Inhalt

VG Würzburg, Urteil v. 22.03.2019 – W 10 K 17.33732
Titel:

Keine landesweite Verfolgung von Christen in Nigeria

Normenketten:
AsylG § 3e Abs. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
EMRK Art. 3
Leitsätze:
1. Christen haben in Nigeria keine landesweite Verfolgung wegen ihrer Religionszugehörigkeit oder durch Anschläge von Islamisten (z.B. der islamistischen Terrororganisation Boko Haram) zu befürchten. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Umstand, dass im Falle einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, reicht allein nicht aus, um einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen. (Rn. 44) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Zugang psychisch kranker Personen zur medizinischen Versorgung und die Verbesserung der geistigen Gesundheit werden durch die Wahrnehmung solcher Erkrankungen in der nigerianischen Gesellschaft erheblich erschwert. Psychisch Kranke werden stigmatisiert, weil derartige Erkrankungen auf den Einfluss übernatürlicher Kräfte bzw. darüber verfügender Wesen wie Hexen oder Geister zurückgeführt oder als gottgegeben angesehen werden. (Rn. 50) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asylrecht (Nigeria), Unglaubhaftes Vorbringen (Vortäuschen einer Straftat), Angebliche Verfolgung durch Geheimgesellschaft, innerstaatliche Fluchtalternative, Diabetes Mellitus, Typ 2, Christ, Verkürzung der Lebenserwartung, psychisch kranke Person, Psychiatrische Versorgung, medizinischen Versorgung, Medikamentenversorgung
Fundstelle:
BeckRS 2019, 14413

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt die Anerkennung als Asylberechtigter sowie die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise des subsidiären Schutzes und weiter hilfsweise die Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbotes hinsichtlich Nigerias.
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1. Der Kläger wurde nach eigenen Angaben am … … 1977 in Benin City in Nigeria geboren, ist Volkszugehöriger der Bini und gehört der religiösen Pfingstbewegung an. Er verließ nach eigenen Angaben am 3. September 2014 sein Herkunftsland und reiste über Frankreich, die Schweiz, Italien und Österreich am 7. Oktober 2014 in das Bundesgebiet ein.
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Am 12. April 2016 beantragte der Kläger beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) Asyl.
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In der persönlichen Anhörung am 28. September 2016 gab der Kläger im Wesentlichen an, er habe nach dem Tod seines Vaters im Jahr 2013 seinen Namen geändert. Im Herkunftsland lebten seine drei Schwestern sowie ein Onkel väterlicherseits. Er habe 12 Jahre lang die Schule besucht und das Abitur abgeschlossen. Danach habe er drei Jahre lang Soziale Arbeit studiert, jedoch aufgrund seiner mentalen Erkrankung keinen Abschluss erworben. Bis zum Jahr 2010 habe er dann für einen Rechtsanwalt gearbeitet und anschließend bei einem Sportwettenbüro in Benin City.
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Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab der Kläger im Wesentlichen an, er habe im Jahr 2013 seine Freundin S* … …, mit der er seit dem Jahr 2005 zusammen gewesen sei, im Schlaf erschossen. Er sei dann nackt auf die Straße gegangen und sehr glücklich gewesen. Er habe aber nicht gewusst, was er tue. Sein Vater und andere Menschen hätten ihn zum Nervenarzt geschickt. Dort habe er sich zwei Wochen lang aufgehalten. Die Familie seiner Freundin habe ihm Rache angekündigt und gesagt, er müsse auch sterben. Da sie nach ihm gesucht hätten, sei er nach Lagos geflohen. Er sei auch polizeilich gesucht worden. Er sei vom Krankenhaus aus geflohen. Angehörige seiner Freundin hätten dann an seiner Stelle seinen Vater getötet. Der Kläger habe dann ein Visum für Frankreich beantragt und dieses auch erhalten. Sein Leben sei in Nigeria nicht sicher gewesen. Er sei auch in Abuja gewesen und habe dort einen neuen Pass mit seinem geänderten Namen beantragt. Er habe ein gutes Leben gehabt und Geld verdient, aber dieser Vorfall sei sein Problem gewesen. Er sei seit 2003 in nervenärztlicher Behandlung gewesen, was seine Freundin nicht gewusst habe. Er habe die Behandlung jedoch im Jahr 2005 einmal unterbrochen. Er habe Spritzen und auch Tabletten erhalten. Die Polizei sei auch bei ihm zu Hause gewesen, er habe sich jedoch zu diesem Zeitpunkt im Krankenhaus befunden. Sein Vater habe den Polizisten nicht gesagt, wo sich der Kläger aufhalte. Der Mord an seiner Freundin sei am 18. September 2013 geschehen. Das Visum habe er in der französischen Botschaft in Lagos beantragt. Es habe drei Wochen nach dem Antrag im Juli 2014 gedauert. In der Zwischenzeit habe er sich in einem Hotel versteckt. Er habe nicht gearbeitet. Auf Frage, weshalb er nicht schon früher ausgereist sei, erklärte der Kläger, sein Onkel habe ihm geraten, zu warten. Sein Anwalt habe ihm das Geld von seinem Vater gegeben. Er habe vor der Beerdigung auf „Idin-Egbe“ gewartet. In der Zeit, in der er sich versteckt habe, habe nur seine Schwester einmal mit ihm gesprochen und ihm mitgeteilt, dass Leute nach ihm suchten. Den anderen Namen habe er aus Sicherheitsgründen angenommen. Auf Vorhalt, dass die Namensänderung ja auch in der Zeitung veröffentlicht worden sei, gab der Kläger an, die Polizei könnte das gewusst haben. Er sei nie direkt persönlich bedroht worden. Er habe auch nie sonstige Probleme mit Behörden, der Polizei oder sonstigen Gruppierungen gehabt.
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Der Kläger legte eine eidesstattliche Versicherung seiner Schwester vor, welche sein Geburtsdatum, den Geburtsort sowie die fehlende Registrierung bestätigt, sowie die Urkunde der Namensänderung, datierend vom 8. August 2014 und ein Schreiben seiner Rechtsanwälte vom 10. April 2006 an die Universität von Benin City betreffend eine Beurlaubung vom Studium aus gesundheitlichen Gründen. In der Bundesamtsakte befindet sich des Weiteren ein Ausschnitt aus dem Nigerian Observer vom 15. August 2014 mit der Bekanntmachung der Namensänderung des Klägers (Bl. 46 der BA-Akte). Eine ebenfalls in der Bundesamtsakte befindliche Kopie des Reisepasses des Klägers enthält ein Schengen-Visum für den Kläger mit dem Geltungszeitraum 22. Juli 2014 bis 21. Oktober 2014.
