Inhalt

VG Ansbach, Beschluss v. 01.03.2019 – AN 15 S 18.01380
Titel:

Sicherheitsrechtliche Anordnung zur Bekämpfung des Eichenprozessionsspinners - vorläufiger Rechtsschutz

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4, Abs. 5
LStVG Art. 7 Abs. 2 Nr. 3, Art. 9 Abs. 2
GG Art. 14
Leitsätze:
1. Von Nestern des Eichenprozessionsspinners an einer Eiche geht eine konkrete Gesundheitsgefahr iSd Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG für die Anwohner sowie sonstige Personen aus, die sich in dem fraglichen Gebiet im Freien aufhalten. (Rn. 21 – 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Zustandsstörerhaftung des Art. 9 Abs. 2 LStVG ist dem Wortlaut der Norm nach auch im Falle einer „Opferposition“ des Zustandsstörers weder in zeitlicher noch in inhaltlicher Hinsicht begrenzt. Härten sind im Lichte des Art. 14 GG lediglich im Rahmen der Verhältnismäßigkeit aufzufangen, wobei Gefahrenabwehrkosten in Höhe des Verkehrswertes des Grundstücks nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Zumutbarkeitsgrenze erreichen (BVerfG BeckRS 2000, 30096329).  (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der für die Zustandshaftung des Sacheigentümers erforderliche unmittelbare Ursachenzusammenhang zwischen der Gefahr und dem Zustand der Sache kann nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein gebotenen summarischen Prüfung unter Berücksichtigung der Rechtsprechung zu vergleichbaren bzw. ähnlichen Fällen bei Gefahren als hinreichend erfüllt angesehen werden, die von Brennhaaren des Eichenprozessionsspinners in Gespinstnestern an einer Eiche auf dem Grundstück eines Eigentümers ausgehen.  (Rn. 27 – 39) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Zustandsstörereigenschaft bei Befall mit Eichenprozessionsspinner, konkrete Gesundheitsgefahr, Prognoseentscheidung, Opferposition, Eigentumsgarantie, Zumutbarkeitsgrenze, Verkehrswert des Grundstücks, Ursachenzusammenhang, Unmittelbarkeitserfordernis, Gefahrengrenze
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 11.06.2019 – 10 CS 19.684
Fundstelle:
BeckRS 2019, 13752

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 350,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer gegenüber dem Antragsteller erlassenen Verfügung, mit der ihm insbesondere die fachkundige Entfernung der Gespinstnester des Eichenprozessionsspinners von der befallenen Eiche auf seinem Grundstück Flur-Nr. … der Gemarkung … aufgetragen wird.
2
Der Antragsteller ist Eigentümer des Grundstücks Flur-Nr. … der Gemarkung … Auf diesem Grundstück steht angrenzend an die Grundstücke Flur-Nr. …, Flur-Nr. … und das Wohngrundstück Flur-Nr. … der Gemarkung …eine Eiche, die vom Eichenprozessionsspinner befallen ist. Die Gespinstnester befinden sich in ca. 15 Meter Höhe.
3
Bei einem Ortstermin am 12. Juni 2018 wurde an dem betroffenen Baum der Eichenprozessionsspinner (Thaumetopoea processionea) festgestellt. In der betroffenen Nachbarschaft befinden sich mehrere Kinder, eine im Zeitpunkt der Feststellung Hochschwangere und mindestens eine Person, die allergisch auf die Brennhaare reagiert.
4
Mit Schreiben der Antragsgegnerin vom 14. Juni 2018 hörte die Antragsgegnerin den Antragsteller zur beabsichtigten sicherheitsrechtlichen Anordnung an und forderte diesen auf, die Gefahr durch die Gespinstnester bis zum 19. Juni 2018 zu beseitigen. Dieser Aufforderung kam der Antragsteller nicht nach. Mit Schreiben seines zwischenzeitlich bestellten Bevollmächtigten vom 19. Juni 2018, bei der Antragsgegnerin eingegangen am 20. Juni 2018, lehnte der Antragsteller eine Beseitigung der Gespinstnester auf eigene Kosten ab und wies auf die Rechtswidrigkeit des beabsichtigten Bescheides hin. Den Antragsteller treffe keine sicherheitsrechtliche Verpflichtung zur Beseitigung der Gespinstnester.
