Inhalt

VGH München, Beschluss v. 13.05.2019 – 7 CE 19.943
Titel:

Ausstrahlung eines Hörfunk-Wahlwerbespot anlässlich der Europawahl

Normenketten:
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 21
ParteiG § 5 Abs. 1
VwGO § 123
StGB § 130
Leitsatz:
1. Rundfunkanstalten dürfen die Ausstrahlung von Werbespots politischer Parteien nicht deshalb verweigern, weil mit ihnen im Rahmen der Wahlwerbung mit dem Grundgesetz nicht zu vereinbarende Zielvorstellungen, Programme oder Inhalte vorgetragen werden. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Europawahl, Wahlwerbespot (Hörfunk), Pflicht der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt zur Ausstrahlung, einstweilige Anordnung, Wahl, öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt, politische Partei, Werbespot, Hörfunk
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 10.05.2019 – M 17 E 19.1956
Fundstelle:
BeckRS 2019, 13702

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Unter Abänderung von Nr. 3 des Beschlusses des Verwaltungsgerichts wird der Streitwert für beide Instanzen auf jeweils 30.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin - eine nicht verbotene politische Partei - begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Verpflichtung des Antragsgegners, einer öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalt, anlässlich der Europawahl einen von ihr am 2. Mai 2019 eingereichten Hörfunk-Wahlwerbespot auf den zugeteilten Sendeplätzen am 14. und 16. Mai 2019 auszustrahlen.
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Das Verwaltungsgericht hat ihrem entsprechenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung stattgegeben. Entgegen der im Bescheid des Antragsgegners vom 3. Mai 2019 geäußerten Auffassung verstoße der Inhalt des auszustrahlenden Wahlwerbespots insbesondere nicht mit der erforderlichen Evidenz gegen § 130 Abs. 1 StGB.
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Dagegen wendet sich der Antragsgegner mit seiner Beschwerde und beantragt,
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den Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 10. Mai 2019 aufzuheben und den Antrag der Antragstellerin aus der Antragsschrift vom 9. Mai 2019 zurückzuweisen.
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Er macht geltend, das Verwaltungsgericht habe rechtsfehlerhaft einen evidenten Verstoß gegen geltendes Recht, hier insbesondere § 130 StGB abgelehnt, bei der rechtlichen Bewertung des verfahrensgegenständlichen Wahlwerbespots einen verkürzten Prüfungsmaßstab angelegt und für die Bewertung maßgebliche Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts zur Antragstellerin außer Betracht gelassen. Im Übrigen nimmt er zur Begründung „vollumfänglich“ auf seine erstinstanzlichen Ausführungen Bezug.
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Die Antragstellerin hält die Beschwerde für unzulässig, hilfsweise unbegründet und verteidigt den erstinstanzlichen Beschluss.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachund Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.
II.
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Die eingelegte Beschwerde hat keinen Erfolg.
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Das Beschwerdevorbringen, auf das sich die Prüfung des Senats beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigt die begehrte Aufhebung des angefochtenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts nicht. Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO zu Recht stattgegeben, weil eine zu einer Wahl zugelassene Partei wie die Antragstellerin gegenüber den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten einen Anspruch auf Ausstrahlung von Wahlwerbung hat, der grundsätzlich keiner inhaltlichen Kontrolle unterliegt, nur durch die allgemeinen Gesetze - insbesondere die des Strafrechts - begrenzt ist und ein evidenter Verstoß gegen § 130 Abs. 1 StGB hier nicht vorliegt. Der Senat nimmt deshalb zunächst gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO Bezug auf die zutreffenden Gründe des erstinstanzlichen Beschlusses und sieht von einer weiteren Begründung ab. Lediglich ergänzend ist im Hinblick auf das Beschwerdevorbringen Folgendes anzumerken:
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Zweifelhaft erscheint bereits, ob sich der Antragsgegner mit seiner Beschwerde in der gebotenen Weise (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO) mit den Gründen des erstinstanzlichen Beschlusses auseinandersetzt und Gründe darlegt, aus denen die Entscheidung abzuändern ist, wenn er im Wesentlichen lediglich pauschal auf sein erstinstanzliches Vorbringen verweist.