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Des Weiteren befindet sich in der Akte ein an den behandelnden Nervenarzt in Deutschland gerichtetes schriftliches Attest des Psychiatric Hospital Uselu, Benin City, vom 10. Juni 2016, aus welchem hervorgeht, dass der Kläger sich dort erstmals am 19. September 2014 (sic!), handschriftlich korrigiert auf „2013“, und letztmalig am 28. August 2014 vorgestellt habe. Bei der Erstvorstellung sei er schlaflos, argwöhnisch, sehr gesprächig und sowohl körperlich als auch verbal aggressiv gewesen. Der Kläger habe von einer früheren Episode im Jahr 2003 berichtet. Bei der letztgenannten Vorstellung sei er seelisch stabil gewesen, die Medikation sei damals Olanzapin 10mg gewesen (Bl. 55 der BA-Akte).
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Ein gegen den Kläger von der Staatsanwaltschaft Aschaffenburg eingeleitetes Ermittlungsverfahren wegen Totschlags wurde mit Verfügung vom 6. Februar 2017 gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, nachdem der Kläger sich in Untersuchungshaft über seinen Verteidiger dahingehend eingelassen hatte, es treffe nicht zu, dass er in Nigeria eine Freundin namens S* … … gehabt und diese erschossen habe. Seine entsprechenden Angaben in der persönlichen Anhörung beim Bundesamt seien frei erfunden gewesen. Er habe sich bewusst wahrheitswidrig der Tötung seiner Freundin bezichtigt, um nicht abgeschoben zu werden. Er habe gedacht, dass er in Deutschland bleiben könne und hier Asyl erhalte. Anderweitige Anhaltspunkte für die Begehung der vorgetäuschten Straftat ergaben sich im Ermittlungsverfahren nicht. Ein weiteres Ermittlungsverfahren wegen Vortäuschens einer Straftat gemäß § 145d Abs. 1 Ziffer 1 StGB wurde gegen den Kläger eingeleitet (Bl. 59 ff. der BA-Akte).
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Anlässlich einer Vorsprache bei der Zentralen Ausländerbehörde Unterfranken am 22. Februar 2017 räumte der Kläger ebenfalls ein, die Tötung seiner Freundin durch einen Kopfschuss frei erfunden zu haben, um sich davon Vorteile im Asylverfahren zu verschaffen. In Wahrheit sei sein Vater bei einer Secret Society gewesen. Nach seinem Tod hätten sie dem Toten Körperteile abgeschnitten und diese weitergegeben. Die Secret Society sei eine Gruppierung, bei der sein Vater Mitglied gewesen sei. Der Kläger habe auch Mitglied werden sollen, habe das jedoch nicht gewollt. Er habe Angst gehabt. Damit er fliehen könne, habe er behauptet, seine Freundin umgebracht zu haben. Sein Vater sei im Oktober 2013 gestorben. Den genauen Tag wisse er nicht. Zur Namensänderung habe er sich nach dem Tod seines Vaters entschlossen. Im Februar 2014 habe er den Reisepass auf seinen neuen Namen erhalten.
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Mit rechtskräftig gewordenem Strafbefehl des Amtsgerichts A* … vom 9. März 2017 wurde der Kläger wegen Vortäuschens einer Straftat zu einer Freiheitsstrafe von 9 Monaten auf Bewährung verurteilt.
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Mit Bescheid vom 20. April 2017 lehnte das Bundesamt die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 1 des Bescheides), auf Asylanerkennung (Ziffer 2) sowie auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus (Ziffer 3) ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 4) und forderte den Kläger unter Androhung der Abschiebung nach Nigeria zur Ausreise auf (Ziffer 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 6). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, gegen die vom Kläger beschriebene Flucht spreche u.a. die Visabeantragung bei einer europäischen Auslandsvertretung und die Ausstellung des Reisepasses nur wenige Wochen vor der angeblichen Flucht bzw. Ausreise. Es dränge sich der Eindruck auf, dass der Kläger eine gezielt und länger geplante Ausreise zur Emigration vorgenommen habe. Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Kläger in Nigeria nach eigenen Angaben eine gute wirtschaftliche Grundlage gehabt und studiert habe, erscheine es unglaubhaft, dass er diese offenbar sichere Existenz und seine gesamte Familie aufgrund nur unzureichender Informationen aufgegeben und sich einer höchst ungewissen Zukunft ausgesetzt haben wolle. Aus denselben Gründen lägen auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nicht vor. Auch zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote lägen nicht vor. Die geltend gemachten Umstände gingen nicht über das Maß dessen hinaus, was alle Bewohner hinzunehmen hätten, die in vergleichbarer Situation lebten. Der Kläger habe keine individuellen Gefahren geltend gemacht. Er sei erwerbsfähig und es sei ihm auch gelungen, für sich in Nigeria eine Lebensgrundlage zu schaffen. Der Kläger habe zwar vorgetragen, in seiner Heimat wegen psychischer Probleme behandelt worden zu sein, konkrete Ausführungen über seine psychischen Beeinträchtigungen habe er jedoch nicht vorgetragen und auch keine entsprechenden fachärztlichen Atteste vorgelegt. Auf die Gründe des Bescheides wird im Übrigen zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.