5
Mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 10. Juli 2018, bei dem Bevollmächtigten des Antragstellers eingegangen am 13. Juli 2018, wurde der Antragsteller verpflichtet dafür Sorge zu tragen, dass die Gespinstnester auf seiner näher bezeichneten Eiche fachkundig entfernt werden (Ziffer 1). Die sofortige Vollziehung dieser Verpflichtung wurde angeordnet (Ziffer 2) und für den Fall der Nichterfüllung der unter Ziffer 1 genannten Verpflichtung bis zum 20. Juli 2018 wurde die Ersatzvornahme mit voraussichtlichen Kosten von 700,00 EUR angedroht (Ziffer 3). Des Weiteren wurde ihm aufgetragen, der Antragsgegnerin nach Erledigung der Maßnahme eine Bestätigung über die Entfernung der Gespinstnester zuzuleiten (Ziffer 4). Die Kosten des Verfahrens wurden dem Antragsteller auferlegt (Ziffer 5) und für den Bescheid eine Gebühr i.H.v. 50,00 EUR und Auslagen i.H.v. 3,45 EUR als Kosten erhoben (Ziffer 6).
6
Auf die Begründung des Bescheids wird Bezug genommen.
7
Gegen diesen Bescheid hat der Antragsteller mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 17. Juli 2018 - eingegangen bei Gericht am 17. Juli 2018 - Klage erhoben und vorläufigen Rechtsschutz beantragt.
8
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass keine ordnungsrechtliche Haftung des Antragstellers bestehe, da keine Gefahr von der Eiche ausgehe. Ein Befall mit Eichenprozessionsspinnern sei keine vom Grundstück ausgehende Gefahr, die Gefahr gehe nicht von der Eiche, sondern von der Natur aus. Allein das Vorhandensein einer Eiche könne den Antragsteller als Eigentümer nicht zum Störer im ordnungsrechtlichen Sinne machen. Eine Haftung als Zustandsstörer setze eine Einflussmöglichkeit und die Verwirklichung eines typischen Risikos voraus. Er als Eigentümer habe keine Möglichkeit gehabt, den Eichenprozessionsspinnerbefall zu verhindern. Auch auf die Luftströmung habe er keinen Einfluss. Darüber hinaus seien die voraussichtlichen Kosten, welche der Antragsteller statt mit 700,00 EUR mit 1.200,00 EUR ansetze, gegenüber dem nur geringen Befall unverhältnismäßig. Des Weiteren würde sich eine Beseitigung der Gespinstnester seiner Eiche nur gering auswirken, da weitere Eichen in der Nähe einen weit größeren Befall aufwiesen. Ein Befall mit Eichenprozessionsspinnern stelle nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs keine Härte im Sinne der Baumschutzverordnung dar und könne somit auch keine Gefahr im ordnungsrechtlichen Sinne begründen.
9
Der Antragsteller lässt beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage wird im Ganzen wiederhergestellt und insoweit die sofortige Vollziehung des Bescheids ausgesetzt.
