Inhalt

LG München I, Beschluss v. 13.08.2019 – 7 O 3890/19
Titel:

Akteneinsicht durch Nebenintervenienten bei Geheimhaltungsinteresse der Partei

Normenketten:
GeschGehG § 20 Abs. 3
ZPO § 67, § 299 Abs. 1
Leitsätze:
1. Der Nebenintervenient genießt grundsätzlich ein uneingeschränktes Recht zur Akteneinsicht, auch wenn hiervon Geschäftsgeheimnisse einer Partei betroffen sind (so auch OLG Düsseldorf BeckRS 2018, 7036). (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz kommt in Betracht, wenn eine Partei im Hinblick auf eine mit der Gegenseite geschlossene Geheimhaltungsvereinbarung etwas Geheimhaltungsbedürftiges zu den Akten gereicht hat, bevor der Nebenintervenient hinzugetreten ist und sich dieser trotz berechtigtem Geheimhaltungsbegehren der betroffenen Partei in ungerechtfertigter Weise weigert, mit ihr ebenfalls eine Geheimhaltungsvereinbarung abzuschließen. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
3. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat nach dem der Regelung in § 20 Abs. 3 GeschGehG innewohnenden Gedanken derjenige glaubhaft zu machen, der einen besonderen Geheimnisschutz für sich in Anspruch nimmt. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
4. Hierfür ist auch darzulegen, dass und warum die konkret zu identifizierende Information ein zu schützendes Geheimnis darstellt, welche Maßnahmen bisher ihre Vertraulichkeit gewährleistet haben und welche Nachteile aus einem Bekanntwerden der fraglichen Information mit welchem Grad von Wahrscheinlichkeit drohen, wobei jeweils nur rechtlich billigenswerte Umstände relevant sind. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Akteneinsicht, Patentverletzung, Nebenintervenient, Geschäftsgeheimnis, Geheimhaltungsvereinbarung, drohende Nachteile, Geheimnisschutz
Fundstellen:
BeckRS 2019, 18148
MMR 2020, 717
LSK 2019, 18148

Tenor

1. Die Verfügung des Vorsitzenden vom 26.06.2019 (Bl. 210) wird bestätigt.
2. Die Anträge der Klägerin vom 02.07.2019, 08.07.2019 und 19.07.2019 werden zurückgewiesen.
3. Die mit Verfügung des Vorsitzenden vom 26.06.2019 angeordnete Akteneinsicht für die Nebenintervenientin T.T. ist nach Eintritt der Rechtskraft dieses Beschlusses durchzuführen.