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2. Am 2. Mai 2017 ließ der Kläger Klage erheben, die er mit Schriftsatz vom 19. Dezember 2017 im Wesentlichen wie folgt begründete: Der Kläger leide an einer seelischen Krankheit (Psychose). Bei einer solchen Erkrankung seien Störungen des Denkens und der Wahrnehmung führend. Besonders charakteristisch seien Wahnvorstellungen und Halluzinationen. Warnsymptome träten häufig in Form von Verfolgungswahn oder Beziehungswahn auf, bei denen der Betroffene Wahrnehmungen fälschlicherweise auf sich beziehe. Manche Betroffene hätten den Eindruck, dass die Umwelt nicht mehr real sei oder sie selber nicht die Person seien, die sie zu sein schienen, ferner dass die eigenen Gedanken auch von anderen wahrgenommen oder beeinflusst werden könnten (sog. Ich-Störungen). Die Denkstörungen zeigten sich häufig in der Form von Problemen im formalen Denkablauf, was als Unkonzentriertheit oder Verwirrtheit erscheinen möge. Häufig begleiteten Stimmungsschwankungen die psychotischen Symptome. Gerade dies führe dazu, dass der betroffene Kläger dies zunächst nicht realisiert habe. Des Weiteren sei die Kostenübernahme der Behandlung durch das Sozialamt problematisch gewesen. Am 3. November 2016 sei zunächst eine paranoide Schizophrenie, am 27. Januar 2017 dann eine bipolare affektive Störung diagnostiziert worden. Am 1. April 2017 sei neben einer Schizophrenie auch ein insulinpflichtiger Diabetes mellitus Typ 2 diagnostiziert worden. Mit Bescheid des Zentrums Bayern, Familie und Soziales vom 16. November 2017 sei als Grad der Behinderung 70% festgesetzt worden. Wie die Beklagte in ihrem Bescheid selbst ausführe, existiere in Nigeria kein mit deutschen Standards vergleichbares Psychiatriewesen, sondern es gebe allenfalls Verwahreinrichtungen auf sehr niedrigem Niveau, in denen Menschen mit psychischen Erkrankungen oft gegen ihren Willen untergebracht würden, aber nicht adäquat behandelt werden könnten. Schätzungen zufolge lebten rund 65% der Bevölkerung unter der Armutsgrenze von 1 US-Dollar pro Tag, weshalb aufwendigere Behandlungsmethoden oder Medikamente, wie z.B. Insulin, von einem Großteil der Bevölkerung nicht finanziert werden könnten. Menschen mit Typ 2 Diabetes hätten ein erhöhtes Risiko für Herz- und Gefäßkrankheiten, Herzinfarkte, Schlaganfälle und Probleme mit der Durchblutung der Beine und Füße (periphere arterielle Verschlusskrankheit, pAVK). Sie zählten zu den makrovaskulären Komplikationen des Diabetes. Das bedeute, dass die großen Blutgefäße betroffen seien. Dieses Risiko sei besonders bei einem zu hohen Blutdruck erhöht. Wenn das Blut über lange Jahre zu viel Zucker enthalte, könnten auch die kleinen Blutgefäße der Augen, Nerven und Nieren geschädigt werden. Der Gesundheitszustand würde sich rapide verschlechtern, wenn der Kläger in Nigeria keinen Zugang zu einer regelmäßigen Insulineinnahme habe.
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Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 20. April 2017, Az.: …, zugestellt am 27. April 2016 (sic!), zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,
die Beklagte zu verpflichten, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen von § 60 AufenthG vorliegen,
hilfsweise, dass die Voraussetzungen von § 60 Abs. 2 bis 5 und Abs. 5 AufenthG vorliegen.
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3. Für die Beklagte beantragt das Bundesamt,
die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung wurde mit Schriftsatz vom 22. Dezember 2017 ausgeführt, die psychische Erkrankung sei bereits erfolgreich im Heimatland des Klägers behandelt worden. Es wurde aus dem von der Schwester des Klägers angeforderten ärztlichen Attest vom 10. Juni 2016 des Herrn Dr. I* … vom Psychiatrischen Krankenhaus in Benin zitiert. Daraus gehe hervor, dass der Kläger zuletzt am 28. August 2014 vorstellig geworden sei. Er sei mental stabil gewesen. Zur Behandlung habe er Olanzapin erhalten. Die weiter behaupteten Erkrankungen wie Diabetes Typ 2 usw. seien bislang nicht fachärztlich belegt worden.
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4. Mit Schriftsatz vom 11. Januar 2018 wurde ein Medikationsplan für den Kläger vorgelegt, aus dem die Behandlung mit Insulin sowie Olanzapin hervorgeht. Mit Schriftsatz vom 17. Mai 2018 ließ der Kläger erwidern, die seelische Erkrankung sei im Heimatland nicht ausreichend behandelt worden. Der Kläger sei stabilisiert und auf seinen Wunsch hin entlassen worden, damit er sich an seinem Wohnort in Behandlung begeben könne.
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5. Die Beklagte erwiderte hierauf mit Schriftsatz vom 25. Mai 2018, dass die im Feststellungsbescheid lediglich genannten Diagnosen nicht zu einer Abhilfeentscheidung führen könnten. Auf die bisherigen Stellungnahmen wurde verwiesen.
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6. Mit Beschluss vom 19. Dezember 2018 hat die Kammer den Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
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Mit Schreiben vom 11. Februar 2019 setzte das Gericht dem Kläger eine Frist zur Vorlage weiterer fachärztlicher Atteste bis zum 15. März 2019.
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Mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 18. März 2019 legte der Kläger einen weiteren Medikamentenplan vor und machte Ausführungen zur Medikation, den damit verbundenen Kosten (monatlich 222,82 EUR) und der Zugänglichkeit der erforderlichen medizinischen Versorgung für den Kläger in Nigeria.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtssowie der vorgelegten Behördenakten Bezug genommen, wegen des Verlaufs der mündlichen Verhandlungen auf die Protokolle vom 1. Februar und 22. März 2019.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage, über die das Gericht auch in Abwesenheit eines Vertreters der Beklagten verhandeln und entscheiden darf (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist nicht begründet.
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Der Kläger hat weder Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter und Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, noch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes, noch auf Feststellung nationaler Abschiebungsverbote und Herabsetzung der Frist des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge ist daher insgesamt rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter gemäß Art. 16a Abs. 1 GG, § 1 Abs. 1 Nr. 1 AsylG. Dem steht bereits entgegen, dass der Kläger aus mehreren sicheren Drittstaaten im Sinne des Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG eingereist ist (§ 26a Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylG).
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2. Dem Kläger steht auch die begehrte Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß §§ 3 ff. AsylG nicht zu.
26
Rechtsgrundlage der begehrten Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist vorliegend § 3 Abs. 4 und Abs. 1 AsylG (BT-Drs. 16/5065, S. 213; vgl. auch § 60 Abs. 1 Satz 3 AufenthG). Danach wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, soweit er keinen Ausschlusstatbestand nach § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG erfüllt. Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtstellung der Flüchtlinge (Genfer Konvention - GK), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Die §§ 3 ff. AsylG setzen die Vorschriften der Art. 6 bis 10 der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Qualifikationsrichtlinie - QRL, Amtsblatt-Nr. L 337, S. 9) im deutschen Recht um.
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a) Nach § 3a Abs. 1 AsylG gelten als Verfolgung i.S.d. § 3 Abs. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 - EMRK (BGBl. 1952 II, S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Die für eine Verfolgung im Sinne des Flüchtlingsschutzes nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG relevanten Merkmale (Verfolgungsgründe) sind in § 3b Abs. 1 AsylG näher definiert. Gemäß § 3b Abs. 2 AsylG ist es bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.