10
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
11
Zur Begründung wird ausgeführt, dass aufgrund des Art. 7 Abs. 2 und Abs. 3 LStVG die Sicherheitsbehörde im Einzelfall Anordnungen treffen könne, um Gefahren abzuwehren, die die Gesundheit von Menschen bedrohten oder verletzten. Die Beseitigung der Gespinste liege im öffentlichen Interesse und sei daher geboten. Durch die mit dem Eichenprozessionsspinner befallenen Bäume bestehe eine Gefahr für die Gesundheit der unmittelbaren Nachbarschaft. Die Maßnahme sei erforderlich und geeignet, um die Gefahr zu unterbinden. Ein milderes Mittel sei nicht ersichtlich bzw. zielführend. Ein finanzieller Aufwand von 700,00 EUR zur Beseitigung der Gespinste sei auch nicht unverhältnismäßig gegenüber der gesundheitlichen Gefahr für die Allgemeinheit. Die Fristsetzung bis zum 20. Juli 2018 sei ausreichend. Die Androhung der Ersatzvornahme sei geboten. Der Antragsteller sei als Eigentümer Zustandsstörer und somit zur Beseitigung verpflichtet. Demnach sei er richtiger Adressat der Maßnahme. Es sei unbeachtlich, ob die Gefahr durch Naturereignisse hervorgerufen werde. Einer Störerhaftung sei nicht zwingend schuldhaftes Verhalten immanent. Auch der Einwand, dass die gesundheitliche Gefahr nicht von der Eiche, sondern von den im Baum lebenden Insekten ausgehe, könne den Antragsteller nicht von seiner Zustandsverantwortlichkeit befreien. Ebenso gut könne der Eigentümer eines mit Mineralölen verseuchten Grundstücks argumentieren, die Gefahr gehe nicht von seinem Grund und Boden aus, sondern allein von dem eingedrungenen Öl. Auch gem. § 4 Abs. 2 und Abs. 3 BBodSchG sei der jeweilige Eigentümer bzw. Inhaber der tatsächlichen Gewalt über ein Grundstück verpflichtet, Maßnahmen zur Abwehr der von dem Grundstück drohenden schädlichen Bodenveränderungen zu ergreifen. Auch diese Verpflichtung hänge weder davon ab, ob der Eigentümer die Bodenverunreinigung verursacht habe, noch davon, ob er Kenntnis von ihr gehabt habe, noch davon, ob er Anreize für diese gesetzt habe. Eine Einflussmöglichkeit des Antragstellers sei somit unbeachtlich. Jedenfalls hätte für den Antragsteller auch eine Einflussmöglichkeit bestanden. So hätte ein Befall wirksam durch den Einsatz von biologischen bzw. biochemischen Mitteln verhindert werden können. Schließlich sei auch die Verhältnismäßigkeit gewahrt, da die Kosten der Beseitigung den Verkehrswert des Grundstücks nicht überschreiten würden.
12
Der Bevollmächtigte des Antragstellers erwiderte hierauf, dass der Fall hier anders läge als in den sog. „Altlastenfällen“. Diese seien Folge einer Grundstücksbewirtschaftung, auf welche der Eigentümer natürlich eigenwirtschaftlichen Einfluss habe. Dies gelte hier jedoch nicht bei dem vorliegenden „Waldgrundstück“, da dieses letztlich der Allgemeinheit in Gestalt der Verbesserung des Klimaschutzes diene.
13
Ergänzend wird auf die beigezogene Behördenakte sowie auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
14
Der zulässige Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 17. Juli 2018 gegen die von der Antragsgegnerin in der Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids ausgesprochene Anordnung bzw. der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hinsichtlich der in Ziffer 3 angedrohten Ersatzvornahme ist unbegründet.
15
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs ganz oder teilweise im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO wiederherstellen bzw. im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO anordnen. Das Gericht prüft, ob die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegeben sind, und trifft im Übrigen eine eigene Abwägungsentscheidung. Bei dieser kommt vor allem den Erfolgsaussichten des Verfahrens in der Hauptsache besondere Bedeutung zu. Erweist sich das Hauptsacheverfahren mit hoher Wahrscheinlichkeit als erfolgreich, überwiegt regelmäßig das Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der sofortigen Vollziehung; umgekehrt kommt dem öffentlichen Interesse am Vollzug in der Regel der Vorrang zu, wenn die Klage mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolglos bleiben wird. Erscheinen die Erfolgsaussichten in der Hauptsache hingegen als offen, ist eine reine Interessenabwägung erforderlich. Das Interesse des Antragstellers, mit dem Vollzug des ihn belastenden Verwaltungsaktes vor dessen Bestandskraft nicht überzogen zu werden ist abzuwägen mit dem besonderen öffentlichen Interesse der Allgemeinheit, den angefochtenen Verwaltungsakt - (im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG) ausnahmsweise - schnellstmöglich zu vollziehen. Maßstab für diese Abwägung ist ein Vergleich der Verhältnisse einerseits für den angenommenen Fall, dass die aufschiebende Wirkung wiederhergestellt / angeordnet wird, der Verwaltungsakt im Hauptsacheverfahren jedoch bestätigt wird, mit andererseits der angenommenen Konstellation, dass der Sofortvollzug bestehen bleibt, der Verwaltungsakt im Hauptsacheverfahren jedoch aufgehoben wird.
