Inhalt

VGH München, Beschluss v. 06.08.2019 – 6 ZB 19.584
Titel:

Schadensersatz wegen unterbliebener Beförderung bei Soldaten

Normenketten:
GG Art. 33 Abs. 2
SoldLV aF § 5
BGB § 839 Abs. 3
Leitsätze:
1. Der soldatenrechtliche Schadensersatzanspruch findet seinen Rechtsgrund im Soldatenverhältnis und begründet einen unmittelbar gegen den Dienstherrn gerichteten Ersatzanspruch für Schäden, die aus einer Verletzung der aus dem Soldatenverhältnis folgenden Pflichten entstehen (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Soldat kann von seinem Dienstherrn Ersatz des ihm durch eine Nichtbeförderung entstandenen Schadens verlangen, wenn der Dienstherr bei der Vergabe eines Beförderungsamtes den aus Art. 33 II GG folgenden Anspruch des Soldaten auf leistungsgerechte Einbeziehung in die Bewerberauswahl schuldhaft verletzt hat, dem Soldaten das Amt ohne diesen Rechtsverstoß voraussichtlich übertragen worden wäre und dieser es nicht schuldhaft unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
3. Nach dem Rechtsgedanken des § 839 III BGB soll nur derjenige Schadensersatz erhalten, der sich in gehörigem und in zumutbarem Maß für seine eigenen Belange eingesetzt und damit den Schaden abzuwenden versucht hat. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
4. Der für einen Schadensersatzanspruch wegen unterbliebener Beförderung erforderliche adäquat kausale Zusammenhang zwischen der Verletzung des Bewerbungsverfahrensanspruchs und dem Schaden setzt voraus, dass der Soldat ohne den Verstoß gegen Art. 33 II GG voraussichtlich befördert worden wäre; seine Beförderung muss bei hypothetischer Annahme eines rechtmäßigen Auswahlverfahrens jedenfalls ernsthaft möglich gewesen sein. ( (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Soldatenrecht, Anrechnung der Elternzeit, Schadensersatz wegen unterbliebener Beförderung (verneint), Vorrang des Primärrechtsschutzes, keine ernsthafte Möglichkeit der Beförderung, soldatenrechtlicher Schadensersatzanspruch, Nichtbeförderung, Bewerberauswahl, Soldatenverhältnis
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 12.02.2019 – M 21 K 18.2268
Fundstelle:
BeckRS 2019, 17768

Tenor

I. Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 12. Februar 2019 - M 21 K 18.2268 - wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 12.426,93 € festgesetzt.