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Maßgeblich für die Beurteilung, ob sich ein Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung außerhalb des Heimatlandes befindet, ist der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, der dem Maßstab des „real risk“, den der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) bei der Prüfung des Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) anwendet (vgl. EGMR, U.v. 28.2.2008 - 37201/06, NVwZ 2008, 1330 Rn. 125 ff.; U.v. 23.2.2012 - 27765/09, NVwZ 2012, 809 Rn. 114), entspricht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) ist die Furcht des Ausländers begründet, wenn bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 - 10 C 23.12 - juris Rn. 32; U.v. 19.4.2018 - 1 C 29.17 - juris Rn. 14; VGH Baden-Württemberg, U.v. 3.11.2016 - A 9 S 303/15 -, juris Rn. 32 ff.; Niedersächsisches OVG, U.v. 21.9.2015 - 9 LB 20/14 -, juris Rn. 30).
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Wurde der betroffene Ausländer bereits verfolgt oder hat er einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten bzw. war er von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht und weisen diese Handlungen und Bedrohungen eine Verknüpfung mit einem Verfolgungsgrund auf, greift zu dessen Gunsten die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 (Qualifikationsrichtlinie - QRL, Amtsblatt-Nr. L 337, S.9), wonach die Vorverfolgung bzw. Vorschädigung einen ernsthaften Hinweis darstellt, dass sich die Handlungen und Bedrohungen im Falle einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2018 - 1 C 29.17 - juris Rn. 15). Die Vorschrift privilegiert den betroffenen Ausländer durch eine widerlegliche Vermutung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Eine Widerlegung der Vermutung ist möglich, wenn stichhaltige Gründe gegen eine Wiederholung sprechen. Durch Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte davon befreit, stichhaltige Gründe dafür vorzubringen, dass sich die Bedrohungen erneut realisieren, wenn er in sein Heimatland zurückkehrt.
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Dem Ausländer obliegt gleichwohl die Pflicht, seine Gründe für die Verfolgung schlüssig vorzutragen. Das bedeutet, dass ein in sich stimmiger Sachverhalt geschildert werden muss, aus dem sich bei Wahrunterstellung und verständiger Würdigung ergibt, dass mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung droht. Dies beinhaltet auch, dass der Ausländer die in seine Sphäre fallenden Ereignisse und persönlichen Erlebnisse, die geeignet sind, den behaupteten Anspruch lückenlos zu tragen, wiedergeben muss (vgl. OVG Nordrhein - Westfalen, U.v. 2.7.2013 - A 9 S 303/15 -, juris Rn. 59 f. mit Verweis auf BVerwG, B.v. vom 21.7.1989 - 9 B 239.89 -, InfAuslR 1989, 349 (juris Rn. 3 f.); B.v. 26.10.1989 - 9 B 405.89 -, InfAuslR 1990, 38 (juris Rn. 8); B.v. 3.8.1990 - 9 B 45.90 -, Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 225 (juris Rn. 2)).
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b) Gemessen an diesen Grundsätzen steht dem Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu, weil er auf zumutbaren internen Schutz bzw. auf eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 3e AsylG zu verweisen ist. Danach wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.
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Der von dem Kläger zunächst in der Anhörung beim Bundesamt vorgetragene Sachverhalt der Tötung seiner Freundin und der daraus resultierenden Gefahren der Strafverfolgung, gegebenenfalls der Verhängung und Vollstreckung der Todesstrafe, ist nicht glaubhaft. Der Kläger hat selbst vor dem Bundesamt sowie im Zuge des gegen ihn im Bundesgebiet eingeleiteten Strafverfahrens eingeräumt, dass er diesen Sachverhalt erfunden habe, um sich Vorteile im Asylverfahren verschaffen.
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Soweit der Kläger nunmehr vorträgt, er befürchte landesweite Verfolgung durch eine Geheimgesellschaft, welche versucht habe, ihn als Nachfolger seines verstorbenen Vaters zu rekrutieren, führt auch dieser Vortrag nicht zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Zum einen hat das Gericht bereits erhebliche Zweifel an der Glaubhaftigkeit dieses Vortrags, da der Kläger ihn ohne ersichtlichen Grund zunächst verschwiegen und sein Asylbegehren mit einem völlig anderen, wie sich herausstellte frei erfundenen Vortrag zu begründen versuchte. Erst nachdem er erkannte, dass er sich mit dem ursprünglichen Vortrag einer Strafverfolgung auch im Bundesgebiet aussetzte, hat er diesen Vortrag widerrufen und stattdessen die Bedrohung durch die Geheimgesellschaft vorgetragen. Davon war in der ursprünglichen Anhörung beim Bundesamt jedoch keine Rede. Bereits dieser Umstand spricht gegen die Glaubhaftigkeit des Vortrags, weil er zeigt, dass der Kläger bereit ist, seinen Vortrag situationsgerecht anzupassen.
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Unabhängig davon teilt das Gericht jedoch nicht die Einschätzung des Klägers, er sei einer landesweiten Verfolgung durch die Geheimgesellschaft in Nigeria ausgesetzt. Dem Kläger steht in anderen Landesteilen Nigerias eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative (interner Schutz) i.S.d. § 3e Abs. 1 AsylG zur Verfügung. Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln über die Lage im Bundesstaat Nigeria sowie einschlägiger Rechtsprechung besteht grundsätzlich in den meisten Fällen die Möglichkeit, staatlicher Verfolgung, Repressionen Dritter sowie Fällen massiver regionaler Instabilität durch Umzug in einen anderen Teil des Landes auszuweichen. Das Risiko, von potentiellen Verfolgern landesweit aufgefunden zu werden, ist gering, zumal Nigeria etwa 190 Millionen Einwohner hat, eine Fläche von 925.000 Quadratkilometer aufweist und dabei nicht über ein funktionsfähiges Meldesystem verfügt (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Nigeria, Stand: 7.8.2017, S. 49, 61). Die Freizügigkeit ist nicht eingeschränkt. Nach Art. 41 der Verfassung der Bundesrepublik Nigeria von 1999 steht es jedem Nigerianer frei, sich überall in Nigeria niederzulassen (vgl. VG Minden, U.v. 14.3.2017 - 10 K 2413/16.A - juris Rn. 15). Allerdings kann die Umsiedlung bzw. Niederlassung in einem anderen Landesteil mit gravierenden wirtschaftlichen und sozialen Problemen verbunden sein, wenn sich einzelne Personen an einen Ort begeben, in dem keine Mitglieder ihrer Familie bzw. erweiterten Verwandtschaft oder der Dorfgemeinschaft leben. Angesichts der anhaltend schwierigen Wirtschaftslage, ethnischem Ressentiment und der Bedeutung familiärer Bindungen in der nigerianischen Gesellschaft ist es für viele Menschen schwer, an Orten ohne ein bestehendes soziales Netz erfolgreich Fuß zu fassen (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria, Stand: Oktober 2018, S. 16).
