eingereisten Asylantragsteller erlassen wurde, nur rechtmäßig, wenn man die zwangsweise Überstellung eines noch nicht eingereisten Asylantragstellers als „Abschiebung“ qualifiziert, obwohl dies nicht dem Bedeutungsinhalt entspricht, den dieser Begriff ansonsten im Ausländer - und Asylrecht hat.
51
Davon zu trennen ist jedoch jedenfalls die Frage, ob der Antragsteller dies als Rechtsverletzung geltend machen kann. Nach vorläufiger Einschätzung des Gerichts ist das zu verneinen. Das Ziel des Antragstellers ist letztlich darauf gerichtet, das Asylhauptsacheverfahren vom Inland aus weiterbetreiben zu dürfen. Würde man diesem Begehren im vorliegenden Eilverfahren nur deshalb entsprechen, weil es bisher an einer Einreise fehlt, könnte der Antragsteller unmittelbar nach der Einreise der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung jedenfalls nicht mehr die fehlende Einreise entgegenhalten, weil im asylgerichtlichen Verfahren stets auf die aktuelle Sach- und Rechtslage abzustellen ist (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG). Die Antragsgegnerin könnte unmittelbar nach der Einreise des Antragstellers - eine „juristische Sekunde“ nach der Haftentlassung - sofort einen Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO stellen. In einer solchen Fallkonstellation kann man nicht annehmen, dass der Antragsteller diesen Umstand als Rechtsverletzung geltend machen kann, selbst wenn man begrifflich für den Erlass einer Abschiebungsanordnung eine vollendete Einreise verlangt.
52
bb) Gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung bestehen aber nach summarischer Prüfung weitere erhebliche Bedenken, die letztlich dem Antrag zum Erfolg verhelfen.
53
Insbesondere ist offen, ob die Antragsgegnerin nicht nach Art. 3 Abs. 2 UA 2 und 3 Dublin III-VO zur Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.
54
Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnisquellen gibt es erhebliche Anhaltspunkte dafür, dass Griechenland den Antragsteller in die Türkei abschieben wird. Der Antragsteller hat die Entscheidung der griechischen Asylbehörde vom 12. November 2018 in Übersetzung vorgelegt, mit der der dortige Asylantrag des Antragstellers als unzulässig abgewiesen wurde, weil für ihn die Türkei als sicheres Land bezeichnet werden könne. Eine solche Verfahrensweise ist zwar grundsätzlich europarechtskonform, weil die Richtlinie 2013/32/EU (im Folgenden: Verfahrensrichtlinie), die neben der Dublin-III-VO anwendbar ist (vgl. Erwägungsgrund 12 der Dublin-III-VO), das Konzept des sicheren Drittstaats ausdrücklich kennt (Art. 38 Verfahrensrichtlinie). Die Verfahrensrichtlinie macht für die Anwendung dieses Konzepts jedoch bestimmte Vorgaben, bezüglich derer mindestens erheblich zweifelhaft ist, ob Griechenland sie einhält. So sieht Art. 38 Abs. 1 Verfahrensrichtlinie unter anderem vor, dass sich die zuständigen Behörden des Mitgliedstaats davon überzeugt haben, dass eine Person, die um internationalen Schutz nachsucht, in dem betreffenden Drittstaat unter Wahrung des Grundsatzes der Nicht-Zurückweisung nach der Genfer Flüchtlingskonvention behandelt wird (Art. 38 Abs. 1 c Verfahrensrichtlinie) und dort außerdem die Möglichkeit hat, einen Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu stellen und im Falle der Anerkennung als Flüchtling Schutz gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention zu erhalten (Art. 38 Abs. 1 e Verfahrensrichtlinie).
55
Im vorliegenden Fall bestehen erhebliche Zweifel, ob sich Griechenland an diese Vorgaben hält. Nach den Ausführungen im aktuellen Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Türkei vom 14. Juni 2019 dürfte zwar in der Türkei der Grundsatz der Nicht-Zurückweisung nach der Genfer Flüchtlingskonvention eingehalten sein, so dass das Gericht die vom Antragsteller befürchtete Gefahr der Kettenabschiebung nach Syrien als nicht gegeben ansieht. Andererseits lassen die Ausführungen im Lagebericht keinen Zweifel daran, dass die Türkei die Genfer Flüchtlingskonvention nur auf europäische Asylsuchende anwendet, während für Nichteuropäer lediglich der Grundsatz des non-refoulement gilt. Flüchtlinge aus anderen Staaten erhalten lediglich einen zeitlich befristeten Status für die Dauer des Asylverfahrens. Syrische Staatsangehörige erhalten eine Art „temporären“ Schutz, allerdings keinen echten, der Genfer Flüchtlingskonvention entsprechenden Status (Lagebericht, S. 24). Nach Ansicht des Gerichts spricht viel dafür, dass dies den Voraussetzungen des Art. 38 Abs. 1 e Verfahrensrichtlinie nicht genügt.