Gründe

1
Der Antrag der Klägerin, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen, bleibt ohne Erfolg.
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Die innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO), auf deren Prüfung der Senat grundsätzlich beschränkt ist‚ liegen nicht vor (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
3
Die Klägerin, eine Berufssoldatin, die sich seit 21. Februar 2017 im Dienstgrad eines Stabsfeldwebels (Besoldungsgruppe A 9) befindet, steht im Dienst der Beklagten. Mit Schreiben vom 20. März 2017 beantragte sie, besoldungs- und laufbahnrechtlich so gestellt zu werden, als wäre sie zum frühestmöglichen Zeitpunkt, mithin zum 17. Januar 2011, zum Stabsfeldwebel befördert worden. Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 18. Dezember 2017 ab. Die von der Klägerin erhobene Beschwerde wies die Beklagte mit Beschwerdebescheid vom 19. April 2018 zurück.
4
Mit ihrer Klage zum Verwaltungsgericht beantragte die Klägerin zuletzt, unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide die Beklagte zu verpflichten, die Klägerin laufbahn-, versorgungs-, besoldungs- und dienstrechtlich so zu stellen, als wenn sie zum 17. Januar 2011 zum Stabsfeldwebel und zum 17. Januar 2013 zum Oberstabsfeldwebel befördert worden wäre.
5
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 12. Februar 2019 aus zwei die Entscheidung selbstständig tragenden Erwägungen abgewiesen: Zum einen beanspruche der grundsätzliche Vorrang des primären Rechtsschutzes auch für Ansprüche aus dem Soldatenverhältnis einschließlich des Anspruchs auf Schadensersatz wegen Verletzung einer Dienstherrenpflicht Geltung. Zum anderen sei nichts dafür ersichtlich, dass sich die Klägerin bei früheren Auswahlentscheidungen gegen die anderen Konkurrenten durchgesetzt hätte.
6
Ist die erstinstanzliche Entscheidung - wie hier - selbständig tragend auf mehrere Gründe gestützt, ist eine Zulassung der Berufung nur gerechtfertigt, wenn im Hinblick auf jeden der Begründungsstränge ein Zulassungsgrund dargelegt wird und gegeben ist (vgl. BayVGH, B.v. 26.1.2018 - 6 ZB 17.956 - juris Rn. 3 m.w.N.). Daran fehlt es, weil die gegen den ersten Begründungsstrang vorgebrachten Zulassungsgründe nicht durchgreifen.
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1. An der Richtigkeit des angegriffenen Urteils bestehen keine ernstlichen Zweifel im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Dieser Zulassungsgrund läge vor, wenn vom Rechtsmittelführer ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt würde (vgl. BVerfG, B.v. 23.6.2000 - 1 BvR 830/00 - NVwZ 2000, 1163/1164; B.v. 26.3.2007 - 1 BvR 2228/02 - BayVBl 2007, 624). Das ist nicht der Fall.
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Das Verwaltungsgericht hat zu Recht entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch darauf hat, laufbahn- und besoldungsrechtlich so gestellt zu werden, als wäre sie bereits zum 17. Januar 2011 zum Stabsfeldwebel und zum 17. Januar 2013 zum Oberstabsfeldwebel befördert worden. Die Klägerin hält den Erwägungen des Verwaltungsgerichts nichts Stichhaltiges entgegen, das weiterer Prüfung in einem Berufungsverfahren bedürfte.
9
Rechtsgrundlage für das von der Klägerin geltend gemachte Begehren ist der soldatenrechtliche Schadensersatzanspruch. Dieser findet seinen Rechtsgrund im Soldatenverhältnis und begründet einen unmittelbar gegen den Dienstherrn gerichteten Ersatzanspruch für Schäden, die aus einer Verletzung der aus dem Soldatenverhältnis folgenden Pflichten entstehen (vgl. BVerwG, U.v. 19.3.2015 - 2 C 12.14 - juris Rn. 9 zum Beamtenrecht; BayVGH, B.v. 7.6.2019 - 6 ZB 18.2341 - juris Rn. 8). Ein Soldat kann danach von seinem Dienstherrn Ersatz des ihm durch eine Nichtbeförderung entstandenen Schadens verlangen, wenn der Dienstherr bei der Vergabe eines Beförderungsamtes den aus Art. 33 Abs. 2 GG folgenden Anspruch des Soldaten auf leistungsgerechte Einbeziehung in die Bewerberauswahl schuldhaft verletzt hat, dem Soldaten das Amt ohne diesen Rechtsverstoß voraussichtlich übertragen worden wäre und dieser es nicht schuldhaft unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden (ständige Rechtsprechung, vgl. BVerwG, U.v. 15.6.2018 - 2 C 20.17 - juris; U.v. 19.3.2015 - 2 C 12.14 - juris Rn. 12; U.v. 26.1.2012 - 2 A 7.09 - juris Rn. 15; BayVGH, B.v. 7.6.2019 - 6 ZB 18.2341 - juris Rn. 8).
10
a) Gemessen an diesem Maßstab ist mit dem Verwaltungsgericht davon auszugehen, dass der Klägerin der geltend gemachte Schadensersatzanspruch schon deshalb nicht zusteht, weil sie ihr mögliche und zumutbare Rechtsbehelfe des Primärrechtsschutzes gegen die unterlassene Beförderung durch den Dienstherrn ohne hinreichenden Grund nicht in Anspruch genommen hat.
11
Nach dem Rechtsgedanken des § 839 Abs. 3 BGB soll nur derjenige Schadensersatz erhalten, der sich in gehörigem und in zumutbarem Maß für seine eigenen Belange eingesetzt und damit den Schaden abzuwenden versucht hat (BVerwG, U.v. 15.6.2018 - 2 C 20.17 - juris Rn. 7; B.v. 3.11.2014 - 2 B 24.14 - juris Rn. 7 m.w.N.; BayVGH, B.v 7.6.2019 - 6 ZB 18.2341 - juris Rn. 22; B.v. 23.8.2018 - 6 ZB 18.1025 - juris Rn. 11; B.v. 26.6.2018 - 6 ZB 17.2287 - juris Rn. 5). In Anwendung dieses Grundsatzes hat das Verwaltungsgericht zu Recht den geltend gemachten Anspruch schon deshalb verneint, weil die Klägerin bis zum 20. März 2017 jahrelang überhaupt kein Rechtsmittel ergriffen und keinerlei Anstrengungen unternommen hat, um die erforderlichen Schritte gegen ihre - aus ihrer Sicht - rechtswidrig unterbliebene Beförderung einzuleiten und die dafür zur Verfügung stehenden Rechtsschutzmöglichkeiten in Anspruch zu nehmen.