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Von dem Kläger ist jedoch vernünftigerweise zu erwarten, dass er sich in einem anderen Landesteil Nigerias niederlässt. Der Kläger ist nach seinen eigenen, nicht weiter überprüfbaren Angaben im Bundesstaat Edo im südwestlichen Nigeria geboren und hat sich noch nie in einem anderen Landesteil aufgehalten. Dennoch würde ihm zumindest in einer nigerianischen Großstadt, beispielsweise in der Hauptstadt Lagos nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung durch die Geheimgesellschaft droht. Es ist dem Kläger auch zumutbar, sich dort niederzulassen, auch wenn er dort ohne nähere Ortskenntnisse zurechtkommen müsste. In Anbetracht der persönlichen Situation des Klägers geht das Gericht nicht davon aus, dass es diesen im Falle der Rückkehr nach Nigeria nicht möglich wäre, für seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Zum einen hat der Kläger eine gute Schulbildung (12 Jahre Schulbesuch mit dem Abschluss Abitur) und verfügt über Berufserfahrung als Rechtsanwaltsgehilfe sowie aufgrund seiner früheren Tätigkeit in einem Sportwettbüro. Zum anderen wäre der Kläger nach der Einschätzung des Gerichtes auch nicht völlig auf sich alleine gestellt, weshalb ihm trotz seiner depressiven Erkrankung nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Leben unter unzumutbaren Bedingungen droht. Denn der Kläger verfügt noch über familiären Rückhalt in Nigeria. Dort leben eigenen Angaben zufolge noch ein Onkel sowie drei Schwestern, mit denen er auch noch in Kontakt steht. Dass diese Familienangehörigen auch bereit sind, den Kläger zu unterstützen, hat sich bereits dadurch gezeigt, dass eine seiner Schwestern ihm Unterlagen aus Nigeria hat zukommen lassen, insbesondere das Attest des Psychiatrischen Krankenhauses in Benin City. Das Gericht geht deshalb davon aus, dass die noch lebenden Familienangehörigen den Kläger im Falle seiner Rückkehr nach Nigeria auch weiter unterstützen würden. Außerdem ist der Kläger der Landessprache Englisch mächtig, dass er sich im Alltagsleben verständigen kann, was sich schon daran zeigt, dass die Anhörung beim Bundesamt in dieser Sprache ohne Probleme durchgeführt werden konnte. Es ist somit nicht ersichtlich, dass es dem Kläger gegebenenfalls mit familiärer Unterstützung nicht möglich sein wird, in einem anderen Landesteil Nigerias seinen Lebensunterhalt - wenn auch auf niedrigem Niveau - zu sichern.
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Der Kläger hat in Nigeria auch keine landesweite Verfolgung wegen seiner Religionszugehörigkeit oder durch Anschläge von Islamisten (z.B. der islamistischen Terrororganisation Boko Haram) zu befürchten. Derartige Anschläge finden nicht landesweit statt, sondern hauptsächlich im Norden und Nordosten Nigerias, während es im Süden nur zu vereinzelten Anschlägen kommt (vgl. etwa Lagebericht, a.a.O., S. 5 und S. 10; OVG NRW, B.v. 14.7.2015 - 11 A 2515/14.A, B.v. 27.4.2015 - 11 A 2087/14.A - jeweils juris m.w.N.; VG Würzburg, U.v. 5.10.2018 - W 4 K 17.32551 - juris; VG München, U.v. 9.11.2018 - M 21 K 17.42545 - juris Rn. 29). Verfolgte Personen können, wie zahlreiche durch Islamisten wie die Terrorgruppe Boko Haram bedrohte Christen, in andere Landesteile umziehen. Sie sind dabei keinen besonderen Einschränkungen unterworfen. Zudem dominiert im Südwesten Nigerias, anders als z.B. im stark muslimisch geprägten Norden des Landes, keine bestimmte Religion. Zwar sind viele der dort lebenden Menschen Moslems oder praktizieren traditionelle Religionen. Daneben bekennt sich aber auch eine große Zahl der dort lebenden Menschen zum Christentum (vgl. dazu VG Minden, U.v. 14.3.2017 - 10 K 2413/16.A - juris Rn. 17 m.w.N.). Der Kläger würde somit als Christ zumindest im Südwesten Nigerias, der für ihn auch tatsächlich erreichbar sein wird, keiner religiösen Minderheit angehören. Es ist nicht ersichtlich, dass er dort aufgrund seiner Religionszugehörigkeit diskriminiert würde oder in anderer Weise gefährdet wäre. In den dem Gericht zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln, vor allem in dem Bericht des Auswärtigen Amtes zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Bundesrepublik Nigeria finden sich zudem keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass für Christen im Südwesten des Landes in absehbarer Zeit eine ähnlich bedrohliche Situation entstehen könnte wie in anderen Landesteilen. Die südwestlichen Bundesstaaten sind bislang von den regelmäßig im Norden bzw. Nordosten Nigerias vorkommenden Angriffen der islamistischen Terrorgruppe Boko Haram ebenso weitgehend verschont geblieben wie von (sonstigen) religiös motivierten Auseinandersetzungen größeren Ausmaßes. In der Region gibt es seit Jahrhunderten ein friedliches Zusammenleben zwischen Christen und Moslems. Mischehen zwischen Angehörigen beider Religionen sind häufig (vgl. zu allem VG Minden, U.v. 14.3.2017 - 10 K 2413/16.A - Rn. 20 ff.; Lagebericht des Auswärtigen Amtes, a.a.O., S. 13 f.; EASO, Country of Origin Report, Nigeria - Country Focus, June 2017, S. 53).
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3. Dem Kläger steht des Weiteren die begehrte Zuerkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 AsylG nicht zu.
38
a) § 4 Abs. 1 AsylG setzt die Bestimmungen der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 (ABl. L 304 v. 30.9.2004, S. 2 - 2, ABl. L 304 v. 30.9.2004, S. 12 - 23) - Qualifikationsrichtlinie a.F. (QRL), jetzt Richtlinie 2011/95/EU (ABl. L 337 S. 9, ber. ABl. 2017 L 167 S. 58) -, insbesondere deren Art. 15 ff. im deutschen Recht um. Diese bilden nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes - zu den Vorläuferregelungen des § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG - einen einheitlichen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand (BVerwG, U.v. 8.9.2011 - 10 C 14/10 - DVBl. 2011, 1565 f.; BayVGH, U.v. 20.1.2012 - 13a B 11.30427 - juris). Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG gilt als ernsthafter Schaden die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3).