16
Die Antragsgegnerin hat vor dem Hintergrund, dass an den Inhalt der schriftlichen Begründung des Sofortvollzugs keine zu hohen Anforderungen zu stellen sind (Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 43), das besondere Interesse an der Anordnung des sofortigen Vollzugs in Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheids ausreichend gemäß § 80 Abs. 3 VwGO schriftlich begründet.
17
Bei der im Rahmen des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ergibt sich, dass die gegen den streitgegenständlichen Bescheid erhobene Anfechtungsklage voraussichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin gegenüber dem Antragsteller in dem streitgegenständlichen Bescheid zu Recht die Anordnung zur Bekämpfung des Eichenprozessionsspinners getroffen hat, der angegriffene Bescheid insgesamt rechtmäßig ist und den Antragsteller nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Dies hat zur Folge, dass das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung der angeordneten Maßnahmen das private Interesse des Antragstellers am Suspensiveffekt seines Rechtsbehelfs überwiegt.
18
Die Antragsgegnerin hat gegenüber dem Antragsteller zu Recht Anordnungen bezüglich der Bekämpfung des Eichenprozessionsspinners getroffen.
19
Vorliegend besteht keine vorrangige Eingriffsbefugnis i.S.d. Art. 7 Abs. 2 LStVG. Ziffer 4 der Bekanntmachung der Regierung von Mittelfranken zur Überwachung und Bekämpfung des Schwammspinners (Lymantria dispar) und des Eichenprozessionsspinners (Thaumetopoea processionea) in der Form der gemeinsamen Bekanntmachung der Regierung von Unterfranken, Gz. 11-7833.00-2/07, der Regierung von Mittelfranken, Gz. 10-7833.1-2/04, der Regierung von Oberfranken, Gz. 10-7833-1/04 vom 16. Dezember 2009, welche eine Bekämpfungspflicht des Waldeigentümers bzw. Nutzungsberechtigten vorsähe, kommt vorliegend als Rechtsgrundlage nicht in Betracht. Ungeachtet dessen, dass schon fraglich ist, ob das Waldgrundstück des Antragstellers einen Wald im Sinne der Ziffer 1 der o.g. Bekanntmachung darstellt, greift Ziffer 4 der Bekanntmachung jedenfalls nur im Falle eines bestandsbedrohenden Befalls durch Eichenprozessionsspinner. Dem lässt sich entnehmen, dass Zweck der o.g. Bekanntmachung nicht der Schutz der Bevölkerung vor Gefahren durch Brennhaare des Eichenprozessionsspinners, sondern der Schutz der Wälder im Sinne des Pflanzenschutzgesetzes ist. Der Anwendungsbereich der in dieser Bekanntmachung dargestellten Normen ist somit vorliegend schon nicht eröffnet.
20
Rechtsgrundlage der in Ziffer 1 des Bescheids getroffenen Anordnung ist hingegen Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG. Danach können die Sicherheitsbehörden zur Erfüllung ihrer Aufgaben für den Einzelfall Anordnungen treffen, um Gefahren abzuwehren oder Störungen zu beseitigen, die Leben, Gesundheit oder die Freiheit von Menschen oder Sachwerte, deren Erhaltung im öffentlichen Interesse geboten erscheint, bedrohen oder verletzen. Ein Zusammenhang mit einer vorher begangenen rechtswidrigen Tat ist für den Tatbestand nicht erforderlich (Holzner in BeckOK PolR Bayern, LStVG, 8. Ed. 1.4.2018, Art. 7 Rn. 41). Eine Bedrohung dieser Rechtsgüter liegt dann vor, wenn eine konkrete Gefahr gegeben ist (Holzner in BeckOK PolR Bayern, LStVG, 8. Ed. 1.4.2018, Art. 7 Rn. 46). Eine konkrete Gefahr liegt vor, wenn in dem zu beurteilenden konkreten Einzelfall bei ungehindertem Fortgang des Lebenssachverhalts in überschaubarer Zukunft ein Schaden an den genannten Schutzgütern droht oder der Schaden bereits eingetreten ist und noch andauert. Die Feststellung einer konkreten Gefahr ist eine Prognoseentscheidung, die grundsätzlich objektiv aus der Sicht eines fähigen, besonnenen und sachkundigen Bediensteten zu beurteilen ist. Die Gesundheit von Personen ist dann bedroht, wenn zu besorgen ist, dass ihre körperliche, geistige oder seelische Integrität beeinträchtigt wird (Holzner in BeckOK PolR Bayern, LStVG, 8. Ed. 1.4.2018, Art. 7 Rn. 43).
