Inhalt

VG Bayreuth, Urteil v. 11.04.2019 – B 2 K 18.931
Titel:

Erfolglose Nachbarklage gegen eine Baugenehmigung für einen Sichtschutzzaun

Normenketten:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1, § 117 Abs. 5
BauGB § 31 Abs. 1
BauNVO § 15 Abs. 1
BayBO Art. 6 Abs. 5, Abs. 9 S. 1 Nr. 3, Art. 57 Abs. 1 Nr. 7a, Art. 63
Leitsatz:
Von einer erdrückende Wirkung ist dann auszugehen, wenn eine bauliche Anlage wegen ihrer Ausmaße, ihrer Baumasse oder ihrer massiven Gestaltung ein benachbartes Grundstück unangemessen benachteiligt, indem es diesem förmlich „die Luft nimmt“, wenn für den Nachbarn das Gefühl des „Eingemauertseins“ entsteht oder wenn die Größe des „erdrückenden“ Gebäudes auf Grund der Besonderheiten des Einzelfalls - und gegebenenfalls trotz Wahrung der erforderlichen Abstandflächen - derartig übermächtig ist, dass das „erdrückte“ Gebäude oder Grundstück nur noch oder überwiegend wie eine von einem „herrschenden“ Gebäude dominierte Fläche ohne eigene baurechtliche Charakteristik wahrgenommen wird.(Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachbaranfechtungsklage, Sichtschutzzaun, Abstandsfläche, Abweichung, Atypik (bejaht), Gebot der Rücksichtnahme, Nachbarklage, Baugenehmigung, erdrückende Wirkung
Fundstelle:
BeckRS 2019, 17853

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen als Gesamtschuldner zu tragen.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch den Beigeladenen durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 115 v.H. des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beigeladene vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115 v.H. des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