56
Das Gericht ist weiter der vorläufigen Ansicht, dass es grundsätzlich zwar Sache des jeweiligen Asylbewerbers ist, im jeweiligen Asylverfahren des zuständigen Mitgliedstaates die entsprechenden Schritte zu unternehmen und notfalls gerichtlich durchzusetzen, um im Mitgliedstaat eine der Verfahrensrichtlinie entsprechende Behandlung zu erhalten. Im vorliegenden Fall gibt es jedoch Anhaltspunkte dafür, dass in Griechenland Asylanträge syrische Staatsangehöriger, die nach den innerstaatlichen Regeln Griechenlands eine Verbindung zu dem betreffenden Drittstaat haben (vgl. Art. 38 Abs. 2 a Verfahrensrichtlinie), systematisch nicht in einer mit den Vorgaben von Art. 38 Abs. 1 e Verfahrensrichtlinie zu vereinbarenden Weise behandelt werden. Nach der im aktuellen Länderbericht über Griechenland von aida (Asylum Information Database) vom 29. März 2019 auf Seite 104 enthaltenen Übersicht sind im Jahr 2018 von insgesamt 509 Asylanträgen syrischer Staatsangehöriger, die nach dem Konzept des sicheren Drittstaats behandelt worden sind, mehr als ¾ (77,3 %) in der Erstentscheidung als unzulässig abgelehnt worden. Der Antragsteller ist von dieser Praxis konkret betroffen, weil er syrischer Staatsangehöriger ist und die griechische Asylbehörde in ihrer Erstentscheidung vom 12. November 2018 das Konzept des sicheren Drittstaats auf ihn auch angewandt und den Antrag als unzulässig abgelehnt hat.
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Insgesamt ist deshalb hier nach einer Interessenabwägung die aufschiebende Wirkung der Klage in Bezug auf die Abschiebungsanordnung des Bundesamts anzuordnen. Die Klärung der Frage, ob letztendlich die Zuständigkeit der Antragsgegnerin nach Art. 3 Abs. 2 UA 2 und 3 Dublin III-VO besteht, muss dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
58
3. Der gegen den Bescheid der Bundespolizei vom 27. Juni 2019 gerichtete Eilantrag hat im Hauptantrag ebenfalls Erfolg.
59
a) Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig, insbesondere statthaft, weil die Einreiseverweigerung ein belastender Verwaltungsakt ist.
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b) Der Antrag ist auch begründet, weil das private Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage das öffentliche Interesse an der kraft Gesetzes bestehenden sofortigen Vollziehbarkeit überwiegt.
61
Denn an der Rechtmäßigkeit der getroffenen Entscheidung bestehen ernstliche Zweifel schon deshalb, weil nicht hinreichend sicher ist, ob nicht die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers zuständig ist (siehe 2.).
62
Daran ändert auch der Umstand nichts, dass nach dem Wortlaut von § 18 Abs. 2 Nummer 2 AsylG es für eine Einreiseverweigerung bereits ausreicht, dass „Anhaltspunkte“ dafür vorliegen, dass ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und ein Auf- oder Wiederaufnahmeverfahren eingeleitet wird. Bei wörtlicher Auslegung würde dies heißen, dass überhaupt nicht geklärt sein müsste, welcher Mitgliedstaat zuständig ist („Anhaltspunkte“ genügen) und dass außerdem im Auf- bzw. Wiederaufnahmeverfahren noch nicht einmal die Erklärung des ersuchten Mitgliedstaats vorliegen müsste - sei es ausdrücklich oder durch Zeitablauf fingiert -, den Asylbewerber (wieder) aufzunehmen. Das Gericht hat Zweifel, ob ein solches Vorgehen mit der Dublin-III-VO vereinbar ist.
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Zwar dürfte nach vorläufiger Ansicht des erkennenden Gerichts weder die Dublin-III-Verordnung noch die Verfahrensrichtlinie grundsätzlich ein Grenzverfahren in dem Sinne verbieten, in dem dem Asylbewerber vorläufig die Einreise verweigert wird, bis die Frage, ob der Asylbewerber an einen anderen Mitgliedstaat überstellt wird, geklärt ist. Die Verfahrensrichtlinie sieht in Art. 43 Abs. 1 b ausdrücklich vor, dass die Mitgliedstaaten bei Einhaltung bestimmter Grundsätze und Garantien an der Grenze oder in Transitzonen über die Zulässigkeit von Asylanträgen entscheiden können. Die Dublin-III-VO enthält in Art. 21 Abs. 2 die ausdrückliche Regelung, dass der ersuchende Mitgliedstaat unter anderem in dem Fall, in dem dem Asylbewerber die Einreise verweigert worden ist, eine dringende Antwort auf das Aufnahmegesuch anfordern kann. Bereits daraus ergibt sich nach Ansicht des Gerichts, dass auch die Dublin-III-VO wohl kein Grenzverfahren verbietet.
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Allerdings kann dies nichts daran ändern, dass nach vorläufiger Prüfung die Dublin-III-VO jedenfalls verlangen dürfte, dass Überstellungen nach einem gestuften Verfahren vorgenommen werden sollen (Prüfung der Zuständigkeit, Aufnahme- bzw. Wiederaufnahmegesuch, Abwarten der Antwort des ersuchten Mitgliedstaats, Überstellungsentscheidung, Überstellung). Denn die Dublin-III-VO enthält für den Fall, dass ein solches Grenzverfahren durchgeführt wird, keine besonderen Regelungen, aufgrund derer von diesen Verfahren abgewichen werden könnte.
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Im Gegensatz zur Regelung über das Flughafenverfahren (§ 18a AsylG) erscheint auch wenig klar, wie sich im Rahmen von § 18 AsylG im Falle einer fiktiven Nichteinreise nach § 13 Abs. 2 Satz 2 AufenthG die „Aufgabenverteilung“ zwischen Bundesamt und Grenzpolizei gestalten soll.
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Im Ergebnis ist jedenfalls die aufschiebende Wirkung der Klage auch hinsichtlich des Bescheids der Bundespolizei anzuordnen, weil ernstliche Zweifel bestehen, ob nicht die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).