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b) Dem Kläger droht in Nigeria nicht die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe wegen der angeblichen Tötung seiner Freundin (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG). Denn er hat im Zuge des Asyl- und Strafverfahrens eingeräumt, dass er seinen diesbezüglichen Vortrag frei erfunden hat, um sich Vorteile im Asylverfahren zu verschaffen.
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c) Dem Kläger droht im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit landesweit die Gefahr eines ernsthaften Schadens durch eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG. Insoweit wird auf die Ausführungen unter 2.) zum internen Schutz gemäß § 3e AsylG verwiesen, der gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG auch im Rahmen der Zuerkennung des subsidiären Schutzes Anwendung findet.
41
4. Außerdem steht dem Kläger kein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG zu.
42
a) Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) unzulässig ist. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden. Aus § 60 Abs. 5 AufenthG folgt, dass ein Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes besteht, wenn dem Kläger im Zielstaat der Abschiebung eine solche verbotene Behandlung mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit (real risk) droht.
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(1) Wie ausgeführt, droht dem Kläger jedenfalls keine landesweite Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung im Sinne des Art. 3 EMRK. Vielmehr steht ihm in anderen Landesteilen Nigerias eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung, welche nicht nur gemäß §§ 3e, 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. des subsidiären Schutzes, sondern auch der Feststellung zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote im Sinne des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG entgegensteht (BayVGH, U.v. 17.7.2018 - 20 B 17.31659 - juris Rn. 36; Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, § 60 AufenthG Rn. 2). Auf die Ausführungen hierzu unter 2.) wird verwiesen.
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(2) Des Weiteren folgt aus der EMRK kein Recht auf Verbleib in einem Konventionsstaat, um dort weiter medizinische, soziale oder andere Hilfe und Unterstützung zu erhalten. Der Umstand, dass im Falle einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, reicht allein nicht aus, um einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen. Anderes kann nur in besonderen Ausnahmefällen gelten, in denen humanitäre Gründe der Aufenthaltsbeendigung zwingend entgegenstehen, wobei solche humanitären Gründe auch in einer völlig unzureichenden Versorgungslage begründet sein können (vgl. BVerwG; U.v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - juris Rn. 23 ff. unter Verweis auf EGMR, U.v. 28.5.2008 - Nr. 26565/05, N./Vereinigtes Königreich - NVwZ 2008, 1334 Rn. 42; U.v. 28.6.2011 Nr. 8319/07, Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich - NVwZ 2012, 681; ebenso BayVGH, U.v. 21.11.2014 - 13a B 14.30284 - juris Rn. 17 f.). Von einer derart ernsthaften Versorgungslage in Nigeria kann jedoch keine Rede sein. Nigerias Haupteinnahmequelle stammt mit etwa 80% der Gesamteinnahmen aus der Öl- und Gasförderung. Zudem sind der (informelle) Handel und die Landwirtschaft von Bedeutung, die dem größten Teil der Bevölkerung eine Subsistenzmöglichkeit bietet. Die Industrie (Zentren im Südwesten, Südosten und Norden) leidet an Energiemangel und an Defiziten bei der Infrastruktur. Weiterhin leben ca. 70% der Bevölkerung am Existenzminimum. Das Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner betrug im Jahr 2016 nach Angaben der Weltbank 2.178,00 US-Dollar, ist aber ungleichmäßig zwischen einer kleinen Elite und der Masse der Bevölkerung verteilt (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht, a.a.O., S. 23). Im Gegensatz zum Nordosten Nigerias, wo wegen der anhaltenden Sicherheitsgefährdungen eine humanitäre Krisenlage besteht und etwa 5,2 Millionen Menschen zeitweise auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen waren (vgl. Lagebericht, a.a.O., S. 10/11), ist daher die wirtschaftliche Lage im Südwesten des Landes wesentlich entspannter. Somit ist zwar die wirtschaftliche und soziale Lage in Nigeria insgesamt schwierig und den vorhandenen sozialen Netzwerken sowie familiären Bindungen kommt eine hohe Bedeutung bei der Sicherung des Lebensunterhalts zu (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amts, a.a.O., S. 18). Das erkennende Gericht hat aber, wie ausgeführt, keine durchgreifenden Zweifel daran, dass dem Kläger im Anschluss an eine Rückkehr in die Bundesrepublik Nigeria gegebenenfalls mit familiärer Unterstützung die Sicherung seiner wirtschaftlichen Existenz möglich sein wird. Erforderlich und ausreichend ist insoweit, dass er durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und seiner Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu seinem Lebensunterhalt Notwendige erlangen kann. Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, die nicht den überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise in der Landwirtschaft oder auf dem Bausektor, ausgeübt werden können (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 1.2.2007 - 1 C 24.06 - NVwZ 2007, 590; OVG NRW, U.v. 17.11.2008 - 11 A 4395/04.A - juris Rn. 47). Es ist nicht feststellbar, dass der Kläger eine diesen Anforderungen genügende Möglichkeit, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, nicht vorfinden bzw. nicht nutzen können wird. Insoweit wird auf die Ausführungen unter 2.) verwiesen, um eine nochmalige Wiederholung zu vermeiden.
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b) Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist ebenfalls nicht ersichtlich. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.
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(1) Hinsichtlich krankheitsbedingter Gefahren für Leib oder Leben werden die Voraussetzungen eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbotes durch die Regelung in § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG konkretisiert. Danach liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Dabei ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Des Weiteren liegt eine ausreichende medizinische Versorgung in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaates gewährleistet ist (§ 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG). Die Sätze 2 bis 4 des § 60 Abs. 7 AufenthG wurden durch das Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl. I, S. 390 - sogenanntes Asylpaket II), in Kraft getreten am 17. März 2016, neu gefasst. Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/7538, S. 18) können lediglich lebensbedrohliche und schwerwiegende Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, die Abschiebung des Ausländers hindern. Damit gibt der Gesetzgeber im Wesentlichen den Stand der ober- und höchstrichterlichen Rechtsprechung zu der bis zum In-Kraft-Treten der Neuregelung geltenden Fassung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG a.F. wieder (vgl. Koch in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 19. Edition 15.8.2016, § 60 AufenthG Rn. 40). Danach ist erforderlich, aber auch ausreichend für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, dass sich die vorhandene Erkrankung des Ausländers aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, d.h. dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht (BVerwG, U.v. 17.10.2006 - 1 C 18.05 - juris Rn. 15). Letzteres hat der Ausländer durch die Vorlage eines aussagekräftigen (fach-)ärztlichen Attestes glaubhaft zu machen.