Gründe

I.
1
Die Klägerin macht gegen die Beklagte patentrechtliche Ansprüche geltend. Die Beklagte hat zahlreichen Zulieferern den Streit verkündet, u.a. der T.T. S. BV. Die T.T. S. BV (nachfolgend: NI T.T.) ist mit Schriftsatz vom 03.06.2019 (Bl. 182/184) dem Verfahren auf Seiten der Beklagten beigetreten. Die Berechtigung der Nebenintervention wurde bislang von keiner der Parteien angezweifelt. Mit Schriftsatz vom 25.06.2019 (Bl. 207/209) hat die Ni T.T. vollständige Akteneinsicht beantragt. Diese wurde ihr durch Verfügung des Vorsitzenden vom 26.06.2019 (Bl. 210) uneingeschränkt gewährt, allerdings mit einer Karenzzeit von einer Woche. Innerhalb der Karenzzeit ist die Klägerin der vollständigen Gewährung von Akteneinsicht entgegengetreten (Schriftsätze vom 02.07.2019, Bl. 216/217; vom 08.07.2019, Bl. 235 ff., und vom 19.07.2019, Bl. 251/253). Die Beklagte hat sich für eine vollständige Gewährung von Akteneinsicht an die NI T.T. ausgesprochen.
2
Die Klägerin beantragt,
die nachfolgenden Unterlagen nicht bzw. nur geschwärzt an die NI T.T. herauszugeben:
- Klageschrift nur teilweise geschwärzt wie in Anlage zum Schriftsatz vom 8.7.2019 (Bl. 235/238)
- Anlage AR 16 nur auszugsweise
- Anlagen AR 14, AR 17 und AR 20 nur geschwärzt wie in Anlage zum Schriftsatz vom 8.7.2019 (Bl. 235/238)
3
Mit Schriftsatz vom 19.7.2019 (Bl. 251/253) ließ die Klägerin mitteilen, dass sie mit der vollständigen Überlassung der Anlage AR 16 an die NI T.T. einverstanden sei, wenn die NI T.T. nach Maßgabe der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf (BeckRS 2018, 7036) eine Geheimhaltungsvereinbarung abschließe. Auf telefonische Nachfrage ließ die Klägerin am 06.07.2019 mitteilen, dass dies auch in Bezug auf die anderen Akteninhalte gelte. Sie trägt weiter vor, dass sie bereits vor Klageerhebung mit der Beklagten eine entsprechende Vereinbarung geschlossen habe. Warum sich die NI T.T. weigere, ebenfalls eine solche abzuschließen, sei unerklärlich, zumal die NI T.T. zu einem früheren Zeitpunkt betreffend andere Geschehnisse mit der Klägerin eine solche Vereinbarung abgeschlossen habe.
4
Die NI T.T. beantragt,
die bereits gewährte uneingeschränkte Akteneinsicht nunmehr durchzuführen. Zum Abschluss einer Geheimhaltungsvereinbarung habe sie keinen Anlass, weil bereits uneingeschränkt Akteneinsicht gewährt worden sei.
II.
5
Die Klägerin hat auf telefonische Nachfrage vom 6.8.2019 erklärt, dass ihr Antrag vom 8.7.2019 nicht als Beschwerde gegen die Verfügung des Vorsitzenden sondern als Anregung an die Kammer verstanden werden solle, die Verfügung abzuändern. Die Kammer kommt dieser Anregung nicht nach, sondern bestätigt nach Erwägung der von der Klägerin vorgebrachten Bedenken sowie der Stellungnahmen der Beklagten und der NI T.T. die Verfügung des Vorsitzenden vom 26.6.2019 im vollen Umfang. Allerdings ist die Rechtskraft dieses Beschlusses abzuwarten.
6
Im Hinblick auf die Grundsätze der Akteneinsichtsgewährung an Partei und Nebenintervenientin schließt sich die Kammer - im grundsätzlichen Einvernehmen mit der 21. Zivilkammer des Landgerichts München I - der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf (BeckRS 2018, 7036) an. Insoweit genießt ein Nebenintervenient grundsätzlich ein uneingeschränktes Recht zur Akteneinsicht, auch wenn hiervon Geschäftsgeheimnisse einer der Parteien betroffen sind. Eine Ausnahme ist nur bei kumulativem Vorliegen folgender (auf Geheimnisse der Klagepartei zugeschnittenen) Voraussetzungen zu machen:
1) Die Klagepartei hat Geheimhaltungsbedürftiges zu den Akten gereicht.
2) Dies erfolgte im Hinblick auf eine mit der beklagten Partei zuvor geschlossene Geheimhaltungsvereinbarung.
3) Der Nebenintervenient ist erst später hinzugetreten.
4) Das Geheimhaltungsbegehren der Klagepartei ist berechtigt.
5) Der Nebenintervenient weigert sich, ebenfalls eine Geheimhaltungsvereinbarung abzuschließen.
6) Die Weigerung erscheint nicht gerechtfertigt.
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Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat derjenige glaubhaft zu machen, der einen besonderen Geheimnisschutz für sich in Anspruch nimmt (vgl. Gedanke des § 20 Abs. 3 GeschGehG).
8