21
Im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses am 10. Juli 2018 konnte die Beklagte bei verständiger Würdigung vom Vorliegen einer entsprechenden Gefahrenlage ausgehen. Am 12. Juni 2018 wurden im Rahmen eines Ortstermins an der streitgegenständlichen Eiche Nester des Eichenprozessionsspinners festgestellt. Von diesen Nestern geht eine Gesundheitsgefahr aus.
22
Die Brennhaare der Raupen des Eichenprozessionsspinners brechen leicht und werden bei günstiger Witterung durch Luftströmungen über weite Strecken getragen. Die alten Larvenhäute bleiben nach der Häutung in den Nestern hängen, weshalb die Konzentration an Brennhaaren oft sehr hoch ist. Alte Gespinstnester, ob am Baum haftend oder am Boden liegend, sind eine anhaltende Gefahrenquelle. Die Raupenhaare sind lange haltbar und reichern sich über mehrere Jahre in der Umgebung an, besonders im Unterholz und im Bodenbewuchs. Für den Menschen gefährlich sind die Haare des dritten Larvenstadiums (Mai/Juni) des Eichenprozessionsspinners. Sie halten sich auch an Kleidern und Schuhen und lösen bei Berührungen stets neue toxische Reaktionen aus. Die (fast unsichtbaren) Brennhaare dringen leicht in die Haut und Schleimhaut ein und setzen sich dort mit ihren Häkchen fest. Die durch sie ausgelöste Raupendermatitis kann sich hierbei in drei verschiedenen klinischen Erscheinungsbildern zeigen, nämlich in Quaddeln, Hautentzündung und anhaltenden Papeln (Knötchen), die an Insektenstichreaktionen erinnern. Die Hautreaktionen halten (unbehandelt) oft ein bis zwei Wochen an. Des Weiteren können Reizungen an Mund- und Nasenschleimhaut durch Einatmen der Haare zu Bronchitis, schmerzhaftem Husten und Asthma führen. Begleitend treten Allgemeinsymptome wie Schwindel, Fieber, Müdigkeit und Bindehautentzündung auf. In Einzelfällen neigen überempfindliche Personen zu allergischen Schockreaktionen (aus: Wikipedia, die freie Enzyklopädie).
23
Mithin besteht eine erhebliche Gesundheitsgefahr für die Anwohner sowie für sonstige Personen, die sich in dem fraglichen Gebiet im Freien aufhalten. Insbesondere, weil sich in der näheren Umgebung Kinder, eine Schwangere und nach unbestrittenem Vortrag der Antragsgegnerin mindestens eine Person, die allergisch auf die Brennhaare reagiert, befinden.
24
Gemäß Art. 9 Abs. 2 LStVG kann eine Maßnahme gegen den Zustandsstörer gerichtet werden, also die Person, die Eigentümer oder Inhaber der tatsächlichen Gewalt über eine Sache, von der eine Gefahr ausgeht, ist.
25
Die Zustandsstörerhaftung des Abs. 2 ist dem Wortlaut der Norm nach auch im Falle einer „Opferposition“ des Zustandsstörers (durch von dritter Seite ausgehende oder durch Naturereignisse verursachte gefahrenträchtige Einwirkung auf das Grundstück) weder in zeitlicher noch in inhaltlicher Hinsicht begrenzt. Die mit dieser weitgehenden sicherheitsrechtlichen Verantwortlichkeit des Zustandsstörers einhergehenden Härten sind im Lichte des Art. 14 GG lediglich bei der Auswahl des Störers und der Bemessung des störungsbeseitigenden Mittels im Rahmen der Verhältnismäßigkeit aufzufangen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, B.v. 16.2.2000 - 1 BvR 242/91, 1 BvR 315/99 - juris) ist die Zumutbarkeitsgrenze dann als erreicht anzusehen, wenn die Kosten für die Gefahrenabwehr oder Störungsbeseitigung die Höhe des Verkehrswertes des Grundstücks erreichen (Lindner in BeckOK PolR Bayern, LStVG, 8. Ed. 1.4.2018, Art. 9 Rn. 35-38).