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An die Substantiierung von Erkrankungen auf psychiatrischem Fachgebiet sind dabei wegen der erhöhten Missbrauchsgefahr strenge Anforderungen zu stellen. Nach ständiger Rechtsprechung muss daher ein solches fachärztliches Attest gewissen Mindestanforderungen genügen. Dazu gehört, dass sich aus dem Attest nachvollziehbar ergeben muss, auf welcher Grundlage der Arzt zu seiner Diagnose gelangt ist und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren sollte das Attest Aufschluss geben über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben (BVerwG, U.v. 11.9.2007 - 10 C 8.07 - juris Rn. 15; U.v. 11.9.2007 - 10 C 17.07 - juris Rn. 15). Ein solches Attest hat der Kläger trotz gerichtlicher Aufforderung mit Fristsetzung bis zur mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 2 AsylG) nicht vorgelegt. Vorgelegt wurden vielmehr lediglich Medikationspläne, aus welchen lediglich hervorgeht, dass der Kläger neben Medikamenten zur Behandlung seines Diabetes mellitus und der Folgeerkrankungen auch Medikamente zur Behandlung von Krankheitsformen des psychiatrischen Fachgebietes einzunehmen hat.
48
Des Weiteren geht das Gericht davon aus, dass dem Kläger in Anbetracht seiner persönlichen Umstände, insbesondere des vorhandenen familiären Rückhalts, eine dem maßgeblichen Standard in seinem Herkunftsland (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG) entsprechende Behandlung seiner Erkrankungen zugänglich wäre und dass er sich auch die notwendigen Medikamente beschaffen könnte.
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Zwar liegt das nigerianische Gesundheitssystem nach manchen Stellungnahmen sogar noch unter dem afrikanischen Durchschnitt (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Nigeria: Behandlung von psychischen Erkrankungen, Auskunft der Länderanalyse, 10.11.2017, S. 2 ff.), wenngleich in den letzten Jahren deutliche Fortschritte erzielt worden sein sollen, welches insbesondere auf die Zunahme der Anzahl privater Praxen und Kliniken mit gut ausgebildeten Ärzten zurückgeführt wird (Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Bundesrepublik Nigeria, Stand 10.12.2018, S. 22). Signifikant für den schlechten Versorgungsstandard ist, dass Nigeria im Jahr 2015 in der weltweiten Bewertung der Gesundheitssysteme durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) den viertletzten Platz (197 von 200) einnahm (Schweizerische Flüchtlingshilfe, a.a.O.) Zum einen bestehen hinsichtlich der Zugänglichkeit der Versorgung große Unterschiede zwischen vermögenden und weniger vermögenden Personen, zum anderen erhalten die meisten Personen - selbst bei Zahlungsfähigkeit - nicht die benötigten Gesundheitsdienstleistungen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, a.a.O.). Das staatliche Gesundheitssystem ist bei einem jährlichen Anteil von fünf bis sechs Prozent des Staatshaushaltes (Stand 2015) chronisch unterfinanziert, weshalb Korruption dort weit verbreitet ist (Schweizerische Flüchtlingshilfe a.a.O., S. 3 ff.). Des Weiteren können Streiks in öffentlichen Krankenhäusern die Versorgung zusätzlich einschränken (Schweizerische Flüchtlingshilfe a.a.O., S. 4). Nigeria kennt keinen umfassenden Krankenversicherungsschutz, welcher die erforderliche medizinische Versorgung auch im Falle von Erwerbs- bzw. Vermögenslosigkeit abdeckt. Die bestehende allgemeine Kranken- und Rentenversicherung greift nur für Beschäftigte im sog. formellen Sektor (d.h. demjenigen Teil der Volkswirtschaft, welcher im Gegensatz zur informellen Wirtschaft durch formalisierte Beschäftigungsverhältnisse geprägt ist, also statistisch - im Bruttoinlandsprodukt - und steuermäßig erfasst wird und in den Geldkreislauf eingebunden ist). Die meisten Nigerianerinnen und Nigerianer arbeiten hingegen als Bauern, Landarbeiter oder Tagelöhner im informellen Sektor (Auswärtiges Amt, Lagebericht Nigeria, a.a.O.; Schweizerische Flüchtlingshilfe a.a.O., S. 4 ff.), weshalb ihnen eine Krankenversicherung nicht zugänglich ist. Leistungen der Krankenversicherung kommen damit nur etwa 10% der Bevölkerung Nigerias zugute (Auswärtiges Amt, Lagebericht Nigeria, a.a.O.). Rückkehrer finden in den Großstädten eine medizinische Grundversorgung vor, allerdings in der Regel unter europäischem Standard. Es bestehen sowohl staatliche als auch zahlreiche privat betriebene Krankenhäuser. In privaten Kliniken können die meisten Krankheiten behandelt werden. Auch in staatlichen Krankenhäusern müssen die Behandlungen jedoch selbst bezahlt werden (Auswärtiges Amt, Lagebericht Nigeria, a.a.O.; Schweizerische Flüchtlingshilfe, a.a.O., S. 4 ff.).