Vorliegend ist zwischen den Parteien unstreitig, dass die Klagepartei und die beklagte Partei vor Klageerhebung eine Geheimhaltungsvereinbarung (Anlagen AR 28 und AR 29) abgeschlossen haben. Die Klagepartei hat in der Klageschrift und den eingereichten Anlagen Inhalte offenbart, die sie als geheimhaltungswürdig einstuft. Ob dies im Vertrauen auf die mit der beklagten Partei geschlossene Geheimhaltungsvereinbarung so erfolgt ist, ist der Klageschrift nicht eindeutig zu entnehmen. Auf deren Seite 37 wird unten nur kurz erwähnt, dass eine solche Vereinbarung geschlossen worden sei. Dies kann aber dahinstehen, denn jedenfalls jetzt hat die Klägerin diesen Konnex - unbestritten - vorgetragen. Die NI T.T. ist erst später dem Verfahren beigetreten und weigert sich unter Bezugnahme auf eine rein formale Verfahrensposition, selbst eine Geheimhaltungsvereinbarung abzuschließen.
9
Mithin ist zu prüfen, ob das Geheimhaltungsbegehren der Klägerin unabhängig von dem Umstand, dass die beklagte Partei eine Geheimhaltungsvereinbarung geschlossen hat (OLG Düsseldorf BeckRS 2018, 7036 Rn.11), berechtigt ist. Soweit es hiernach auf schützenswerte Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse ankommt, hat derjenige, der Schutzmaßnahmen für sich reklamiert, nicht nur die vertrauliche Information zu identifizieren, sondern außerdem konkret darzutun, dass und warum die betreffende Information ein auf die begehrte Weise zu schützendes Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis darstellt. Dies verlangt substanziellen Vortrag zu denjenigen Maßnahmen, die bisher ihre Vertraulichkeit gewährleistet haben, und erfordert des Weiteren ebenso substanzielle verifizierbare Angaben dazu, welche Nachteile genau aus einem Bekanntwerden der fraglichen Information (und zwar jeder einzelnen) mit welchem Grad von Wahrscheinlichkeit drohen. Relevant sind selbstverständlich nur solche Umstände, die rechtlich billigenswert sind. Bezüglich der Substantiierungslasten gelten im Prinzip die gleichen Anforderungen wie im gerichtlichen Besichtigungsverfahren. Die besagten Anforderungen bestehen nicht nur, aber vor allem im Interesse des Prozessgegners. Dieser muss, ebenso wie sein Streithelfer, beizeiten zuverlässig beurteilen können, ob für sie eine Pflicht zur vertraglichen, im Zweifel vertragstrafengesicherten Geheimhaltung gegenüber dem Kläger besteht. Denn sowohl der grundsätzliche Anlass für die Abgabe einer Verschwiegenheitszusage als auch die angesichts des konkreten Schutzbedürfnisses erforderliche Höhe einer im Falle ihrer Missachtung fälligen Vertragsstrafe sind sinnvoll überhaupt nur einzuschätzen, wenn die eingangs benannten Einzelheiten aus dem Geschäftskreis des Klägers bekannt sind. Es versteht sich angesichts dessen von selbst, dass die notwendigen Einlassungen zum Betriebsgeheimnis nicht ihrerseits unter Hinweis auf Geschäftsgeheimnisse verweigert werden dürfen. Geht es im Klägervortrag um Lizenzverträge, die auf der Grundlage der abgegebenen FRAND-Erklärung bereits abgeschlossen worden sind und die deshalb auch den Maßstab für die Lizenzerteilung an den Beklagten bilden sollen, so bedarf ein Geheimnisschutz im Allgemeinen ganz besonderer Begründung und Rechtfertigung. Die Zusage, fair und diskriminierungsfrei zu lizenzieren, erfordert schon vom Grundsatz her eine Transparenz der kraft Lizenzerteilung geltenden Lizenzierungsbedingungen für den Interessentenkreis. Denn wie soll der interessierte Dritte sonst in Erfahrung bringen, wie die bereits praktizierten Lizenzbedingungen aussehen, um wirkungsvoll seine Rechte im Verletzungsprozess wahrzunehmen? Angesichts seiner Pflicht zur Gleichbehandlung Aller ist jedenfalls nicht ohne weiteres ersichtlich, welches rechtlich billigenswerte Interesse der Lizenzgeber daran haben könnte, seine praktizierten Lizenzkonditionen, mit denen er eine gleiche Behandlung schuldet, vor der Öffentlichkeit geheim zu halten. Das gilt umso mehr, als diverse Lizenzierungspools (z.B. MPEG) ihre Lizenzverträge im Internet bereitstellen (OLG Düsseldorf BeckRS 2018, 7036 Rn.18-19).
10
Hiervon ausgehend ist die Schutzbedürftigkeit der antragsgegenständlichen Unterlagen gegenüber der NI T.T. zu verneinen, im Einzelnen:
zu den Anlagen AR 14, 17 und 20:
Anlage AR 14
11