12
Die von der Klägerin hiergegen gerichteten Rügen bleiben ohne Erfolg. Entgegen ihrer Ansicht im Zulassungsantrag wäre es ihr durchaus möglich und zumutbar gewesen, deutlich früher zum Beispiel einen Antrag auf höhere Anrechnung der von ihr genommenen Elternzeiten auf die Dienstzeit oder Neufestsetzung des Zeitpunkts ihrer Beförderungsreife oder Erteilung einer Beurteilung bei ihrem Dienstherrn zu stellen (vgl. BayVGH, B.v 7.6.2019 - 6 ZB 18.2341 - juris Rn. 22). Daran ändert auch der Umstand nichts, dass sich die Rechtslage erst zum 26. Juli 2017 dahingehend geändert hat, dass nach § 5a Abs. 3 Nr. 4 SLV n.F. die gesamte Elternzeit nach § 28 Abs. 7 SG als Dienstzeit gilt (vgl. BayVGH, B.v 23.8.2018 - 6 ZB 18.1025 - juris Rn. 11). Der Verweis auf die frühere Verwaltungspraxis der Beklagten, die der damaligen Gesetzeslage gem. § 5a SLV in der bis zum 25. Juli 2017 geltenden Fassung entsprach und nur eine Anrechnung der Elternzeit von bis zu zwei Jahren vorsah, ist schon deshalb unbehelflich, weil auch gerichtliche Rechtsschutzmöglichkeiten zur Verfügung gestanden hätten. Dass ein derartiger Rechtsbehelf nicht von vornherein aussichtslos gewesen wäre, zeigt schon die von der Klägerseite vorgelegte Entscheidung des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 20. Februar 2018 (7 K 6063/16). Eine Kenntnis der Klägerin von konkret anstehenden Beförderungsrunden der Beklagten war für das Ergreifen von Rechtsmitteln nicht erforderlich.
13
b) Liegt demnach für die erste tragende (Haupt-)Erwägung des Verwaltungsgerichts (keine rechtzeitige und zumutbare Inanspruchnahme des Primärrechtsschutzes) kein Zulassungsgrund vor, können die übrigen Rügen die Zulassung der Berufung von vornherein nicht rechtfertigen. Die im Zulassungsantrag (S. 5/6) vorgetragenen Einwendungen (keine Stichtagsregelung, Verstoß gegen Art. 3 GG) sind damit nicht mehr entscheidungserheblich. Abgesehen davon genügen die Einwände der Klägerin gegen den zweiten Begründungsstrang (keine Kausalität für unterbliebene Beförderung) nicht dem Darlegungsgebot.
14
Der für einen Schadensersatzanspruch wegen unterbliebener Beförderung erforderliche adäquat kausale Zusammenhang zwischen der Verletzung des Bewerbungsverfahrensanspruchs und dem Schaden setzt voraus, dass die Soldatin ohne den Verstoß gegen Art. 33 Abs. 2 GG voraussichtlich befördert worden wäre. Ihre Beförderung muss bei hypothetischer Annahme eines rechtmäßigen Auswahlverfahrens jedenfalls ernsthaft möglich gewesen sein (vgl. BVerwG, U.v. 19.3.2015 - 2 C 12.14 - juris).
15
Das Verwaltungsgericht hat hierzu festgestellt, es ergebe sich keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass sich die Klägerin gegenüber anderen Bewerbern hätte durchsetzen können, selbst wenn sie aufgrund einer (vollen) Anrechnung von Betreuungs- und Elternzeiten in die damaligen Beförderungsrunden miteinbezogen worden wäre. Dies ergebe sich aus den vorgelegten Punktsummenwerten der späteren Jahre (ab 2014) sowie der Tatsache, dass im vorherigen Zeitpunkt keine zu berücksichtigenden Beurteilungen der Klägerin vorgelegen hätten. Um dem Darlegungsgebot zu genügen, muss sich der Rechtsmittelführer mit dem angefochtenen Urteil substantiell auseinandersetzen (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 63). Der Zulassungsantrag setzt sich jedoch mit der Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass eine Beförderung der Klägerin bei hypothetischer Annahme eines rechtmäßigen Auswahlverfahrens nicht ernsthaft möglich gewesen wäre, nicht in substantiierter Weise auseinander. Vielmehr verweist er lediglich auf die Verantwortlichkeit der Beklagten hierfür. Dies erfüllt nicht die Darlegungsanforderungen im Sinn des § 124a Abs. 4 Satz 2, Abs. 5 Satz 2 VwGO. Der Verweis der Klägerseite auf die Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vom 8. Juni 2010 (1 A 2859/07) und des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. August 2003 (2 C 14.02) und vom 17. August 2005 (2 C 37.04) verfängt im vorliegenden Verfahren schon deshalb nicht, weil diese sich nicht mit dem Darlegungsgebot im Sinn des § 124a Abs. 4 Satz 2, Abs. 5 Satz 2 VwGO befassen.
16
2. Die Klägerin hat keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) dargelegt.
17
Um den auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützten Zulassungsantrag zu begründen, muss der Rechtsmittelführer erstens eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formulieren, zweitens ausführen, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist, drittens erläutern, weshalb die formulierte Frage klärungsbedürftig ist, und viertens darlegen, weshalb ihr eine über die einzelfallbezogene Rechtsanwendung hinausgehende Bedeutung zukommt (Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 72). Die von der Klägerin aufgeworfene Frage, „ob und in welchem Umfang betroffene Soldatinnen Ansprüche auf laufbahn- und besoldungsrechtliche Schadlosstellung in ähnlich gelagerten Fällen haben“, ist für den vorliegenden Rechtsstreit nicht entscheidungserheblich.
18
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 6 Satz 4 i.V.m. Satz 1 Nr. 1 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).