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Hinsichtlich der Versorgung psychisch Kranker ergibt sich aus den Erkenntnisquellen zunächst, dass der Anteil der Psychiater/innen an der Gesamtzahl der Ärzte in Nigeria gering ist. Demnach kam im Jahr 2014 ein Psychiater auf eine Million Menschen (Schweizerische Flüchtlingshilfe a.a.O., S. 8). Der Zugang psychisch kranker Personen zur medizinischen Versorgung und die Verbesserung der geistigen Gesundheit werden durch die Wahrnehmung solcher Erkrankungen in der nigerianischen Gesellschaft erheblich erschwert. Psychisch Kranke werden stigmatisiert, weil derartige Erkrankungen auf den Einfluss übernatürlicher Kräfte bzw. darüber verfügender Wesen wie Hexen oder Geister zurückgeführt oder als gottgegeben angesehen werden (Schweizerische Flüchtlingshilfe a.a.O.). Demzufolge werden psychisch Kranke pauschal als gefährlich, verdächtig, instabil, unzuverlässig und selbstmordgefährdet wahrgenommen (Schweizerische Flüchtlingshilfe a.a.O.). Behandlungen durch traditionelle und religiöse Heiler sind üblich und werden von Betroffenen teils aus Unwissen, teils wegen der hohen Kosten einer professionellen Behandlung bevorzugt (Schweizerische Flüchtlingshilfe a.a.O., S. 9). Grundsätzlich können psychische Erkrankungen sowohl in öffentlichen als auch privaten Gesundheitseinrichtungen, beispielsweise im „Federal Neuro Psychiatric Hospital Yaba“ in Lagos als erster Anlaufstelle für Rückkehrer, behandelt werden (Auswärtiges Amt, Lagebericht Nigeria, a.a.O. S. 22; Schweizerische Flüchtlingshilfe a.a.O.). Auch in staatlichen Krankenhäusern müssen die Behandlungen jedoch selbst bezahlt werden. Ein mit deutschen Standards vergleichbares Psychiatriewesen existiert in Nigeria nicht, öffentliche Krankenhäuser sind allenfalls „Verwahranstalten auf sehr niedrigem Niveau“, in denen Menschen mit psychischen Erkrankungen oft gegen ihren Willen untergebracht, aber nicht adäquat behandelt werden (Auswärtiges Amt, Lagebericht Nigeria a.a.O.). Nach einer einschlägigen Studie werden in Nigeria lediglich sechs Prozent aller Personen, die an einer Depression erkranken, im ersten Jahr nach Beginn der Krankheit behandelt (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Nigeria: Psychiatrische Versorgung, 22.1.2014, S. 6). Psychische Krankheiten sind oftmals langwierig und die betroffenen Personen sind auf eine regelmäßige und langdauernde Behandlung angewiesen. Dies gilt insbesondere bei chronischen Erkrankungen. Die staatliche Krankenversicherung deckt Kosten für psychiatrische Behandlungen nicht ab (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Nigeria: Behandlung von psychischen Erkrankungen, 10.11.2017, S. 10). Psychopharmaka sollen nach Informationen der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (a.a.O., S. 10) nur in privaten Apotheken erhältlich sein.
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Auch die Medikamentenversorgung ist nicht frei von Mängeln. Zwar gibt es in Nigeria fast alle geläufigen Medikamente zu kaufen, die Qualität der auf dem freien Markt verfügbaren Produkte ist jedoch zweifelhaft, da viele Fälschungen im Umlauf sind. Entscheidend ist jedoch wie auch bei der sonstigen medizinischen Versorgung, ob der Patient die benötigten Medikamente bezahlen kann (Auswärtiges Amt, Lagebericht Nigeria, a.a.O.; Schweizerische Flüchtlingshilfe, a.a.O. S. 3, 4). Die staatliche Gesundheitsversorgung gewährleistet keine kostenfreie Medikamentenversorgung. Jeder Patient muss sich daher, auch im Krankenhaus, die erforderlichen Medikamente selbst besorgen bzw. dafür selbst aufkommen (Auswärtiges Amt, Lagebericht, a.a.O.; Schweizerische Flüchtlingshilfe, a.a.O.).
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In Anbetracht der persönlichen Umstände des Klägers ist jedoch davon auszugehen, dass dieser sich gegebenenfalls mit Unterstützung seiner Familienangehörigen die notwendigen Medikamente beschaffen könnte. Die Diabetes Mellitus Typ 2 ist in Nigeria eine weit verbreitete Krankheit, die wohl schon als Volkskrankheit bezeichnet werden kann (so ausdrücklich VG München, U.v. 23.11.2018 - M 21 K 17.42562 - juris). Sie ist, einschließlich erforderlicher Laborkontrollen, in Nigeria behandelbar (VG München, U.v. 31.1.2013 - M 21 K 11.30051 - juris; VG Oldenburg, U.v. 1.12.2015 - 3 A 444/11 - juris; VG Augsburg, U.v. 5.12.2017 - Au 7 K 17.35152 - juris). Wegen seiner psychischen Erkrankung wurde der Kläger bereits einmal vor seiner Ausreise aus Nigeria in einem Krankenhaus in Benin City erfolgreich behandelt, wie aus der vorgelegten Bescheinigung des Psychiatric Hospital Uselu, Benin City, vom 10. Juni 2016 hervorgeht. Nach den vorstehenden Erkenntnissen über die medizinische Versorgung psychisch Kranker in Nigeria muss der Kläger folglich in der Lage gewesen sein, diese Behandlung selbst zum finanzieren, bzw. es müssen Familienangehörige oder Dritte dafür aufgekommen sein. Es ist nicht ersichtlich, weshalb dies im Falle der Rückkehr des Klägers gegebenenfalls nicht mehr der Fall sein sollte.
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(2) Ein Abschiebungsverbot ergibt sich für den Kläger auch nicht aus einer extremen Gefahrenlage in Nigeria.
54
Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG sind Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein und in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird.
55
Mangels einer derartigen Abschiebestopp-Anordnung stellen die nach den eingeführten Erkenntnisquellen problematische Sicherheitslage in Teilen des Bundesstaates Nigeria sowie die unzureichende Versorgungslage in Nigeria allgemeine Gefahren dar, die aufgrund der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG grundsätzlich nicht rechtfertigen können. Diese Sperrwirkung kann nur dann im Wege einer verfassungskonformen Auslegung eingeschränkt werden, wenn für den Schutzsuchenden ansonsten eine verfassungswidrige Schutzlücke besteht (vgl. BVerwG, U.v. 24.6.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 32 m.w.N.). Im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die den Kläger in Nigeria erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, kann er Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab. Die drohenden Gefahren müssen nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Die Gefahren müssen dem Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Nach diesem hohen Wahrscheinlichkeitsgrad muss eine Abschiebung dann ausgesetzt werden, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“ (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2001 - 1 C 5.01 - BVerwGE 115, 1 m.w.N. = juris). Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. zu alledem BVerwG, U.v. 29.9.2011 - 10 C 24.10 - BVerwGE 137, 226 = juris). Eine derart extreme Gefahrenlage liegt für den Kläger in Anbetracht der vorstehenden Ausführungen nicht vor. Wie ausgeführt, hat das Gericht keine Zweifel daran, dass es dem Kläger im Falle seiner Rückkehr nach Nigeria, gegebenenfalls mit familiärer Unterstützung, möglich sein wird, sich jedenfalls eine bescheidene wirtschaftliche Existenz aufzubauen.
56
5. Liegen nach alledem keine Abschiebungsverbote vor, bestehen auch gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung einschließlich der Zielstaatsbestimmung Nigeria im Hinblick auf §§ 34 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, 38 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG keine Bedenken.
57
6. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Änderung der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 AufenthG. Er hat keine persönlichen Bindungen im Bundesgebiet vorgetragen, aus denen sich die Unangemessenheit der von der Beklagten gesetzten Frist ergeben könnte.
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7. Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei, § 83b AsylG.