Die Anlage umfasst eine E-Mail von N. an D. vom 27.2.2019 mit einem angehängten Lizenzvertragsentwurf.
Anlage AR 17
12
Die Anlage umfasst E-Mails von N. an D. vom 5.5.2017 und vom 17.5.2017 mit einem angehängten Lizenzvertragsentwurf.
Anlage AR 20
13
Die Anlage umfasst eine E-Mail von N. an D. vom 4.3.2019.
14
Die Klägerin macht insoweit geltend, dass in diesen drei Anlagen Absätze zu schwärzen seien, die einen Wettbewerber der NI T.T. beträfen. Mit diesem Wettbewerber habe die Klägerin ebenfalls eine Geheimhaltungsvereinbarung geschlossen. Die Tatsache, dass dieser Wettbewerber Gegenstand von Gesprächen mit der Beklagten gewesen sei und der Inhalt dieser Gespräche sei geheimhaltungsbedürftig. Eine Weitergabe der Information würde die mit der Klägerin geschlossene Geheimhaltungsvereinbarung verletzen und dürfe aus Gründen des fairen Wettbewerbs nicht erfolgen (Bl. 238). Auf telefonische Nachfrage des Vorsitzenden vom 6.8.2019 hat die Klägerin präzisiert, dass der NI T.T. im Falle der Unterzeichnung einer Geheimhaltungsvereinbarung insoweit vollständige Akteneinsicht gewährt werden könne.
15
Dieser Antrag ist zurückzuweisen, weil, was die Ausführungen der Beklagten im Schriftsatz vom 17.7.2019 zeigen, kein schützenswertes Geheimnis mehr vorliegt. Der zu schwärzende Name des anderen Zulieferers ist in der mündlichen Verhandlung vom 5.6.2019 bereits in Anwesenheit von Prozessbeobachtern der NI T.T. genannt worden. Auch wurde offenbar, dass insoweit Gespräche über eine Lizenzierung aufgenommen worden seien. Ferner ist davon auszugehen, dass dieser Schriftsatz auch der NI T.T. direkt von Anwalt zu Anwalt zugestellt worden ist. Damit liegt jedenfalls jetzt kein schützenswertes Geheimnis mehr vor. Auch wettbewerbsrechtliche Erwägungen greifen nicht (mehr) durch.
Zu der Anlage AR 16 und der Klageschrift:
Anlage AR 16
16
Die Anlage umfasst eine E-Mail von N. an D. vom 26.1.2018 mit einer angehängten Präsentation „N. Group Cellular SEPs“ (mit Aufdruck „confidential“, auch PA-Studie genannt) sowie einer ebenfalls angehängten Studie von S. „The value of mobile connectivity in the automotive industry“ (ohne Aufdruck) sowie dazu gehöriger Präsentation „Car Connectivity Study - Results workshop“ (ohne Aufdruck). Inhalt der N. /PA-Studie sind z.B. die Anzahl von Patentfamilien, die von einem bestimmten Patentinhaber für einen bestimmten Standard als essentiell erklärt worden sind. Inhalt der anderen Unterlagen sind zum Beispiel Antworten von Konsumenten auf die Frage, was sie für das Bereithalten von Konnektivitätsdienstleistungen in einem Personenkraftwagen auszugeben bereit sind.
Klageschrift S. 31-36
17
Auf diesen Seiten der Klageschrift nimmt die Klägerin zu einem erwarteten Kartellrechtseinwand vorab Stellung. Sie erläutert den bisherigen Verhandlungsverlauf und dass ihr Lizenzangebot den kartellrechtlichen Verpflichtung entsprochen habe.
18
Die Klägerin macht insoweit geltend, dass sich die Passagen der Klageschrift mit der N. /PA-Studie und der Studie von S. beschäftigten. Die N. /PA-Studie sei für jedermann gegen Entgelt erhältlich. Eine Weitergabe an Dritte sei aber nur unter Vertraulichkeitsschutz gestattet. Für die Studie von S. habe die Klägerin erhebliche Beträge bezahlt. Die Klägerin gebe diese Studie daher nur unter Vertraulichkeitsschutz heraus, um ihr geistiges Eigentum zu schützen. Soweit die NI T.T. eine Vertraulichkeitsvereinbarung unterzeichne, könne sie die ungeschwärzte Klageschrift samt dieser Anlagen erhalten.
19
Dieser Antrag ist ebenfalls zurückzuweisen, weil auch insoweit ein beachtenswertes Geheimhaltungsinteresse nicht dargetan ist. Die Studie der PA Consulting kann von jedermann gegen Entgelt erworben werden. Eine Geheimhaltungsbedürftigkeit über die aus dem Urheberrecht sich ergebenden Beschränkungen hinaus ist nicht ersichtlich. Die Studie S. ist zwar nicht frei am Markt gegen Entgelt verfügbar. Die Klägerin bedient sich aber dieser Studie zur Rechtfertigung ihrer Lizenzberechnung. Die Lizenzsucher und die Öffentlichkeit haben daher ein gesteigertes Interesse daran, die Grundlagen der Lizenzberechnung nachvollziehen zu können. Auch insoweit gilt, dass ein gesteigertes Geheimhaltungsbedürfnis über die aus dem Urheberrecht sich ergebenden Beschränkungen hinaus nicht dargetan ist.