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Jedenfalls aber hat die Antragstellerin gemäß § 5 Abs. 1 ParteiG und den „Grundsätzen der ARD-Rundfunkanstalten und des Deutschlandradios für die Zuteilung von Sendezeiten an Parteien und sonstige politischen Vereinigungen anlässlich der Europawahl am 26.05.2019“ (in der Fassung vom 9.1.2019, im Folgenden: Grundsätze), die den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts Rechnung tragen, einen Anspruch auf Ausstrahlung des beim Antragsgegner am 2. Mai 2019 eingereichten Hörfunk-Wahlwerbespots anlässlich der Europawahl am 14. und 16. Mai 2019. Diesem Recht der Antragstellerin auf eine eigenverantwortliche Ausstrahlung ihres Hörfunk-Wahlwerbespots kann der Antragsgegner nicht mit Erfolg entgegenhalten, der Werbespot erfülle den Straftatbestand des § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB (so auch HessVGH, B.v. 8.5.2019 - 8 B 961/19 - n.v. zu einem identischen Hörfunk-Wahlwerbespot).
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Nach Nr. II. 5. der Grundsätze wird der Inhalt der vorgelegten Wahlspots von der Rundfunkanstalt vor Ausstrahlung daraufhin überprüft, ob es sich ausschließlich und erkennbar um Wahlwerbung für die antragstellende Partei/sonstige politische Vereinigung zur Europawahl handelt und ob kein evidenter und nicht leicht wiegender Verstoß gegen die allgemeinen Gesetze, insbesondere Normen des Strafrechts, vorliegt. Vor dem Hintergrund der verfassungsgerichtlichen Wertentscheidung des Art. 21 Abs. 1 Satz 1 sowie Art. 3 Abs. 1 GG ist diese Prüfungsbefugnis der Rundfunkanstalten hinsichtlich der Ausstrahlung von Wahlwerbespots politischer Parteien stark eingeschränkt. Zur Zurückweisung von Wahlwerbespots sind Rundfunkanstalten nur dann berechtigt, wenn ein Verstoß gegen allgemeine Strafgesetze tatsächlich „evident ist und nicht leicht wiegt“, wenn also nicht zweifelhaft ist, dass eine ins Gewicht fallende Verletzung des vom Strafrecht geschützten Rechts vorliegt; in Zweifelsfällen sind zugunsten der politischen Parteien die vorgelegten Wahlspots zur Ausstrahlung freizugeben (vgl. grundlegend BVerfG, B.v. 14.2.1978 - 2 BvR 523/75 u.a. - BVerfGE 47, 198; HessVGH, B.v. 4.1.2008 - 8 B 17/08 - DÖV 2008, 340; B.v. 8.5.2019 - 8 B 961/19 - n.v.).
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Gemessen daran geht das Verwaltungsgericht zu Recht davon aus, dass der - von ihm im Einzelnen dargestellte - Text des streitgegenständlichen Wahlwerbespots nicht evident gegen § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB verstößt, mit ihm insbesondere kein evidenter Angriff auf die Menschenwürde anderer verbunden ist. Soweit der Antragsgegner der Auffassung ist, das Verwaltungsgericht setze sich mit seinen Ausführungen erkennbar in Widerspruch zu bereits rechtskräftig ergangenen (ober) verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen, von denen es ohne nachvollziehbare Begründung abweiche, blendet er aus, dass bei diesen Entscheidungen zum Teil auszustrahlende Fernsehwahlwerbung und zum Teil Hörfunkwahlwerbung mit einem anderen als dem hier streitgegenständlichen Text zu beurteilen war, es mithin um nicht vergleichbare Sachverhalte ging (OVG RhPf, B.v. 26.4.2019 - 2 B 10639/19 - n.v.; OVG NW, B.v. 26.4.2019 - 5 B 543/19 - n.v.).