26
Diese Problematik stellt sich vorliegend jedoch nicht. Obwohl zu dem Verkehrswert des Grundstücks nichts konkret vorgetragen ist, ist aufgrund der vergleichsweise geringen Beseitigungskosten von 700,00 EUR bis 1.200,00 EUR davon auszugehen, dass der Verkehrswert des Grundstücks diese um ein Vielfaches übersteigt.
27
Der Anwendungsbereich des Art. 9 Abs. 2 LStVG ist jedoch weiterhin dahingehend eingeschränkt, dass eine gewisse Kausalität zwischen der Sache und der Gefahr gefordert wird. Die Sache selbst muss die Gefahrenquelle sein (Koehl in Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Stand August 2018, Art. 9 Rn. 41). Erforderlich ist somit ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Gefahr und dem Zustand der Sache. Die Zustandshaftung des Sacheigentümers ist auf die Fälle beschränkt, in denen die Gefahr unmittelbar mit dem Zustand der Sache ursächlich in Verbindung steht. Unmittelbarkeit ist gegeben, wenn bei wertender Betrachtung aller Umstände durch den Zustand des Gegenstandes selbst die Gefahrengrenze überschritten wird (Koehl in Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Stand August 2018, Art. 9 Rn. 42 m.w.N.).
28
Kernfrage ist demnach, ob in dem streitgegenständlichen Verfahren dieses Unmittelbarkeitserfordernis hinreichend erfüllt ist. Das Gericht kommt zu dem Schluss, dass im Rahmen der summarischen Überprüfung im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO eine hinreichend unmittelbare Verknüpfung zwischen der Sache und der Gefahr vorliegt.
29
Die zu dieser Frage der Unmittelbarkeit vorhandene Rechtsprechung ist durchwegs sehr uneinheitlich. So erkennt etwa das Verwaltungsgericht Neustadt (Weinstraße) in seinem Urteil vom 9. Mai 2017 - 5 K 566/16.NW - (juris Rn. 34) eine Unmittelbarkeit in einem vergleichbaren Fall ohne weitergehende Begründung an, während das Verwaltungsgericht Magdeburg in seinem Urteil vom 24. April 2018 - 1 A 94/15 - (juris Rn. 20-23) eine Unmittelbarkeit in einem ebenfalls ähnlich gelagerten Fall unter Berufung auf Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen verneint.
30
Vergleicht man die zur Zustandsstörereigenschaft gem. Art. 9 Abs. 2 LStVG in anderen Fallkonstellationen ergangene obergerichtliche Rechtsprechung, so ergeben sich auch hier gravierende Unterschiede, ganz davon abhängig, wovon im jeweiligen Fall die Gefahr ausgeht.
31
So wird etwa in den sog. Felssturzfällen, bei denen sich Gestein aus einem Grundstück löst und auf die Straße bzw. tiefer liegende Grundstücke herabstürzt, die Unmittelbarkeit zwischen Grundstück und Gefahr bejaht (BayVGH, B.v. 26.9.1995 - 21 B 95.1527 - BayVBl 1996, 437; BVerwG, B.v. 31.7.1998 - 1 B 229-97 - NJW 1999, 231; OVG RLP, U.v. 1.10.1997 - 11 A 12542/96 - NJW 1998, 625). Auch in den sog. Altlastenfällen und den Fällen vergrabener Kampfmittel ist eine Zustandsstörereigenschaft des Grundstückseigentümers allgemein anerkannt, obgleich die Zustandsstörerhaftung in ersterer Fallgruppe aus § 4 BBodSchG als gegenüber dem LStVG insoweit vorrangige Rechtsgrundlage resultiert (Lindner in BeckOK PolR Bayern, LStVG, 8. Ed. 1.4.2018, Art. 9 Rn. 38). Auch im Fall eines von einem Grundstück auf die Straße umgestürzten Baumes wird dieser Unmittelbarkeitszusammenhang unter Berufung darauf, dass es sich bei dem Baum um einen „wesentlichen Bestandteil des Grundstücks“ handelt, bejaht (BayVGH, B.v.14.2.2008 - 4 BV 07.949 - juris Rn. 21; VG Ansbach, U.v. 8.3.2007 - AN 5 K 06.02307 - juris Rn. 20).