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Die Kläger begehren Rechtsschutz gegen eine, dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für die Errichtung eines Sichtschutzzaunes.
2
Die Kläger sind Miteigentümer des Grundstücks Flur-Nr. 624/26 der Gemarkung … Das Grundstück mit der Fl.-Nr. 624/27 der Gemarkung …gehört dem Beigeladenen. Die beiden Grundstücke liegen an der …, Gemarkung … Für dieses Gebiet gilt der qualifizierte Bebauungsplan … West. Dieser sieht für Einfriedungen Folgendes vor: „Höhe einschließlich des Sockels einheitlich 1,20 m, Sockelhöhe höchstens 40 cm, gemessen über der fertigen Gehsteig- bzw. Straßendecke. Längs der öffentlichen Wege sind die Einfriedungen aus Holzlatten oder Maschendraht mit Hinterpflanzung herzustellen. Die Fläche zwischen den Garagen und den öffentlichen Verkehrsflächen darf nur dann eingefriedet werden, wenn der Raum zwischen Garagentor und öffentlicher Verkehrsfläche mehr als 5,00 m beträgt.“
3
Dem Beigeladenen wurde mit Bescheid vom 13.08.2018 die Baugenehmigung zur Errichtung eines Sichtschutzzaunes auf der Fl.-Nr. 624/27, Gemarkung … erteilt. Unter II. wurde gemäß Art. 63 Abs. 1 BayBO eine Abweichung von den Abstandsflächen nach Art. 6 Abs. 5 BayBO dahingehend zugelassen, dass der Sichtschutzzaun direkt an der westlichen Grundstücksgrenze mit einer maximalen Höhe von 2,00 m, gemessen von der Geländeoberfläche des westlichen Nachbargrundstücks errichtet werden darf. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Abweichung von Art. 6 Abs. 5 BayBO nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO habe zugelassen werden können, dass sie unter Berücksichtigung der Anforderungen an die Belichtung, Belüftung und Besonnung des Nachbargrundstückes, sowie unter Würdigung der nachbarlichen Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar sei. Die Geländeoberfläche auf dem Baugrundstück weise gegenüber dem westlichen Nachbargrundstück einen Höhenunterschied von 75 cm auf. Der gegenständliche Sichtschutzzaun weise zum natürlichen Gelände des Baugrundstückes eine Höhe von mehr als 2,00 m auf, so dass er sowohl baugenehmigungs- als auch abstandflächenpflichtig sei. Bezogen auf das Gelände des betroffenen Nachbargrundstückes weise der Sichtschutzzaun eine Höhe von max. 2,00 m auf. Bei einer gegenüber dem westlichen Nachbargrundstück hinsichtlich Belichtung, Belüftung und Besonnung wirksamen Höhe von nicht mehr als 2,00 m sei der Schutzzweck der bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenvorschriften erfüllt. Die Abweichung habe daher unter entsprechender Würdigung nachbarlicher Interessen zugelassen werden können.
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Mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 04.09.2018 ließen die Kläger Klage erheben und beantragen,
Der Genehmigungsbescheid vom 13.08.2018 wird aufgehoben.
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Ebenfalls mit Schriftsatz vom 04.09.2018 beantragten die Kläger,
die aufschiebende Wirkung der gleichzeitig erhobenen Klage gegen den Genehmigungsbescheid des Beklagten vom 13.08.2018 anzuordnen. Dieser Antrag wurde mit Beschluss des Gerichts vom 17.10.2018 abgelehnt (vgl. B 2 S 18.930). Hierauf wird Bezug genommen.
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Mit Beschluss vom 05.09.2018 wurde der Bauherr zum Verfahren beigeladen. Mit Schriftsatz vom 20.12.2018 beantragt der Beigeladene,
die Klage abzuweisen.
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Mit Schriftsatz vom 29.01.2019 wurde zur Begründung der Klage vorgetragen, dass die Baugenehmigung vom 13.08.2018 rechtswidrig sei und die Kläger in ihren nachbarlichen Rechten verletze.
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Die Sichtschutzwand solle 2,75 m hoch werden und werde direkt an der Grundstücksgrenze errichtet. Damit sei die Sichtschutzwand abstandsflächenpflichtig, weil die Einfriedung höher als 2 m sei. Der Beklagte habe eine Abweichung erteilt mit der Begründung, dass hier topographische Besonderheiten vorlägen. Richtig sei, dass das Grundstück der Kläger etwa 75 cm höher liege, als das Grundstück des Beigeladenen. Der Argumentation des Beklagten, dass dem Schutzzweck der Norm hinsichtlich der Abstandsflächen Genüge getan sei, da die Sichtschutzwand von dem Grundstück der Kläger aus gesehen wie eine 2 m hohe Sichtschutzwand wirke, könne nicht gefolgt werden. Im Übrigen verstoße der Beigeladene damit immer noch gegen die Festsetzungen des qualifizierten Bebauungsplan … West, der für Einfriedungen eine Höhe von 1,20 m und eine Sockelhöhe von höchstens 40 cm vorschreibe. Der Beigeladene hätte eine Befreiung von den Vorschriften des Bebauungsplans beantragen müssen. Weiter sei im qualifizierten Bebauungsplan … West ausdrücklich festgehalten, dass die Einhaltung der Abstandsflächen gewährleistet sein müsse. Es lägen folglich zwei Verstöße gegen den Bebauungsplan … West vor; zum einen seien die Abstandsflächen nicht eingehalten und zum anderen sei die erlaubte Höhe für Einfriedungen überschritten worden.
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Mit Schriftsatz vom 30.01.2019 beantragt der Beklagte,
die Klage abzuweisen.
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Nach Auffassung des Landratsamts Forchheim könnten die Kläger keine Verletzung einer nachbarschützenden Norm geltend machen. Die Kläger führten an, dass gegen die Festsetzung des Bebauungsplanes … West verstoßen worden sei, welcher vorsehe, dass Einfriedungen eine Höhe von 1,20 m einschließlich einer Sockelhöhe von 0,40 m haben dürften. Diese Festsetzung gelte nach Meinung des Landratsamts Forchheim jedoch nur für Einfriedungen an öffentlichen Verkehrsflächen. Hierfür spreche, dass für Einfriedungen die fertige Gehsteig- bzw. Straßendecke als Bezugspunkt gewählt worden sei. Überdies habe diese Festsetzung des Bebauungsplans keine nachbarschützende Wirkung. Des Weiteren greife auch das Argument nicht, dass im Bebauungsplan festgehalten sei, dass die Einhaltung der Abstandsflächen gewährleistet sein müsse. Dieser Hinweis beziehe sich nicht auf Einfriedungen, sondern auf die Möglichkeit von Ausnahmen nach § 31 Abs. 1 BauGB für architektonisch individuell gestaltete Entwürfe, die geringfügig von den Grundzügen der Planfestsetzung abweichen würden. Als Beispiele hierfür würden die Überschreitung der Baugrenzen, Verlegung des Firstes unter Einhaltung der Hauptfirstrichtung sowie ungleiche Dachneigung genannt.