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Soweit der Antragsgegner weiter vorträgt, „Prüfungsmaßstab seien im konkreten Fall eben nicht nur Normen des StGB, sondern auch die Verfassung und die ihr immanenten Grundsätze“ und meint, „die Entscheidung des Verwaltungsgerichts lasse eine Auseinandersetzung mit den Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts zur Antragstellerin vermissen, die richtigerweise bei der Bemessung des Prüfungsmaßstabs im konkreten Einzelfall ebenfalls hätten Berücksichtigung finden müssen“, setzt er sich einesteils in Widerspruch zu den für ihn geltenden Grundsätzen und verkennt zum anderen die Reichweite des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Januar 2017 - 2 BvB 1/13 - (BVerfGE 144, 20). Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in dieser Entscheidung im Hinblick auf die Antragstellerin festgestellt, deren politisches Konzept sei mit der Garantie der Menschenwürde unvereinbar. Der von ihr vertretene ethnische Volksbegriff negiere den sich aus der Menschenwürde ergebenden Achtungsanspruch der Person und führe zur Verweigerung elementarer Rechtsgleichheit für alle, die nicht der ethnischen „Volksgemeinschaft“ angehören. Ihr Politikkonzept sei auf die Ausgrenzung, Verächtlichmachung und weitgehende Rechtlosstellung von Ausländern, Migranten, Muslimen, Juden und weiteren gesellschaftlichen Gruppen gerichtet (BVerfG a.a.O. Rn. 635). Das Bundesverfassungsgericht hat aber gleichwohl ausdrücklich davon abgesehen, die Antragstellerin als Partei zu verbieten. Damit hat sie als zugelassene Partei einen Anspruch auf Ausstrahlung von Wahlwerbung wie alle anderen Parteien. Von Seiten des Antragsgegners ist deshalb nicht ihr Parteikonzept zu beurteilen, sondern ausschließlich der konkrete Inhalt des von ihr erstellten, streitgegenständlichen Wahlwerbespots. Das durch Art. 21 Abs. 2 Satz 2 GG normierte Entscheidungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts schließt ein administratives Einschreiten der Rundfunkanstalten gegen den Bestand einer politischen Partei schlechthin aus, mag sie sich gegenüber der freiheitlichen demokratischen Grundordnung auch noch so feindlich verhalten. Das Grundgesetz nimmt die Gefahr, die in der Tätigkeit der Partei bis zur Feststellung ihrer Verfassungswidrigkeit besteht, um der politischen Freiheit willen in Kauf. Die Partei handelt, wenn sie ihre verfassungsfeindlichen Ziele propagiert, im Rahmen einer verfassungsmäßig verbürgten Toleranz. Dies haben auch die Rundfunkanstalten zu respektieren (vgl. BVerfG, B.v. 14.2.1978 - 2 BvR 523/75 u.a. - BVerfGE 47, 198, juris Rn. 89). Rundfunkanstalten dürfen die Ausstrahlung von Werbespots nicht deshalb verweigern, weil mit ihnen im Rahmen der Wahlwerbung mit dem Grundgesetz nicht zu vereinbarende Zielvorstellungen, Programme oder Inhalte vorgetragen werden. Eine so weit reichende Inhaltskontrolle der Wahlwerbespots durch Rundfunkanstalten lässt das in Art. 21 GG umschriebene Parteienprivileg nicht zu (vgl. BVerfG a.a.O. Rn. 88). Daher kann auch die Behauptung des Antragsgegners, die Antragstellerin stelle mit ihrem Wahlwerbespot nachhaltig das Gewaltmonopol des Staates und das Rechtsstaatsprinzip in Frage, für sich genommen nicht zu einer Ablehnung der Ausstrahlung des streitgegenständlichen Wahlwerbespots führen. Im Übrigen trägt der Antragsgegner selbst nicht vor, dass in der behaupteten Infragestellung des staatlichen Gewaltmonopols durch die Antragstellerin ein evidenter Verstoß gegen strafrechtliche Normen liege.
15
Die Beschwerde des Antragsgegners war deshalb mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO zurückzuweisen.
16
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 1 GKG und Nr. 37.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Fassung 2013), wonach im Bereich des Rundfunkrechts für die Einräumung von Sendezeiten ein Streitwert von 15.000 EUR vorgeschlagen wird; wegen der Vorwegnahme der Hauptsache ist nach Nummer 1.5 dieses Streitwertkatalogs trotz des vorläufigen Charakters der vorliegenden Entscheidung eine Halbierung dieses Streitwerts nicht vorzunehmen.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).