32
Verneint wird die Unmittelbarkeit des Grundstücks für die Gefahr hingegen in einem Fall, in dem einem Flughafenbetreiber Sicherungsmaßnahmen gegen Terrorismus aufgegeben werden. Hier wird ausgeführt, wenn jeder Anreiz zum Missbrauch der Sache durch Dritte die Zustandshaftung auslöse, so verkomme diese mangels Rechtswidrigkeits- und Verschuldenserfordernis zu einer „konturenlosen Billigkeitshaftung“ (BVerwG, U.v. 4.10.1985 - 4 C 76.82 - juris Rn. 21). Auch in dem Fall, in dem von unter einem Brückengebäude nistenden Tauben eine Gesundheitsgefahr durch Kotverunreinigungen durch die Tauben ausgeht, wird das Unmittelbarkeitserfordernis verneint. Bei wilden Tieren trägt anders als bei Kampfstoffen oder Felsabgängen das Grundstück bzw. Bauwerk die Gefahr nicht in sich selbst. Auch von den Nistplätzen selbst geht keine Gefahr aus. Diese geht erst von dem Taubenkot aus, welcher wiederum nicht unmittelbar genug auf das Grundstück selbst zurückzuführen ist (OVG NRW, B.v. 6.9.2004 - 13 A 3802/02 - juris Rn. 23 ff.). Hingegen wird für den (hypothetischen) Fall dessen, dass von von auf einem Grundstück gelagerten Abfall oder Unrat angezogenen Ratten eine Gesundheitsgefahr ausgeht die Unmittelbarkeit bejaht, da der Grundstückseigentümer Anziehungspunkte auf seinem Grundstück gesetzt hat (OVG NRW, B.v. 6.9.2004 - 13 A 3802/02 - juris Rn. 31).
33
Es lässt sich also eine Art Linie von Fällen maximaler Unmittelbarkeit (Felssturzfälle) hin zu unzureichender Unmittelbarkeit (Sicherungsmaßnahmen eines Flughafenbetreibers gegen Terrorismus) erkennen.
34
Der vorliegende Fall, in dem Gefahren von Brennhaaren des Eichenprozessionsspinners in Gespinstnestern an einer Eiche auf dem Grundstück eines Eigentümers ausgehen, liegt zwischen dem Fall eines von einem Grundstück auf die Straße umstürzenden Baumes einerseits und dem Fall von Kotverunreinigungen durch unter einem Brückengebäude nistende Tauben andererseits. So geht zwar hier einerseits die Gefahr - anders als in dem Taubenfall - nicht erst von den Tieren selbst, sondern schon von den mit den Brennhaaren gefüllten Gespinstnestern aus, ist also „unmittelbarer“. Andererseits jedoch geht sie - anders als in dem Baumsturzfall - erst von den Gespinstnestern und nicht bereits von dem Baum selbst aus, ist also „weniger unmittelbar“.
35
Das Gericht kommt vorliegend im Rahmen seiner summarischen Prüfung zu dem Schluss, dass das Unmittelbarkeitserfordernis hinreichend erfüllt ist. Es besteht ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Gefahr und dem Zustand der Sache, also des Grundstücks des Antragstellers. Bei wertender Betrachtung aller Umstände wird durch den Zustand der Sache selbst die Gefahrengrenze überschritten. Dafür spricht, dass in dem oben genannten Taubenfall die mangelnde Unmittelbarkeit nicht nur daraus resultierte, dass nicht bereits die Nester der Tauben selbst, sondern erst entsprechende von den Tauben verursachte Kotverunreinigungen Grundlage einer entsprechenden Gefährdungslage waren. Vielmehr wurde der Unmittelbarkeitszusammenhang weiter dadurch unterbrochen, dass es in dem zitierten Fall nicht nur unter der fraglichen Brücke, sondern auch andernorts Verunreinigungen durch Tauben gab, die Tauben sich also zwar häufig, aber nicht notwendigerweise in der Nähe des Brückenbauwerks entleerten (OVG NRW, B.v. 6.9.2004 - 13 A 3802/02 - juris Rn. 26). Vorliegend jedoch verlieren die Raupen des Eichenprozessionsspinners ihre Haare regelmäßig ausschließlich in der Nähe der streitgegenständlichen befallenen Eiche, und diese werden sodann lediglich durch etwaige Windströmungen auf weiter entfernte Grundstücke verweht.