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Mit weiterem Schriftsatz vom 04.04.2019 wurde von Seiten der Bevollmächtigten der Kläger ergänzend vorgetragen, dass es in … nach Kenntnis der Kläger bislang keine einzige derartige Sichtschutzwand gebe; es handle sich also um kein ortsübliches Bauwerk. Den Sitzplatz auf der Ostseite neben dem Hauseingang benutzten die Kläger nicht zum Sonnen, sondern bei passenden Wetterbedingungen zum Frühstücken und nachmittags zum Kaffeetrinken. Der Grund hierfür sei, dass der Kfz-Verkehr auf der Westseite, wo sich die eigentliche Terrasse befinde, stark zugenommen habe. Die Sicht aus dem Küchenfenster der Kläger sei durch die Sichtschutzwand stark beeinträchtigt. Dies sei auf den mit diesem Schriftsatz vorgelegten Lichtbildern gut zu erkennen.
12
Ergänzend wird auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 11.04.2019, die Gerichtsakte und die vorgelegten Behördenakten (auch im Verfahren B 2 S 18.930) Bezug genommen, § 117 Abs. 3 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet.
14
Die Baugenehmigung vom 13.08.2018 verletzt die Kläger nicht in ihren öffentlich-rechtlich geschützten Nachbarrechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
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1. Wie im Beschluss des Gerichts vom 17.10.2018 (vgl. B 2 S 18.930) in den Gründen bereits ausgeführt, verletzt die streitgegenständliche Baugenehmigung die Kläger nicht in ihren Rechten. Gegen diesen Beschluss haben die Kläger keine Rechtsmittel eingelegt, dieser Beschluss ist somit rechtskräftig. Auf diese Entscheidung wird deshalb ausdrücklich Bezug genommen (§ 117 Abs. 5 VwGO). Auch nach der mündlichen Verhandlung hat das Gericht keine Zweifel daran, dass die streitgegenständliche Baugenehmigung gegen keine nachbarschützenden Vorschriften verstößt.
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2. Soweit die Kläger in der mündlichen Verhandlung geltend machen, dass diese Sichtschutzwand für sie eine erdrückende Wirkung habe, ist dem nicht zu folgen. Im Hinblick auf eine möglicherweise erdrückende Wirkung liegt eine Verletzung des nachbarschützenden Rücksichtnahmegebots vor, wenn eine bauliche Anlage wegen ihrer Ausmaße, ihrer Baumasse oder ihrer massiven Gestaltung ein benachbartes Grundstück unangemessen benachteiligt, indem es diesem förmlich „die Luft nimmt“, wenn für den Nachbarn das Gefühl des „Eingemauertseins“ entsteht oder wenn die Größe des „erdrückenden“ Gebäudes auf Grund der Besonderheiten des Einzelfalls - und gegebenenfalls trotz Wahrung der erforderlichen Abstandflächen - derartig übermächtig ist, dass das „erdrückte“ Gebäude oder Grundstück nur noch oder überwiegend wie eine von einem „herrschenden“ Gebäude dominierte Fläche ohne eigene baurechtliche Charakteristik wahrgenommen wird (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 2.6.2015 - 8 S 1914/14 - juris Rn. 64; Senatsbeschluss vom 9.2.2018 - 5 S 2130/17 - BauR 2018, 961, juris Rn. 38; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 12.12.2011 - 2 M 162/11 - juris Rn. 11). Eine solche Wirkung geht vom Bauvorhaben des Beigeladenen hinsichtlich des Grundstücks der Kläger nicht aus. Im vorliegenden Fall bedurfte der Beigeladene nur deshalb einer Baugenehmigung, weil das Grundstück der Kläger ca. 75 cm höher gelegen ist als das Grundstück des Beigeladenen. Tatsächlich ist es aber so, dass die Kläger auf ihrem Grundstück eine 2,00 m hohe Einfriedung - was grundsätzlich verfahrensfrei möglich ist - wahrnehmen. Gäbe es diesen Niveauunterschied zwischen den beiden Grundstücken nicht, wäre eine solche 2,00 m hohe Einfriedung nach der landesgesetzgeberischen Wertung in Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 BayBO ohne eigene Abstandsflächen zulässig. Dem Bauvorhaben des Beigeladenen kommt im Hinblick auf diese gesetzliche Regelung keine erdrückende Wirkung zu.
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3. Soweit im Klageverfahren weiter vorgebracht wird, dass es eine Bestimmung im Bebauungsplan … West gebe, die nachbarschützende Wirkung entfalte, nämlich, dass die Einhaltung der Abstandsflächen gewährleistet sein müsse, ist diese Bestimmung vorliegend nicht einschlägig. Der Beklagte weist hier zu Recht darauf hin, dass sich dieser Hinweis im Bebauungsplan nicht auf Einfriedungen bezieht, sondern auf die Möglichkeit von Ausnahmen nach § 31 Abs. 1 BauGB für architektonisch individuell gestaltete Entwürfe, die geringfügig von den Grundzügen der Planfestsetzung abweichen. Als Beispiele hierfür werden die Überschreitung der Baugrenzen, Verlegung des Firstes unter Einhaltung der Hauptfirstrichtung sowie ungleiche Dachneigung genannt.
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4. Als unterlegene Beteiligte haben die Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen, §§ 154 Abs. 1, 159 VwGO. Nachdem der Beigeladene mit der Stellung eines Sachantrages nach § 154 Abs. 3 VwGO ein Kostenrisiko eingegangen ist, entspricht es nach § 162 Abs. 3 VwGO der Billigkeit, den Klägern auch die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen aufzuerlegen.
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5. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kosten beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO. Angesichts der allenfalls geringen Höhe der von den Beklagten vorläufig vollstreckbaren Kosten ist die Einräumung von Vollstreckungsschutz insoweit nicht angezeigt. Bezüglich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen beruht die Entscheidung auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 f. ZPO.