36
Schließlich war der Unmittelbarkeitszusammenhang in dem zitierten Taubenfall auch dahingehend unterbrochen, dass noch nicht einmal die Belästigung durch den von den Tauben abgegebenen Kot schon die Gefahr bildete, sondern erst der Umstand, dass dieser auf der Straße trocknet und als Staub von Menschen eingeatmet werden kann, es sich mithin zugleich auch um ein Problem der insoweit nicht ausreichenden Straßenreinigung handelte (OVG NRW, B.v. 6.9.2004 - 13 A 3802/02 - juris Rn. 29). Dieses Problem stellt sich im streitgegenständlichen Verfahren hingegen überhaupt nicht.
37
Vorliegend geht die Gefahr somit zwar noch nicht von dem Grundstück selbst, aber doch jedenfalls unmittelbar von dem Zustand des Baumes auf dem Grundstück des Antragstellers in Gestalt eines Befalles mit dem Eichenprozessionsspinner aus.
38
Gegen eine Unmittelbarkeit spricht auch nicht das antragstellerseits aufgeworfene Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 25. April 2012 - 14 B 10.1750 - (juris). Zunächst ist zu erwähnen, dass sich die vom Antragstellerbevollmächtigten vorgebrachte Passage: „Auch der Befall mit dem Eichenprozessionsspinner begründet keine offenbar nicht beabsichtigte Härte i.S.d. Baumschutzverordnung, denn die gesundheitlichen Beeinträchtigungen gehen nicht von den Eichen sondern von den in dem Baum lebenden Insekten aus.“ lediglich im Rahmen des Beklagtenvortrags des Tatbestandes des zitierten Urteils findet (BayVGH, U.v. 25.4.2012 - 14 B 10.1750 - juris Rn. 5). In den Entscheidungsgründen wird hingegen ausgeführt, dass es sich bei den gesundheitlichen Folgen eines Befalls mit dem Eichenprozessionsspinner nicht um grundstücksbezogene, sondern um individuelle Gründe handle, die nicht geeignet sind, eine Härte im Sinne von § 4 Abs. 1 Buchst. b Satz 1 BSchV zu begründen (BayVGH, U.v. 25.4.2012 - 14 B 10.1750 - juris Rn. 53). Ungeachtet dessen hat jedenfalls die Frage, ob es sich um eine Härte i.S.d. § 4 der BSchV handelt mit der im streitgegenständlichen Verfahren maßgeblichen Frage des Unmittelbarkeitszusammenhangs zwischen Sache und Gefahr nichts zu tun. Es handelt sich insoweit um eine gänzlich andere Rechtsproblematik.
39
Für eine Unmittelbarkeit spricht vielmehr die vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof in der zitierten Entscheidung im Rahmen eines obiter dictums dargelegte Rechtsauffassung, dass der Eigentümer grundsätzlich die für entsprechende Präventivmaßnahmen gegen Eichenprozessionsspinnerbefall anfallenden Kosten zu tragen hat und nur für den Fall, dass die Belastungen den Rahmen des finanziell Zumutbaren verlassen ggf. nach den Grundsätzen der ausgleichspflichtigen Inhalts- und Schrankenbestimmungen eine entsprechende Entschädigung erlangen könnte (BayVGH, U.v. 25.4.2012 - 14 B 10.1750 - juris Rn. 55). Gleiches muss auch für entsprechende Maßnahmen zur Beseitigung eines bereits bestehenden Eichenprozessionsspinnerbefalls gelten.
40
Die Anordnung ist auch verhältnismäßig, insbesondere zur Gefahrenabwehr geeignet. Sie ist zudem erforderlich, da eine mildere, gleich effektive Maßnahme nicht ersichtlich ist. Sie ist auch angemessen, da sie die Rechte des Antragstellers unter Abwägung der drohenden Gefahren für die Gesundheit von Personen nicht unverhältnismäßig beschränkt. Auch etwaige Ermessensfehler sind nicht ersichtlich.
41
Nach alledem war der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO abzulehnen.
42
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
43
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. den Ziffern 1.5 und 35.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Das Gericht geht dabei von einem wirtschaftlichen Interesse von 700,00 EUR aus (vgl. von der Beklagten angesetzte Beseitigungskosten).